Europarecht

Rücknahmebescheid im Rahmen des bayerischen 10.000-Häuser-Programms

Aktenzeichen  Au 8 K 17.1909

Datum:
17.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16995
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 49 Abs. 2a S. 1 Nr. 1, Nr. 2
BGB § 130 Abs. 1 S. 1, § 133, § 145, § 146, § 147 Abs. 2, § 157
BayHO Art. 23, Art. 44 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Unter der Geltung der Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms (Stand: 4. April 2016) stellt die Abgabe eines (verbindlichen) Angebots keinen förderschädlichen Maßnahmenbeginn dar (abweichend VG Würzburg, U.v. 16.4.2018 – W 8 K 18.34 – juris Rn. 40 ff.). (Rn. 33 – 41)

Tenor

I. Der Rücknahmebescheid der Regierung von … vom 7. Dezember 2017 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die auf Aufhebung des Bescheids vom 7. Dezember 2017 gerichtete Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 7. Dezember 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Beklagte stützt die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 10. Juni 2016, mit dem dem Kläger eine einmalige Zuwendung in Höhe von 8.000,00 € für eine netzdienliche Photovoltaikanlage im Rahmen des bayerischen 10.000-Häuser-Programms gewährt wurde, auf Art. 48 Abs. 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG).
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit zurückgenommen werden. Soweit durch den Verwaltungsakt ein rechtlicher erheblicher Vorteil begründet wurde, insbesondere eine – wie vorliegend – einmalige Geldleistung gewährt wurde, müssen die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG erfüllt sein.
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG liegen nicht vor, der Zuwendungsbescheid vom 10. Juni 2016 ist entgegen der Auffassung des Beklagten rechtmäßig. Allein die Unterzeichnung des „Auftrags über die Lieferung und Erstellung eines Fertighauses“ der Baumfirma am 29. September 2015 durch den Kläger stellt keinen förderschädlichen Maßnahmenbeginn dar.
a) Nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 23 BayHO dürfen staatliche Zuwendungen nur dann gewährt werden, wenn ein erhebliches staatliches Interesse an der Zweckerfüllung besteht, das ohne die Zuwendung nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann. Einen Verstoß gegen Art. 23 BayHO stellt es dar, wenn Zuwendungen einem Empfänger gewährt werden, der das erhebliche staatliche Interesse an der Zweckerfüllung auch befriedigt, ohne dass ihm hierfür staatliche Zuwendungen gewährt werden. Ein solcher Empfänger gibt zu erkennen, dass er das Vorhaben auch ohne staatliche Zuwendungen verwirklichen will (BayVGH, B.v. 6.12.2016 – 22 ZB 16.2037 – juris Rn. 18). Zusätzlich zu diesem förderrechtlichen Grundsatz soll durch die Genehmigung des vorzeitigen Maßnahmenbeginns sichergestellt werden, dass der Staat regelmäßig die Möglichkeit hat, auf die Ausgestaltung des Vorhabens Einfluss zu nehmen, um so die Erreichung des staatlicherseits erwünschten Zwecks sicherzustellen. Bei einem förderschädlichen Maßnahmenbeginn vor der Prüfung der Maßnahme wäre diese Einflussmöglichkeit nicht mehr gegeben (VG München, U.v. 2.6.2016 – M 15 K 13.5005 – juris Rn. 50; VG Würzburg, U.v. 16.4.2018 – W 8 K 18.34 – juris Rn. 40).
Dementsprechend bestimmt Nr. 1.3 der Verwaltungsvorschriften zu Art. 44 BayHO, dass Zuwendungen nur für solche Vorhaben bewilligt werden dürfen, die noch nicht begonnen worden sind. Nach Nr. 1.3.1 der Verwaltungsvorschriften zu Art. 44 BayHO ist als Vorhabenbeginn grundsätzlich der Abschluss eines der Bauausführung zuzurechnenden Lieferungs- und Leistungsvertrags zu werten.
Auch gemäß Ziffer 6.1 Satz 1 und 3 der Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms in Form der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 29. Juli 2015 (Az.: 91-9151/3/1), zuletzt geändert am 4. April 2016 (Az.: 91-9151/3/5), darf „mit der Durchführung der zu fördernden Maßnahme nicht vor dem Eingang des elektronischen Förderantrags bei der Bewilligungsstelle begonnen werden. […] Als Maßnahmenbeginn gilt der Abschluss eines der Ausführung zuzurechnenden Lieferungs- oder Leistungsvertrags“.
b) Ein solcher der Ausführung zuzurechnender Lieferungs- oder Leistungsvertrag wurde vom Kläger am 29. September 2015 nicht abgeschlossen. Der in den Verwaltungsvorschriften zu Art. 44 BayHO sowie in den Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms verwendete Begriff des „Abschlusses“ eines Vertrags ist dahingehend zu verstehen, dass ein Vertrag geschlossen werden muss. Dafür sprechen der Wortlaut der gerade genannten Regelungen sowie auch die oben dargelegten förderrechtlichen Grundsätze. Erst wenn eine rechtliche Bindung eintritt, gibt ein Empfänger zu erkennen, dass er das Vorhaben auch ohne staatliche Zuwendungen verwirklichen will.
Der Vertrag über die Lieferung und Herstellung eines Fertighauses zwischen dem Kläger und der Baufirma ist jedoch nicht am 29. September 2015 zu Stande gekommen, sondern erst mit dem Zugang des als „Auftragsbestätigung“ versendeten Dokuments vom 22. Oktober 2015 beim Kläger (Bl. 173 der Behördenakte).
Unabhängig davon, wie der geschlossene Vertrag rechtlich zu qualifizieren ist, kommt ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Antrag und Annahme, zu Stande, §§ 145 ff. BGB. Das Dokument „Auftrag zur Lieferung und Erstellung Ihres … – Hauses“ vom 29. September 2015 stellt einen Antrag des Klägers dar, § 145 BGB. Dies ergibt sich durch Auslegung dieser Erklärung gemäß §§ 133, 157 BGB, da die Baufirma als Erklärungsempfängerin nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte diese als Angebot auf Abschluss eines Vertrags zur Lieferung und Erstellung eines Fertighauses verstehen musste (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 133 Rn. 9). Dies ergibt sich insbesondere auch aus § 1 Nr. 1 Satz 1 der „Vertragsbedingungen“ der Baufirma vom Juli 2015. Danach gibt der Auftraggeber „sein vollständiges und abschließendes Angebot unterschriftlich im Formular „Auftrag zur Lieferung und Erstellung eines …-Hauses“ ab“.
Dieses Angebot nahm die Baufirma durch die „Auftragsbestätigung“ vom 22. Oktober 2015 (Bl. 173 der Behördenakte) an. Nicht maßgeblich war somit das klägerseits angeführte Dokument vom 1. Dezember 2015. Die „Auftragsbestätigung“ vom 22. Oktober 2015 stellt die Annahmeerklärung (§ 147 BGB) dar, da der Kläger als Erklärungsempfänger diese nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Annahme seines Angebots auf Abschluss eines Vertrags zur Lieferung und Erstellung eines Fertighauses verstehen musste (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, § 133 Rn. 9). Dies ergibt sich wiederum insbesondere aus § 1 Nr. 1 Satz 3 der „Vertragsbedingungen“ der Baufirma vom Juli 2015. Danach kommt der Vertrag zu Stande mit dem „Zugang der schriftlichen Annahmeerklärung (Auftragsbestätigung) des Angebots durch den Auftragsnehmer“. Wann vorliegend dem Kläger die „Auftragsbestätigung“ zugegangen ist, kann dahinstehen. Da die „Auftragsbestätigung“ vom 22. Oktober 2015 datiert, ist es auf jeden Fall nach dem 13. Oktober 2015 zu einem Zugang i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB gekommen. Damit ist der zwischen dem Kläger und der Baufirma geschlossene Vertrag auch erst nach der Erteilung der Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmenbeginn vom 13. Oktober 2015 zu Stande gekommen. Ein förderschädlicher frühzeitiger Maßnahmenbeginn liegt somit nicht vor.
c) Diesem Ergebnis steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass gemäß § 1 Nr. 1 Satz 2 der „Vertragsbedingungen“ der Baufirma vom Juli 2015 der Auftraggeber an sein Angebot „ab der Abgabe für vier Wochen unwiderruflich gebunden“ ist. Diese Bindung gibt nur die Gesetzeslage wieder. Gemäß § 145 BGB ist derjenige, der einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat. Nach § 146 BGB erlischt der Antrag, wenn er dem Antragenden gegenüber abgelehnt oder wenn er nicht diesem gegenüber nach den §§ 147 bis 149 BGB rechtzeitig angenommen wird. Der einem Abwesenden gemachte Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf, § 147 Abs. 2 BGB.
Da der Kläger eine Gebundenheit an seinen Antrag vom 29. September 2015 ausweislich der Vertragsunterlagen nicht ausgeschlossen hat und eine Ablehnung des Antrags durch die Baufirma nicht erfolgt ist, war der Kläger bis zum Verstreichen der Annahmefrist an seinen Antrag gebunden. Die Dauer der Annahmefrist ergibt sich aus § 147 Abs. 2 BGB, da der Antrag postalisch gegenüber einem Abwesenden erfolgte. Bei einem Antrag auf Abschluss eines Vertrages zur Lieferung und Herstellung eines Fertighauses kann der Antragende den Eingang einer Antwort unter regelmäßigen Umständen (zumindest) innerhalb von vier Wochen erwarten. Die Annahmefrist des § 147 Abs. 2 BGB setzt sich zusammen aus der Zeit für die Übermittlung des Antrags an den Erklärungsempfänger, dessen Bearbeitungs- und Überlegzeit sowie der Zeit für die Rückübermittlung der Antwort an den Antragenden (Ellenberger in Palandt, BGB, § 147 Rn. 6). Hier beträgt die Bearbeitungs- und Überlegzeit der Baufirma nach glaubwürdiger Aussage des in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2018 vernommenen Zeugen vier bis sechs Wochen. Dies erscheint angesichts der Tatsache, dass es sich bei einem Wohnhaus um ein größeres und komplexeres Vorhaben handelt, sowie der Tatsache, dass die Baufirma unter anderem die Kalkulationen des Vertragsvermittlers überprüfen muss, als angemessen. Somit begründet § 1 Nr. 1 Satz 2 der „Vertragsbedingungen“ der Baufirma vom Juli 2015 keine weitergehende Bindung als sie ohnehin von Gesetzes wegen schon besteht.
d) Von den vorstehenden Ausführungen ist auch unter Berücksichtigung der Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Würzburg (VG Würzburg, U.v. 16.4.2018 – W 8 K 18.34 – juris) zum förderschädlichen frühzeitigen Maßnahmenbeginn nicht abzuweichen.
Zwar führt das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Urteil aus, dass „nach dem Sinn und Zweck der Vorbeginnklausel schon die rechtsverbindliche Bestellung (Auftragsvergabe) erfasst ist, die der Betreffende nicht mehr einseitig rückgängig machen kann“ (VG Würzburg, U.v. 16.4.2018 – W 8 K 18.34 – juris Rn. 40). Dieser Auffassung schließt sich das entscheidende Gericht jedoch für den vorliegenden Sachverhalt nicht an. Wie oben bereits ausgeführt ist für das Vorliegen eines förderschädlichen Maßnahmenbeginns allein der Abschluss eines Vertrags maßgeblich und nicht die bloße Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Vertrags. Ziffer 6.1 Satz 5 der Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms in Form der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 16. März 2017 (Az.: 91-9151/8/1), zuletzt geändert am 24. Januar 2018 (AllMBl. S. 189), die für den Zeitpunkt des förderschädlichen Maßnahmenbeginns nun ausdrücklich auf die „Abgabe einer bindende[n] Willenserklärung des Antragstellers zum Vertragsschluss“ abstellt, kann mangels Anwendbarkeit nicht in die streitgegenständliche Fassung der Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms (Stand: 4. April 2016) hineingelesen werden. Zudem stellt auch das vom Beklagten in Bezug genommene Merkblatt A bei der Definition des Maßnahmenbeginns auf die „Unterzeichnung des ersten Auftrags für Bauleistungen (z.B. Bauvertrag)“ ab. In einer Gesamtbetrachtung dieses Merkblatts A sowie Nr. 1.3.1 der Verwaltungsvorschriften zu Art. 44 BayHO und Ziffer 6.1 Satz 1 und 3 der Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms in Form der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 29. Juli 2015 (Az.: 91-9151/3/1), zuletzt geändert am 4. April 2016 (Az.: 91-9151/3/5) ist allein der Abschluss eines rechtsverbindlichen Vertrags maßgeblich für den Zeitpunkt des Maßnahmenbeginns. Im Übrigen würden diesbezügliche Zweifel zu Lasten des Beklagten gehen.
Dem steht auch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Dezember 2016 (BayVGH, B.v. 6.12.2016 – 22 ZB 16.2037 – juris) nicht entgegen. Unter Berücksichtigung des Urteils der Vorinstanz (VG München, U.v. 2.6.2016 – M 15 K 13.5005 – juris) ist mit dem Begriff der „Auftragsvergabe“ (BayVGH, B.v. 6.12.2016 – 22 ZB 16.2037 – juris Rn. 3, 12, 16 u.a.) der Abschluss eines Vertrags (VG München, U.v. 2.6.2016 – M 15 K 13.5005 – juris Rn. 49, 54) gemeint. Ein derartiger rechtsverbindlicher Vertragsabschluss ist vorliegend jedoch, wie oben im Einzelnen dargelegt, nicht gegeben.
3. Auch die Voraussetzungen für einen Widerruf des Zuwendungsbescheids vom 10. Juni 2016 gemäß Art. 49 Abs. 2a BayVwVfG liegen nicht vor. Da der Kläger die Leistung nicht erhalten hat, scheidet Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG begrifflich schon aus. Auch Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 BayVwVfG liegt nicht vor, da mit dem Zuwendungsbescheid vom 10. Juni 2016 keine Auflage verbunden war, gegen die der Kläger verstoßen hat.
Nach alledem war der Bescheid der Regierung von … vom 7. Dezember 2017 aufzuheben.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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