Europarecht

Rückforderung und Teilrücknahme einer Greeningprämie

Aktenzeichen  RO 5 K 20.135

Datum:
15.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29411
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DelegiertenVO (EU) Nr. 23/2017 Art. 1 Abs. 4
VO (EU) Nr. 1306/2013 Art. 64 Abs. 5, Art. 77 Abs. 2 lit. a, lit. e
VO (EU) Nr. 1307/2013 Art. 46 Abs. 1
VO (EU) Nr. 640/2014 Art. 26

 

Leitsatz

1. Verhältnismäßigkeitserwägungen sind auch bei gebundenen Entscheidungen über den Entzug von aus Mitteln der europäischen Gemeinschaft finanzierten Beihilfen anzustellen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Geht die Aussaat aufgrund von ungewöhnlicher Trockenheit nicht auf, handelt es sich um einen Fall der höheren Gewalt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des AELF … vom 22.07.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 02.01.2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Parteien dazu ihr Einverständnis erteilt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Rückforderungsbescheid und Aufhebungsbescheid des Amtes für Landwirtschaft … vom 22.07.2019 und der Widerspruchsbescheid der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 02.01.2020 sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass er auf seinen Antrag vom 03.03.2018 hin für das Jahr 2018 Direktzahlungen ohne Kürzungen und Sanktionen für die Greeningprämie erhält.
1. Die rechtliche Verpflichtung des Klägers, bei der Teilnahme an der Basis-Prämien-Regelung für seinen Betrieb ein notwendiges Maß an ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) ausweisen zu müssen, ergibt sich aus Art. 46 VO (EU) Nr. 1307/2013, der die Flächennutzung im Umweltinteresse, Kapitel 3 der Verordnung, betrifft. Beträgt das Ackerland eines Betriebes mehr als 15 ha, wie hier im Falle des Klägers, so müssen die Betriebsinhaber ab dem 01.01.2015 nach Art. 46 Abs. 1 dieser Verordnung eine Fläche, die mindestens 5% des angemeldeten Ackerlandes des Betriebes entspricht, als im Umweltinteresse genutzte Flächen ausweisen. Die rechtliche Grundlage für die Kürzung der ökologischen Vorrangfläche bei einem Verstoß gegen diese Anforderungen ergibt sich aus Art. 26 Abs. 2 VO (EU) Nr. 640/2014 in der Fassung des Art. 1 Abs. 4 der Delegiertenverordnung-EU Nr. 723/2017 vom 16.02.2017. Ist danach die vorgeschriebene ökologische Vorrangfläche größer als die ermittelte ökologische Vorrangfläche, so wird von der Fläche, anhand deren die Ökologiesierungszahlung gemäß Art. 23 berechnet wird, das Zehnfache der nicht vorgefundenen ökologischen Vorrangfläche abgezogen. Zusätzlich kann auch noch eine Sanktion erfolgen. Die Voraussetzungen für eine Kürzung und einer Sanktion sind aber im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
2. Nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EU) Nr. 1306/2013 werden Verwaltungssanktionen nicht verhängt, wenn der Verstoß auf höhere Gewalt zurückzuführen ist oder nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. d) der VO (EU) Nr. 1306/2013, wenn der Verstoß geringfügigen Charakter hat. Zu den Verwaltungssanktionen gehören auch Kürzungen, die über den zu Unrecht bezahlte Betrag hinausgehen, wie sich aus Art. 63 Abs. 2 dieser Verordnung ergibt.
Verhältnismäßigkeitserwägungen sind auch bei gebundenen Entscheidungen über den Entzug von aus Mitteln der europäischen Gemeinschaft finanzierten Beihilfen anzustellen. Dies ergibt sich aus den gemeinschaftsrechtlichen Rahmenvorgaben für die Behandlung von Unregelmäßigkeiten bei der Gewährung und Verwendung von Beihilfen, wie sich aus der Verordnung EG, Euratom Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft vom 08.12.1995 und aus Art. 64 Abs. 5 der VO (EU) Nr. 1306/3013 ergibt, und auf welchen die in Art. 58 VO (EU) Nr. 1306/2013 übernommenen Regelungen beruhen (so auch VG Neustadt W.straße 9, Urt. v. 09.08.2019, Az. 2 K 127/19.NW, juris Rn. 31). Deshalb ist auch Art. 77 Abs. 2 Buchst. a) und e) der VO (EU) Nr. 1306/2013 anwendbar.
Im vorliegenden Fall liegt ein Fall höherer Gewalt nach Art. 77 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EU) Nr. 1306/2013 vor. Wie sich aus den eingeführten LMS vom 28.09.2018 ergibt, konnten die Ämter, wenn eine ordnungsgemäße Aussaat der Zwischenfrucht durchgeführt wurde und sich lediglich aufgrund der diesjährigen Trockenheit kein bzw. kein ausreichender Pflanzenbestand entwickelt hat, sowie wenn alle Förderbedingungen für diese Maßnahme erfüllt sind, dies als höhere Gewalt anerkennen. Wenn eine ordnungsgemäße Aussaat erfolgt war und auch sonstige Förderbedingungen erfüllt waren, war nicht einmal eine weitere Nachsaat erforderlich, um die Voraussetzungen der Anerkennung als ökologische Vorrangfläche zu erhalten. Der Kläger hatte aber unstreitig im Jahr 2018 alle Feldstücke, die er für ökologische Vorrangfläche beantragt hatte, mit den erforderlichen Zwischenfrüchten bereits rechtzeitig angesät, doch ging die Aussaat aufgrund der Trockenheit nicht auf. Dies hätte als höhere Gewalt anerkannt werden müssen. Der Kläger hätte nicht einmal, wie er es aber gemacht hat, nochmals Zwischenfrüchte nachbauen müssen. Der Beklagte kann dem Kläger nicht vorhalten, dass er nicht rechtzeitig einen Fall höherer Gewalt beantragt hat. Denn für die Frist zur Meldung eines Falles höherer Gewalt gab es keinen Stichtag, sondern die Meldung musste innerhalb von 15 Arbeitstagen ab dem Zeitpunkt, ab dem der Begünstigte dazu in der Lage ist, schriftlich erfolgen. Der Kläger hat diese Frist auch noch eingehalten, als er im Widerspruchsverfahren erfuhr, dass er einen solchen Antrag stellen muss. Es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger die maßgeblichen LMS, insbesondere vom 28.09.2018, bekannt waren. Unabhängig davon war es für den Kläger nicht erforderlich, die Feldstücke, auf denen er die Zwischenfrucht nochmals nachgesät hatte, als Fälle höherer Gewalt zu melden, da eine solche Nachtsaat mit Zwischenfrüchten ohnehin als ÖVF anerkannt werden mussten. Der Beklagte hat deshalb auch die Feldstücke, auf denen dies der Fall war, als ÖVF-Flächen anerkannt. Nur die ersatzweise Aussaat der ÖVF-Zwischenfrucht auf Feldstück 6 im Umfang von 1,46 ha statt auf Feldstück 37 hat der Beklagte nicht anerkannt, weil der Kläger diese Fläche nicht rechtzeitig angemeldet habe. Nach dem LMS vom 28.09.2018 bewirkt die Anerkennung einer höheren Gewalt, dass die Nichteinhaltung der Verpflichtung zu keiner Sanktion oder Rückforderung führt, selbst wenn keine Aussaat erfolgt. So muss auch bei Feldstück 37 verfahren werden, erst Recht deshalb, weil der Kläger ja sogar noch ersatzweise eine ÖVF-Zwischenfrucht auf Feldstück 6 angebaut hatte. Wenn der Kläger dafür keine Änderungsanzeige abgegeben hat, trifft ihn dafür kein Verschulden, da er dies nicht wissen konnte.
Nach dem LMS vom 13.09.2018 war eine Änderungsanzeige im Bereich ÖVF-Zwischenfrucht nicht erforderlich. Aus dem LMS vom 13.09.2018 ergibt sich, dass nach Inkrafttreten der Änderungsverordnung voraussichtlich Ende September, Anfang Oktober es für das Jahr 2018 möglich ist, in Gebieten mit Futtermangel infolge ungünstiger Witterungssituation die Futternutzung von ÖVF-Zwischenfrüchten oder ÖVF-Untersaaten allgemein freizugeben und zwar ohne Beschränkung des Nutzungszeitraums und ohne, dass es zuvor einer Genehmigung oder eines Anzeigeverfahrens bedarf, Blatt 68 der Gerichtsakte. Der Kläger konnte vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass er bei einer Flächenänderung für ÖVF-Zwischenfrüchten doch eine Änderungsanzeige notwendig ist. Es war also keine Änderungsanzeige für FS 6 erforderlich. Deshalb hätte im vorliegenden Fall weder eine Kürzung noch eine Sanktion erfolgen dürfen.
Unabhängig davon hätte der hier angenommene Verstoß auch nur einen geringfügigen Charakter im Sinne des Art. 77 Abs. 2 Buchst. e) der VO (EU) Nr. 1306/2013.
Es läge deshalb nur ein Verstoß geringfügigen Charakters vor, weil der Kläger alle Verpflichtungen der oben angeführten Gesetze und Verordnungen eingehalten hat und lediglich aufgrund höherer Gewalt, nämlich der ungewöhnlichen Trockenheit und des starken Regens die angebauten Zwischenfrüchte nicht aufgingen. Der Kläger hat aber, obwohl er nach den oben angegebenen LMS nicht mehr dazu verpflichtet gewesen wäre, gleichwohl nochmals die angemeldeten Feldstücke mit Ausnahme von Feldstück 37 mit Zwischenfrüchten angesät und hat zusätzlich statt Feldstück 37 das Feldstück 6 mit Zwischenfrüchten angebaut. Die unterlassene Änderungsanzeige für Feldstück 6 kann als geringfügiger Verstoß angesehen werden, da das Flurstück mit Zwischenfrüchten angebaut wurde und der ökologische Zweck erfüllt wurde (vgl. dazu auch VG Neustadt, a.a.O. Rn. 39). Der Kläger hatte damit doppelte Investitionen und Ausgaben für die ÖVF-Flächen. Im Vergleich zu einem Landwirt, der überhaupt keine ökologischen Vorrangflächen zur Verfügung gestellt hat und dafür auch keine Investitionen und Arbeit aufgewandt hat, hat der Kläger Arbeit und Investitionen aufgewandt, und die ausgewiesenen Flächen noch rechtzeitig mit den vorgeschriebenen Fruchtarten angesät. Die vom Kläger geschaffenen ÖFV-Flächen haben eine positive ökologische Wirkung gehabt. Dies kann nicht mit Fällen verglichen werden, bei denen der Landwirt überhaupt keine Arbeit und Investitionen getätigt hat und eine vegetationslose Fläche über den Winter lässt (so Fallkonstellation beim Verwaltungsgericht München, Urt. v. 15.11.2019, Az. M 32 K 18.508). Deshalb hatte der Verstoß nur geringfügigen Charakter. Eine Kürzung mit dem Faktor 10 und eine zusätzliche Sanktion ist deshalb nicht gerechtfertigt.
Es war daher der Klage im vollen Umfange stattzugeben. Der Beklagte hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung mit Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO.


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