Europarecht

Richtlinienkonforme Auslegung bei Kaskadenverweisung in einem Verbraucherkreditvertrag

Aktenzeichen  19 U 367/20

Datum:
3.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuB – 2021, 59
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3
ZPO § 321a
BGB § 492 Abs. 2
AEUV Art. 288 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. scheitert daran, dass es dem Senat verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem). Nach der eindeutigen Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 genügt der Darlehensgeber seinen Informationspflichten, wenn er in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form eine Vertragsklausel verwendet, die bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen dem Muster in Anlage 7 entspricht. Die in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. getroffene Regelung ist offensichtlich keiner Auslegung, die sie im Ergebnis ins Gegenteil verkehren würde und faktisch auf eine Nichtanwendung hinausliefe, zugänglich. Sie beruhte auch nicht auf einer ungewollten Regelungslücke oder Nachlässigkeit des deutschen Gesetzgebers, sondern war ausdrücklich gewollt. (Rn. 14 – 16) (red. LS Andy Schmidt)
2. Dass den deutschen Gerichten eine – grundsätzlich gebotene –  richtlinienkonforme Auslegung contra legem verwehrt ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH (ebenso EuGH BeckRS 2019, 288). (Rn. 17) (red. LS Andy Schmidt)

Verfahrensgang

22 O 11454/19 2019-12-13 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

Die als Anhörungsrüge auszulegende Stellungnahme des Klägers vom 31.03.2020 gegen den Beschluss des Senats vom 25.03.2020 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Berufung des Klägers wies der Senat nach Ablauf der gewährten Stellungnahmefrist zum Hinweis vom 21.02.2020 (Bl. 148/160 d.A.) mit Beschluss vom 25.03.2020 zurück.
Mit Schriftsatz vom 31.03.2020 nahm der Kläger zum Hinweis des Senats vom 21.02.2020 Stellung. Er führte aus, dass die streitgegenständliche Widerrufsinformation über den Beginn der Widerrufsfrist sowie die Folgen des Widerrufs bei einem verbundenen Vertrag nicht hinreichend bzw. zutreffend informiere. Der Verstoß gegen die Verbraucherkreditrichtlinie, der mit dem Urteil des EuGH vom 26.03.2020 – C -66/19 bestätigt worden sei, führe dazu, dass Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB nicht anwendbar sei. Eine europarechtskonforme Auslegung dieser Norm sei nicht möglich.
II.
Die Stellungnahme des Klägers ist als Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO aus-zulegen, da letztlich die Verletzung rechtlichen Gehörs wegen Nichtberücksichtigung seiner Stellungnahme vom 31.03.2020 gerügt wird. Dies verhilft dem Kläger jedoch auch nicht zum Erfolg.
1. Die Anhörungsrüge ist nicht statthaft.
Gemäß § 321a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ZPO ist auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist.
Der Senat hat mit seinem Beschluss vom 25.03.2020 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13.12.2019, Az.: 11454/19 zurückgewiesen und den Streitwert auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
Trotz Nichtzulassung der Revision steht dem Berufungskläger kein Rügerecht nach § 321a ZPO zu. Nach der gesetzgeberischen Konzeption sind nämlich Gehörsverletzungen von der betroffenen Partei grundsätzlich im allgemeinen Rechtsmittelsystem zu verfolgen. Eine Anhörungsrüge ist deshalb nur statthaft, wenn die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht mit einem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann. Da nach der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des BGH eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gebietet (BGH NJW 2004, 2222 (2223); 2005, 1950; 2008, 923; NJW-RR 2010, 1217 Rn. 9; vgl. auch BVerfG NJW 2007, 3418 Rn. 19), hat die betroffene Partei mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO die Gehörsverletzung des Berufungsgerichts geltend zu machen (BVerfG NJW 2007, 3418 (3419); BGH NJW 2005, 1950 (1951); 2005, 2710 (2711); OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2005, 1591).
2. Zudem wäre die Anhörungsrüge nicht begründet. Der Senat hätte auch bei Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 31.03.2020 der Berufung nicht stattgegeben hätte.
Vorauszuschicken ist, dass die Beklagte für ihre Widerrufsinformation (vgl. Darlehensvertrag, Seite 2/3 von 13, vorgelegt als Anlage K1) das Muster aus Anlage 7 (in der vom 13.06.2014 bis 20.03.2016 geltenden Fassung, nachfol-gend a.F.) zu Art. 247 §§ 6 Abs. 2 Satz 3, 12 Abs. 1 Satz 3 EGBGB a.F. mit den gesetzlich vorgesehenen Gestaltungshinweisen Nr. 2, 2a a), 3, 6, 6a, 6b, 6c (ohne die fakultative Ergänzung des Unterabsatzes), 6f und 6g verwendet hat (vgl. Hinweis vom 21.02.2020, Ziffer 1).
[2.1.] Die Ansicht des Klägers, die Beklagte könne sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB i. V. m. Anlage 7 berufen, denn die Musterwiderrufsinformation sei wegen des sog Kaskadenverweises in Satz 2 nicht klar und prägnant, teilt der Senat nicht. Entgegen der Berufung lässt sich diese Rechtsfolge auch nicht mit der Entscheidung des EuGH vom 26.03.2020 – C-66/17 begründen.
(1) Zwar hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 – C- 66/17, auf dessen Ausführungen Bezug genommen wird, festgestellt, dass eine sog. Kaskadenverweisung den Beginn der Widerrufsfrist nicht hinreichend klar und prägnant bezeichnet.
(2) Dies führt jedoch keinesfalls dazu, dass die Beklagte sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 berufen kann.
a. Eine richtlinienkonforme Auslegung von Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 ist nicht möglich, wie auch der Kläger zutreffend ausführt aa. Der Gesetzgeber des Gesetzes zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) hat – worauf der Bundesgerichtshof zutreffend hinweist (vgl. Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18) – den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB mit Gesetzesrang als eine klare und verständliche Gestaltung der Information über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist vorgegeben. Aus dem Gesetzeswortlaut, der Systematik und den Materialien der zum 30. Juli 2010 in Kraft getretenen Änderungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ergibt sich, dass der Gesetzgeber selbst eine Erläuterung anhand des um Beispiele ergänzten § 492 Abs. 2 BGB nicht nur für sinnvoll (BT-Drucks. 17/1394, S. 25 f.), sondern als mit den sonstigen gesetzlichen Vorgaben in Einklang stehend erachtete. Durch die schließlich Gesetz gewordene Auswahl der für eine Mehrzahl unterschiedlicher Vertragstypen relevanten Beispiele (BT-Drucks. 17/2095, S. 17) brachte der Gesetzgeber überdies zum Ausdruck, dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher die Ermittlung der für den einschlägigen Vertragstyp jeweils relevanten Pflichtangaben anhand des Gesetzes zuzutrauen. Über dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept dürfen sich die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, bei der Auslegung des gleichrangigen übrigen nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG nicht hinwegsetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2019 6 U 88/18, juris Rn. 12 ff., 19). In der Entscheidung, der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB sei unzureichend klar und verständlich, läge eine Missachtung der gesetzlichen Anordnung, die dazu führte, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt und verfälscht und einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde. Dazu sind die Gerichte nicht befugt (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18; BGH, Urteil vom 3. Juli 2018 XI ZR 702/16 und Beschluss vom 02.04.2019 – XI ZR 488/17).
bb. Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. scheitert daher vorliegend daran, dass es dem Senat verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem).
Nach der eindeutigen Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 genügt der Darlehensgeber seinen Informationspflichten, wenn er in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form eine Vertragsklausel verwendet, die bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen dem Muster in Anlage 7 entspricht.
Die in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. getroffene Regelung ist offensichtlich keiner Auslegung, die sie im Ergebnis ins Gegenteil verkehren würde und faktisch auf eine Nichtanwendung hinausliefe, zugänglich. Sie beruhte auch nicht auf einer ungewollten Regelungslücke oder Nachlässigkeit des deutschen Gesetzgebers, sondern war ausdrücklich gewollt.
Dass den deutschen Gerichten eine – grds. gebotene (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, Rz. 26) – richtlinienkonforme Auslegung contra legem verwehrt ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2019 – C-193/17 -, Rn. 74; EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – C-414/16 -, Rn. 71, juris; in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, ECLI:EU:C:2016:278, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C-168/95; . vgl. etwa auch BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02, Rz. 66 m. w. N., DB 2003, 1387, 1389).
b. Es ist dem Senat schließlich – anders als der Kläger meint – verwehrt, die Vorschrift des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. nicht anzuwenden.
Etwas anderes ergibt sich weder aus der Rechtsnatur der zugrundeliegenden Richtlinie 2008/48 EG noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH.
aa. Richtlinien sind gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern müssen erst von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Unmittelbar anzuwenden sind die zur Umsetzung einer Richtlinie ergangenen mitgliedstaatlichen (Umsetzungs-) Gesetze, hier also Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F.. Selbst insgesamt nicht umgesetzten Richtlinien kommt im Verhältnis zwischen Bürgern untereinander grds. keine unmittelbare Geltung zu. Die Zuerkennung einer unmittelbaren (horizontalen) Wirkung auch im Verhältnis von Privatrechtssubjekten würde die Kompetenzordnung des EG-Vertrags zu Lasten der Mitgliedstaaten verschieben, die insoweit auf ihre souveränen Rechte nicht zugunsten der Gemeinschaftsorgane verzichtet haben (BAG, Beschluss vom 18. Februar 2003 – 1 ABR 2/02 -, BAGE 105, 32-58, Rn. 85; EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92 -).
Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf nicht oder nicht richtig umgesetzte Richtlinien zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2019 – C-193/17 -, Rn. 72, juris; EuGH, Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C-569/16 und C-570/16, ECLI:EU:C:2018:871, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 10.10.2017, C-413/15; EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92).
bb. Ein mitgliedstaatliches Umsetzungsgesetz nicht anzuwenden – mit der faktischen Konsequenz der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie – kommt auch nach der Rechtsprechung des EuGH nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dazu zählt der Fall, wenn die Beklagte – unmittelbar oder mittelbar -Teil der staatlichen Gewalt ist, (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C – 193/17 (Cresco); EuGH, Urteil vom 06.10.2015, C-508/14 m. w. N.; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C-168/95; EuGH, Urteil vom 10.06.1982 – 255/81; EuGH, Urteil vom 19. 01.1982 – 8/81; BVerwG, Urteil vom 28.10.2010 – 2 C 52/09).
Vergleichbares gilt, wenn die nationalen Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit einer Richtlinie ausgelegt werden können, das vorlegende Gericht aber gleich-wohl gehalten wäre, den Rechtsschutz zu gewährleisten, da andernfalls die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt wären (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2019 – C-193/17 -, Rn. 78); hier kommt im Verhältnis zweier nicht staatlicher Beteiligter aber letztlich nicht die Richtlinie zur unmittelbaren Anwendung, vielmehr entfalten die dahinterstehenden allgemeinen Grundsätze resp. Grundrechte unmittelbare Wirkung.
Beide Ausnahmen greifen hier nicht. Weder ist die Beklagte (unmittelbar oder mittelbar) Teil der Staatsgewalt, noch werden im Falle einer Anwendung des nationalen Rechts allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder Grundrechte verletzt.
2.2 Die Ausführungen unter Ziffer 2.1. gelten entsprechend, soweit der Kläger die streitgegenständliche Widerrufsinformation hinsichtlich der Information über die Rechtsfolgen des Widerrufs für unzutreffend hält. Selbst wenn die erteilten Informationen nicht klar und prägnant wären und nicht den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie entsprächen, verbliebe es dabei, dass die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. greifen würde.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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