Europarecht

Rücküberstellungsfrist bei Kirchenasyl

Aktenzeichen  5 ZB 17.50044

Datum:
10.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6911
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 138
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1 Hat der Kläger seinen Aufenthalt im Kirchenasyl nicht rechtzeitig mitgeteilt, konnte die Behörde davon ausgehen, dass er untergetaucht ist. Damit hat sich die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist ein Rechtsbehelf iSv Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO; die sechsmonatige Überstellungsfrist beginnt mit der Zustellung der Eilentscheidung zu laufen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Frage, ob Abschiebungshindernisse bezüglich Finnlands vorliegen, kann keine Berücksichtigung finden, weil dieser Zulassungsgrund in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 17.50070 2017-08-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG sind im Zulassungsantrag die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in der Zulassungsbegründung des Klägers hinsichtlich der Frage, ob Abschiebungshindernisse bezüglich Finnland vorliegen, kann keine Berücksichtigung finden, weil dieser Zulassungsgrund in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben ist (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).
2. Der Rechtssache kommt auch nicht die vom Kläger dargelegte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob die Inanspruchnahme von Kirchenasyl durch einen Asylbewerber die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO von sechs auf 18 Monate verlängert, ist hier aus mehreren Gründen nicht entscheidungserheblich.
a) Wenn ein Urteil nebeneinander auf mehrere je selbständig tragende Begründungen gestützt ist, kann ein Rechtsmittel nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (BVerwG, B.v. 26.5.1993 – 4 NB 3.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 80 = NVwZ 1994, 269; BVerwG, B.v. 17.12.2010 – 9 B 60.10 – BayVBl 2011, 352; BayVGH, B.v. 14.9.2017 – 11 ZB 17.31124 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 13a ZB 13.30158 – juris Rn. 6; Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).
Unabhängig von der vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 8. August 2017 (UA S. 4) ausgeführt, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO hier frühestens mit Ablauf des 11. September 2017 ablaufe, weil der Kläger ein Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO durchgeführt habe, das einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO darstelle (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.2016 – 1 C 15.15 – NVwZ 2016, 1185), sodass die sechsmonatige Überstellungsfrist erst mit der Zustellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren, hier am 11. März 2017, zu laufen begonnen habe. Damit war nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts die sechsmonatige Überstellungsfrist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht abgelaufen, sodass es auf die Verlängerung der Frist durch etwaiges Untertauchen des Klägers (Kirchenasyl) gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nicht mehr ankommt. Dass diese Frist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits abgelaufen ist, ist – unabhängig von der Frage, ob der Kläger bis dahin nach Finnland überstellt wurde – nicht maßgeblich, weil insoweit kein Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 AsylG vorliegt, jedenfalls aber vom Kläger keiner dargelegt wird (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Der Kläger setzt sich in der Zulassungsbegründung mit dieser Frage nicht auseinander.
b) Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage ist hier auch deshalb nicht entscheidungserheblich, weil der Kläger die Inanspruchnahme von Kirchenasyl dem Beklagten nicht, der zuständigen Ausländerbehörde jedenfalls nicht rechtzeitig mitgeteilt hat.
Aus den vom Beklagten vorgelegten Akten ergibt sich, dass die Regierung von Oberfranken der Beklagten mit Schreiben vom 30. März 2017 gemeldet hat, dass der Kläger mindestens seit 28. März 2017 unbekannten Aufenthalts sei. Die Beklagte vermerkte sodann: „Ende der Überstellungsfrist nach ubv: 3.9.2018“. Dies teilte die Beklagte mit Schreiben vom 3. April 2017 den finnischen Behörden und der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung von Oberfranken (ZAB Bamberg) mit.
Eine Meldung des Klägers an die Beklagte über seinen neuen Aufenthaltsort ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen. Erst mit Schreiben vom 7. April 2017 teilte die Kirchenstiftung unter Nennung ihrer Adresse dem Verwaltungsgericht und der ZAB Bamberg mit, es werde bestätigt, dass sie dem Kläger seit 30. März 2017 Kirchenasyl gewähre. Die Beklagte trug mit Schriftsatz vom 6. Februar 2018 vor, dass sie die Mitteilung über das Kirchenasyl erst durch das Verwaltungsgericht Bayreuth am 19. April 2017 erreicht habe. Demgegenüber konnte der Kläger in seiner Erwiderung mit Schriftsatz vom 1. März 2018 keine vorherige Meldung an die Beklagte und auch keine frühere Mitteilung als mit Schreiben vom 7. April 2017 an die ZAB Bamberg nachweisen. Dass die Kirchenstiftung von einer „Bestätigung“ spricht, ist kein Indiz für eine vorherige Meldung. Zumindest gegenüber der ZAB Bamberg wäre eine solche Bestätigung dann überflüssig gewesen. Im Übrigen hat die ZAB Bamberg noch in einer E-Mail vom 11. April 2017 an die Beklagte bezüglich der Verlängerung der Überstellungsfrist angefragt, ohne den neuen Aufenthaltsort des Klägers zu nennen. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls vom 28. März 2017 bis zum Eingang der Meldung vom 7. April 2017 bei der ZAB Bamberg untergetaucht war. Damit hatte sich bereits vorher die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, was den finnischen Behörden in dem Zeitraum, in dem der Kläger untergetaucht war, auch mitgeteilt worden war.
Dass das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen von einem „offenen Kirchenasyl“ spricht, und dieses nach dem Vortrag des Klägers nur vorliegen soll, wenn es rechtzeitig gemeldet wird, führt nicht dazu, dass der vom Kläger formulierten Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt. Denn einerseits war die Frage des Vorliegens eines offenen Kirchenasyls für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, weil es davon ausging, dass die Inanspruchnahme von Kirchenasyl die Überstellungsfrist unabhängig von einer Meldung verlängert. Aber selbst wenn das Verwaltungsgericht von einem anderen Sachverhalt ausgegangen wäre, könnte die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage nicht geklärt werden, weil sie auch in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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