Europarecht

Rechtsmissbrauch bei Übertragungen von Rechten aus Einfuhrlizenzen

Aktenzeichen  14 K 3071/16

Datum:
25.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48194
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 171 Abs. 10
FGO § 100 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 27. Oktober 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2016 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

II.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid des HZA ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -), weil der Nacherhebung der Art. 220 Abs. 2 Zollkodex (ZK) entgegensteht.
a) Das HZA ist, soweit es über die Erteilung bzw. Rücknahme von Lizenzen hinausgeht, nicht an die bestandskräftige Entscheidung der BLE gebunden, die die fraglichen Lizenzen erteilt und nicht zurückgenommen hat, weil die Verwaltungsakte der BLE insoweit keine Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 AO darstellen. Der § 171 Abs. 10 AO definiert einen Grundlagenbescheid als Feststellungsbescheid, Steuermessbetragsbescheid oder als anderen Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ohne die Voraussetzungen der Bindungswirkung näher zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist für die Annahme einer Bindungswirkung grundsätzlich eine gesetzliche Regelung erforderlich. Ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der BFH einen Grundlagenbescheid nur dort für möglich gehalten, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag (BFH-Urteile vom 20. August 2009 V R 25/08, BStBl II 2010, 15; vom 11. April 2005 GrS 2/02, BStBl II 2005, 679, vom 10. Juni 1988 II R 232/84, BStBl II 1988, 981).
Der Bescheid über die Erteilung einer Einfuhrlizenz, für den die BLE nach § 3 i.V.m. § 18 des Marktordnungsgesetzes (MOG) zuständig ist, ist ein anderer Verwaltungsakt, der aufgrund gesetzlicher Regelung für das HZA auch bindend ist, soweit es die Frage betrifft, ob die Voraussetzungen zur Erteilung einer Lizenz für die Einfuhr von Champignonkonserven vorgelegen haben (vgl. hierzu auch: Verwaltungsgericht Frankfurt, Urteil vom 23. September 1999 1 E 2332/97, Außenwirtschaftliche Praxis 2000, 228).
Dabei prüft die BLE, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Einfuhrlizenz vorgelegen haben, der Antrag gültig und wirksam gestellt worden und ob eine Sicherheit geleistet worden ist. Außerdem haben traditionelle und neue Einführer bei der Beantragung von Einfuhrlizenzen für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven zum Zeitpunkt ihres ersten Antrags für einen bestimmten Einfuhrzollkontingentszeitraum den Nachweis gegenüber der BLE zu führen, dass die Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 bzw. Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 der Kommission vom 22. Dezember 2006 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (ABl. Nr. L 368/91; nachfolgend: VO Nr. 1979/2006) erfüllt sind. Diese Prüfung erfolgt anhand der vorgelegten Zollbelege, aus denen sich ergibt, welche Pilzmengen in den vorangegangenen Kalenderjahren eingeführt worden sind. Die BLE kann folglich aufgrund dieser Unterlagen entscheiden, ob der Einführer im Lizenzantrag richtige und vollständige Anforderungen gemacht hat.
Ist dies nicht der Fall, muss über den Widerruf bzw. die Rücknahme des Verwaltungsaktes nach § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entschieden werden (vgl. Schreiben der BLE vom 13. März 2017 514 -01.04- C 7.5/Sz, Bl. 124 der FG-Akte; Verwaltungsgericht Frankfurt vom 23. September 1999 1 E 2332/97, a.a.O.).
Über die Frage, ob bei Zuteilung der Lizenz alle Voraussetzungen (u.a. die Einhaltung der Gesamtmenge nach Art. 7 der VO Nr. 1979/2006) vorlagen, entscheidet mithin nicht das HZA, sondern die hierfür allein zuständige BLE in einem gesonderten Verfahren. An diese Prüfung, ob und mit welcher Wirkung eine einmal erteilte Lizenz zurückgenommen werden kann, ist das HZA gebunden.
Anders verhält es sich hingegen mit der Frage, ob bei den Einfuhrgeschäften solche Transaktionen vorliegen, die als ein Rechtsmissbrauch gewertet werden können.
Dies kann der Fall sein, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel herbeigeführt werden, in den Genuss des Vorzugstarifs (hier: ermäßigter Kontingentszollsatz) zu gelangen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist nämlich der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. L 312/1; nachfolgend: VO Nr. 2988/95) enthaltene Grundsatz der künstlichen Erlangung eines Vorteils auch bei erteilten Einfuhrlizenzen zu beachten. Danach widersprechen Handlungen dem Unionsrecht, die künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils schaffen, mit der Folge, dass der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird (vgl. EuGH-Urteil vom 9. Juli 2015 C-607/13, ECLI:ECLI:EU:C:2015:448).
Werden also Einfuhrlizenzen durch solche Handlungen erlangt, besteht die Pflicht, einen durch eine regelwidrige Praxis unrechtmäßig erlangten Vorteil zurück zu gewähren. Dies ist nach dem EuGH die Folge der Feststellung, dass die erforderlichen Voraussetzungen für die Erlangung des unionsrechtlich vorgesehenen Vorteils künstlich geschaffen und der erlangte Vorteil somit rechtsgrundlos gewährt wurde, so dass die Pflicht zur Rückerstattung des hier nicht gezahlten Zolls besteht (vgl. auch EuGH-Urteil vom 4. Juni 2009 C-158/08, ECLI:ECLI:EU:C:2009:349, Rn. 28).
Da die Erhebung von Zoll in die ausschließliche Zuständigkeit der Zollverwaltung fällt (vgl. § 1 Zollverwaltungsgesetz), obliegt es auch dem jeweils zuständigen HZA, die aufgrund der vorhandenen Einfuhrlizenzen vom Einführer getätigten Geschäfte daraufhin zu untersuchen, ob diese Transaktionen im Rahmen einer missbräuchlichen Praxis erfolgt sind und damit der ermäßigte Kontingentszollsatz (hier: 23%) zu Unrecht geltend gemacht worden ist. Hat sich ein Marktbeteiligter künstlich in eine Situation begeben, die es ihm ermöglicht, unrechtmäßig in den Genuss des Vorzugstarifs für die Champignonkonserven zu gelangen, ist er verpflichtet, die Zölle auf die betreffenden Waren zu entrichten, unbeschadet gegebenenfalls im nationalen Recht vorgesehener verwaltungs-, zivil- oder strafrechtlicher Sanktionen (vgl. EuGH-Urteil vom 9. Juli 2015 C-607/13, a.a.O.).
Damit entfaltet die Entscheidung der BLE, der Klägerin die erteilten Lizenzen zu belassen bzw. den begünstigenden Verwaltungsakt nicht zurückzunehmen, keine Bindungswirkung für die Prüfung durch das HZA, ob der ermäßigte Kontingentszollsatz zu Unrecht gewährt worden ist.
b) Die Frage des Rechtsmissbrauchs ist von dem jeweils zuständigen HZA auch im Rahmen der Nacherhebung nach Art. 220 Abs. 1 Zollkodex (ZK) zu prüfen. Das HZA ist vorliegend zu Recht davon ausgegangen, dass ein solcher Rechtsmissbrauch der Klägerin vorliegt.
Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 13. März 2014 C-155/13, ECLI:EU:C:2014:145, Rn. 40; vom 9. Juli 2015 C-607/13, ECLI:ECLI:EU:C:2015:448; vom 14. April 2016 C-131/14, ECLI:ECLI:EU:C:2016:255) in Bezug auf Einfuhren in die Union, die im Wesentlichen mit denen im Ausgangsverfahren vergleichbar sind, u.a. entschieden, dass Art. 6 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 341/2007 der Kommission vom 29. März 2007 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten sowie zur Einführung einer Einfuhrlizenz- und Ursprungsbescheinigungsregelung für aus Drittländern eingeführten Knoblauch und bestimmte andere landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. Nr. L 90, S. 12), der wie der hier maßgebende Art. 5 Abs. 4 der VO Nr. 1979/2006, ein Verbot der Übertragung von Rechten aus Einfuhrlizenzen vorsieht, zwar grundsätzlich solchen Transaktionen nicht entgegensteht, diese jedoch einen Rechtsmissbrauch darstellen, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel herbeigeführt wurden, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen.
Danach setzt der Nachweis einer missbräuchlichen Praxis zum einen das Vorliegen einer Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der in der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen aus der Unionsregelung resultierenden Vorteil zu verschaffen, indem die Voraussetzungen für seine Erlangung künstlich geschaffen werden (vgl. EuGH-Urteil vom 13. März 2014 C-155/13, a.a.O., Rn. 31 bis 33).
Was das mit der Verordnung Nr. 197/2006 verfolgte Ziel betrifft, soll diese Verordnung durch die Aufteilung der Zollkontingente echten neuen Marktbeteiligten ermöglichen, ihre Tätigkeiten auf dem Pilzeinfuhrmarkt zu entfalten, um einen lauteren Wettbewerb auf diesem Markt zu gewährleisten. Insoweit ergibt sich aus Art. 5 Abs. 4 dieser Verordnung, dass mit dem hierin vorgesehenen Verbot der Übertragung der Rechte die Schaffung künstlicher oder spekulativer Beziehungen zwischen den Marktbeteiligten oder die Störung der normalen Handelsbeziehungen auf diesem Markt verhindert werden soll.
Daher kann das Ziel der Unionsregelung nicht erreicht werden, wenn aufeinanderfolgende Transaktionen des Ankaufs, der Einfuhr und der Rückveräußerung von Pilzkonserven, wie sie Gegenstand des Streitfalls sind, de facto einer verbotenen Übertragung von Einfuhrlizenzen oder Rechten aus solchen Lizenzen durch einen neuen Marktbeteiligten an einen traditionellen Marktbeteiligten gleichkommen und es diesem ermöglichen, seinen Einfluss über den ihm für die Pilzkonserveneinfuhr in die Union zum Vorzugstarif vorbehaltenen Teil der Kontingente hinaus auszudehnen.
Außerdem muss auf Seiten des Einführers als subjektives Element hinzukommen, dass er die Absicht hatte, dem Käufer und Vermarkter der Waren einen solchen Vorteil zu verschaffen und die Transaktionen dürfen nicht jeglicher wirtschaftlichen und geschäftlichen Rechtfertigung entbehren.
Zu diesem Zweck können alle rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den an diesen Transaktionen mitwirkenden Marktbeteiligten berücksichtigt werden (EuGH-Urteil vom 13. März 2014 C-155/13, a.a.O). Dazu gehört z.B. der Umstand, dass der Inhaber der Lizenzen im Rahmen der fraglichen Transaktionen kein Geschäftsrisiko trägt, was der Fall ist, wenn das Risiko in Wirklichkeit vom Käufer in der Union getragen wurde, der zugleich ein traditioneller Marktbeteiligter ist. Eine Rolle spielt auch, dass sich angesichts der Verkaufs- und Weiterverkaufspreise der betreffenden Ware die Gewinnspanne der neuen Marktbeteiligten als geringfügig erwiesen oder der Preis des Verkaufs der Ware durch den Einführer an den Käufer in der Union unter dem Marktpreis gelegen hat.
Schließlich kann nach der Auffassung des EuGH (Urteil vom 14. April 2016 C-131/14, a.a.o., Rn. 49) auch berücksichtigt werden, dass die Einführer unter Androhung von Sanktionen verpflichtet sind, die ihnen erteilten Lizenzen zu verwenden, und die Einführer, einschließlich eines neuen Einführers im Rahmen einer Transaktion, daher ein tatsächliches Interesse an der Durchführung von Einfuhren haben (vgl. EuGH-Urteil vom 13. März 2014 C-155/13, a.a.O., Rn. 37).
Im Streitfall zielen die vorgenommenen Geschäfte darauf ab, XY über die eigene ihr zustehende Lizenzmenge hinaus zusätzliche zollbegünstigte Champignonkonserven zu verschaffen. Das Ziel der EU-Verordnungen auf diesem Sektor, mehr Wettbewerb zwischen den Einführern und weniger marktbeherrschende Stellung durch einzelne Einführer zu erhalten, wird dadurch nicht erreicht. Vorliegend war bereits beim Geschäftsabschluss vereinbart worden, dass die Klägerin die Konserven vor der Einfuhrabfertigung von XY (ab Lager H. unverzollt) kauft und die Waren nach der Abfertigung zum freien Verkehr an diese zurückverkauft (ab Lager H. verzollt). Das geschäftliche Risiko für die Vermarktung der Waren lag hier alleine auf Seiten von XY.
Auf den künstlichen Charakter der Handelstätigkeiten deutet auch die Tatsache hin, dass XY der Klägerin weitgehend die Abwicklung bei der Lizenzbeantragung abgenommen hat, weil XY eine Generalvollmacht erhielt, welche dazu berechtigt hat, im Namen und im Auftrag der Klägerin alle erforderlichen Einfuhrlizenzen und Genehmigungen bei der BLE zu beantragen.
Darüber hinaus berechtigte die Vollmacht auch zur Einlegung von Rechtsmitteln und Einsprüchen bzw. Widersprüchen, sowie zur Hinterlegung von Barsicherheiten oder Kautionen bzw. deren Rückforderung und Entgegennahme nach entsprechender Freigabe. XY hat auch die anfallende Sicherheit durch Hinterlegung einer Bürgschaftsurkunde gestellt, so dass der Gesichtspunkt des möglichen Verfalls der Sicherheit bei der Klägerin keine Rolle gespielt hat. Eine solche Vollmacht mag zwar ein durchaus legitimes und gängiges Mittel im Rahmen der freien Geschäftsgestaltung darstellen, kann aber vor dem Hintergrund, dass die bevollmächtigte Firma alleine den Nutzen aus der administrativen Tätigkeit zieht, nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es um die Prüfung geht, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt.
XY hat außerdem die gesamte Zollabfertigung für die Klägerin durchgeführt, ist selber als Zollwertanmelder aufgetreten und hat als Grundlage für die Zollwertermittlung die eigenen Kaufgeschäfte (chinesischer Lieferant an XY: Vorerwerbergeschäfte) angemeldet. Die angefallenen Einfuhrabgaben wurden zudem über die Aufschubkonten von XY abgewickelt, obwohl die Klägerin über eigene Aufschubkonten für Zoll und EUSt verfügt hat. Es fand auch keinerlei Warenbewegung statt, die Champignons verblieben während des gesamten Geschäftszeitraumes im Lager der U. GmbH. Auch die Notwendigkeit, den Nachweis der eingeführten Mengen zu führen, um als Einführer entsprechende Lizenzen für die Folgejahre zu erhalten, stellt keine ausreichende kommerzielle oder wirtschaftliche Rechtfertigung dar.
Die mit der Verordnung verfolgten Ziele, Wettbewerb zu fördern und spekulative Lizenzanträge zu vermeiden, werden ins Gegenteil verkehrt, wenn Einfuhrmengen nur deshalb beantragt werden, um einem anderen Einführer über die ihm zustehende Kontingentsmenge hinaus weitere begünstigte Mengen zu verschaffen.
Dem steht auch nicht das Argument der Klägerin gegenüber, dass der Preis, den sie an XY berechnet hat, ebenso wie der Preis von XY an sie, marktüblich gewesen sei, weil die Verkaufspreise beginnend ab dem Kalenderjahr 2011 wegen der gesunkenen Nachfrage nach chinesischen Champignonkonserven in der EU, namentlich in Deutschland, gesunken seien.
Denn letztlich kommt es nicht darauf an, ob der Wiederverkaufspreis der Klägerin an XY marktüblich war oder nicht, weil XY vorab den gleichen Preis von der Klägerin verlangt hat, sich die beiden Geschäfte damit vollständig neutralisiert haben. Der Preis an sich stellt daher kein entscheidendes Element dar; es ist insofern deutlich gewichtiger, dass die Klägerin im Streitjahr tatsächlich keinen (Roh)-Gewinn erzielt hat.
Der Senat teilt in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des HZA, dass sich das vom EuGH angesprochene Geschäftsrisiko bei der Beurteilung eines Rechtsmissbrauchs im Wesentlichen auf das Absatz- und Beschaffungsrisiko reduziert und vertragliche oder gesetzliche Haftungsrisiken nur eine untergeordnete Rolle spielen, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob die Klägerin oder XY bei den streitgegenständlichen Einfuhren das lebensmittelrechtliche Risiko für die Inanspruchnahmen nach dem Produkthaftungsgesetz zu tragen hatten.
c) Obgleich bei den streitgegenständlichen Übertragungen von Rechten aus Einfuhrlizenzen demnach ein Rechtsmissbrauch zu bejahen ist, weil sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel herbeigeführt wurden, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen, ist der Bescheid des HZA dennoch rechtswidrig, weil der Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK einer Nacherhebung entgegensteht.
Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Einfuhrzolls ist Art. 220 Abs. 1 ZK. Danach kann die mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag (hier: zu Unrecht erfasster ermäßigter Kontingentszollsatz) nachträglich erfasst werden.
Nach Art. 220 Abs. 2 ZK erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.
Die Bestimmung setzt zunächst einen Irrtum der Zollbehörden voraus, der tatsächlicher oder rechtlicher Art sein und eine von der Zollbehörde getroffene Entscheidung fehlerhaft machen kann (vgl. EuGH-Urteile vom 27. Juni 1991 C-348/89, Slg. 1991, 3277 Rz. 20; vom 16. März 2017 C-47/16, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2017, 159; BFH-Urteile vom 24. April 2008 VII R 62/06, BFH/NV 2008, 1428; vom 7. Juni 2011 VII R 36/10, BFH/NV 2011, 1816). Es macht auch keinen Unterschied, ob die Zollbehörde über das materielle Zollrecht oder über die Ausgestaltung des Zollverfahrens irrt. So fällt insbesondere auch ein Rechtsirrtum der Zollbehörde unter die Vorschrift, etwa wenn die Zollbehörde im Rahmen einer Außenprüfung einen bestimmten Sachverhalt unzutreffend rechtlich würdigt.
Da Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 1 ZK nur eine Kausalität zwischen dem behördlichen Irrtum und der unterbliebenen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben verlangt, nicht aber, dass der Irrtum im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der betreffenden Zollanmeldung unterlaufen sein muss, kann ein Irrtum im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK auch angenommen werden, wenn die Unrichtigkeit einer Zollanmeldung dadurch verursacht worden ist, dass entsprechende Anmeldungen früherer Einfuhren in einer Außenprüfung nicht beanstandet wurden oder durch eine irrtümliche Auskunft der Zollbehörden veranlasst worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juni 2011, VII R 36/10, a.a.O.).
Ein aktiver Irrtum der Zollbehörde kann sich auch in einer bestehenden und in Verwaltungsanweisungen dokumentierten Praxis äußern, auf die sich der Zollschuldner verlassen hat (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 83/98, BFH/NV 2000, 247). Das Gleiche muss gelten, wenn das BMF aufgrund eines Einzelfalls eine bestimmte Art von Geschäften (hier: Verkauf und Rückkauf von Lizenzen zum selben Preis) durch einen Erlass an alle nachgeordneten Behörden abschließend behandelt und sich daraus eine langjährige Praxis der Zollverwaltung ergibt.
Im Streitfall hat die Zollbehörde über viele Jahre hinweg die von der Klägerin mit XY getätigten Geschäfte unbeanstandet gelassen, weil sie dem Rechtsirrtum unterlegen ist, dass insoweit kein Rechtsmissbrauch vorgelegen hat.
Wie der Zeuge S., der über einen langen Zeitraum hinweg bei XY die einschlägigen Lizenzgeschäfte betreut hat, in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll geschildert hat, war den beteiligten Behörden (Zollverwaltung und BLE) die Art und Weise wie XY die Lizenzen anderer Firmen genutzt hat, bekannt. Dieses Geschäftsmodell ist dann auch bis ins Jahr 2015 anscheinend unbeanstandet geblieben. Der Senat hat nach den überzeugenden Ausführungen des Zeugen keinen Zweifel daran, dass diese Geschäfte bei der Ausnutzung von Lizenzen, die auch die Grundlage der Geschäftsbeziehung zwischen XY und der Klägerin bildeten, jahrelang von den Behörden geduldet worden sind und erst das EuGH-Urteil vom 13. März 2014 (C-155/13 a.a.O.) zu den Zollkontingenten bei Knoblauch zum Umdenken bei den beteiligten Behörden geführt hat. Vor Ergehen des EuGH-Urteils, also zumindest bis ins Jahr 2014 haben die Klägerin und andere Unternehmen (vom Zoll unbeanstandet) ihre Einfuhrlizenzen dazu nutzen können, um im gewählten Konstrukt von Kauf und Wiederverkauf Pilze oder andere Marktordnungswaren für einen anderen Unternehmer einzuführen.
Dass diese Verfahrensweise branchenüblich war, zeigt der an alle Oberfinanzdirektionen – und damit auch an das hier beteiligte HZA – gerichtete BMF-Erlass vom 30. März 2000, der zu Einfuhren aus dem damaligen Drittland Polen ergangen ist. Auch dort wurde festgestellt, dass eine Firma in großem Umfang Waren aus einem Drittland erworben und über andere Firmen, die in Besitz der erforderlichen Einfuhrlizenzen waren, in die EU eingeführt hat. Zu diesem Zweck waren die Waren noch in Polen an die Lizenzinhaber verkauft und von diesen unmittelbar nach der Einfuhr zum selben Preis an die Firma zurückgekauft worden. In dem BMF-Erlass heißt es hierzu ausdrücklich: „Mit Absatz 3 der beigefügten Antwort hat die Kommission klargestellt, dass Kaufgeschäfte wie das oben beschriebene lizenzrechtlich zulässig sind“. Anders als das HZA meint, spricht allein diese Konstruktion nicht gegen das Vorliegen eines „tatsächlichen Geschäfts“.
Der fragliche BMF-Erlass deckt auch die Praxis bei dem hier streitigen Geschäft ab, weil die Klägerin die Waren gleichfalls als Drittlandsware von XY erworben und in den freien Verkehr hat abfertigen lassen, um diese im Anschluss daran wieder an XY zu verkaufen.
Die Auffassung des BMF wird dann nochmals im Anschluss an einen Bericht der OFD H. vom 18. Juli 2000 deutlich. Hier hatte die OFD erhebliche Bedenken daran geäußert, dass die bloße Identität von Lizenzinhaber und Anmelder für ein „tatsächliches Geschäft“ ausreichend sei. Im dem BMF-Schreiben an die OFD H. vom 15. Dezember 2000 werden die Bedenken der OFD ausdrücklich nicht geteilt. Es sei entscheidend bei dieser Art von Geschäften, dass weder eine Überschreitung des Kontingents noch negative Konsequenzen für das Gemeinschaftsbudget vorlägen und somit kein Betrug der Gemeinschaft festgestellt werden könne.
Diesen Rechtsirrtum des HZA konnte die Klägerin auch nicht erkennen. Hinsichtlich der Erkennbarkeit des Irrtums der zuständigen Behörde für den Zollschuldner sind die Art des Irrtums, die Erfahrung des betreffenden Zollschuldners und die von ihm angewendete Sorgfalt zu berücksichtigen (EuGH-Urteil vom 26. März 2015 C-7/14 P, ECLI:ECLI:EU:C:2015:205).
Dabei ist der Irrtum unter Berücksichtigung der Komplexität der betreffenden Regelung, sowie der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen. Von Bedeutung ist insoweit allerdings auch die Länge des Zeitraums, in dem die Behörden in ihrem Irrtum verharrten (BFH-Urteil vom 7. Juni 2011 VII R 36/10, a.a.O.).
Auch wenn die Klägerin in den Streitjahren bereits über ausreichend Erfahrung auf dem Marktordnungssektor verfügte, so ist die Frage, ob Übertragungen von Rechten aus Einfuhrlizenzen bei ihren Geschäftsbeziehungen mit XY einen Rechtsmissbrauch darstellen, eine durchaus komplexe Rechtsmaterie. Dabei durfte sich die Klägerin auf die Praxis der beteiligten Behörden der Zollverwaltung, die nach der Auffassung des Senats in dem oben genannten BMF-Schreiben vom 30. März 2000 ihren Ausgangspunkt hatten, auch verlassen. Da dieser Erlass des Ministeriums den gleichen Sachverhalt betraf und zudem mit der EU-Kommission abgestimmt war, konnten die Wirtschaftsbeteiligten davon ausgehen, dass die von ihnen gewählte Gestaltung im Einklang mit der Auffassung der maßgebenden Behörden stand. Es gab für die Klägerin somit keinen Anlass, an der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens bis zum Ergehen des EuGH-Urteils aus dem Jahre 2014 (vgl. C-155/13) zu zweifeln.
Da die Zollanmeldungen der Klägerin auch alle geltenden Bestimmungen enthielten, hat das HZA der Klägerin zu Unrecht den Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 ZK versagt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.


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