Europarecht

Nahrungsergänzungsmittel, Alpha-Liponsäure, Unterlassungsanspruch/Folgenbeseitigungsanspruch, Öffentliche Produktwarnung durch die Lebensmittelüberwachungsbehörde, Fehlerhafte Pressemitteilung der Behörde, „lebensmittelwarnung.de“, Vorabbekanntgabe einer behördlichen Pressemitteilung an den Lebensmittelunternehmer

Aktenzeichen  B 7 E 21.810

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31133
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LFGB § 40 Abs. 1
LFGB § 40 Abs. 3 Satz 1
LFGB § 40 Abs. 4
GesVSV § 9
VO (EG) 178/2002 Art. 10
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Verlinkt die Lebensmittelüberwachungsbehörde eine gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB auf der Plattform „lebensmittelwarnung.de“ behördlich eingestellte „Produktwarnung“ mit einer behördlichen Pressemitteilung, ist dem Lebensmittelunternehmer gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB auch der Wortlaut der Pressemittelung vorab – unter Setzung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme – bekanntzugeben.
2. Erklärt sich die Lebensmittelüberwachungsbehörde bei einer von einem Lebensmittelunternehmer (freiwillig) getätigten öffentlichen „Produktwarnung“ mit dem Inhalt und Umfang der Öffentlichkeitsinformation einverstanden, darf bei einem vergleichbaren Produkt eines anderen Lebensmittelunternehmers keine „betriebsschädlichere“ Öffentlichkeitsinformation verlangt oder gar behördlicherseits veranlasst werden.

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Pressemitteilung … vom 16.07.2021 bezüglich des Nahrungsergänzungsmittels der Antragstellerin mit der Bezeichnung „…-Liponsäure 300 …“ unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts zu korrigieren, die Antragstellerin binnen vier Werktagen nach Zustellung dieses Beschlusses – unter Beigabe des abschließenden Entwurfes der Pressemitteilung – zur korrigierten Pressemitteilung anzuhören und die korrigierte Pressemitteilung in der gleichen Art und Weise wie die Pressemitteilung vom 16.07.2021 zu veröffentlichen.
2. Der Antragsgegner wird ferner verpflichtet, binnen eines Tages nach Zustellung dieses Beschlusses die „Verlinkung“ der am 16.07.2021 auf der Plattform „lebensmittelwarnung.de“ veröffentlichten Warnung für das Produkt der Antragstellerin mit der Bezeichnung „…Liponsäure 300 …“ mit der Pressemitteilung vom 16.07.2020, sowie die Pressemitteilung vom 16.07.2021 (* …*) auf der Homepage … zu entfernen und – nach Korrektur der Pressemitteilung und der diesbezüglichen Anhörung der Antragstellerin – die Warnung unter Hinweis und „Verlinkung“ auf die korrigierte Pressemitteilung erneut auf der Plattform „lebensmittelwarnungen.de“ bzw. die korrigierte Pressemitteilung erneut – unter Hinweis auf die erfolgte Korrektur – auf der Homepage … zu veröffentlichen.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte.
5. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Rücknahme der öffentlichen Warnung bezüglich der Gesundheitsgefahr des von der Antragstellerin vertriebenen Nahrungsergänzungsmittels „…Liponsäure 300 …“.
Die Antragstellerin vertreibt Nahrungsergänzungsmittel an Apotheken und in ihrem Online-Shop, darunter das Produkt „…Liponsäure 300 …“. Das Produkt, das Alpha-Liponsäure (ALA) in einer Dosierung von 300 mg enthält, wurde erstmalig im September 2017 in Verkehr gebracht.
Am 07.07.2021 entnahm … im Betrieb der Antragstellerin eine Planprobe des Produkts „…Liponsäure 300 …“.
Mit Gutachten vom 15.07.2021 kam das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zu dem Ergebnis, dass durch die Einnahme der empfohlenen Tagesdosis (= 1 Kapsel) des beprobten Nahrungsergänzungsmittels im Schnitt 284 mg (+/- 14 mg) Alpha-Liponsäure zugeführt werde und daher davon auszugehen sei, dass das Nahrungsergänzungsmittel mit einer Tagesdosis von 284 mg ALA unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und 4 der VO (EG) Nr. 178/2002 gesundheitsschädlich und damit nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) Nr. 178/2002 sei.
Mit E-Mail vom 15.07.2021 (12:54 Uhr) informierte … die Antragstellerin, dass es sich beim streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel um ein nicht sicheres Lebensmittel handele und daher die Verpflichtung bestehe, dieses vom Markt zu nehmen. Die Antragstellerin wurde zugleich aufgefordert bis 15:00 Uhr desselben Tages weitergehende Informationen zu liefern und näherbezeichnete Maßnahmen zu ergreifen (vgl. Bl. 119 der Gerichtsakte).
Mit E-Mail vom 15.07.2021 (15:18 Uhr) zeigte die Bevollmächtigte der Antragstellerin die Vertretung gegenüber dem Antragsgegner an und erklärte, dass die betroffene Ware vorsorglich gesperrt worden sei. Ob eine Rücknahme zu veranlassen sei, werde von der Antragstellerin zeitnah geprüft.
Mit weiterer E-Mail vom 15.07.2021 (16:08 Uhr) teilte … der Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, nachdem es sich eindeutig um ein nicht sicheres Lebensmittel gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) Nr. 178/2002 handele, sei die Antragstellerin verpflichtet, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Da nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass das Produkt bereits Endkunden erreicht habe, ergebe sich eine Verpflichtung zu einem öffentlichen Rückruf aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 178/2002. Soweit diesem bis 16.07.2021, 7:30 Uhr, nicht freiwillig nachgekommen werde, sei der Erlass einer kostenpflichtigen Verpflichtungsanordnung beabsichtigt.
Am 15.07.2021 (19:14 Uhr) wies die Bevollmächtigte der Antragstellerin per E-Mail darauf hin, dass gerade geprüft werde, ob die im Produkt eingesetzte Menge an Alpha-Liponsäure tatsächlich gesundheitsschädlich sei. Es sei mitnichten so, dass dies bereits deshalb „eindeutig“ sei, weil das LGL sich dazu in einer Stellungnahme entsprechend geäußert habe. Vielmehr lägen hierzu durchaus abweichende Meinungen in der Literatur vor. Eine Frist von nur zwei Stunden – bzw. mit Verlängerung von immer noch weniger als 18 Stunden – zur Anhörung bzw. Stellungnahme erscheine insoweit deutlich zu kurz bemessen und damit unverhältnismäßig.
Am Vormittag des 16.07.2021 legte die Bevollmächtigte der Antragstellerin … eine umfassende Stellungnahme (Bl. 47 der Gerichtsakte) vor, wonach die Auffassung des Antragsgegners zur Gesundheitsschädlichkeit des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels durch Literaturdaten nicht gestützt und auch durch die EFSA-Stellungnahme vom 08.06.2021 nicht bestätigt werde.
Mit Telefax vom 16.07.2021 (10:22 Uhr) übermittelte der Antragsgegner der Bevollmächtigten der Antragstellerin eine Anhörung zum geplanten weiteren Vorgehen (Bl. 100 der Gerichtsakte bzw. Bl. 579 ff. und 583 ff. der Behördenakte), die auch einen Entwurf der beabsichtigten Information der Öffentlichkeit enthielt. Per E-Mail vom 16.07.2021 (12:40 Uhr) teilte der Antragsgegner der Bevollmächtigten der Antragstellerin ferner mit, dass das Ergebnis der Prüfung trotz der Stellungnahme vom 16.07.2021 aufrechterhalten werde. Es liege weiterhin ein nicht sicheres Lebensmittel vor. Die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1 LFGB sei beabsichtigt, soweit die Antragstellerin nicht bis 13:00 Uhr die Bereitschaft erkläre, die Öffentlichkeitsinformation unverzüglich selbst durchzuführen.
Die Bevollmächtigte der Antragstellerin führte daraufhin mit E-Mail vom 16.07.2021 (13:11 Uhr) gegenüber dem Antragsgegner aus, die Antragstellerin werde eine Rücknahme des Produktes bei ihren Abnehmern durchführen. Es bestünden jedoch nach wie vor erhebliche Zweifel an der Auffassung, dass ein unsicheres Lebensmittel vorliege. Vor diesem Hintergrund sei ein öffentlicher Rückruf absolut unverhältnismäßig.
Am Nachmittag bzw. Abend des 16.07.2021 informierte der Antragsgegner die Presse mittels Pressemitteilung über die Gesundheitsgefahr des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels. Daneben wurde eine „RASFF-Meldung“ erstellt und eine Produktwarnung auf der Plattform „lebensmittelwarnung.de“ eingestellt, wobei letztere mit der Pressemitteilung vom 16.07.2021 verlinkt wurde.
Mit Schriftsatz vom 16.07.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Ansbach am 16.07.2021 um 19:49 Uhr und von dort aus mit Beschluss vom 19.07.2021 verwiesen an das Verwaltungsgericht Bayreuth, beantragte die Antragstellerin zunächst, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Unterlassung einer behördlichen Information der Öffentlichkeit zu verpflichten. Nachdem zwischenzeitlich die Produktwarnung durch den Antragsgegner veröffentlicht wurde, beantragt die Antragstellerin nunmehr, den Antragsgegner zur Rücknahme der veröffentlichten öffentlichen Produktwarnung für das Produkt …Liponsäure 300 … zu verpflichten.
Zur Begründung des Eilantrags wird im Wesentlichen ausgeführt, man habe in einer Nachtschicht die vorhandenen aktuellen Studiendaten aus der Literatur zur Sicherheit von ALA ausgewertet und zudem in den anderen EU-Mitgliedstaaten die zulässigen Mengen an ALA recherchiert. Die grundsätzliche Sicherheit von Dosierungen von ALA auch bei 300 mg sei dadurch bestätigt worden, was man … auch am 16.07.2021 per E-Mail mitgeteilt habe. Durch die unverhältnismäßig kurze Fristsetzung sei eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Vorhalten unmöglich. Im Gegenteil: Nachdem das Produkt seit fast vier Jahren ohne Probleme im Verkehr und dessen Dosierung auch durchaus „marktüblich“ sei, komme es einem wie eine „Nacht-und-Nebel-Aktion“ vor, wenn dieses nunmehr innerhalb eines Tages bzw. weniger Stunden plötzlich wegen einer angeblichen, allenfalls abstrakt bestehenden, Gesundheitsgefahr vom Markt genommen werden solle. Über die Dosierung von ALA in Nahrungsergänzungsmitteln werde erst seit Kurzem debattiert. Ein gesetzlich vorgeschriebener Grenzwert bestehe in Deutschland nicht. Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit habe sich bisher nicht dazu imstande gesehen, einen Grenzwert vorzuschlagen. In Italien und auf Island dürfe ALA sogar kraft gesetzlicher Bestimmungen ohne Mengenbegrenzung in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt werden. Da auch in diesen Ländern Art. 14 der VO (EG) Nr. 178/2002 gelte, unterstreiche dies die diesseits vertretene Auffassung, dass das konkret vertriebene Produkt mit etwas unter 300 mg ALA pro Tagesverzehrmenge nicht verzehrunsicher sei. Die Antragstellerin habe ihrerseits alles Erforderliche (freiwillig) getan, um den weiteren Produktvertrieb kurzfristig einzustellen. Ein zusätzlicher öffentlicher Rückruf sei mangels einer konkret von dem Produkt ausgehenden Gesundheitsgefahr nicht erforderlich und absolut unverhältnismäßig. Die Antragstellerin fürchte, durch die Veröffentlichung der nicht erforderlichen Produktwarnung einen irreparablen Imageschaden zu erleiden, zumal die Basis, auf der die angeblich „möglichen Effekte“ kommuniziert werden, bisher seitens der Behörde nicht offengelegt bzw. dokumentiert worden seien. Um der Antragstellerin effektiven Rechtsschutz zu gewähren, sei der vorliegende Antrag dringend geboten, andernfalls würden vollendete Tatsachen geschaffen, die auch im Rahmen von Amtshaftungsansprüchen nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Aus diesem Grund sei auch eine Antragstellung in vergleichbaren Konstellationen des Lebensmittelrechts entsprechend anerkannt, da der Betroffene damit rechnen müsse, dass für ihn mit sofortiger Wirkung gravierende wirtschaftliche Folgen einträten. Wirksamen Schutz vor den drohenden Folgen könne letztlich nur der vorläufige Rechtsschutz in einem Eilverfahren bieten. Eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren verliere insoweit an Bedeutung. Zudem werde ergänzend darauf hingewiesen, dass … auch nicht die funktionell zuständige Behörde für die Anordnung einer entsprechenden Information der Öffentlichkeit sei (wird umfassend ausgeführt).
Am 20.07.2021 übermittelte der Antragsgegner eine toxikologische Bewertung zum Produkt „…Liponsäure“ der Antragstellerin sowie zusammengefasste Ausführungen des LGL (E-Mail vom 19.07.2021, 16:55 Uhr), insbesondere zur aktuellen Risikobewertung der EFSA vom 08.04.2021, woraufhin die Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21.07.2021 ausführte, der Antragsgegner habe die zur Unterlassung begehrte Veröffentlichung der öffentlichen Produktwarnung nach Antragstellung durchgeführt, so dass das rechtliche Interesse der Antragstellerin nunmehr darauf gerichtet sei, die damit bereits ausgelösten Folgen von Verbraucherverunsicherung und Rufschädigung schnellstmöglich wieder zu beseitigen. In der ausführlichen toxikologischen Stellungnahme des LGL werde ausgeführt, dass ALA nur eine reduzierte Bioverfügbarkeit von 20 – 40% habe und in der Leber rasch und fast vollständig metabolisiert werde bzw. schnell wieder aus dem Plasma eliminiert und über die Nieren ausgeschieden werde. Es reichere sich daher im Körper nicht an. Die aktuelle Toxität von ALA sei ebenfalls sehr gering bzw. relativ gering. Die subakute Toxität bzw. der NOAEL sei in Tierstudien mit 61,9 mg/kg Körpergewicht bei Ratten ermittelt worden. Bei Umrechnung auf einen Menschen mit 70 kg Körpergewicht komme man auf eine Menge von 4340 mg, die toxikologisch problematisch sei. Bei Menschen werde allerdings mit dem Faktor 100 noch eine Sicherheit eingebaut, auf welche man sich bei einem Langzeitverzehr stütze. Dabei entfalle der Faktor 10 zunächst auf den Spezies-Unterschied, d. h. eine Menge von 434 mg sei danach grundsätzlich beim Menschen nicht problematisch. Unter Berücksichtigung eines weiteren Faktors von 10 für besonders empfindliche Personen erreiche man dann den hier für die Sicherheitsbewertung aus den Tierstudien abgeleiteten Wert von 43,4 mg. Wenn man daher nur auf den Spezies-Unterschied abstelle und die besonders empfindlichen Personen ausklammere, sei auch noch eine abgeleitete Menge von 434 mg ALA unproblematisch. Die Humandaten, auf die sich die weitere toxikologische Sicherheitsbewertung des LGL stütze, stützten sich auf Dosierungen von 600 mg und damit auf Dosierungsbereiche, die durch den Verzehr des streitgegenständlichen Produkts nicht erreicht werden könnten. Zudem seien diese Daten ausschließlich an Kranken ermittelt worden und nicht an gesunden Verbrauchern. Die Inzidenz habe dabei bei oralem Verkehr von ALA bei 3,2 pro 100.000 Patienten gelegen, d. h. das Risiko einer Nebenwirkung liege damit für den einzelnen Patienten bei 0,000032 Prozent. Die für die Menge von 600 mg ALA beschriebenen Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall) seien zudem eher leichter Natur und reversibel. Dies gelte auch für die beschriebenen allergischen Reaktionen auf der Haut. Mithin könne hier noch von reinen „Unverträglichkeiten“ gesprochen werden. Nur in sieben Fällen von 3.616 Patienten sei es bei täglichem Verzehr von ALA über drei Jahre zu einem Anstieg von Leberenzymen gekommen. Bei der über vier Jahre laufenden Studie von Ziegler et al. (2011) müsse darauf hingewiesen werden, dass diese an diabetischen Patienten mit sensomotorischer Polyneuropathie in einer arzneitypischen Dosierung von 600 mg durchgeführt worden sei. Die dort beschriebenen Effekte (Störungen im Herz-/Kreislaufbereich) bei einigen Probanden mögen insoweit auch altersbedingt gewesen seien. Im „Abstract“ der Studie heiße es dazu, dass die globale Bewertung der Behandlungsverträglichkeit und die Abbrüche aufgrund mangelnder Verträglichkeit sich nicht zwischen den Gruppen unterschieden hätten. Die weiter zitierte Studie von Ziegler et al. (2006) bestätige wiederum, dass die negativen Effekte von ALA dosisabhängig seien, wobei sich auch diese Studie nicht auf eine Verzehrmenge von 300 mg bezogen habe, sondern auf einen Vergleich zwischen Placebo und 600 mg ALA. Auch dabei hätten sich die beschriebenen adversen Effekte auch nur auf bloße „Unverträglichkeiten“, d.h. Übelkeit/Erbrechen/Schwindel beschränkt. Die Studie von Porasuphatana et al. an 38 diabetischen Patienten sehe in der Gruppe 2 eine Menge von 300 mg ALA vor. Bis auf Hautrötungen bei zwei Patienten und einen bitteren Beigeschmack im Rachen seien jedoch keine weiteren Effekte beschrieben. Den zitierten Fallberichten lägen Dosierungen zugrunde, welche mit dem normalen Verzehr des streitgegenständlichen Produkts nicht erreicht werden könnten (zwischen 600 und 6000 mg ALA). Soweit es bei den noch geringeren Dosierungen zu Nebenwirkungen gekommen sei, habe es sich wiederrum um klassische Unverträglichkeitsreaktionen im Magen-Darmbereich bzw. der Haut gehandelt. Sämtliche Effekte hätten sich zudem bei Absetzen der Einnahme wieder normalisiert, auch die Auswirkungen auf die Leberenzyme. Soweit das Gutachten des LGL auf die Fachinformation von Arzneimitteln mit 400 bis 600 mg ALA Bezug nehme, werde auf die Übersicht (einkopiert) zu den Nebenwirkungshäufigkeiten verwiesen. Danach seien gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall) sehr selten (< 0,01 Prozent). Allergische Reaktionen (Hautausschlag, Nesselsucht, Juckreiz) seien ebenfalls sehr selten (< 0,01 Prozent). Gleiches gelte für das Absinken des Blutzuckerspiegels (Schwindel, Kopfschmerzen, Schwitzen, Sehstörungen).
Im Hinblick auf die Ausführungen des LGL (E-Mail vom 19.07.2021 von Frau Dr. O.) zur EFSA-Risikobewertung, sei auszuführen, dass die vom LGL erwähnte EFSA-Stellungnahme vom 08.04.2021 nicht die abschließend veröffentlichte Stellungnahme sei. Die finale Stellungnahme sei erst nach Durchführung einer öffentlichen Konsultation am 08.06.2021 veröffentlicht worden. Der Europäische Dachverband der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln habe inzwischen zum Zwecke der adäquaten Risikoreduzierung für Personen, welche unter einem Insulin-Antikörpersyndrom leiden, die Aufnahme eines Warnhinweises vorgeschlagen. Ferner sei ausweislich der Ausführungen von Frau Dr. O. die toxikologische Bewertung des LGL zu einem anderen beanstandeten Produkt mit Alpha-Liponsäure erstellt worden. Da dieser Auftrag von der Regierung von Oberbayern erteilt worden sei, sei davon auszugehen, dass es sich hierbei um ein deutlich höher dosiertes, möglicherweise schon im Dosierungsbereich der Arzneimittel (600 mg ALA) vertriebenes, Produkt gehandelt habe. Im Übrigen seien Gegenstand der EFSA-Bewertung ausschließlich 49 Einzelberichte, davon lediglich 20 aus Europa, gewesen. Die Einnahme habe dabei zwischen 200 und 800 mg ALA pro Tag variiert. Die Zeit bis zum Auftreten der Krankheit habe von einer Woche bis vier Monaten gereicht. Dabei habe es auch keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Dosis und der Zeit bis zum Auftreten der Erkrankung gegeben. Für mehrere Fälle seien nicht einmal Informationen über die Dosis oder die Dauer des Konsums verfügbar gewesen. Von den 18 Fällen, in denen Dosierungen angegeben gewesen seien, hätten sich nur vier Einzelfälle auf Dosierungen um 200 mg ALA, aber bereits elf Einzelfälle auf Dosierungen ab 600 mg ALA bezogen. Dies lege eine gewisse Dosisabhängigkeit nahe. Relevant sei letztlich, dass die Entwicklung des Insulin-Antikörpersyndroms nach Absetzen von ALA innerhalb von wenigen Wochen wieder reversibel sei. Zudem trete dieses Phänomen nur innerhalb einer sehr kleinen Verbrauchergruppe auf. Die Prävalenz der davon möglicherweise Betroffenen liege dabei in Europa zwischen 0,1 bis 3 Prozent. Ausweislich der 49 Einzelberichte sei kein einziger deutscher Verbraucher dabei gewesen. Dieses Syndrom scheine daher vor allem im Mittelmeerraum verbreitet zu sein. Das EFSA-Gremium habe angemerkt, dass auf Grundlage der begrenzten Daten die Inzidenz von IAS in Europa und das Risiko der Entwicklung von IAS nach dem Konsum von ALA nicht für die allgemeine Bevölkerung, Untergruppen oder Personen mit genetischer Anfälligkeit gelte. Es sei daher falsch, wenn in der besagten E-Mail behauptet werde, dass der Verzehr von mit ALA angereicherten Lebensmitteln, einschließlich Nahrungsergänzungsmitteln, wahrscheinlich zu einem erhöhten Risiko der Entwicklung einer IAS führe. Vielmehr schließe die EFSA gerade ein Risiko für die allgemeine Bevölkerung aus, weil dieses gerade nicht quantifizierbar sei. Dieses sei daher nicht wahrscheinlich, sondern eher unwahrscheinlich bzw. selten. Soweit das LGL weiter darauf hinweise, dass bei einer in suizidaler Absicht verzehrten Einmaldosis von 6000 mg ALA ein Multiorganversagen eintreten könne, seien dies Mengen, welche durch den Verzehr des streitgegenständlichen Produktes schon gar nicht erreicht werden könnten bzw. sollten. Dies seien 20 Kapseln des streitgegenständlichen Produktes. Zudem werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die empfohlene tägliche Verzehrmenge nicht überschritten werden dürfe. Insbesondere seien bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher oder nicht sicher sei, nach Art. 14 Abs. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 die normalen Bedingungen seiner Verwendung zu berücksichtigen. Ferner seien die dem Verbraucher vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett maßgeblich. Es komme also nicht darauf an, ob man sich mit 20 Kapseln eines Produktes theoretisch umbringen könne, um dieses zu einem dann zwangsläufig gesundheitsschädlichen, mithin tödlichen Produkt zu machen, sondern welche Effekte bei einem konkreten Verzehr von 300 mg ALA pro Tag über eine längere Zeit auftreten könnten. Der Verweis auf eine völlig verzehrunübliche Menge von ALA diene daher eher der Panikmache als dem Beleg für dessen Verzehrunsicherheit.
Die von … auf Basis der toxikologischen Bewertung des LGL ausgesprochene öffentliche Warnung nach § 40 Abs. 1 LFGB sei damit klar rechtswidrig, da sich aus dem Überschreiten des in Tierstudien ermittelten sogenannten ADI noch keine akut bestehende Gesundheitsgefahr durch den Verzehr des Produktes ableiten lasse. Die herangezogenen Studien und Einzelfallberichte bezögen sich fast ausschließlich auf die Dosierungsbereiche von 600 mg oder mehr, die von der täglich empfohlenen Tagesverzehrmenge des streitgegenständlichen Präparats um das Doppelte abwichen. Eine Dosisabhängigkeit beim Auftreten von Nebenwirkungen sei damit aus der Studie ebenfalls ableitbar. Damit sei auch die irreführende Kommunikation für den Verbraucher klar rechtswidrig. Man schildere als mögliche Effekte bei einer nur wenig höheren Tagesdosis das Auftreten einer Reihe von adversen Effekten, welche jedoch regelmäßig nur bei Einnahme der doppelten Dosis oder mehr relevant seien. Ferner habe es sich bei den adversen Effekten um reine und sehr selten auftretende Unverträglichkeitsreaktionen gehandelt. Weiterhin werde selbst im Beipackzettel für das als Arzneimittel vertriebene Produkt „… 600 oral“ bei den möglichen Nebenwirkungen weder auf schwerwiegende adverse Effekte noch auf Zeichen einer Leberschädigung hingewiesen. Das LGL berücksichtige bei seiner Einschätzung auch nicht die Meta-Analyse von Fogacci et al. (Oktober 2020), welche die Sicherheit und gute Verträglichkeit von ALA grundsätzlich bestätige.
Das Vorgehen des Antragsgegners sei im Übrigen auch schon deswegen rechtswidrig, weil die Beurteilungsgrundlage mehr als komplex sei. Das Produkt sei seit fast vier Jahren (nach ordnungsgemäßer Notifizierung beim BVL) auf dem Markt. Die … habe sich bereits vor einiger Zeit mit Werbeaussagen zu diesem Produkt befasst, d.h. sie habe schon im Februar 2021 das Produkt und dessen Dosierung, die klar gekennzeichnet sei, gekannt. Damit sei keine akute Gesundheitsgefahr, die von dem Produkt ausgehe, ersichtlich. Selbst wenn es im Rahmen des aktuell geführten Verfahrens nach Art. 8 VO (EU) 1925/2006 zu einer EUweiten Dosierungsbeschränkung bei der Verwendung von ALA in Nahrungsergänzungsmitteln kommen sollte, werde eine solche auch nicht „von jetzt auf gleich“ umgesetzt. Vielmehr habe auch dann der betroffene Lebensmittelunternehmer i.d.R. eine gewisse Zeit, eine Produktanpassung zu veranlassen. Nachdem die von der Antragstellerin eingesetzte Verkehrsmenge an ALA bisher marktüblich gewesen sei und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass diese unsicher sei, habe bisher keinerlei Veranlassung, die Dosierung nach unten zu korrigieren, bestanden.
Mit Schriftsatz vom 21.07.2017 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei lediglich die Rücknahme des Produktes gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 der VO (EG) Nr. 178/2002 durch den Betrieb durchgeführt worden; dies allerdings erst im Laufe des 16.07.2021. Es sei durch die Antragstellerin auch nicht in Aussicht gestellt worden, dass ein weiterer Sachvortrag, ein fachliches oder toxikologisches Gegengutachten oder die Beantragung von Eilrechtsschutz erfolgen werde.
Der Antrag sei zum Zeitpunkt der Antragstellung unstatthaft gewesen, da bereits Erledigung eingetreten sei. Die Information der Öffentlichkeit umfasse sowohl die Einstellung bei „lebensmittelwarnung.de“, als auch die Rückrufüberwachung über das Schnellwarnsystem (RASSF) und die Information der Presse. Diese Schritte seien zum Zeitpunkt der Einlegung des Antrags bereits veranlasst gewesen. Ferner sei fraglich, ob der Antrag derzeit noch zulässig sei. Es könne ein Unterlassen der Behauptung im Sinne einer weiteren Einstellung in „lebensmittelwarnung.de“ gesehen werden. Allerdings sei hier neben einem reinen Unterlassen erst ein aktives Handeln, nämlich das Entfernen der Information auf „lebensmittelwarnung.de“ notwendig. Laut Antragschrift werde die Entfernung der Information aber nicht gefordert.
Die … sei die für die Maßnahme zuständige Behörde. Die Prüfung von Art. 5a Abs. 1 Satz 3 GDVG und Art. 34 Abs. 1 Ziff. 5, Abs. 2 Ziff. 3 GDVG sei nicht Gegenstand des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten. Die Entscheidung über die Nichtigkeit von Parlamentsgesetzen obliege gemäß Art. 92 BV dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Sofern § 9 GesVSV angegriffen werde, werde darauf hingewiesen, dass sich die Argumentation auf eine frühere Fassung der GesVSV beziehe, die seit 01.03.2020 nicht mehr gültig sei. Weiterhin werde darauf hingewiesen, dass … für die Information der Öffentlichkeit – u. a. nach § 40 Abs. 1 LFGB – gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GesVSV zuständig sei.
Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB seien gegeben. Es liege ein gesundheitsschädliches Lebensmittel i.S.d. Art. 14 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 178/2002 laut Gutachten des LGL vom 15.07.2021 vor. Es sei zwar richtig, dass das betreffende Produkt bereits seit September 2017 auf dem Markt sei und dass Produkte mit ähnlicher oder sogar höherer Dosierung erhältlich seien. Zu beachten sei hierbei aber, dass es sich bei diesen Produkten überwiegend um Arzneimittel handele, bei deren Einnahme gewisse adverse Effekte in Kauf genommen würden und für die es andere rechtliche Vorgaben gebe. Eine relative Sicherheit sei im Lebensmittelbereich nicht ausreichend, da hier der Schutzzweck nach dem Vorsorgeprinzip stets in den Vordergrund zu stellen sei. Dies sei auch im Hinblick auf die Auswertung der Studien zu beachten. Zu Alpha-Liponsäure liege eine neue Risikobewertung der EFSA vom 08.04.2021 vor. Auch zuvor sei bereits im Jahr 2017 bei Gehalten von 150 bis 200 mg ALA pro Tagesdosis in einer dänischen Studie von einer gesundheitlichen Bedenklichkeit ausgegangen worden. Selbst wenn es andere Nahrungsergänzungsmittel mit ähnlicher Dosierung auf dem Markt gebe, so gelte hier der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“. Im Übrigen sei heute bei einem ähnlich gelagerten Fall das Produkt „… – …Liponsäure 120 Kapseln“ freiwillig zurückgerufen worden. Die … werde auch an weitere Betriebe in ihrer Zuständigkeit herantreten. Diese Produkte würden dann analog zum vorliegenden Fall dem LGL zur Begutachtung vorgelegt. Dass es für Bestandteile von Nahrungsergänzungsmitteln keine festgelegten Grenzwerte gebe, sei keine Seltenheit. Ein fehlender Grenzwert sei kein Ausschlusskriterium für eine Beurteilung eines Produktes als gesundheitsschädlich. Im Lebensmittelrecht könne ein Lebensmittel durchaus verkehrsfähig und gleichzeitig gesundheitsschädlich sein. Dies folge aus der Auslegung von Art. 14 Abs. 8 der VO (EG) Nr. 178/2002. Überdies sei das Vorsorgeprinzip nach Art. 7 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 178/2002 zu beachten, welches festlege, dass das hohe Gesundheitsschutzniveau grundsätzlich vorgehe, so dass auch wissenschaftliche Unsicherheiten diesem nicht entgegenstehen sollten, soweit alle zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt worden seien. Zwar sei nach § 40 Abs. 2 LFGB der Rückruf durch den Unternehmer vorrangig gegenüber der Information der Öffentlichkeit durch die Behörde, die Antragstellerin sei jedoch wiederholt angehört und erfolglos aufgefordert worden, den Rückruf zu veranlassen. § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB sei eine „Soll-Vorschrift“, so dass ein Unterlassen der Information der Öffentlichkeit nur bei atypischen Fällen in Betracht komme. Zu beachten sei weiterhin die Wertung des Gesetzgebers, der in § 40 Abs. 1 Satz 3 LFGB für die Fälle des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bis 5 eine Abwägung der Belange des Betroffenen mit den Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung vorsehe. Eine solche Abwägung sei aber im Fall des § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB gerade nicht geregelt. Überdies seien vorliegend die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Es handele sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, das seit Jahren vertrieben und in den Verkehr gebracht werde. Das Produkt könne bei der durchgehenden Einnahme einer Packung nach Verzehrempfehlung zu schweren körperlichen Schäden führen. Diese Effekte seien schon bei einer Einnahme nur wenig unterhalb des Gehalts des hier betroffenen Produkts festgestellt worden. Ferner sei der Abnehmerkreis zu beachten. Nahrungsergänzungsmittel würden von einer breiten Bevölkerungsschicht, auch von körperlich bereits beeinträchtigten Personen, eingenommen werden. Wie das Gutachten darlege, reiche bereits der Verzehr einer Kapsel aus, um die sichere tägliche Aufnahmemenge von bis zu 42 mg um ein Vielfaches zu überschreiten. Die gesundheitsschädigende Wirkung könne bereits in einem Zeitraum stattfinden, der durch haushaltsübliche Mengen des vorliegenden Produkts abgedeckt werde. Ein sofortiges Einschreiten sei daher geboten gewesen. Die Setzung von kurzen Fristen bei einem nicht sicheren Lebensmittel sei dem Hintergrund geschuldet, dass die Verbraucher das Produkt bis zu einem öffentlichen Rückruf weiterverzehrten und daher der Gesundheitsgefahr weiter ausgesetzt seien. Vorliegend sei das Produkt auch chargenunabhängig betroffen, so dass der möglicherweise betroffene Personenkreis dementsprechend groß sei. Das Verhalten der Antragstellerin habe trotz mehrfachen behördlichen Hinweises nicht darauf schließen lassen, dass eine Warnung des Verbrauchers in Betracht gezogen werde. Vor diesem Hintergrund sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass sich der Sachstand in einem absehbaren zeitlichen Rahmen wesentlich geändert hätte. Durch ein weiteres Abwarten sei im konkreten Fall kein weiterer kurzfristiger Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen. Insofern habe der gesundheitliche Verbraucherschutz die betrieblichen Interessen der Antragstellerin überwogen. Aufgrund der drohenden Gesundheitsgefahr sei es noch am 16.07.2021 notwendig gewesen, den Verbraucher entsprechend zu warnen.
Daneben seien auch hilfsweise die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LFGB erfüllt. Die Vorschrift eröffne die Möglichkeit einer Verbraucherinformation, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass von einem Erzeugnis eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgehe oder ausgegangen sei und aufgrund unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse oder aus sonstigen Gründen die Unsicherheit nicht innerhalb der gebotenen Zeit behoben werden könne. Durch das Gutachten lägen im vorliegenden Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte vor, dass vom Produkt eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgehe. Nähere Feststellungen über die Einstufung des Produkts als gesundheitsschädlich seien von der Antragstellerin nicht angekündigt worden und hätten in der gebotenen Zeit auch nicht erlangt werden können. Das Gutachten basiere auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Weiterer Erkenntnisgewinn durch die Wissenschaft und entsprechende Studien sei in einem absehbaren Zeitraum nicht zu erwarten. Eine abschließende Beurteilung von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, beispielsweise durch die EFSA, werde einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LFGB setze eine eindeutige wissenschaftliche Erkenntnis gerade nicht voraus. Bei der Abwägung nach § 40 Abs. 1 Satz 3 LFGB werde nicht verkannt, dass die Information der Öffentlichkeit neben monetären Einbußen auch einen (möglicherweise irreparablen) Imageschaden zur Folge haben könne. Das Interesse der Öffentlichkeit an einer Veröffentlichung sei im vorliegenden Fall jedoch höher zu gewichten. Zu berücksichtigen sei zum einen das hohe Gesundheitsschutzniveau, welches der Gesetzgeber als allgemeines Ziel des Lebensmittelrechts hervorhebe (Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 178/2002). Im vorliegenden Fall seien zum anderen die möglichen adversen Effekte zu berücksichtigen. Diese könnten schon bei der kontinuierlichen Einnahme der haushaltsüblichen Menge auftreten. Weiter sei in die Abwägung einzustellen, dass Rückrufe von Lebensmitteln allgemein keine Seltenheit seien und im vorliegenden Fall nur ein einzelnes von der Antragstellerin angebotenes Produkt vom Rückruf betroffen sei.
Mit Schriftsatz vom 22.07.2021 verwies die Bevollmächtigte der Antragstellerin auf den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 17.9.2020 (Az. 9 S 2343.20), mit welchem klargestellt worden sei, dass die gesundheitsschädliche Wirkung eines Lebensmittels i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) Nr. 178/2002 nicht ohne Weiteres bereits dann angenommen werden könne, wenn der ADI-Wert („acceptable daily intake“) für einen in einem Lebensmittel enthaltenen Stoff überschritten werde. Ob und inwieweit ein Gefahrenpotential für die menschliche Gesundheit aus einer Überschreitung des ADI-Wertes resultiere, bedürfe demnach vielmehr einer Bewertung im jeweiligen Einzelfall. Der ADI gebe die Menge eines Stoffes an, die täglich über die gesamte Lebenszeit ohne erkennbares Gesundheitsrisiko oral aufgenommen werden könne. Dies rechtfertige die Annahme, dass bei einer Überschreitung des festgelegten Grenzwertes das Risiko für mögliche gesundheitliche Auswirkungen ansteige bzw. dass in diesem Fall eine Gefahr für die menschliche Gesundheit (lediglich „nicht sicher“) ausgeschlossen werden könne. Von der Überschreitung des ADI könne indes nicht ohne Weiteres auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Auswirkungen geschlossen werden. Der Verwaltungsgerichtshof habe im zitierten Eilverfahren ausgeführt, dass die hypothetische Gesundheitsgefährdung allein den mit der Anordnung des Sofortvollzugs verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertige. Erforderlich sei vielmehr, dass eine hinreichend konkrete Gefährdung der Gesundheit durch das jeweilige Produkt feststellbar sei. Dieser Aspekt, den der Verwaltungsgerichtshof im konkreten Fall für die Anordnung des Sofortvollzugs diskutiert habe, sei auch für den hier vorliegenden Fall einer unberechtigt erfolgten Warnung zu berücksichtigen.
Mit Schriftsatz vom 23.07.2021 führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, der maßgebliche Faktor 100 ergebe sich aus dem Faktor 10 x 10. Der erste Faktor 10 stelle die Unterschiede zwischen den Spezies Mensch und Tier dar. Da die vorliegenden Ergebnisse an Ratten ermittelt worden seien, müssten die ermittelten Werte mit dem Faktor 10 multipliziert werden, um die Ergebnisse auf den Menschen übertragen zu können. Der zweite Faktor 10 sei notwendig, um die individuellen Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen zu berücksichtigen. Die Multiplikation beider Faktoren sei in der Toxikologie ein Standardverfahren, um Ergebnisse aus Tierversuchen auf Menschen zu übertragen.
Der vorgelegte Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 17.10.2020, Az. 9 S 2343/20, könne auf den vorliegenden Fall aus mehreren Gründen nicht angewandt werden. Im dortigen Fall habe das Landratsamt nur angenommen, dass das Lebensmittel nicht sicher i.S.d. § 14 Abs. 2 Buchst. b der VO (EG) Nr. 178/2002 sei. Das Gutachten habe insoweit nur die Überschreitung der zulässigen Tageshöchstmenge beanstandet, jedoch keine Aussage zu einer möglichen Gesundheitsschädlichkeit getroffen. Vorliegend sei jedoch die Gesundheitsschädlichkeit des Produkts „…Liponsäure …“ durch das LGL positiv festgestellt worden. Zum anderen habe der VGH Baden-Württemberg nur klargestellt, dass aufgrund einer Überschreitung der zulässigen Tageshöchstmenge nicht automatisch auf eine Gesundheitsschädigung geschlossen werden dürfe.
Im Hinblick auf die Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 21.07.2021 werde nochmals darauf hingewiesen, dass das streitgegenständliche Produkt ein Lebensmittel sei. Aus dem Umkehrschluss zu Art. 14 der VO (EG) Nr. 178/2002 ergebe sich, dass Lebensmittel sicher sein müssten, also gerade keine negativen Auswirkungen auf Körper und Gesundheit von Menschen haben dürften. Die Antragstellerin verkenne, dass gerade kein Arzneimittel nach § 2 AMG gegeben sei, welches eingesetzt werde, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Ein Lebensmittel sei auch dann gesundheitsschädlich, wenn es eine nicht nur vorübergehende Störung des Nervensystems, der normalen geistigen und seelischen Funktionen oder des allgemeinen körperlichen Wohlbefindens verursache. Nach dem Gutachten des LGL sei die Einstufung des Produkts als gesundheitsschädlich richtig. Die Ausführungen der Antragstellerin seien verfehlt, wenn diese behaupte, mögliche negative Wirkungen des Produkts seien nicht als gesundheitsschädlich einzustufen, weil diese reversibel seien und bei Absetzen des Produkts abklingen würden. Der Vortrag der Antragstellerin, die … habe sich bereits vor einiger Zeit zu Werbeaussagen zum gegenständlichen Produkt geäußert, sei nur bedingt richtig. Das CVUA Stuttgart habe ein anderes Produkt der Antragstellerin begutachtet. In diesem Zusammenhang sei auch der Internetauftritt der Antragstellerin hinsichtlich Kennzeichnung und Health Claims begutachtet worden. Hierbei sei beanstandet worden, dass das Produkt „…Liponsäure“ unter der Produktkategorie „Antioxidantien“ geführt worden sei und es sich hierbei um eine gesundheitsbezogene Angabe handele, die nicht in der Liste der für „…Liponsäure“ zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgeführt werde und damit nach Art. 10 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1924/2006 verboten sei. Somit sei das streitgegenständliche Produkt an sich nicht im Hinblick auf seine Zusammensetzung und einer möglichen Gesundheitsgefahr Teil der damaligen Begutachtung gewesen, sondern lediglich im Hinblick auf einen nicht zugelassenen Health Claim auf der Webseite der Antragstellerin.
Im Übrigen verwies … auf die ergänzende Stellungnahme des LGL vom 22.07.2021 mit der u.a. ausgeführt wurde, dass die Tatsache, wonach sich der Stoff im Körper nicht anreichere, nichts an der toxikologischen Risikobewertung ändere, da auch ohne Anreichung eines Stoffes im Körper relevante adverse Effekte auftreten könnten. Auch auf den Sicherheitsfaktor von 10 für „besonders empfindliche Personen“ könne nicht verzichtet werden. Dies sei ein international anerkannter wissenschaftlich-toxikologischer Bewertungsstandard und habe sich zudem in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen als geeignet herausgestellt. Es sei zwar zutreffend, dass eine Dosis von 600 mg ALA durch die Einnahme des streitgegenständlichen Präparats nicht erreicht werden könne, gleichwohl werde jedoch der Kern der toxikologischen Risikobewertung verkannt, insbesondere seien derartige Präparate nicht mit dem in Rede stehenden Nahrungsergänzungsmittel gleichgesetzt worden. Es sei vielmehr festgestellt worden, dass bei einer Dosis von 600 mg ALA pro Tag über einen längeren Zeitraum (vier Jahre) verschiedene, teils schwere adverse Effekte beobachtet werden konnten. In der toxikologischen Risikobewertung sei es üblich, einen Faktor von mindestens 3 zur Extrapolation vom LOAEL (d.h. der niedrigsten Dosis, bei der noch keine Wirkungen festzustellen waren) zum NOAEL (d.h. der höchsten Dosis, bei der noch keine Wirkungen festzustellen waren), anzuwenden. Der Abstand der Tagesdosis des streitgegenständlichen Produkts betrage in Folge der hohen ALA-Dosis ca. 2 und sei somit schon als zu gering zu erachten, allein um den Abstand LOAEL-NOAEL Rechnung zu tragen. Der Studie von Ziegler et al. (2011) komme eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von adversen Effekten nach ALA-Einnahme zu. Soweit die Gegenseite darauf verweise, dass die globale Bewertung der Behandlungsverträglichkeit und die Abbrüche aufgrund mangelnder Verträglichkeit nicht zwischen den Gruppen unterscheide, sei dies zwar richtig, betrachte aber lediglich zwei Endpunkte, die wenig aussagekräftig in Bezug auf eine mögliche Gesundheitsschädlichkeit seien. Die genannten Effekte als „Unverträglichkeiten“ abzutun, verkenne, dass es sich beim streitgegenständlichen Produkt nicht um Arzneimittel, sondern um Lebensmittel handele, bei dem sich eine Abwägung von Wirkungen und Nebenwirkungen verbiete, und damit letztlich die Definition von Gesundheitsschäden i.S.d. VO (EG) 178/2002. Weiterhin könnten Effekte bei hohen Dosen (wie Letalität bei 6000 mg) Erkenntnisse liefern, ob bei bestimmten empfindlichen Bevölkerungsgruppen auch bei niedrigen Dosen Effekte wie Letalität möglich seien. Auch sehr seltene Reaktionen seien in Lebensmitteln ohne therapeutischen Nutzen als unerwünscht anzusehen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln sei die sichere Abwesenheit derartiger Nebenwirkungen zu fordern. Es sei auch der Annahme der Gegenseite zu widersprechen, wonach das LGL seinem Gutachten eine falsche bzw. überholte Version der EFSA-Stellungnahme zugrunde gelegt habe. Richtig sei vielmehr, dass die Stellungnahme am 03.06.2021 in der Version vom 08.04.2021 veröffentlicht worden sei. Auch der Europäische Dachverband der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln habe in Folge der EFSA-Stellungnahme die Bedeutung der IAS-Entstehung nach ALA-Einnahme erkannt und einen klaren Handlungsbedarf gesehen. Ob die seitens des Verbands vorgeschlagenen Warnhinweise ausreichend seien, müsse im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden werden. Das streitgegenständliche Produkt habe zum Zeitpunkt der Bewertung nämlich nicht einmal den vorgeschlagenen Warnhinweis bezüglich der Bildung eines IAS oder der Notwendigkeit der Konsultation eines Arztes getragen. Die toxikologische Stellungnahme des LGL habe sich gleichwohl auf das hier streitgegenständliche Produkt bezogen. Ausschließlich die näheren Ausführungen im Text der E-Mail seien auf Bitten der Regierung von Oberbayern erstellt worden. Dabei handele es sich jedoch um allgemeine Schilderungen zur Relevanz der EFSA-Stellungnahme ohne konkreten Produktbezug. Die EFSA habe von 49 Einzelfällen berichtet, bei denen ein IAS im Zusammenhang mit der oralen Aufnahme von ALA aufgetreten sei. Dabei habe die geringste Tagesdosis an ALA, die ein IAS ausgelöst habe, bei 200 mg und damit unterhalb der Tagesdosis für das hier in Rede stehende Nahrungsergänzungsmittel gelegen (wird umfassend ausgeführt). Auch genetisch besonders empfindliche Gruppen der Bevölkerung müssten geschützt werden, da diese selbst nicht wüssten, dass sie zur besonders empfindlichen Gruppe gehörten. Es stehe zwar völlig außer Frage, dass unter normalen Umständen von einer ALA-Aufnahme im Bereich von 6000 mg nicht auszugehen sei, gleichwohl sei festzuhalten, dass es nach akuter Einnahme als Einzeldosis bei einem 14-jährigen Mädchen zu einem tödlichen Multiorganversagen gekommen sei. Daher sei der Abstand zur letalen Dosis von 6000 mg mit einem Faktor von ca. 21 eindeutig als zu gering einzustufen. Die EFSA habe sich zwar anhand der aktuellen Datenlage nicht in der Lage gesehen, Aussagen über die Inzidenz des IAS sowie der ALAausgelösten IAS in Europa zu machen. Dies bedeute jedoch nicht, dass diese Inzidenz irrelevant oder unwahrscheinlich sei, sondern dass sie derzeit noch nicht quantifiziert werden könne. Entscheidend sei jedoch, dass ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der ALA-Einnahme in Lebensmitteln und der IAS-Entstehung gesehen werde. Die akute Gesundheitsgefahr ergebe sich nicht allein aus der Überschreitung der sicheren Tagesdosis von 42 mg, sondern aus der Entstehung eines IAS, die zumindest ab 200 mg pro Tagesdosis innerhalb einer Einnahmezeit von 7 bis 120 Tagen entstehen könne und dem zu geringen Abstand zu einer nachweislich tödlichen Einmaldosis. In der Meta-Analyse von Fogacci et al. (2020) seien zahlreiche klinische Studien nach ALA-Einnahme untersucht worden. Diese seien aber größtenteils über einen – im Vergleich zur Studie von Ziegler et al. (2011) – kurzen Zeitraum von unter einem Jahr verlaufen, während die Studie von Ziegler mit der erhöhten Rate an beobachteten schweren adversen Effekten die einzige Studie über einen Zeitraum von über zwei Jahren gewesen sei. Der Vortrag der Gegenseite, wonach das behördliche Vorgehen allein schon deswegen rechtswidrig sei, weil der wissenschaftliche Sachstand komplex sei, könne nicht überzeugen. Der Beanstandung liege vielmehr eine ausführliche toxikologische Risikobewertung zugrunde. Es sei auch keine behördliche „Schnellschussaktion“ gegeben. Richtig sei vielmehr, dass bereits in Folge der ersten Veröffentlichung der EFSA-Stellungnahme im Januar 2021 dem Unternehmen die Brisanz der Thematik hätte bewusstwerden müssen, spätestens jedoch nach Veröffentlichung der finalen Version. Die Beprobung des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels sei mehr als einen Monat nach Veröffentlichung der EFSA-Stellungnahme erfolgt. Die Antragstellerin hätte daher auch bereits im Rahmen ihrer Eigenverantwortung Zweifel an der Sicherheit des Produktes entwickeln und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen können bzw. müssen, was jedoch nicht erfolgt sei. Die zitierte Gerichtsentscheidung des VGH Baden-Württemberg ändere an der Einschätzung nichts (wird ausgeführt). Wie bereits mehrfach dargelegt, handele es sich bei den zu befürchtenden adversen Effekten nicht um eine hypothetische Gesundheitsgefährdung, sondern in Folge der erforderlichen, jedoch teilweise deutlich unterschrittenen Sicherheitsfaktoren, um eine konkrete Gesundheitsgefahr des streitgegenständlichen Produkts.
Mit weiterem Schriftsatz vom 27.07.2021 führte die Bevollmächtigte der Antragstellerin aus, sie beantrage hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, die in der Pressemitteilung vom 16.07.2021 enthaltenen falschen bzw. unrichtig wiedergegebenen Informationen zum Produkt „…Liponsäure 300 …“ unverzüglich dahin zu korrigieren und der Öffentlichkeit gegenüber in gleicher Weise wie in Bezug auf die ehemals ausgesprochene öffentliche Warnung bekannt zu machen, dass die öffentliche Warnung zum Produkt primär wegen der Überschreitung der durch die Tierstudien ermittelten sicheren täglichen Aufnahmemenge, welche aber noch keinen gesetzlichen Grenzwert darstelle, veranlasst worden sei, jedoch nicht aufgrund von Qualitätsmängeln. Ferner, dass es am Markt aktuell zahlreiche weitere Nahrungsergänzungsmittel mit identischer Dosierungsempfehlung wie für das Produkt „…Liponsäure 300 …“ gebe, sich die Humandaten auf deren Basis die in der ursprünglichen Pressemitteilung genannten, auch schwerwiegenden adversen Effekte auf einen meist langjährigen täglichen Verzehr von 600 mg Alpha-Liponsäure (als Arzneimittel) stützten, wobei auch insoweit das individuelle Risiko für den Verbraucher weiterhin sehr gering und reversibel sei und es sich dabei i.d.R. um Unverträglichkeitsreaktionen des Magen-Darm-Traktes und der Haut gehandelt habe. Das sogenannte genetisch bedingte Insulinautoimmunsyndrom, welches ab Dosierungen von 200 mg Alpha-Liponsäure beobachtet worden sei, ebenfalls eine äußerst geringe Inzidenz habe, die nicht für die allgemeine Bevölkerung gelte und ebenfalls reversibel sei. Eine antioxidative Supplementierung mit Alpha-Liponsäure nach einer aktuell veröffentlichten Meta-Analyse von Fogacci et al. (Oktober 2020), die die Daten aus 71 randomisierten, placebokontrollierten klinischen Studien zusammenfasse, ansonsten nicht mit einem erhöhten Risiko für eine behandlungsbedürftige Nebenwirkung verbunden gewesen sei.
Der Hilfsantrag basiere auf § 40 Abs. 4 LFGB, nachdem sich erst in der weiteren schriftsätzlichen Kommunikation mit dem Antragsgegner und der dort überreichten weiteren, ausführlichen toxikologischen Gutachten herausgestellt habe, dass die ursprünglich ausgesprochene öffentliche Warnung auf einer unpräzise und partiell falsch formulierten, stark verkürzten und aus anderen Dosierungsbereichen von ALA abgeleiteten Schlussfolgerung basiere, welcher in dieser Form geeignet sei, zu einer erheblichen Verbraucherverunsicherung beizutragen. Damit sei die umgehende Korrektur der ausgesprochenen öffentlichen Warnung das hilfsweise Ziel der Antragstellerin.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Das Verfahren nach § 123 VwGO ist – nach erfolgter Information der Öffentlichkeit durch den Antragsgegner am Nachmittag/Abend des 16.07.2021 – im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darauf gerichtet, die Information der Öffentlichkeit im Wege der „Folgenbeseitigung“ rückgängig zu machen. Der am 27.07.2021 gestellte „Hilfsantrag“ auf Korrektur der Pressemitteilung ist insoweit kein (echter) Hilfsantrag im Rechtssinne, sondern als „Minus“ bereits im umfassenden Antrag vom 21.07.2021 auf Rückgängigmachung der Information der Öffentlichkeit enthalten.
Der im obigen Sinne zu verstehende Eilantrag ist zulässig und aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Der Antrag vom 16.07.2021 in der Fassung des Schriftsatzes der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 21.07.2021 ist zulässig, insbesondere als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft. Zwar scheidet einstweiliger Rechtsschutz – sowohl nach § 80 Abs. 5 VwGO als auch nach § 123 VwGO – bei bereits erledigten Maßnahmen aus (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2012 – 8 CE 11.2759 – juris; HessVGH, B.v. 29.10.2020 – 6 B 2545.20 – juris), vorliegend ist aber keine Erledigung im Rechtssinne eingetreten. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 16.07.2021 zunächst beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Information der Öffentlichkeit bezüglich des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels „…Liponsäure 300 …“ zu unterlassen. Nachdem der Antragsgegner im Laufe des 16.07.2021 eine umfassende Öffentlichkeitsinformation (Pressemitteilung, Einstellung im Schnellwarnsystem „RASFF“ und Warnung unter „lebensmittelwarnung.de“) veranlasst hat, änderte die Antragstellerin jedenfalls in sachdienlicher und damit gemäß § 122 i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 122 Rn. 5) in zulässiger Weise mit Schriftsatz vom 21.07.2021 ihr Begehren dahingehend, den Antragsgegner zu verpflichten, die bereits erfolgte Information der Öffentlichkeit rückgängig zu machen. Da die Information der Öffentlichkeit vom 16.07.2021 weiterhin „in der Welt“ ist, ist auch hinsichtlich des nunmehr streitgegenständlichen „Folgenbeseitigungsbegehrens“ keine Erledigung eingetreten, die die Inanspruchnahme des Gerichtes im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes unstatthaft machen würde.
Dem Antrag in der maßgeblichen Fassung fehlt es zudem nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin stand am 15. und 16.07.2021 – insbesondere per E-Mail – in intensivem Kontakt mit dem Antragsgegner zwecks des weiteren Vorgehens im Nachgang zur gutachterlichen Stellungnahme des LGL vom 15.07.2021. In diesem Zusammenhang hat die Antragstellerin wiederholt klargestellt, dass sie eine Information der Öffentlichkeit für nicht verhältnismäßig halte und auch mit einer behördlichen Information der Öffentlichkeit nicht einverstanden sei. Obwohl vor Erhebung des Eilrechtsschutzes nach § 123 VwGO grundsätzlich ein entsprechender Antrag an die Behörde zu stellen ist (vgl. VG Bayreuth, B.v. 27.1.2021 – B 7 K 21.17 – juris), war dies im vorliegenden Fall hinsichtlich des Antrags in der ursprünglichen Fassung entbehrlich, da der Antragsgegner klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Information der Öffentlichkeit erfolge, falls die Antragstellerin dies nicht freiwillig selbst tue. Daher war es in der vorliegenden Konstellation nicht erforderlich, dass vor Einleitung der gerichtlichen Schritte zunächst noch ein förmlicher Unterlassungsantrag bei der Behörde gestellt wird und schon erst recht nicht, dass die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner hätte ankündigen müssen, dass sie gerichtliche Schritte in Betracht ziehe. Auch bezüglich des nunmehr streitgegenständlichen Folgenbeseitigungsbegehrens fehlt es nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Nachdem der Antragsgegner noch am Nachmittag bzw. Abend des 16.07.2021 die entsprechenden Vollzugsmaßnahmen getroffen und vorab klar und unmissverständlich die Information der Öffentlichkeit angekündigt hat, konnte die Antragsänderung unmittelbar bei Gericht erfolgen, da nicht zu erwarten war, dass der Antragsgegner ohne gerichtliche Maßnahmen seine Entscheidung revidiert.
2. Der Eilantrag ist teilweise begründet. Im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 26 m.w.N.).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris).
a) Gemessen hieran hat die Antragstellerin nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Anordnungsanspruch insoweit glaubhaft gemacht, als die inhaltliche „Korrektur“ der Pressemitteilung … vom 16.07.2021 begehrt wird (dazu aa). Ein Anordnungsanspruch besteht darüber hinaus im Hinblick auf die zeitnahe Entfernung der „Verlinkung“ der Warnung bezüglich des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels auf dem Portal „lebensmittelüberwachung.de“ mit der Pressemitteilung … vom 16.07.2021 bzw. auf Entfernung der Pressemitteilung von der Homepage … und der Einstellung bzw. Verlinkung einer korrigierten Presseinformation (dazu bb). Weitergehende Ansprüche, insbesondere die komplette Löschung der Produktwarnung auf dem Portal „lebensmittelwarnung.de“ sind nach Auffassung der Kammer hingegen nicht glaubhaft gemacht (dazu cc).
aa) Der Anspruch auf Korrektur der Pressemitteilung ist glaubhaft gemacht, da diese teilweise falsch ist und im Übrigen zumindest die zugrundeliegenden Umstände unrichtig wiedergegeben werden. Nach § 40 Abs. 4 Satz 1 LFGB ist, soweit sich die von der Behörde an die Öffentlichkeit gegebenen Informationen im Nachhinein als falsch oder die zugrundeliegenden Umstände als unrichtig wiedergegeben herausstellen und der betroffene Wirtschaftsbeteiligte dies beantragt oder dies zur Wahrung erheblicher Belange des Gemeinschaftswohls erforderlich ist, dies unverzüglich öffentlich bekannt zu machen. Dabei soll nach § 40 Abs. 4 Satz 3 LFGB die Bekanntmachung nach § 40 Abs. 4 Satz 1 LFGB in derselben Weise erfolgen, in der die ursprüngliche Information der Öffentlichkeit ergangen ist. Vorliegend kann dahinstehen, ob sich der Anspruch auf Korrektur der Pressemitteilung … vom 16.07.2021 aus § 40 Abs. 4 LFGB (entsprechend) – dieser gilt ausweislich seines Wortlautes nur für die Fälle, dass sich die Fehlerhaftigkeit der Information oder die unrichtige Wiedergabe im Nachhinein herausstellt, nach Auffassung der Kammer spricht aber Überwiegendes dafür, dass die „Defizite“ der Pressemitteilung bereits bei deren Veröffentlichung am 16.07.2021 ersichtlich waren – oder unmittelbar aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Folgenbeseitigungsanspruch ergibt (vgl. auch hierzu Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: November 2020, § 40 LFGB Rn. 73 ff.). Denn die Antragstellerin hat jedenfalls mit Schriftsatz vom 27.07.2021 einen entsprechenden Antrag i.S.d. § 40 Abs. 4 Satz 1 LFGB gestellt und im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen des allgemein anerkannten Folgenbeseitigungsanspruchs (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.8.2011 – 8 ZB 10.1961 – juris) vor, weil aufgrund der fehlerhaften Pressemitteilung ein hoheitlicher Eingriff in subjektive Rechte der Antragstellerin, insbesondere aus Art. 12 und 14 GG, vorgenommen wurde und insoweit ein noch andauernder rechtswidriger Zustand besteht.
Die veröffentliche Pressemitteilung ist an mehreren Stellen zu pauschal und teilweise sogar fehlerhaft und deshalb geeignet, die Verbraucher zu täuschen bzw. irreführende Informationen über das Produkt der Antragstellerin zu verbreiten. Eine Information der Öffentlichkeit im Lebensmittelrecht kann sowohl nach ihrem Anlass als auch nach ihrem Inhalt falsch sein. Nach dem Anlass ist sie u.a. falsch, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 LFGB für die Information nicht zutreffen. Falsch ist eine Information ferner, wenn sie auf Umständen beruht, die tatsächlich nicht vorlagen. Die zu Grunde liegenden Umstände sind demgegenüber vor allem dann unrichtig wiedergegeben, wenn die Information zwar inhaltlich richtig war, aber – einzelne – Umstände in der Veröffentlichung nicht richtig angegeben oder auch nur nicht richtig formuliert wurden (vgl. Zipfel/Rathke a.a.O, § 40 LFGB Rn. 74 f.). So liegen die Dinge hier. Soweit auf S. 2 (2. Absatz) der Pressemitteilung … vom 16.07.2021 ausgeführt wird, dass bei „einer nur wenig höheren Tagesdosis“ (wohl gemeint als der des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels mit einer durchschnittlichen Tagesdosis von 284 mg ALA) das Auftreten einer Reihe adverser Effekte beobachtet worden sei, ist diese Information bereits falsch i.S.d. § 40 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 LFGB. Den Ausführungen des LGL ist nämlich zu entnehmen, dass in drei Einzelfällen bereits bei einer Tagesdosis von (nur) 200 mg ALA und in einem weiteren Fall mit einer Tagesdosis von 225 mg ALA, also Dosen unterhalb der streitgegenständlichen Dosis, adverse Effekte in Form eines Insulinautoimmunsyndroms (IAS) beobachtet worden sind (vgl. S. 10 der toxikologischen Risikobewertung des LGL vom 15.07.2021 und S. 6 der Stellungnahme des LGL vom 22.07.2021).
Darüber hinaus sind die Informationen über die möglichen Effekte von ALA in mehrfacher Hinsicht unrichtig wiedergegeben, da die Informationen zwar – pauschal betrachtet – inhaltlich richtig sind, aber einzelne relevante Aspekte unvollständig bzw. „aus dem Zusammenhang gerissen“ wiedergegeben wurden. So fehlt es beispielsweise an der Information, dass sich ALA nicht im Körper anreichert und die „möglichen Effekte“ alle reversibel sind (S. 1 der Stellungnahme des LGL vom 22.07.2021). Weiterhin wird mit keinem Wort erwähnt, dass die Effekte maßgeblich von der eingenommenen Dosis und der Einnahmedauer abhängig sind, sowie dass die schwerwiegenden adversen Effekte überwiegend bei deutlich höheren Dosen als der streitgegenständlichen (600 mg und mehr) beobachtet wurden (S. 2 der Stellungnahme vom des LGL vom 22.07.2021). Ferner wird nicht hinreichend darüber informiert, dass „die auch schwerwiegenden adversen Effekte“ überwiegend bei „gesundheitlich vorbelasteten“ Verbrauchern eingetreten sind (vgl. S. 2 der Stellungnahme vom des LGL vom 22.07.2021). Den Verbrauchern und Adressaten der Pressemitteilung wird dadurch vorenthalten, dass eine mögliche Gefährdung durch das Produkt der Antragstellerin von den genannten Faktoren maßgeblich abhängt. Stattdessen wird der irreführende Eindruck erweckt, das Produkt begründe bei jedem Rezipienten und bereits einmaliger Einnahme das Risiko der genannten schwerwiegenden Effekte. Diese pauschale Annahme findet in den Ausführungen des LGL jedoch – wie dargelegt – keine wissenschaftliche Stütze.
In Anbetracht dessen, dass die Informationen in der Pressemitteilung aus den vorstehenden Gründen bereits falsch bzw. als unrichtig wiedergegeben anzusehen sind, bedarf es an dieser Stelle keiner Auseinandersetzung damit, ob der Hinweis darauf, dass die resultierende Tagesdosis des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels die sichere tägliche Aufnahmemenge um ein „Vielfaches“ überschreite, in dieser Pauschalität eine ordnungsgemäße und sachgerechte Information der Öffentlichkeit darstellt bzw. ob in der Pressemitteilung zutreffend von einer „Gesundheitsgefahr“ durch das Produkt gesprochen wird. Gleichwohl dürfte es sinnvoll erscheinen, in der Mitteilung noch darauf hinzuweisen, dass kein gesetzlicher Grenzwert für ALA existiert.
In diesem Zusammenhang ist auch noch darauf hinzuweisen, dass es für die Kammer nicht nachvollziehbar ist, warum im streitgegenständlichen Fall der behördlich vorgenommen „Produktwarnung“ eine – insbesondere im Hinblick auf die Folgen des Konsums – „verzerrte“ bzw. jedenfalls deutlich zu undifferenzierte Darstellung erfolgt ist, während sich der Antragsgegner in Fällen der vom Lebensmittelunternehmer (freiwillig) getätigten Öffentlichkeitsinformation offensichtlich mit deutlich „abgeschwächten“ Informationen, die nicht einmal mögliche „Effekte“ für die menschliche Gesundheit beinhalten, zufrieden gibt. Insoweit wird beispielsweise auf www.lebensmittelwarnung.de/ … und das Produkt „… – … Liponsäure 120 Kapseln“, das nach eigenen Angaben des Antragsgegners „ein ähnlich gelagerter Fall sei“, verwiesen (vgl. Bl. 199/200 der Gerichtsakte).
Das Gericht hält es darüber hinaus für geboten, den Entwurf der korrigierten Pressemitteilung der Antragstellerin vor der Veröffentlichung zur Stellungnahme zuzuleiten (vgl. § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB und BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 20 CE 19.1995 – juris). Die Frist von vier Werktagen nach Zustellung dieses Beschlusses zur Vorlage des Entwurfes der Pressemitteilung an die Antragstellerin ist geboten und ausreichend, um die potentiell irreführende Information der Öffentlichkeit zeitnah zu beseitigen. Im Übrigen geht das Gericht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Antragsgegner der Antragstellerin diesmal eine angemessene Frist zur Stellungnahme einräumt. Im Hinblick auf die Vorlage des Entwurfes der Pressemitteilung sieht das Gericht zudem die Notwendigkeit, dass der Antragsgegner bei der Antragstellerin anfragt, ob für diese eine Information der Öffentlichkeit mit Inhalten wie im „vergleichbaren“ Fall „… – … Liponsäure 120 Kapseln“ (vgl. www.lebensmittelwarnung.de/ …pdf) eine gangbare Alternative zur bzw. der Folgenbeseitigung wäre. Insoweit ist es – bei angeblich vergleichbaren Sachverhalten – jedenfalls unter keinem Blickwinkel gerechtfertigt, dass das Produkt der Klägerin vom Antragsgegner mit teils schwerwiegenden Gesundheitsrisiken in Verbindung gebracht wird, während die Öffentlichkeitsinformation in anderen Fällen insoweit keinerlei Hinweise enthält.
bb) Der Antragstellerin steht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ferner ein Anspruch auf Entfernung der Verlinkung der gerichtlich beanstandeten Pressemitteilung vom 16.07.2021 auf dem Portal „lebensmittelwarnung.de“ und auf Entfernung der Pressemitteilung auf der „Homepage …“, jeweils innerhalb eines Tages nach Zustellung dieses Beschlusses, sowie ein Anspruch darauf, dass die korrigierte Pressemitteilung – nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Stellungnahme – in gleicher Weise wie die beanstandete Pressemitteilung auf der Seite „lebensmittelwarnung.de“ und der „Homepage …“ verlinkt bzw. veröffentlicht wird, zu.
Diese unter Ziffer 2 des Beschlusses angeordnete Verpflichtung findet ihre Rechtsgrundlage ebenfalls in § 40 Abs. 4 Satz 1 und 3 LFGB (entsprechend) bzw. im allgemein anerkannten Folgenbeseitigungsanspruch. Insoweit wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen unter aa) verwiesen. Daneben spricht nach Auffassung der Kammer Überwiegendes dafür, dass die Verlinkung der Pressemitteilung vom 16.07.2021 mit dem streitgegenständlichen Eintrag auf dem Portal „lebensmittelwarnung.de“ auch und bereits deswegen rechtswidrig ist, weil – soweit ersichtlich (vgl. Bl. 565 ff., 579 ff. und 583 ff. der Behördenakte) – der Antragstellerin vor der Veröffentlichung nur der Text der Eintragung auf dem Portal „Lebensmittelwarnung.de“ bekannt gegeben worden ist, jedoch nicht der Text der (später) verlinkten Pressemitteilung. Insoweit hat der BayVGH mit Beschluss vom 28.11.2019 (20 CE 19.1995 – juris) entschieden, dass die Anhörung nach § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB den zur Veröffentlichung vorgesehen Text im Wortlaut enthalten muss. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betroffene ohne Kenntnis vom Wortlaut der geplanten Veröffentlichung die Folgen für sein Unternehmen, die sich unmittelbar aus dem Text der Veröffentlichung ergeben, nicht abschätzen und insbesondere nicht prüfen kann, ob ein Rechtsmittel im Vorfeld der Veröffentlichung erfolgreich sein wird. Diese Informations- und Kontrollfunktion hat der Antragsgegner im vorliegenden Fall in unzulässiger Weise ausgehöhlt, indem der Antragstellerin lediglich der Wortlaut der – zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgten – Veröffentlichung unter „lebensmittelwarnung.de“ bekannt gegeben wurde. Die deutlich „gravierenderen“ Elemente der Warnung, die für den Betrieb der Antragstellerin ungleich schwerwiegendere Folgen auslösen können, ergeben sich jedoch erst durch den Wortlaut der Pressemitteilung, die untrennbar mit dem Eintrag auf dem Portal verknüpft ist und auf die im Portal unter dem Punkt „Pressemitteilungen und Informationen“ ausdrücklich hinwiesen wird. Durch diese Vorgehensweise macht der Antragsgegner die Pressemitteilung vom 16.07.2021 zum Gegenstand der Bekanntmachung auf dem Portal „lebensmittelüberwachung.de“, so dass es auch bezüglich der Pressemitteilung nach § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB einer vorherigen Anhörung der Antragstellerin – unter Beigabe des vorgesehenen Wortlauts – bedurft hätte. Insoweit kann vorliegend dahinstehen, ob eine Pressemitteilung immer, d.h. auch ohne Verknüpfung mit dem Portal „lebensmittelwarnung.de“ vorab dem Lebensmittelunternehmer im Wortlaut zur Kenntnis zu geben ist, im streitgegenständlich Fall wäre dies jedenfalls angezeigt gewesen.
Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass bei der angeordneten „Reaktivierung“ der Verlinkung zur (korrigierten) Pressemitteilung auf der Plattform „lebensmittelwarnung.de“ seitens des Antragsgegners darauf zu achten ist, dass die Überarbeitung der Pressemitteilung deutlich erkennbar herausgestellt wird, was beispielsweise durch einen entsprechenden Zusatz im Rahmen der am 16.07.2021 veröffentlichten Warnung oder durch eine komplette Neueinstellung der Produktwarnung auf der Plattform „Lebensmittelwarnung.de“ mit der Verlinkung auf die überarbeitete Pressemitteilung erfolgen kann. Entsprechendes gilt für die Einstellung der überarbeiteten Pressemitteilung auf der Homepage … cc) Weitergehende „Folgenbeseitigungsansprüche“ sind hingegen nicht glaubhaft gemacht, so dass der Antrag im Übrigen abzulehnen war. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Löschung des Eintrags auf dem Portal „lebensmittelüberwachung.de“.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB soll die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder des Futtermittels und des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmers, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, nach Maßgabe des Art. 10 der VO (EG) Nr. 178/2002 informieren. Zuständige Behörde i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB ist im vorliegenden Fall … (vgl. § 9 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GesVSV). Gegen die Rechtmäßigkeit der Aufgabenzuweisungen … nach § 9 Abs. 2 GesVSV in der aktuell gültigen Fassung hat das Gericht keine Bedenken. Aus § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB ergibt sich nur ein Verweis zur Art und Weise der Information, jedoch nicht zu den Voraussetzungen für die Informationspflicht. Da jedoch der deutsche Gesetzgeber die Voraussetzungen der Informationspflicht nicht abweichend von Art. 10 der VO (EG) 178/2002 bestimmen bzw. einschränken wollte und konnte, ergeben sich die Voraussetzungen der Informationspflicht schon unmittelbar aus Art. 10 der VO (EG) Nr. 178/2002, der eine Information der Öffentlichkeit vorschreibt, wenn ein hinreichender Verdacht eines Gesundheitsrisikos*besteht (Zipfel/Rathke a.a.O., § 40 LFGB Rn. 17). Aufgrund der vorgelegten Gutachten/Stellungnahmen des LGL spricht nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Eilverfahren Überwiegendes dafür, dass zumindest ein hinreichender Verdacht eines Gesundheitsrisikos im vorstehenden Sinne für Menschen durch das streitgegenständliche Nahrungsergänzungsmittel besteht. Darüber hinaus hegt das Gericht jedoch Bedenken, ob – wie vom LGL zuletzt mit Stellungnahme vom 22.07.2021 (dort S. 11 letzter Satz) angenommen – tatsächlich von einer „konkreten Gesundheitsgefahr“ im Rechtssinne gesprochen werden kann, was jedoch vorliegend nicht weiter vertieft zu werden braucht. Da es sich darüber hinaus bei § 40 Abs. 1 Satz 1 LFGB um eine „Sollvorschrift“ handelt, geht die Kammer gegenwärtig davon aus, dass die Voraussetzungen für die Information der Öffentlichkeit dem Grunde nach vorlagen und auch gegenwärtig noch gegeben sind, jedoch die konkrete Art und Weise der Öffentlichkeitsinformation mittels Pressemitteilung vom 16.07.2021 sich aus den unter aa) und bb) dargestellten Gründen im vorliegenden Fall als rechtswidrig erweist.
b) Die Antragstellerin hat darüber hinaus einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Pressemitteilung mit dem streitgegenständlichen Inhalt kann für die Antragstellerin ganz erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere ein existenzberührender Imageschaden bzw. strafrechtliche Ermittlungen, die selbst bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Der Antragstellerin kann daher nicht zugemutet werden, die Klärung der Rechtmäßigkeit der Art und Weise der vorgenommenen Öffentlichkeitsinformation bis zu einer Klärung im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (vgl. VG Würzburg, B. v. 28.1.2020 – W 8 E 19.1669 – juris m.w.N.). Aus diesem Grund steht dem Erlass der vorliegenden Regelungsanordnung auch nicht das grundsätzliche „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache“ entgegen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. In Anbetracht der Bedeutung der Sache und der wirtschaftlichen Relevanz für die Antragstellerin, hält das Gericht die Verdoppelung des Regelstreitwertes eines Hauptsacheverfahrens für sachgerecht. Der doppelte Regelstreitwert ist vorliegend auch dem Eilverfahren zugrunde zu legen, da dieses auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist und sich keine Anhaltspunkte für eine Streitwertermittlung gem. Ziff. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 bieten.


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