Europarecht

Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Erfolgsaussicht, Fahrzeug, Kaufpreis, Rechtsanwaltskosten, Pkw, Genehmigungsverfahren, Feststellungsinteresse, Berufungsverfahren, Klage, Bestimmtheit, Geschwindigkeit, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  3 U 324/20

Datum:
10.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55750
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

92 O 375/20 2020-09-28 Endurteil LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 28.09.2020, Az. 92 O 375/20, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.09.2021.

Gründe

I.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von der Beklagten als Fahrzeug- und Motorenherstellerin nach dem Kauf eines Pkw.
1. Die Klägerin erwarb am 23.12.2015 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten einen wohl neuen Pkw X., 120 kW mit zu einem Kaufpreis von 40.130,00 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet, den die Beklagte hergestellt hat. Die Klägerin nutzte das Fahrzeug in der Folgezeit. Am 19.08.2020 hatte der Pkw eine Fahrleistung von 84.116 km. Für den verbauten Motor wurde durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) kein Rückruf angeordnet.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass ein Fahrzeug, das wohl mit einem Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei, mangelbehaftet sei. Die Beklagte verwende bei ihren Motoren eine unzulässige Zykluserkennung und eine unzulässige Abschalteinrichtung, bei der ein anderes Abgasverhalten auf dem Prüfstand im Vergleich zum Einsatz auf der Straße erreicht werde. Daneben seien in detaillierter Ausprägung noch weitere Abschalteinrichtungen verbaut, insbesondere ein Thermofenster und über das OBD-System. Hierdurch sei die Klägerin auch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Die Beklagte habe im Genehmigungsverfahren entsprechende Unterlagen nicht vorgelegt.
Das KBA habe für ein Fahrzeug Typ 6 der Beklagten einen Rückruf angeordnet. Für andere Fahrzeug des Typs EA 288 sei ein entsprechender freiwilliger Rückruf vereinbart worden.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs X. mit der Fahrgestellnummer … herrühren, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten beantragt.
Die Beklagte ist der Klage inhaltlich entgegengetreten. In dem Fahrzeug sei kein NSK-Katalysator verbaut. Das Vorhandensein multipler Abschalteinrichtungen werde seitens der Klägerin zwar behauptet, jedoch ohne konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug. Im Übrigen habe das KBA bestätigt, dass in dem streitgegenständlichen Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Die technische Ausgestaltung des Thermofensters sei dem KBA konkret bekannt gewesen und habe keine Beanstandungen nach sich gezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, des Verfahrenshergangs und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 25.03.2021 abgewiesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klage wegen Vorrangs der Leistungsklage bereits unbegründet sei. Die Klage sei jedenfalls unbegründet.
Die nicht eindeutige Formulierung der Vorschriften in der Verordnung (EG) Nr. 725/2007 spreche gegen einen Vorsatz der Beklagten. Außerdem sei davon auszugehen, dass dem KBA die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems bekannt gemacht worden sein müsse, jedoch nicht beanstandet worden sei.
3. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Das Landgericht habe die Substantiierungsanforderungen überspannt. Ihr stünde der geltend gemachte Feststellungsanspruch zu. Die Abschalteinrichtungen seien unzulässig und im Genehmigungsverfahren nicht offengelegt worden. Sie seien tatsächlich auch nicht genehmigungsfähig.
Die Klägerin beantragt,
Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Würzburg Az. 92 O 375/20 wie folgt abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, Die Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs X. mit der Fahrgestellnummer … durch die Beklagte herrühren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung seines Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.613,24 EUR freizustellen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung, die Berufungserwiderung und die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, jeweils mit Anlagen.
II.
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klägerin die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung der Klägerin erweist sich als unbegründet, weil ihm keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen. Lediglich ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
1. Die Berufung kann bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil die Feststellungsklage ist unzulässig ist
a) Dem Feststellungsantrag fehlt es bereits an der hinreichenden Bestimmtheit.
Eine Feststellungsklage muss ausreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein, damit der Umfang der Rechtskraft feststeht. Dazu muss das festzustellende Rechtsverhältnis genau bezeichnet werden und ist – soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt – eine bestimmte Bezeichnung des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses erforderlich. Dem genügt der vorliegende Feststellungsantrag nicht, weil offen bleibt, welche genaue Manipulation schadensersatzbegründend sein soll. Die Klägerin stellt selbst in den Raum, dass es mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen gegeben habe, die jede für sich einen Anspruch auf Schadensersatz begründen sollen. Damit genügt der Feststellungsantrag nicht der erforderlichen Bestimmtheit (OLG Schleswig, Urteil vom 09.06.2020 – 3 U 103/19; OLG Stuttgart, Grund- und Endurteil vom 11.12.2019 – 9 U 3/19; OLG Dresden, Urteil vom 12.11.2020 – 9a U 2437/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.07.2020 – 3 U 251/20).
b) Der Feststellungsantrag ist desweiteren unzulässig, weil ein Feststellungsinteresse nicht vorliegt. Die Klägerin konnte ihren Schadensersatzanspruch bereits bei Klageerhebung beziffern.
aa) Ein Feststellungsantrag ist zulässig, wenn eine Leistungsklage nicht bezifferbar ist, weil zB der Schaden bei Erhebung der Klage noch in der Fortentwicklung ist oder die konkreten Kosten für die Beseitigung des Schadens noch nicht feststehen und die Anspruchshöhe mithin ungewiss ist. Dies gilt selbst, wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden kann (BGH NJW-RR 2016, 759 Rn. 6).
bb) Nach der von der Klägerin behaupteten Anspruchsgrundlage aus § 826 BGB schuldete die Beklagte zu 2) Schadensersatz durch Rückerstattung des Kaufpreises (BGH NJW 2020, 1962), wobei die Klägerin der Auffassung ist, dass ihr kein Nutzungsvorteil anzurechnen sei. Demnach konnte die Klägerin ihren Anspruch ohne weiteres beziffern. Hierauf hat das Landgericht bereits in der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2020 hingewiesen. Weitere mögliche Schäden hat die Klägerin nicht vorgetragen, sondern sich auf vage Andeutungen wie „evtl. steuerliche Schäden“ beschränkt. Zu diesen weiteren Schäden aus dem Fahrzeugerwerb ist die Darlegung erforderlich, dass für solche Schäden „eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende, bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit“ vorliegen muss (BGH NJW 2020, 2806 Rn. 29; BGH r+s 2020, 657 Rn. 13) Diese hat die Klägerin noch nicht einmal ansatzweise dargelegt. Damit ist der Feststellungsantrag der Klägerin auch mangels Feststellungsinteresse unzulässig (ebenso OLG Schleswig a.a.O; OLG Köln, Urteil vom 27.08.2020 – 12 U 174/19; OLG Dresden a.a.O., OLG Koblenz a.a.O.).
2. Auch in materieller Hinsicht steht der Klägerin kein Anspruch zu. Insbesondere steht einem Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB entgegen, dass es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
a) Eine bewusst sittenwidrigschädigende Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargestellt.
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 -, juris).
b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin sowie den getroffenen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Beklagten in diesem Sinne als sittenwidrig zu qualifizieren ist. Der Senat schließt sich der obergerichtlichen Rechtsprechung an, die eine Haftung der Beklagten in Verbindung mit dem von ihr entwickelten Motor Typ EA 288 ablehnt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 20.04.2020, Az. 1 U 103/19; OLG München, Beschluss v. 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19; OLG Koblenz, Urteil v. 20.04.2020, Az. 12 U 1570/19).
aa) Es fehlt bereits an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der streitgegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die Behauptungen der Klägerin stellen sich als reine Spekulation ohne tatsächliche Anknüpfungspunkte dar.
(1) Der Senat verkennt hierbei nicht, dass eine unter Beweis gestellte Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Es ist einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Beschluss v. 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19 m.w.N. – verfahrensgegenständlich Motor Daimler OM 651).
(2) Unstreitig hat das Kraftfahrtbundesamt für den im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Motor keinen Rückruf angeordnet. Im Gegenteil hat es nach umfangreichen Untersuchungen festgestellt, dass bei keinem Fahrzeug, in welchem ein EA 288 Aggregat verbaut wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden konnte. In einer Auskunft an das OLG Stuttgart vom 13.11.2020 (Anlage BE 15) heißt es etwa: „Die Funktion einer Umschaltlogik in der Motorsteuerung der Aggregate des Entwicklungsauftrags (EA) 288 wird seitens des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gem. Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen des KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des EA 288 durch, so z.B. der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten.
Es wurde u.a. das Fahrzeug Audi A4 Avant 140 kW mit dem Motorkennbuchstaben DETA und einem aus dem EA 288, welcher mit dem aus dem streitgegenständlichen Fahrzeug direkt vergleichbar ist, durch as KBA mit mehreren Messungen untersucht. Dabei wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.“
Es wurde weder bei dem zuvor genannten Fahrzeug noch bei einem anderen Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt…“.
Das BMVI hat zudem nach Bekanntwerden des Dieselskandals Untersuchungen auch in Bezug auf die Motoren des Typs EA 288 in Auftrag gegeben und das KBA angewiesen, spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen. Diese „KBA-Felduntersuchungen“ umfassten insgesamt 56 Messungen an 53 Fahrzeugmodellen, von denen mehrere mit dem Motortyp EA 288 ausgestattet waren. Ziel der Untersuchung war u.a., die Motorvarianten des Typs EA 288 dahingehend zu überprüfen, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen oder unzulässige Systematiken und Randbedingungen von Prüfstandsund Zykluserkennungen wie die in den EA 189-Fahrzeugen verbaute Umschaltlogik enthielten. Bei diesen Untersuchungen sind keine unzulässigen Vorrichtungen bei Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 288 der Emissionsklassen EU 5 und EU 6 festgestellt worden (OLG Dresden, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 9a U 2074/19 -, Rn. 30, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Oktober 2020 – 4 U 171/18 -, Rn. 45, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. September 2020 – 5 U 47/19 -, Rn. 37, juris).
Dem hat der Vortrag der Klagepartei nichts Substantielles entgegenzusetzen.
(3) Die Tatsache, dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb höhere Emissionen aufweist als im – für die Überprüfung der Einhaltung der Werte der Euro 6-Norm maßgeblichen – NEFZ, begründet ebenfalls keinen Anhaltspunkt, sondern ist vielmehr allgemein bekannt. Die für die Einhaltung der Euro 6-Norm relevanten, im sog. NEFZ-Verfahren gemessenen Werte entsprechen grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten (so auch OLG München, Endurteil vom 05.09.2019 – 14 U 416/19, BeckRS 2019, 26072 Rn. 168). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist. Dies gilt sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch hinsichtlich der Grenzwerte für Emissionen. Auf dem Prüfstand wird eine bestimmte „ideale“, nicht der Praxis entsprechende Situation vorgegeben, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit) oder der Abschaltung der Klimaanlage, sodass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit unter den verschiedenen Fahrzeugfabrikaten und -modellen führen mag, absolut genommen aber jeweils nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.12.2020 – 16a U 155/19 -, Rn. 59 – 60, juris).
bb) Auch bei eingehender Auseinandersetzung mit dem klägerischen Sachvortrag unter Beachtung der vom BGH aufgestellten Maßstäbe verbleibt es bei der Bewertung, dass der Klägervortrag konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Prüfstandserkennung einhält, nicht aufzeigt und diese auch sonst nicht ersichtlich sind. Dies kann insbesondere nicht aus der seitens der Klägerin zitierten Applikationsrichtlinie kann die von ihm behauptete unzulässigen Manipulation des Katalysators ersehen werden.
In der „Applikationsrichtlinie“ wird ausgeführt (Anlage K 2):
„Anwendungsbeschreibung:
Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Erkennung des Precon und NEFZ um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung SCR-Arbeitstemperatur und OBD-Schwellenwerte)
Applikationsrichtlinie (Serienfreigaben): Fahrkurven dürfen nicht zur Einhaltung der Emissionsund OBD-Grenzwerte genutzt werden. Diese müssen durch Ausbedatung oder SoftwareÄnderung entfernt werden“.
Hieraus meint die Klägerin ableiten zu können, dass auch Fahrzeuge mit einem Motor der Baureihe EA 288 mit einer Manipulationssoftware ausgerüstet seien, durch die sich auf dem Prüfstand andere Abgaswerte ergäben als im realen Betrieb auf der Straße. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere aus der zitierten Passage der Anwendungsbeschreibung indes nicht. Die zitierte Applikationsanweisung enthält lediglich Anweisungen bezüglich der Durchführung der Fahrzyklen Precon und NEFZ. Bezüglich des Vorhandenseins einer manipulativen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware hat die zitierte Passage keine Aussagekraft.
Die Behauptung, auch in dem Motor der Baureihe EA 288 sei eine Manipulationssoftware zur Prüfstandserkennung eingebaut, wird damit weder durch die oben dargestellte Anordnung zur Ausbedatung noch durch das vorgelegte Schreiben gestützt. Aus dem Schreiben ergibt sich vielmehr im Gegenteil, dass bei Fahrzeugen mit EA 288 Motor in der Motorsteuerungssoftware keine Optimierung der Emissionen im Prüfstandsbetrieb vorgenommen wurde.
cc) Der Vortrag der Klagepartei führt auch nicht zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten zu den technischen Gegebenheiten der mit dem Motor EA 288 ausgestatteten Fahrzeuge. Grundsätzlich trägt der Geschädigte, der sich auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB beruft, die volle Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl., vor § 284 Rdnr. 34). Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt voraus, dass der darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die gegnerische Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt oder es ihr zuzumuten ist, nähere Angaben zu machen. Die Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten sind hier nicht erfüllt. Um eine Ausforschung zu vermeiden, muss der unstreitige oder zu beweisende Vortrag des Beweispflichtigen greifbare Anhaltspunkte für seine Behauptung liefern (Zöller-Greger, a.a.O, m.w.N.). Daran fehlt es hier, wie bereits dargestellt.
dd) Selbst wenn die von der Klägerin geschilderte Wirkungsweise der Abgasrückführung mit ihrer Reduzierung außerhalb des Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen würde, könnte allein hieraus nicht auf eine die Sittenwidrigkeit begründende, die Fahrzeugkäufer bewusst schädigende Handlung der Beklagten geschlossen werden. Ein derart vorsätzliches Verhalten kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Insoweit kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die hinsichtlich des von der Beklagten entwickelten Motors Typ EA 189 ergangene Rechtsprechung (grundlegend insoweit zuletzt BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19) verweisen. Die Implementierung einer zum Zwecke der Erkennung der Prüfstandssituation entwickelten Software, die ausschließlich in diesen Fällen das Emissionsverhalten des Fahrzeugs verändert, stellt sich als qualitativ vollständig anders dar als ein temperaturabhängiges Abgasrückführungssystem, welches vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei dem Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als technische Rechtfertigung plausibel und nachvollziehbar angeführt werden können. In derartigen Fällen kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die verantwortlichen Organe der Beklagten von einer – möglicherweise – letztlich unzutreffenden, aber dennoch vertretbaren und im Übrigen auch von den im Überprüfungsverfahren involvierten staatlichen Stellen geteilten Gesetzesauslegung und -anwendung ausgegangen sind (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019, Az. 3 U 148/18; OLG München, Beschluss v. 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19). Der Senat erachtet diesbezüglich die in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG München, Beschluss v. 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az. 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019, Az. 10 U 134/19) geäußerte Auffassung als überzeugend, nach der bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) 2007/715 zeigt, dass die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig ist. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im vorerwähnten Bericht der Untersuchungskommission ausdrücklich: „Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die VO (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“ (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 04.02.2021, Az. 1 U 484/20; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2021, Az. 3 U 383/20).
ee) Soweit die Klagepartei Manipulationen des OBD behauptet, handelt es sich beim OBD nicht um eine Abschalteinrichtung, da es sich lediglich um ein Überwachungsinstrument handelt.
ff) Die Behauptung der Klägerin, dass die Beklagte das Thermofenster gegenüber den Genehmigungsbehörden verschwiegen habe, wird nicht durch Tatsachen unterlegt und erfolgt damit ersichtlich „ins Blaue hinein“. Sie wird überdies durch den von der Beklagten durch die Vorlage amtlicher Auskünfte nachgewiesenen Vortrag widerlegt, dass das KBA bei umfassenden Untersuchungen keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtung gefunden und keinen Anlass für den Erlass von Nebenbestimmungen gesehen hat. Dies wäre aber bei einem Erschleichen der Genehmigung der Fall gewesen.
III.
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 32.104,00 EUR festzusetzen.
Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben