Europarecht

Nacherhebung des zuvor erstatteten Antidumpingzolls

Aktenzeichen  14 K 696/21

Datum:
5.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16179
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
UZK Art. 33 Abs. 2, Art. 119, Art. 116, Art. 5 Nr. 39, Art. 22 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Bei der Erstattung eines Antidumpingzolls nach Art. 116 UZK handelt es sich um eine zollrechtliche Entscheidung i.S.v. Art. 5 Nr. 39 UZK. Solche Entscheidungen werden mit ihrer Bekanntgabe wirksam (Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UZK); sie sind – vorbehaltlich abweichender Regelungen – unbefristet gültig (Art. 22 Abs. 5 UZK). Widerspricht eine Entscheidung den zollrechtlichen Vorschriften, kann sie unter den Voraussetzungen der Art. 27 UZK oder Art. 28 UZK jederzeit, d.h. ohne zeitliche Grenze korrigiert werden (Art. 23 Abs. 3 UZK). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Hauptzollamts vom 25. April 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 12. März 2021 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Streitig ist, ob das Hauptzollamt (HZA) zuvor erstatteten Antidumpingzoll nacherheben durfte.
Die Klägerin beantragte mit Zollanmeldung vom 29. September 2016 bei dem HZA (…) für Schraubringe aus verformbarem Gusseisen mit Gewinde aus China mit der Codenummer 7307 1910 10 0 die Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr, dem das HZA unter Erhebung von Antidumpingzoll in Höhe von (…) EUR entsprach.
Anlässlich einer Zollprüfung setzte das HZA den Antidumpingzoll wegen einer Korrektur des Zollwerts mit Bescheid vom 18. April 2018 u.a. um (…) EUR herab.
Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 12. Juli 2018 (C-397/17 und C-398/17, ECLI:ECLI:EU:C:2018:564) entschieden hatte, dass Rohrformstücke, Rohrverschlussstücke und Rohrverbindungsstücke aus Gusseisen mit Kugelgrafit in die Unterposition 7307 1990 der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen seien, beantragte die Klägerin am 27. September 2018 die Erstattung des mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 29. September 2016 erhobenen Antidumpingzolls.
Nach den Angaben im Erstattungsantrag waren die Einfuhrwaren aus Gusseisen gefertigt und die beigefügte Zolltarifauskunft ging von duktilem Gusseisen (= Gusseisen mit Kugelgrafit) aus.
Das HZA erstattete daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 den bereits erhobenen Antidumpingzoll in Höhe von (…) EUR und wies die Waren der Codenummer 7307 1990 00 0 zu.
Bei einer nochmaligen Überprüfung gelangte das HZA zu der Auffassung, dass die Erstattung zu Unrecht gewährt worden sei und die ursprüngliche Zollschuld gemäß Art. 116 Abs. 7 Unionszollkodex (UZK) wiederauflebe. Der zuvor erstattete Antidumpingzoll wurde deshalb mit Bescheid (vom HZA „Einfuhrabgabenbescheid“ genannt) vom 25. April 2019 in der vorgenannten Höhe nacherhoben. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das Gleiche gilt für den Einspruch gegen die Ablehnung des Erstattungsantrags vom 9. Juli 2019, den das HZA mit Bescheid vom 20. Januar 2021 abgelehnt hatte (vgl. jeweils Einspruchsentscheidung vom 12. März 2021).
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen Folgendes geltend:
Die Erhebung des Antidumpingzolls sei rechtswidrig, da die streitgegenständlichen Waren im maßgeblichen Zeitpunkt weder von der Warenbeschreibung noch von der im Art. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 430/2013 des Rates vom 13. Mai 2013 (nachfolgend: Verordnung Nr. 430/2013) genannten Unterposition erfasst gewesen seien. Die ihr erteilte verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) sei nach dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 2 UZK nur hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung bindend, nicht jedoch hinsichtlich der Rechtsfolgen dieser Einreihung. Eine vZTA binde dementsprechend nicht hinsichtlich der Anwendung einer Antidumpingmaßnahme, erst recht nicht, wenn sie wie hier nur für eine KN-Unterposition erteilt worden sei. Hilfsweise seien die Antidumpingzölle nach Art. 119 UZK zu erstatten. Denn die zwischenzeitliche Erstattung der Abgaben vom 1. Oktober 2018 stelle jedenfalls einen für sie nicht erkennbaren Irrtum des Beklagten dar.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Hauptzollamts vom 25. April 2019 und die Einspruchsentscheidung vom 12. März 2021 aufzuheben.
Außerdem beantragt sie hilfsweise, das Hauptzollamt zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Januar 2021 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. März 2021 eine Erstattung des Antidumpingzolls in Höhe von (…) € zuzubilligen.
Das HZA beantragt, die Klage abzuweisen.
Der angefochtene Nacherhebungsbescheid sei rechtmäßig, weil die von der Klägerin eingeführten Waren der Verordnung Nr. 430/2013 unterlägen. Außerdem sei der Antrag auf Erstattung des Antidumpingzolls zu Recht abgelehnt worden, weil der Irrtum der Zollbehörde von der Klägerin hätte erkannt werden können.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2022 verwiesen.
II.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 25. April 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
1. Die Nacherhebung – materiell-rechtlich gesehen ggf. zu Unrecht – erstatteter Abgaben kommt nur dann in Betracht, wenn die der Nacherhebung entgegenstehende begünstigende Entscheidung über die Erstattung aufgehoben worden ist. Denn dieser – materiell-rechtlich ggf. unrichtige – Bescheid legt, solange er besteht, verbindlich fest, ob und in welcher Höhe ein Erstattungsanspruch besteht. Dies folgt aus der Bindungswirkung des Erstattungsbescheides und aus der Systematik des Art. 27 UZK, nach dem eine begünstigende Entscheidung (nur) unter den dort genannten Voraussetzungen zurückgenommen werden kann.
Bei der Erstattung eines Antidumpingzolls nach Art. 116 UZK, die vorliegend mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 gewährt worden ist, handelt es sich um eine zollrechtliche Entscheidung i.S.v. Art. 5 Nr. 39 UZK. Solche Entscheidungen werden mit ihrer Bekanntgabe wirksam (Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UZK); sie sind – vorbehaltlich abweichender Regelungen – unbefristet gültig (Art. 22 Abs. 5 UZK). Widerspricht eine Entscheidung den zollrechtlichen Vorschriften, kann sie unter den Voraussetzungen der Art. 27 UZK oder Art. 28 UZK jederzeit, d.h. ohne zeitliche Grenze korrigiert werden (Art. 23 Abs. 3 UZK).
Die Erstattung ist eine den Inhaber begünstigende Entscheidung, die (nur) unter den Voraussetzungen des Art. 27 UZK (mit Wirkung ex tunc) zurückgenommen werden kann (vgl. Roth in Rüsken/Zollrecht, Art. 27 UZK Rz. 13; a.A. wohl: Alexander in Witte, UZK, 8. Aufl., Vorbemerkungen zu Art. 27 und 28 UZK, Rn. 3).
Die Regelung in Art. 27 UZK wird nicht durch speziellere Vorschriften über die Rücknahme von Erstattungsentscheidungen verdrängt. Solche spezielleren Vorschriften sind nicht ersichtlich; insbesondere enthalten die Art. 116 ff. UZK keine Korrekturregelungen.
Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung der Verwaltung, wonach bei einem Wiederaufleben der Zollschuld nach § 116 Abs. 7 UZK eine Rücknahme der Erstattungsentscheidung nicht erforderlich sei (vgl. Vorschriftensammlung des Bundesministeriums der Finanzen, E-VSF Z 11 02 Abs. 700). Bei Art. 116 Abs. 7 UZK handelt es sich um eine materiell-rechtliche Vorschrift, die erforderlich ist, weil die Zollschuld durch die einer Erstattung vorausgegangene Entrichtung nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. b) UZK erloschen ist. Die Geltendmachung der nach Art. 116 Abs. 7 UZK wiederaufgelebten Zollschuld setzt aber zwingend die Rücknahme des Erstattungsbescheides voraus. Die behördliche Feststellung, dass die Erstattungsentscheidung zu Unrecht ergangen und die Zollschuld wiederaufgelebt ist, ersetzt die Rücknahme nicht (so aber wohl Alexander in Witte, aaO., Art. 116 Rz. 60). Eine solche Auslegung des Art. 116 Abs. 7 UZK stünde im Widerspruch zu den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, wie sie in Art. 27 UZK zum Ausdruck kommen. Eine Einschränkung des Vertrauensschutzes bei der Korrektur von Erstattungsbescheiden erscheint auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Zollbehörde im Erstattungsverfahren – anders als bei der Erstfestsetzung von Abgaben – nicht zu einer schnellen Entscheidung angehalten ist und einer Erstattungsentscheidung eine umfassende Prüfung sämtlicher tatsächlicher und rechtlicher Erwägungen vorausgeht (Art. 121 Abs. 2 UZK).
Sonstige Gründe, die einer Anwendung der allgemeinen Korrekturvorschriften auf Erstattungsbescheide entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere steht Art. 23 Abs. 3 UZK, der die Rücknahme ohne zeitliche Grenze zulässt, nicht in Widerspruch zu den Vorschriften über die Verjährung der Zollschuld nach Art. 103 UZK und über die Antragsfrist nach Art. 121 Abs. 1 UZK (anders wohl Alexander, Vorbemerkungen zu Art. 27 und 28, Rz. 3). Denn auch nach einer Rücknahme der Erstattung und einem Wiederaufleben der Zollschuld nach Art. 116 Abs. 7 UZK können die Abgaben nur innerhalb der für sie geltenden Verjährungsfrist nacherhoben werden. Die in Art. 121 Abs. 1 UZK geregelten Antragsfristen gelten nur für Erlass- und Erstattungsanträge, nicht aber für deren Rücknahme.
2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Erstattungsbescheids nach Art. 27 UZK auch nicht vor.
Nach Art. 27 Abs. 1 UZK nehmen die Zollbehörden eine den Inhaber der Entscheidung begünstigende Entscheidung zurück, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a) die Entscheidung wurde auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Informationen getroffen,
b) der Inhaber der Entscheidung wusste oder hätte wissen müssen, dass die Informationen unrichtig oder unvollständig waren,
c) wären die Angaben richtig und vollständig gewesen, so wäre eine andere Entscheidung erlassen worden.
Vorliegend wurde die Erstattungsentscheidung nicht auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Informationen getroffen.
In den Fällen, in denen die begünstigende Entscheidung auf Antrag erlassen wurde, sind für die Feststellung der für die Anwendung des Art. 27 Abs. 1 Buchst. a UZK erforderlichen Informationen die Angaben und Unterlagen maßgebend, die der Antragsteller der Zollbehörde gem. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 UZK zu liefern hatte. Dem HZA sind von der Klägerin alle für den Erstattungsantrag erforderlichen Unterlagen vorgelegt worden. Insbesondere gab es keine weiteren Nachfragen seitens des HZA, um etwa die genaue Beschaffenheit der eingeführten Ware beurteilen zu können. Diese war dem HZA nicht zuletzt durch die eingehende Zollprüfung bei der Klägerin bekannt, die bereits vor Erlass des Erstattungsbescheids beendet war.
Eine nach der Erstattungsentscheidung geänderte Rechtsauffassung der Verwaltung rechtfertigt eine Rücknahme nach Art. 27 UZK nicht.
Da das HZA den Erstattungsbescheid demnach nicht nach Art. 27 UZK zurücknehmen konnte, verbleibt es bei der ursprünglichen Erstattung und es kommt nicht mehr darauf an, ob diese rechtmäßig war oder nicht. Wegen der bindenden Erstattungsentscheidung konnte das HZA auch nicht neuerlich einen Antidumpingzoll für die Einfuhr vom 29. September 2016 in der fraglichen Höhe festsetzen.
3. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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