Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Italien

Aktenzeichen  Au 3 K 20.31390

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 31388
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das italienische Asylsystem leidet nicht an systemischen Mängeln, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch der Aspekt, dass Italien zum Risikogebiet im Hinblick auf die weltweite Pandemie mit dem Coronavirus erklärt wurde, ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots zu führen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG als unzulässig abgelehnt.
Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO).
a) Für die Prüfung des Asylantrags der Antragssteller ist Italien zuständig.
Zwar war im vorliegenden Fall zunächst Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Später ist die Zuständigkeit jedoch im Zusammenhang mit der Stellung eines neuen Asylantrags in Italien, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst bestätigt hat, nach Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO auf Italien übergegangen. Der Kläger hat am 12. Dezember 2018 einen neuen Asylantrag in Italien gestellt. Dies ergibt sich zum einen aus dem vorliegenden EURODAC-Treffer der Kategorie 1 mit der Kennung …; der Kläger hat die Stellung eines Asylantrags in Italien zu diesem Zeitpunkt in der mündlichen Verhandlung auch selbst eingeräumt. Seine diesbezügliche Angabe, die Antragstellung sei lediglich erfolgt, weil er wegen seiner Festnahme in Italien sehr gestresst gewesen sei und er nichts verstanden habe, erachtet das Gericht für unglaubhaft und sieht sie als eine asyltaktisch motivierte Schutzbehauptung an. Denn der Kläger hat die Antragstellung überhaupt und ihren Zeitpunkt in der mündlichen Verhandlung jeweils nur auf ausdrücklichen Vorhalt des Gerichts bestätigt, nachdem er zunächst abweichende Angaben gemacht hatte. Zum Zeitpunkt der Antragstellung in Italien war das Asylverfahren des Klägers in Deutschland wegen seiner Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamts noch nicht abgeschlossen, so dass er zu den in Art. 18 Abs. 1 b) Dublin-III-VO genannten Personen gehörte. Da die italienischen Behörden auf die Antragstellung des Klägers hin versäumt haben, innerhalb der Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO ein Wiederaufnahmegesuch an Deutschland zu richten, ist Italien für die Prüfung des Antrags des Klägers zuständig geworden.
Die Stellung seines Asylfolgeantrags beim Bundesamt ist damit wiederum als Stellung eines „neuen Antrags auf internationalen Schutz“ i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Dublin-III-VO durch eine Person nach Art. 18 Abs. 1 b), c) oder d) zu werten, weshalb das Bundesamt zu Recht – und fristgerecht – ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet hat. Da Italien das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts nicht innerhalb der nach der Dublin III-Verordnung maßgeblichen Frist beantwortet hat, ist es verpflichtet, den Kläger wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen (vgl. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO). Sollte der Asylantrag des Klägers bereits durch die italienischen Behörden abgelehnt worden sein, so wäre Italien jedenfalls nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO zur Wiederaufnahme des Klägers verpflichtet.
Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass der Kläger nach Stellung des Antrags in Italien sein Klageverfahren gegen den ablehnenden Bescheid vom 25. Juli 2016 in Deutschland weiter betrieben hat. Denn im Weiterbetreiben des Verfahrens liegt schon nach dem eindeutigen Wortlaut nicht etwa die Stellung eines „neuen Antrags“ i.S.d. Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO, so dass für das Bundesamt erst im Zusammenhang mit der Antragstellung Anfang September 2020 Anlass bestand, ein Wiederaufnahmegesuch an Italien zu richten. Die Frist zur Stellung des Wiederaufnahmegesuchs wurde damit nicht durch das Weiterbetreiben des Klageverfahrens in Gang gesetzt und war somit im September 2020 nicht abgelaufen.
b) Systemische Mängel, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine entsprechende Pflicht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a.) nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13; vgl. auch BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v. 18.6.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11). Danach lassen die zur Verfügung stehenden Informationen nicht den Schluss zu, dass einzelne Vorfälle ein systematisches Versagen des italienischen Asylsystems darstellen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Zusicherungen von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Weise aufgenommen werden und die Familieneinheit gewahrt wird.
Der Kläger ist hingegen ein alleinstehender junger Mann und gehört damit nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen.
Das Urteil beinhaltet keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten (vgl. dazu auch VG München vom 7.11.2018 – M 1 K 17.51795). Insofern nimmt der Einzelrichter Bezug auf die ausführliche Darstellung im angegriffenen Bescheid und macht sich diese zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Beklagten, das Asylverfahren durchzuführen, da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. dazu insgesamt VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316; VG Augsburg, Beschluss vom 30.5.2017 – Au 7 S 17.50041).
2. Auch ein Anspruch auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, die sich auch der Einzelrichter zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nichts anders gilt auch im Hinblick auf die weltweite Pandemie mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass einer Abschiebungsanordnung die Verhältnisse in Italien mit Blick auf die Covid-19-Pandemie entgegenstehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Italien nunmehr zum Risikogebiet erklärt wurde (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.htmljsessinid=E8E4495EE3D0 C28586150F64C58F9DDB.internet082; abgerufen am 9.11.2020). Auch dieser Aspekt ist nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es, die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Italien i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Antragsteller nicht aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Dies gilt ohnehin wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Heusch/Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auch angesichts der in Italien getroffenen Maßnahmen – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein – wie bereits dargelegt – das Vorliegen systemischer Mängel in Italien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Italien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen (VG Würzburg, GB v. 11.5.2020 – W 8 K 20.50114 – BeckRS).
3. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung nach Italien ist rechtmäßig. Nach dieser Bestimmung ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die Bundesrepublik im Verfahren nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigen hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Nichts anders gilt auch im Hinblick auf die weltweite Pandemie mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass einer Abschiebungsanordnung die Verhältnisse in Italien mit Blick auf die Covid-19-Pandemie entgegenstehen. Es geht vielmehr davon aus, dass auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Italien nunmehr zum Risikogebiet erklärt wurde, eine Abschiebung durchgeführt werden kann. Entgegenstehende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist für das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot zu.
Das Bundesamt hat hier gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach Ermessen eine Frist von 15 Monaten festgesetzt. Fehler insoweit sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
II.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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