Europarecht

Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfall

Aktenzeichen  20 O 7495/18

Datum:
5.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53878
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 116
BGB § 195, § 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1, § 404, § 412
StVG § 7, § 18

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Beklagten sind dem Kläger nicht zum Ersatz seiner Schäden aus übergegangenem Recht verpflichtet. Diesbezügliche Ansprüche sind jedenfalls nicht durchsetzbar. Die von Beklagtenseite geltend gemachte Verjährungseinrede greift durch, § 214 Abs. 1 BGB.
Die Verjährungsfrist war zum Zeitpunkt des Übergangs des Anspruchs nach § 116 Abs. 1 SGB X bereits abgelaufen (I.), ohne dass dem ein Hemmungstatbestand entgegenstand (II.).
I. Nach §§ 412, 404 BGB muss der Kläger als neuer Gläubiger die zum Zeitpunkt des Anspruchsübergangs objektiv bereits begründete Verjährungseinrede aus dem Schuldverhältnis mit dem Altgläubiger gegen sich gelten lassen, ohne dass es auf deren Erhebung ankommt.
1. Die Ansprüche gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 3.6.1988 gemäß §§ 7, 18 StVG und § 823 BGB unterliegen nach § 195 BGB einer dreijährigen Verjährungsfrist. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt der Fristlauf mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Hinsichtlich §§ 412, 404 BGB muss sich der Neugläubiger – auch im Fall des § 116 SGB X – die Kenntnis des Altgläubigers i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zurechnen lassen (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Auflage, 2019, § 404 Rn. 5).
Vorliegend sind die Schadenersatzansprüche des Geschädigten U. bereits im Zeitpunkt des schädigenden Unfallereignisses auf den damaligen Sozialhilfeträger, den Bezirk O… nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war angesichts der Schwere der Verletzungen ernsthaft mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zu rechnen (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.1996, VI 271/94).
2. Entscheidend war hier, dass die dreijährige Verjährungsfrist bereits mit Schluss des Jahres zu laufen begonnen hat, in dem der Bezirk O… Kenntnis von den übergegangenen Ansprüchen erhielt, mithin spätestens mit Ablauf des Jahres 1991.
Der spätere Wechsel der örtlichen Zuständigkeit, bis zur Begründung der Zuständigkeit des Klägers stellt sich lediglich als „Rechtsnachfolge“ dar. Durch den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers erfolgt ein gesetzlicher Forderungsübergang vom zuvor zuständigen Sozialhilfeträger nach § 116 Abs. 1 SGB X, so dass über § 412 BGB auch § 404 BGB Anwendung findet und dessen Kenntnis im Rahmen von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zuzurechnen ist.
Demgegenüber folgt die Gläubigerstellung des Klägers nicht aus einer (latenten) Gesamtgläubigerschaft durch Anspruchsübergang vom Geschädigten selbst nach § 116 Abs. 1 SGB X. Als Folge kann daher nicht, wie von Klägerseite vorgebracht, auf eine eigene „originäre“ Kenntnis der übergegangenen Ansprüche im Jahr 2015 abgestellt werden.
Mit Blick auf nacheinander leistungspflichtige Sozialversicherungsträger wird höchstrichterlich eine Anwendung des § 116 Abs. 1 SGB X im Sinne einer „Rechtsnachfolge“ bejaht, wenn gleichartige Versicherungsleistungen geschuldet werden (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 391/13). Für den Fall des örtlichen Wechsels der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers wurde diese Frage vom BGH bislang explizit offen gelassen (BGH, Urteil vom 14.03.2017 – VI ZR 226/16).
Aus Sicht des Gerichts steht § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X einer Anwendung auch für Fälle des Wechsels des Sozialhilfeträgers nicht entgegen.
a) Bereits der Wortlaut lässt keine Beschränkung auf den Wechsel der Sozialversicherung erkennen. Die Norm stellt vielmehr den Anspruchsübergang auf Sozialversicherungsträger der cessio legis auf Sozialhilfeträger gleich.
Voraussetzung hierfür ist allein die Verpflichtung des Trägers zur Erbringung von Sozialleistungen auf Grund des Schadensereignisses, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadenersatz beziehen. Dies ist auch bei einer zeitlich nachfolgend begründeten Zuständigkeit verschiedener Sozialhilfeträger der Fall, sofern – wie vorliegend – eine sachliche und zeitliche Kongruenz der Leistungen besteht.
Wären hingegen von Seiten des Gesetzgebers hinsichtlich des Forderungsübergangs auf Sozialhilfeträger unterschiedliche Regeln vorgesehen gewesen, also etwa eine Gesamtgläubigerschaft, liegt es nahe, dass kein Alternativverhältnis („oder“) zu den Sozialversicherungsträgern gewählt worden wäre. Die offene, auch als Plural zu deutende Formulierung „Träger der Sozialhilfe“ lässt sich im Gegensatz zum Singular „den Versicherungsträger“ dadurch erklären, dass dieser – anders als der Sozialversicherungsträger – im Zeitpunkt des Anspruchsübergangs noch nicht feststeht und nach Antragsstellung erst in örtlicher Hinsicht nach § 98 SGB XII bestimmt werden muss.
Auch das von der Rechtsprechung geprägte Korrektiv der „Gleichartigkeit der geschuldeten Versicherungsleitungen“ (vgl. BGH VersR 1999, 382) für den Fall des Anspruchsübergangs von einem Sozialversicherungsträger auf den anderen steht einer Anwendung bei örtlich wechselnden Sozialhilfeträgern nicht entgegen, sofern – wie hier – die Leistungen im Kern gleich bleiben mit Blick auf die gewährte Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe (Wohnheimkosten, Werkstattkosten, Sozialversicherungsbeiträge und Barbeträge).
b) Auch die Entstehungsgeschichte der Norm weist auf einen umfassenden Gleichlauf des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungs- wie auf Sozialhilfeträger hin.
Ziel der (nachträglichen) Einfügung von Sozialhilfeträgern war es, deren Schlechterstellung gegenüber Sozialversicherungsträgern zu beheben (BT-Drs. 9/95, S. 21, 41). Um zu vermeiden, dass Sozialhilfeträger im Regresswege „leer ausgehen“, da die Überleitung der Ansprüche (vgl. §§ 97 ff. SGG XII i.V.m. den landesrechtlichen Bestimmungen) erst später erfolgt, sollte auch ihnen der gesetzliche Forderungsübergang zu Gute kommen (Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Rechtsstand September 2018, § 116 SGB X Rn. 21). Gleichzeitig sah sich der Gesetzgeber durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe zu dieser Einfügung gedrängt (BT-Drs. 9/95, S. 41).
Aus dieser Motivation wird deutlich, dass allein die Gleichstellung beider Sozialleistungsträger erreicht werden sollte. Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Träger ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht.
c) Ebenso spricht der Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gegen eine Erstreckung des Anspruchsübergangs auch auf Sozialhilfeträger.
Der Normzweck des § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X ist primär darauf gerichtet, durch einen gesetzlichen Forderungsübergang einer Doppelleistung an den Geschädigten durch den Sozialleistungsträger und zugleich durch den Geschädigten den Boden zu entziehen (Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Rechtsstand September 2018, § 116 SGB X Rn. 5). Gleichzeitig soll der Schädiger durch Gewährung der Sozialleistung nicht entlastet werden, während dem Geschädigten die Verfügungsbefugnis über seine Forderung entzogen werden soll (Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Rechtsstand September 2018, § 116 SGB X Rn. 6, 8).
Dieser Zwecksetzung läuft auch ein Forderungsübergang zwischen Sozialhilfeträgern nicht nur nicht zuwider, vielmehr ermöglicht dieser eine vereinfachte, da trennscharfe Abgrenzung der jeweiligen Haftungsverhältnisse. Bei nacheinander begründeter Zuständigkeit von Sozialhilfeträgern wird einerseits sicher gestellt, dass der Geschädigte nur einfach Zahlungen erhält und der Schädiger nicht entlastet wird. Der (primäre) Forderungsübergang auf den Sozialhilfeträger bleibt dabei unberührt, so dass die Verfügungsbefugnis nicht mehr auf Seiten des Geschädigten verbleibt. Andererseits sieht sich der Schädiger, zeitlich klar abgrenzbar, nur einem Forderungsinhaber gegenüber. Für die Annahme einer (latenten) Gesamtgläubigerschaft besteht vor dem Hintergrund obiger Gesetzeszwecke mithin kein Bedürfnis.
Gerade aus dem Normzweck des § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X, dem Geschädigten die Verfügungsbefugnis über seinen Anspruch zu entziehen, um dem Sozialleistungsträger den Regressanspruch zu sichern, erschließt sich ferner nicht, weshalb dies eine Potenzierung der Gläubiger zur Folge haben soll.
d) Gleichfalls begegnen der Konstruktion einer latent vorhandenen Gesamtgläubigerschaft rechtsdogmatische Bedenken (so auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15, BeckRS 2016, 122298 Rn. 15, als Vorinstanz zu BGH, Urteil vom 14.03.2017 – VI ZR 226/16). Die Konstruktion, dass die Ansprüche zunächst auf sämtliche Sozialhilfeträger übergehen, die Regressierung aber einzelnen Trägern vorbehalten bleibt, die tatsächlich Sozialleistungen erbringen, und im Übrigen ins Leere läuft, ist den Vorschriften des bürgerlichen Rechts – soweit ersichtlich – unbekannt (OLG Celle a.a.O.). Dass hingegen bei der Konstruktion einer „Rechtsnachfolge“ der Neugläubiger noch unbekannt sei, sei dem deutschen Recht nicht wesensfremd, wie sich an der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB) zeige.
Die in § 117 SGB X vorgesehene Gesamtgläubigerschaft kann weder für die eine, noch die andere Rechtsposition fruchtbar gemacht werden. Der dort geregelte Fall betrifft eine andere Fallgestaltung. Die Gesamtgläubigerschaft der Sozialleistungsträger wirkt sich dort nur im Außenverhältnis zum Schuldner, nicht aber im Innenverhältnis aus (OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15, BeckRS 2016, 122298 Rn. 18). Darüber hinaus gilt die Regelung sowohl für Sozialversicherungs-, als auch für Sozialhilfeträger, wobei für erstere unstreitig auch eine „Rechtsnachfolge“ in Betracht kommen kann.
e) Auch kann der Kläger nicht entscheidend mit dem Argument durchdringen, dass nur der Anspruchsübergang zwischen Sozialversicherungsträgern aufgrund der Besonderheiten des Sozialversicherungssystems gerechtfertigt sei.
Zuzugeben ist, dass derartige Unterschiede zum Sozialhilfesystem bestehen. So liefert das Sozialversicherungsverhältnis die Grundlage für den Anspruchsübergang. Dieses „Band“ besteht bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses und führt in der Regel (vgl. OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15, BeckRS 2016, 122298 Rn. 15) – wie der Kläger zutreffend ausführt – zu einem nahtlosen Anspruchsübergang. Der Übergang auf den Sozialhilfeträger im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses hängt dagegen entscheidend von der (zukünftigen) Sozialbedürftigkeit des Geschädigten ab, es kommt hier auf eine Prognose der Wahrscheinlichkeit der Leistungspflicht an. Auch kann es im Rahmen der Sozialhilfe zu Unterbrechungen der Leistungspflicht kommen, etwa bedingt durch das Antragserfordernis bei Wechsel der örtlichen Zuständigkeit oder zeitweise fehlender Sozialbedürftigkeit.
Diese Gesichtspunkte führen jedoch nicht dazu, dass im Verhältnis der Sozialhilfeträger zueinander zwangsläufig die Konstruktion einer Gesamtgläubigerschaft geboten ist. Die aufgezeigten Unterschiede wirken sich hingegen auf den Zeitpunkt des Übergangs der jeweiligen Ansprüche aus (so auch OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15, BeckRS 2016, 122298 Rn. 17).
Zunächst ist die gesetzgeberische Wertung in § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X hinzunehmen, dass der Forderungsübergang auf Sozialversicherungs- und auf Sozialhilfeträger unabhängig von dem jeweiligen Sozialleistungssystem den gleichen Voraussetzungen unterworfen ist. Maßgeblich ist jeweils, ob der jeweilige Träger, „Sozialleistungen zu erbringen hat“. Dieses normative Kriterium ist zwar hinsichtlich des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger tendenziell eher erfüllt. Dass es hier jedoch – ebenso wie bei dem Übergang auf Sozialhilfeträger – noch einer Einzelfallbetrachtung bedarf, folgt aus der in der Rechtsprechung anerkannten Einschränkung, dass die Leistungspflicht nicht völlig unwahrscheinlich sein darf (vgl. Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Rechtsstand September 2018, § 116 SGB X Rn. 31). Insofern wird man hinsichtlich des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger nur folgern können, dass dieser den Regelfall bildet.
Auch zeigt der vorliegende Fall, dass selbst beim Übergang auf Sozialhilfeträger – wie nicht selten – die Sozialbedürftigkeit von vornherein feststeht und sich der Anspruchsübergang bereits mit dem schädigenden Ereignis vollzieht. Dies zeigt, dass eine abstrakte Differenzierung nach der potentiellen künftigen Leistungspflicht nicht generell sachgerecht ist und kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, den Übergang auf Sozialhilfeträger eigenen Regeln zu unterwerfen.
Daher bildet auch der Umstand, dass die Leistungspflicht hinsichtlich der Sozialhilfe Unterbrechungen unterworfen sein kann, kein Ausschlusskriterium für einen nacheinander stattfindenden Rechtsübergang. Auch diese Faktoren werden vom konkreten Einzelfall geprägt und zwingen nicht dazu, den gesetzgeberisch angelegten Gleichlauf des Forderungsübergangs dadurch zu unterlaufen, dass die Forderung hinsichtlich der jeweiligen Sozialleistungsträger von vornherein ein unterschiedliches Schicksal teilt.
Auch kann der Rechtsprechung des BGH kein verallgemeinerungsfähiges Kriterium eines „nahtlosen Übergangs“ der Forderung von einem Sozialleistungsträger auf einen anderen entnommen werden. Der von Klägerseite angeführten Entscheidung des BGH, Urteil vom 22.03.1983 – VI ZR 13/81 kann keine über den Sozialversicherungsbereich hinausreichende Aussage entnommen werden, wonach sich ein Sozialleistungsträgerwechsel (auch subjektiv aus Sicht des Schädigers) als Übertritt darstellen muss. Die Entscheidung muss in erster Linie als Fortsetzung zu BGH, Urteil vom 07.12.1982 – ZR 9/81 gesehen werden, die einen unmittelbaren und somit „nahtlosen“ Forderungsübergang von einem Sozialversicherungsträger zum Gegenstand hatte. Entgegen der Klägerauffassung wird in dieser Entscheidung vielmehr betont, dass sich der Forderungsübergang aus dem Gedanken rechtfertige, dass mit dem Wechsel der Leistungsverpflichtung als Korrelat auch ein Wechsel der (Forderungs-) Berechtigung ergebe (Rn. 8, juris). Dies erfasst auch den vorliegenden Fall des örtlichen Zuständigkeitswechsels des Sozialhilfeträgers und lässt sich argumentativ eher für einen Gleichlauf anführen.
e) Maßgeblich für eine Gleichbehandlung der Sozialhilfeträger hinsichtlich des Anspruchsübergangs sprechen indes Erwägungen des Schuldnerschutzes.
Gerade die vorliegende Verjährungsproblematik mit Blick auf §§ 412, 404 BGB verdeutlicht, dass die Annahme einer (latenten) Gesamtgläubigerschaft zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Sozialhilfeträgern gegenüber Sozialversicherungsträgern führen würde und der Schädiger insofern grundlos schlechter stünde.
aa) Wird bei Sozialversicherungen wohl regelmäßig eine „Rechtsnachfolge“ mit der Folge der Zurechnung der Kenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzunehmen sein, würde ein originärer Forderungserwerb durch sämtliche Sozialhilfeträger dazu führen, dass die Verjährung wohl unbegrenzt hinausschieben ließe, sofern sich nur die die Zuständigkeit des Rechtsträgers begründenden Umstände ändern.
Gerade die bloße Zufälligkeit des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit – wie im vorliegenden Fall – würde dazu führen, dass die Verjährung stets von neuem zu laufen beginnt, wenn der jeweils zuständig gewordene Sachbearbeiter Kenntnis erlangt.
Selbst wenn die Forderung gegenüber einem Rechtsträger verjährt wäre, käme dem keine Wirkung gegenüber später zuständigen Trägern zu (§ 429 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 425 Abs. 2 BGB). Ein solch evidentes Auseinanderfallen der Rechtsfolgen das Anspruchsübergangs läuft dem in § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X vorgesehenen Gleichlauf von Sozialversicherung und Sozialhilfe zuwider.
bb) Ebenso ist der Normzweck des § 404 BGB zu beachten. Demnach soll dem Schuldner seine ihm relativ gegenüber dem Altgläubiger bereits bestehende Rechtsposition auch gegenüber jedem Neugläubiger erhalten werden (Münchener Kommentar/Roth-Kieninger, BGB, 7. Auflage, 2016, § 404 Rn. 1). Gleichzeitig soll dem Neugläubiger keine bessere Rechtsposition eingeräumt werden als seinem Rechtsvorgänger.
Dieser Normzweck fußt auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Ein Vertrauensschutz besteht aber nicht nur dahingehend, dass dem Schuldner sein Gläubiger bekannt ist, ehe sich der Forderungsübergang unabhängig von seinem Willen vollzieht, sondern auch insofern, als er auf das Nichtvorhandensein weiterer Altgläubiger vertrauen kann, wenn er sich mit einem konkreten Anspruchsteller konfrontiert sieht, der berechtigt als alleiniger Forderungsinhaber auftritt.
Durch Konstruktion einer latent vorhandenen Gesamtgläubigerschaft würde diese Grundvoraussetzung des Schuldnerschutzes ausgehöhlt, da der Schuldner nicht mit einer unbegrenzt vorhandenen Anzahl weiterer Gläubiger rechnen kann. Der Eintritt eines solchen weiteren Gläubigers vollzöge sich – ebenso wie von § 404 BGB für nacheinander eintretende Gläubiger – unabhängig vom Willen des Schuldners. Auch ist ein Gläubigerwechsel faktisch unbegrenzt oft möglich und hängt, wie bereits aufgezeigt, oftmals von Zufälligkeiten ab. Aus Sicht des Schuldners stellt sich die Stellung des neu auftretenden Gläubigers aufgrund der verjährungsrechtlich erstarkten Situation (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) jedoch als Nachfolge dar, sofern der zu regressierende Schaden gerade gleichartig ist und auf demselben schädigenden Ereignis beruht.
Eine solche Schlechterstellung des Schuldners gegenüber Rechtsnachfolgern im Rahmen der Sozialversicherungen ist sachlich nicht gerechtfertigt. Zwar wird von Klägerseite darauf hingewiesen, dass insofern die öffentlichen Kassen entlastet werden, da oftmals zeitlich erhebliche Unterbrechungen in der Sozialhilfeleistung eintreten. Allein dieser Umstand, auch unter dem Gesichtspunkt des Nachrangs der Sozialhilfe (vgl. § 2 SGB XII), vermag jedoch nicht zu erklären, weshalb die Forderung etwa auch in Fällen, in denen keine Unterbrechung erfolgt, bei Wechsel der Zuständigkeit potentiell nicht verjährt (s.o.).
Umgekehrt liegen keine sachlichen Gründe für eine derart gravierende Besserstellung von Sozialhilfe- gegenüber Sozialversicherungsträgern vor.
cc) Auch mit Blick auf die dem Verjährungsrecht zugrunde liegenden Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens ist die Annahme einer Gesamtgläubigerschaft nicht in Einklang zu bringen (ebenso OLG Celle, Urteil vom 11.05.2016 – 14 U 168/15, BeckRS 2016, 122298 Rn. 23). Sogar wenn Regressansprüche einzelner Sozialhilfeträger bereits verjährt sind, kann sich der Schuldner nicht sicher sein, ob er nicht stets durch weitere Gläubiger aus ein und demselben schädigenden Ereignis in Anspruch genommen wird. Unter welchen Umständen ein neuer Rechtsträger zuständig wird, ist für ihn nicht absehbar und mit Blick auf das Zuständigkeitssystem der Sozialhilfe auch nicht beeinflussbar.
II. Als der Schadenersatzanspruch auf Kläger nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X übergegangen ist, war die dreijährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen, ohne dass zu seinen Gunsten als „Rechtsnachfolger“ (s.o.) noch ein Hemmungstatbestand hinsichtlich der Ansprüche gegenüber dem Beklagten zu 2 fortbestand.
Grundsätzlich übernimmt ein Neugläubiger die Forderung in dem Zustand, in dem sie bei dem Altgläubiger Bestand hatte. Ihm kommt daher auch eine zuvor begründete Hemmung der Verjährung zugute, die über den Anspruchsübergang fortdauert, sofern der Hemmungsgrund nicht von Voraussetzungen in der Person des jeweiligen Gläubigers abhängt (Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Rechtsstand September 2018, § 116 SGB X Rn. 187a).
Vorliegend wurde der Schaden durch den Bezirk O… mit Schreiben vom 17.01.1991 (Anlage B 2) bei der Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 2 angemeldet und so die Verjährung der Ansprüche gegenüber dem Geschädigten und so auch gegenüber dem Kläger nach § 115 Abs. 2 S. 3, S. 4 VVG bzw. intertemporal nach § 3 Nr. 3 S. 3, S. 4 PflVG a.F. gehemmt.
Dieser Hemmungstatbestand wurde mit dem Schreiben der Versicherung vom 27.09.1994 beendet, denn dort wurde die Einstandspflicht anerkannt und, es wurden weitere Leistungen in Aussicht gestellt.
Dieses Schreiben erfüllt die Voraussetzungen an eine „Entscheidung“ i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG bzw. die der deckungsgleichen Vorgängernorm. Diese Entscheidung erfordert eine eindeutige und endgültige Erklärung des Versicherers, auch hinsichtlich künftiger materieller Schäden (Langheid/Rixecker/Langheid, VVG, 6. Auflage, 2019, § 115 Rn. 25). Die Einstandspflicht für die Unfallfolgen wurde dort zugestanden. Das genügt den Voraussetzungen, vergleiche BGH, Urteil vom 30.04.1991, VI ZR 229/90. Das Schreiben ging dem damals zuständigen Sozialhilfeträger, dem Bezirk von O… auch zu.
Spätestens ist die Hemmung jedoch mit Abschluss des Abfindungsvergleichs aus dem Juli 2003 (Anlage B 7) zwischen dem Geschädigten, dem Beklagten zu 2 und der Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 2 beendet worden. Denn damit gingen die Verhandlungen zu Ende.
Der Abfindungsvergleich erfüllt die Voraussetzungen an eine „Entscheidung“ i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG bzw. die der deckungsgleichen Vorgängernorm. Diese Entscheidung erfordert eine eindeutige und endgültige Erklärung des Versicherers, auch hinsichtlich künftiger materieller Schäden (Langheid/Rixecker/Langheid, VVG, 6. Auflage, 2019, § 115 Rn. 25). Hierfür genügt auch der Abschluss eines Abfindungsvergleichs (BGH, NVersZ 2002, 278).
Auch das Schreiben vom 27.06.2008 enthält eine Entscheidung im Sinne des VVG, nämlich dass wegen Verjährung nichts mehr zu bezahlen ist, jedoch zur Vermeidung eines Prozesses noch eine letztmalige Zahlung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geleistet wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1. S. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 709 S. 2 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben