Europarecht

Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages im Wege des Schadensersatzes im Zusammenhang mit dem sogenannten „VW-Abgasskandal“

Aktenzeichen  72 O 825/18

Datum:
25.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50332
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
StGB § 263
EG-FGV § 4, § 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Täuschung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die Typzulassung, stellt dies keine Täuschung des Käufers eines vom sogenannten VW-Abgasskandals betroffenen Fahrzeugs im Sinne des § 263 StGB dar. (Rn. 16 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschriften der §§ 6, 27 EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Einbau der Motorsteuerungssoftware in einen vom sogenannten Abgasskandal betroffenen PKW begründet keinen Anspruch gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Vermögensinteressen des Käufers. (Rn. 31 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagtenpartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 17.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Landshut ergibt sich aus § 29 ZPO.
II.
Die Klage erweist sich jedoch als unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz.
1. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Hier fehlt es bereits an einer relevanten Täuschung.
Soweit möglicherweise seitens der Beklagten die für die Typzulassung zuständigen Behörden getäuscht wurden, stellt dies keine Täuschung im Sinne des § 263 StGB dar, da eine solche eine Vermögensverfügung des getäuschten Irrenden voraussetzt, welche nicht dargelegt ist.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass er seitens der Beklagten selbst direkt getäuscht wurde, ist dies nicht der Fall. Eine Täuschung durch aktives Tun ist nicht gegeben.
Wenn durch die Klägerin in diesem Zusammenhang sinngemäß vorgetragen wird, dass die beworbene Umweltfreundlichkeit des Fahrzeuges ein wesentliches Kaufargument war ist anzumerken, dass es sich bei dem Begriff der „Umweltfreundlichkeit“ um einen sehr subjektiven handelt. Eine Täuschung im strafrechtlichen Sinne kann daher nicht angenommen werden bzw. ist nicht ausreichend dargelegt. Dies gilt insbesondere, wenn vorgetragen wird, dass gerade das Abgasverhalten und hier konkret die Stickoxidwerte des Fahrzeuges die eigene Kaufentscheidung maßgeblich beeinflusst hat. Hierzu fehlt jeder konkrete Vortrag. Entgegen der Ansicht der Klägerin greift auch keine von der Beklagten zu widerlegende Vermutung, dass die Klägerin die Stickoxidwerte des Fahrzeuges zur Kenntnis genommen hat und ihrer Kaufentscheidung zugrundegelegt hat, nachdem erfahrungsgemäß bei den meisten Autokäufern der Verbrauch des Fahrzeuges und die Leistung die Hauptkaufargumente darstellen und daneben lediglich das Vorliegen einer bestimmten Typgenehmigung von Bedeutung ist. Eine solche liegt jedoch vor.
Eine Täuschung der Klägerin durch die Beklagte über die Einhaltung der Grenzwerte nach Euro-5 liegt weiterhin bereits aus dem Grund nicht vor, da diese innerhalb des NEFZ eingehalten werden und es auf die Einhaltung der Grenzwerte außerhalb dieser Parameter nicht ankommt (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Urteil vom 24.01.2018, Az. 6 K 12341/17). Aus diesem Grund liegt auch keine Täuschung über die Gültigkeit der Bescheinigungen nach §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV vor.
Hinreichend dargelegt ist allenfalls eine Täuschung über das streitgegenständliche Fahrzeug hinsichtlich der Verwendung einer unzulässigen Abschalteeinrichtung durch Unterlassen. Zwar ist nach Ansicht des Gerichts unter Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 15.10.2015 davon auszugehen, dass die Beklagte den Motor des streitgegenständlichen Pkws mit einer unzulässigen Abschalteeinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen hat. Insoweit ist allerdings keine Täuschungshandlung der Beklagten ersichtlich, sondern allenfalls eine Täuschung durch Unterlassen, für welche es aber an einer Garantenstellung der Beklagten gemäß § 13 StGB fehlt. Eine solche liegt dann vor, wenn eine Person rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein strafrechtlich missbilligender Erfolg nicht eintritt. Hierzu muss diese Person rechtlich verpflichtet sein, eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügt nicht (BGH, Urteil vom 02.12.2014, Az. VI ZR 501/13). Dies ist im Kaufvertragsrecht insbesondere bei wertbildenden Faktoren der Kaufsache der Fall.
Eine Aufklärungspflicht der Beklagten würde danach dann bestehen, wenn tatsächlich infolge der Verwendung der unzulässigen Abschalteeinrichtung die EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug erloschen wäre. Diese ist jedoch nicht erloschen. Denn die maßgebliche Vorschrift des § 19 Abs. 7, Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO gilt nicht für den hier allenfalls vorliegenden Fall, dass ein Fahrzeug schon vor Inverkehrbringen durch den Hersteller nicht der maßgeblichen Typgenehmigung entspricht (LG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2017, Az. 11 O 3826/16, RdNr. 46, zitiert nach Beck-Online). § 19 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 7 StVZO sieht ein Erlöschen der Typgenehmigung für den Fall vor, dass an dem Fahrzeug Änderungen vorgenommen werden, durch die bereits eine einfache Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu erwarten ist. Gelte dies auch für Änderungen vor Inverkehrbringen des Fahrzeuges durch den Hersteller, so hätte die zeitlich nachfolgend in Kraft getretene Vorschrift des § 25 Abs. 3 Nr. 3 EG-FGV, die den Widerruf der Typgenehmigung erst dann ermöglicht, wenn von dem Fahrzeug ein erhebliches Risiko für die Verkehrssicherheit ausgeht und welche der Behörde zudem ein Ermessen einräumt, keinen Anwendungsbereich (LG Braunschweig, a.a.O.). Es droht auch keine Entziehung der entsprechenden Typgenehmigung, da das Kraftfahrtbundesamt in seinem (gerichtsbekannten) Bescheid vom 15.10.2015 eine solche gerade nicht in die Wege geleitet, sondern Nebenbestimmungen zu dieser angeordnet hat.
Weiterhin besteht auch die Zulassung nach der Euro-5-Norm entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin fort. Die entsprechende Genehmigung gilt auch nach der Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes fort. Auch hat die Klägerin keine konkreten Angaben der Beklagten dargelegt, wonach das streitgegenständliche Fahrzeug im realen Straßenverkehr die Emissionsgrenzwerte nach der Euro-5- Norm einhalte oder die Messung auf dem Rollenprüfstand nach dem NEFZ den Schadstoffausstoß im Realbetrieb wenigstens annähernd abbilde. Auch konkret falsche Angaben der Beklagten zum Stickoxidausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeuges sind nicht dargelegt.
Soweit vorgebracht wird, dass aufgrund der streitgegenständlichen Abschalteeinrichtung beim Fahrzeug ein merkantiler Minderwert verblieben sei und es sich aus diesem Grund um einen wertbildenden Faktor gehandelt habe, ist dem nicht zu folgen. Die Rechtsprechung zum Rücktritt vom Kaufvertrag, wonach bei sog. Unfallwägen ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung möglich ist, da der Charakter des Fahrzeuges als Unfallwagen und ein damit verbundener merkantiler Minderwert auch nach durchgeführter Reparatur verbleibt, kann auf die vorliegende Konstellation nicht übertragen werden. Denn eine vergleichbar am Markt gewonnene Erfahrung, dass sich die ursprüngliche Motorsteuerungssoftware auch nach ihrem Entfernen zwangsläufig preismindernd auswirkt, fehlt (LG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2017, Az. 11 O 3826/16, RdNr. 21, zitiert nach Beck-Online). Das Vorbringen stellt keine einer Beweiserhebung zugängliche Tatsachenbehauptung dar. Hier würde eine Beweiserhebung zum Thema Wertminderung eine unzulässige Ausforschung darstellen.
Auch aus Ingerenz erfolgt keine Garantenstellung der Beklagten. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn die verletzte Norm gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient. Die Vermögensinteressen des Klägers fallen jedoch nicht in den Schutzbereich der verletzten Norm des Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziffer 10 der EU-Verordnung VO 715/2007. Denn diese dienen nicht den Vermögensinteressen des Fahrzeugkäufers, sondern der Harmonisierung des Binnenmarktes und zielen auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung ab (Erwägungsgründe 2 und 3 der der Verordnung zugrundeliegenden Rahmenrichtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 05.09.2007).
Darüber hinaus liegt eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 263 StGB auch aus dem Grund nicht vor, da es an einer Stoffgleichheit zwischen dem Vermögensvorteil, nämlich ersparten Kosten und Marktvorsprung bei der Beklagten und dem bei der Klägerin nach eigener Darstellung eingetretenen Schaden in Höhe der behaupteten Wertminderung fehlt.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB ist somit nicht gegeben.
2. Entsprechendes gilt für § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV. Diesen Vorschriften fehlt der Schutzgesetzcharakter, weshalb auch dahinstehen kann, ob die Beklagte diese Vorschrift tatsächlich verletzt hat. Ein Schutzgesetz ist dann ein solches, wenn es zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen (Sprau in Palandt, BGB, 77. Aufl., § 823, RdNr. 58). Dabei kommt es auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten eben dieser Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder zumindest mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier §§ 6, 27 EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/45/EG – an (LG Braunschweig, Urteil vom 10.01.2018, Az. 3 O 622/17, RdNr. 27 mit Verweis auf BGH, EuGH-Vorlage vom 09.04.2015, Az. VII ZR 36/14).
Die Richtlinie 2007/46/EG bezweckt jedoch die Harmonisierung des Binnenmarktes und zielt auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung ab (vgl. Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie (s.o.)). Der Richtlinie ist nicht zu entnehmen, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte (LG Braunschweig, a.a.O., RdNr. 28).
Auch ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG-FGV scheitert an der fehlenden drittschützenden Wirkung.
3. Auch eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB scheidet entgegen der Ansicht des Klägers aus. Der Einbau der Motorsteuerungssoftware begründet keinen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Vermögensinteressen der Klägerin. Voraussetzung hierfür wäre eine gegen die guten Sitten verstoßende vorsätzliche Schadenszufügung zu Lasten der Klägerin durch die Beklagte. Bei der Prüfung, ob eine solche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung zu Inhalt und der Handlung sowie ihrer Folgen vorzunehmen. Allerdings ist auch hier die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen. In einem Verstoß gegen das Verbot unzulässiger Abschalteeinrichtungen gemäß Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziffer 10 der EU-Verordnung VO 715/2007 ist jedoch keine vorsätzliche Schädigung der Vermögensinteressen des einzelnen Pkw-Käufers zu sehen, nachdem die Beklagte als Hersteller nach dieser Norm den Vermögensinteressen der Käufer nicht verpflichtet ist. Denn wie dargelegt dienen die zitierte Verordnung und die zugrundeliegende Richtlinie 2007/46/EG der Harmonisierung des Binnenmarktes und zielen auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung ab (s.o.).
Die Beklagte hat die Klägerin auch nicht durch eine arglistige Täuschung bezüglich der Schadstoffemission vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Aussagen, die zur Typengenehmigung oder zu Werten in der Übereinstimmungsbescheinigung getroffen werden, beziehen sich immer auf die Emissionen im NEFZ. Nur diesbezüglich sind die Wertangaben in etwaigen Prospekten miteinander vergleichbar (LG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2017, Az. 11 O 3826/16, RdNr. 82, zitiert nach Beck-Online).
Ebenso führt auch das Verschweigen der Motorsteuerungssoftware nicht zu einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, da eine entsprechende Offenbarungspflicht nicht bestand (s.o.).
4. Auch ein Anspruch aus § 831 BGB ist mangels erfüllter deliktischer Haftungstatbestände nicht gegeben.
Insgesamt besteht damit kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, weder auf Rückabwicklung des Kaufvertrages noch auf Ersatz der getätigten Aufwendungen. Die Beklagte befindet sich daher auch nicht mit der Rücknahme des Fahrzeuges in Verzug.
III.
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 2 ZPO.
V.
Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff. ZPO festzusetzen.


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