Europarecht

Marke, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Streitwert, Zustimmung, Leistung, Klage, Feststellung, Haftung, Verfahren, Umfang, Beweisaufnahme, sittenwidrig, Fristsetzung, Kosten des Rechtsstreits, Zug um Zug, keinen Erfolg

Aktenzeichen  23 O 701/2

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45007
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Leistung von Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 26.024,17 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
A.
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegenüber der Beklagten Anspruch auf wirtschaftliche Rückabwicklung des im Februar 2018 mit der Firma Autohaus in geschlossenen Kaufvertrags über einen Seat Ateca 2.0 TDI Xcellence 4Drive.
I. Vertragliche Ansprüche bestehen zwischen den Parteien nicht, da der Kläger den Seat Ateca nicht von der Beklagten, sondern von dem Autohaus R. Streit e.K. erworben hat.
II. Der Kläger hat aber auch keine deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte, namentlich aus § 826 BGB. Denn der Kläger hat entgegen der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast (siehe Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 826 Rdnr. 55 m.w.N.) die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs schon nicht hinreichend substantiiert dargetan.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. statt aller BGH, NJW 2019, 2164 [2165] oder NJW 2017, 250 [252]). Bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, um die Bewertung des Verhaltens als verwerflich zu rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben {BGH, NJW 2017, 250 [252]). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht {BGH, NJW 2019, 2164 [2165] m.w.N.).
Gemessen an diesen Anforderungen kann dem klägerischen Sachvortrag kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen werden.
1. Eine Haftung der Beklagten folgt nicht aus dem Gesichtspunkt, dass in dem Motor EA 288 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wäre. Dem Sachvortrag des Klägers fehlte namentlich zu der dem zu Grunde liegenden Behauptung einer Zykluserkennung/Prüfstanderkennung jedwede Substanz. Der diesbezügliche Sachvortrag bot keinen Anlass zur Durchführung einer Beweisaufnahme, da er ersichtlich „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ erfolgt ist.
Eine Beweiserhebung zu dieser substanzarmen Behauptung hätte zu einer reinen Ausforschung geführt, die nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Denn zwar kann einer Partei es nicht verwehrt werden, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie weder genaue Kenntnis hat noch eine solche erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge gleichwohl für wahrscheinlich hält {BGH, NJW-RR 2003, 69 [70]; NJW 1995, 2111 [2112]). Indes entspricht es der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 31.03.2020, Az. 3 U 57/19, BeckRS 2020, 9901 – in Auseinandersetzung mit der aktuellen Rspr. des BGH, NJW 2020, 1740), dass jedenfalls dann keine Beweisaufnahme geboten ist, wenn die zum Beweis gestellte Behauptung für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufgestellt worden ist.
Diese Voraussetzungen liegen bzgl. der Behauptung, im Seat Ateca sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennungssoftware verbaut, hiervor.
Der Kläger hat vorgetragen, die Software regele die Abgasrückführung bei einem Fahrzeugbetrieb im NEFZ-Testzyklus in einer gegenüber dem Normalbetrieb im Straßenverkehr abweichenden Art und Weise; die Motorsteuerungssoftware erkenne, wenn das Fahrzeug im Prüfstandlauf betriebe werde und generiere allein dort eine Abgasreinigung, durch welche die Euro-6-Grenzwerte eingehalten werden, während diese Werte im realen Fährbetrieb nicht erreicht werden würden.
Für die Richtigkeit dieser Behauptung hat er allerdings nicht den geringsten greifbaren Anhaltspunkt vorgetragen. Konkrete Indizien für die Richtigkeit seiner Behauptungen hat der Kläger nicht aufgezeigt.
Derartige Indizien könnten sich etwa aus publizierten behördlichen oder sonstigen Untersuchungen zum streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben, aus eigenen Ermittlungen und Untersuchungen des Klägers, aus einem behördlich angeordneten Rückruf für den Seat Ateca, aus Verlautbarungen oder Maßnahmen des KBA und vielem mehr.
Nichts dergleichen ist klägerseits dargelegt worden. Der Kläger hat keinen auf seinen Seat bezogenen Rückruf des KBA vorgetragen; auch ein auf die Fahrzeugbaureihe bezogenen Rückruf hat er nicht vorgetragen. Hingegen lässt der Vortrag eines Rückrufs in Bezug auf einen VW T6 weder einen Bezug zum hiesigen Fall erkennen, noch ist spezifisch ein Bezug solch einen Rückrufs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen.
Den substanzarmen Behauptungen des Klägers steht demgegenüber das von der Beklagten vorgelegte Ergebnis der Untersuchung des KBA vom April 2016 (Anlage BI) sowie die Stellungnahme des BMVI gemäß Anlage B2 entgegen, wonach am Motor EA 288 gerade keine dem Motor EA 189 vergleichbare Unregelmäßigkeit hat feststellen werden können. Dieser Umstand nimmt der vom Kläger aufgestellten Behauptung gleichermaßen die Substanz (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.11.2019, Az. 7 U 363/18, BeckRS 2019, 38719). Bedeutungslos ist hingegen, welche Abgaswerte der Seat im realen Fährbetrieb aufweist (sog. Real Driving Emissions bzw. RDE). Dies gilt deshalb, weil erst ab der Abgasnorm Euro-6d-TEMP Fahrzeuge überhaupt außerhalb des unter normierten Bedingungen stattfindenden Prüfstandlaufs NEFZ auch im Rahmen einer RDE-Fahrt bestimmte Abgaswerte einzuhalten haben; der Seat Ateca des Klägers weist diese Abgasnorm aber nicht auf, so dass eine Grenzwertüberschreitung im realen Fährbetrieb nicht einmal eine indizielle Bedeutung für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung hat (vgl. nur OLG Stuttgart, Urteil vom 16.06.2020, Az. 16a U 228/19, BeckRS 2020, 16010; OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019, Az. 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587; LG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2020, Az. 19 O 223/19, BeckRS 2020, 13252).
2. Soweit der im Seat des Klägers verbaute Motor der Beklagten die Abgasrückführung je nach Temperaturfenster unterschiedlich betreibe (sog. Thermofenster), stellt dies keine Abschalteinrichtung dar.
Hier gilt zum einen, dass ein „Thermofenster“ gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 2 Buchst, a) der VO (EG) 715/2007 nicht grundsätzlich verboten, sondern jedenfalls dann zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Das heißt, bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fährbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Beklagte bzw. deren Verantwortliche in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Jedenfalls solange Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, scheidet solch eine Annahme aus (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020, Az. 3 U 57/19, BeckRS 2020, 9901; OLG Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, Az. 5 U 103/18, BeckRS 2019, 33351; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.11.2019, Az. 13 U 274/18, BeckRS 2019, 29281, sowie Hinweisbeschluss vom 17.2.2020, Az. 12 U 353/19, BeckRS 2020, 2626; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579 [583]). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kriterien, aus denen sich eine aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten sind (vgl. dazu umf. OLG Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, Az. 5 U 103/18, BeckRS 2019, 33351 oder OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019, Az. 5 U 1670/18, BeckRS 2019, 19559). Zu dieser Einschätzung ist auch die vom BMVI eingesetzte Untersuchungskommission Volkswagen gelangt. Danach liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster angesichts der „Unschärfe“ der Regelung jedenfalls nicht eindeutig vor (Bericht gemäß Anlage BI, S. 123). Vor diesem Hintergrund kommt ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass sie vorsätzlich und in einer besonders verwerflichen Art und Weise diese rechtliche Grauzone überschritten hat (so auch OLG Bamberg, Frankfurt a.M. und Stuttgart wie zuvor). Greifbare Anhaltspunkte (vgl. zuvor) für ein solches vorsätzliches und in einer besonders verwerflichen Art und Weise erfolgte Überschreiten dieser rechtlichen Grauzone lassen sich den Vortrag des Klägers allerdings nicht entnehmen. Aus diesen Gründen bestehen schon Zweifel daran, dass ein Thermofenster eine Abschaltvorrichtung im Sinne der vom BMVI sowie von der Rechtsprechung überwiegend als unklar eingestuften Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 entspricht. Ist damit bereits ein Gesetzesverstoß der Beklagten fraglich, ist schon gar nichts für ein vorsätzliches Überschreiten der Beklagten des Anwendungsbereichs der Norm erkennbar.
Zum anderen verschleiert eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung das tatsächliche Abgasverhalten des Fahrzeugs des Klägers im Straßenverkehr auch gar nicht, weil das Thermofenster sowohl auf dem NEFZ-Prüfstand als auch im realen Straßenverkehr in gleicher Weise funktioniert, so dass auch aus diesem Grund der Vorwurf eines manipulativen Vorgehens gegen die Beklagte nicht erhoben werden kann.
III. Der Kläger hat gegen die Beklagte überdies keinen Anspruch nach §§ 823 Abs. 2, 31 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB, da hierfür keine hinreichende Anhaltspunkte für einen Vorsatz und für eine Täuschungshandlung der Beklagten gegeben sind.
Eine relevante Täuschungshandlung liegt nämlich nur dann vor, wenn der Täter eine bewusst unwahre Erklärung abgibt. Demgegenüber fehlt der erforderliche Täuschungswille bei demjenigen, der seine unrichtigen Behauptungen für wahr hält {OLG Frankfurt a.M., Hinweisbeschluss vom 17.2.2020, Az. 12 U 353/19, BeckRS 2020, 2626).
Aus den dargestellten Gründen fehlen belastbare Anhaltspunkte für solch ein Bewusstsein bei der Beklagten.
IV. Gleiches gilt für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, denn auch dieser setzt Vorsatz zumindest im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraus, ohne die das Schutzgesetz nicht verletzt ist.
Im Übrigen kommt §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kein Schutzgesetzcharakter zu Gunsten eines Autokäufers zu {BGH, NJW 2020,1962 [1971]).
B.
Die Nebenentscheidungen folgen wegen der Kosten aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
C.
Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden. Hierbei sind weder dem Feststellungsantrag zu 2.) ein eigenständiger Wert zugemessen worden {OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 1213 [LS]) noch dem Antrag zu 3.) als Nebenforderung im Sinne des § 43 Abs. 1 GKG.


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