Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien

Aktenzeichen  M 1 S 16.50370

Datum:
13.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 27a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3, Art. 13 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Nach aktuellem Kenntnisstand weisen die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren in Bulgarien keine systemischen Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta mit sich bringen. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge irakischer Staatsangehöriger und reiste ebenfalls eigenen Angaben zufolge im September 2015 in das Bundesgebiet ein. Am 23. Februar 2016 stellte er Antrag auf die Anerkennung als Asylberechtigter.
Bei seiner Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 12. April 2016 erklärte er, er habe sich auf seiner viertägigen Reise vom Irak in die Bundesrepublik für die Durchreise auch in Bulgarien aufgehalten. Seine Brüder und seine Onkel lebten im Bundesgebiet. Er habe Augenprobleme und bekomme Augentropfen. Er wolle in Deutschland bleiben. Hier sei er sicher. Bei einer Eurodac-Abfrage am 23. Februar 2016 ergab sich ein Treffer der „Kategorie 2“. Das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom 23. März 2016 gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) akzeptierten die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 29. März 2016.
Mit Bescheid vom 9. Juni 2016, an die Klägerbevollmächtigten versandt mit Schreiben vom 13. Juni 2016, wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1), die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet (Nr. 2) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Unzulässigkeit des Asylantrags ergebe sich aus § 27a AsylG. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. In Bulgarien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Die besagten Verwandten stellten keine Angehörigen im Sinne der Dublin-Regelungen dar. Erkenntnisse, dass die Augenkrankheit des Antragstellers nicht auch in Bulgarien behandelbar sei, lägen nicht vor. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, die Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf § 11 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
Am … Juni 2016 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts (M 1 K 16.50369) und beantragte dessen Aufhebung. Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 17. Juni 2016 die Behördenakte vor. Ein Antrag wurde bisher nicht gestellt.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
An der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (vgl. § 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Antragsteller illegal nach Bulgarien eingereist ist. Dies ergibt sich aus dem Eurodac-Treffer der „Kategorie 2“. Damit ist Bulgarien nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig. Die bulgarischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom 23. März 2016 mit Schreiben vom 29. März 2016 gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO akzeptiert.
Gründe, gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO von einer Überstellung nach Bulgarien abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BayVGH, U. v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris). Dem erkennenden Gericht liegen keine aktuellen belastbaren Erkenntnisse vor, die die Befürchtung rechtfertigen, dass Asylverfahren und Aufnahmebedingungen für jedenfalls nicht ernsthaft erkrankte alleinstehende Asylbewerber in Bulgarien – trotz zweifellos bestehender Missstände – systemische Mängel aufweisen, d. h. regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Fall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. In diese Beurteilung wurden die Erkenntnisse aus dem „Annual Report On The Monitoring Of The Status Determination Procedure In The Republic Of Bulgaria“ des Bulgarian Helsinki Committee von 2015 und der „Country Report Bulgaria“ von aida vom Oktober 2015 einbezogen. Das Ergebnis entspricht – soweit ersichtlich – mittlerweile der überwiegenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Deutschland (vgl. etwa VG Düsseldorf, B. v. 17.6.2016 – 22 L 1913/16.A – juris; VG des Saarlandes, B. v. 13.5.2016 – 6 L 351/16 – juris; VG Köln, B. v. 29.4.2016 – 2 L 917/16.A – juris; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 29.3.2016 – 3 L 47/16 – juris; VG Würzburg, U. v. 21.3.2016 – B 3 K 15.30099 – juris). Soweit ein relevantes Risiko für Dublin-Rückkehrer angenommen wird, ohne sachliche Prüfung ihres Asylbegehrens als Folgeantragsteller behandelt zu werden und in eine Hafteinrichtung mit möglicherweise unzureichenden Versorgungsbedingungen zu gelangen (Bulgarian Helsinki Committee, a. a. O., S. 18 f.; aida, a. a. O., S. 29 f.), trifft diese Befürchtung auf den Antragsteller nicht zu. Denn diese Gefahr wird ausdrücklich nur für die Dublin-Rückkehrer aufgezeigt, deren Asylgesuch in Abwesenheit endgültig abgelehnt wurde. Der Antragsteller hat in Bulgarien keinen Asylantrag gestellt und hielt sich dort auch nicht lange genug auf, um den endgültigen Abschluss eines Asylverfahrens möglich zu machen (vgl. VG des Saarlandes, B. v. 13.5.2016 – 6 L 351/16 – juris Rn. 68 ff.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts notwendig machen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist als erwachsener, gesunder Mann nicht auf die Hilfe seiner Angehörigen angewiesen. Die Behandlung seiner Augenerkrankung durch Augentropfen kann auch in Bulgarien erfolgen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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