Europarecht

Schadensersatz im “VW-Abgasskandal”

Aktenzeichen  15 O 408/19

Datum:
16.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35304
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB  § 31, § 826, § 849

 

Leitsatz

1. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz Zug und Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß § 826 BGB zu. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren. (Rn. 64 – 78) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.340,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.08.2019, Zug und Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Tiguan, FIN, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1 genannten Zug-um-Zug-Leistung seit dem 5.3.2019 im Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 17% und die Beklagte 83% zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 24.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat im Wesentlichen Erfolg. Soweit sich der Kläger Nutzungen anrechnen lassen musste sowie bezüglich eines Teils der geforderten Zinsen und bezüglich der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage als unbegründet abzuweisen.
A.
Die Klage ist zulässig.
1. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Coburg folgt aus § 32 ZPO.
Der Kläger begehrt Schadensersatz gestützt auf deliktische Normen, wobei zum zuständigkeitsbegründenden Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO auch der Ort gehört, an dem der schädigende Erfolg eingetreten ist, wenn der Schaden Tatbestandsmerkmal der Anspruchsnorm ist (vgl. Schultzky, in: Zöller, 33. Aufl. 2018, § 32, Rn. 19). Dies ist jedenfalls bei § 826 BGB – auf den sich der Kläger beruft – der Fall. Der schädigende Erfolg ist hierbei am Wohnsitz des Klägers eingetreten (vgl. Touissant, in: BeckOK, 24. Edition, § 32, Rn. 12.1) – mithin im Bezirk des Landgerichts Coburg.
2. Der Kläger hatte sich am 14. Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, gegen die V. AG angemeldet. Diese Anmeldung hat er mit am 20.09.2019 beim Bundesamt für Justiz eingegangenen Erklärung zurückgenommen. Die Eintragung wurde daher im Klageregister zu diesem Zeitpunkt gelöscht (vgl. Anlage K 26 bis K 28). Mit dieser Rücknahme der Anmeldung endet die Sperrwirkung gem. § 613 Abs. 2 ZPO, sodass das durch die Anmeldung zum Klageregister bestehende Zulässigkeitshindernis behoben wird. Die Klage wird damit ab diesem Zeitpunkt zulässig (Lutz, in BeckOK, ZPO, 34. Edition, Stand 01.09.2019, § 610, Rn. 43).
B.
Die Klage ist überwiegend begründet.
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 20.340,89 EUR, Zug und Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, sowie auf Zahlung von (anteiligen) Zinsen zu (§ 826 BGB).
Die Voraussetzungen dieser Norm – wonach derjenige, der durch ein als sittenwidrig zu qualifizierendes, vorsätzliches Verhalten eines anderen einen Schaden erlitten hat, Anspruch auf Ersatz dieses Schadens hat – liegen vor (so im Ergebnis – mit in Einzelheiten divergierenden Begründungen – auch eine Vielzahl anderer aktueller landgerichtlicher Entscheidungen, etwa: LG Heilbronn, Urteil vom 22. Mai 2018 – 6 O 35/18; LG Kiel, Urteil vom 18. Mai 2018 – 12 O 371/17; LG Hamburg, Urteil vom 18. Mai 2018 – 308 O 308/17; LG Bonn, Urteil vom 07. März 2018 – 19 O 327/17; LG Krefeld, Urteil vom 28. Februar 2018 – 7 O 10/17; LG Köln, Urteil vom 26. Februar 2018 – 19 O 109/17; LG Duisburg, Urteil vom 19. Februar 2018 – 1 O 178/17; LG Düsseldorf, Urteil vom 09. Februar 2018 – 7 O 212/16; LG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2018 – 19 O 68/17; LG Wuppertal, Urteil vom 16. Januar 2018 – 4 O 295/17; LG Arnsberg, Urteil vom 12. Januar 2018 – 2 O 134/17; LG Bochum, Urteil vom 29. Dezember 2017 – 6 O 96/17; LG Essen, Urteil vom 19. Oktober 2017 – 9 O 33/17; LG Bielefeld, Urteil vom 16. Oktober 2017 – 6 O 149/16; LG Mainz, Urteil vom 27. Juli 2017 – 4 O 196/16; LG Mönchengladbach, Urteil vom 11. Juli 2017 – 1 O 320/16; LG Lüneburg, Urteil vom 29. Juni 2017 – 3 O 204/16, LG Bamberg, Urteil vom 16. Juli 2018 – 10 O 573/17; LG Bamberg, Urteil vom 14. November 2018 – 12 O 318/18; die in der Folge vielfach in Bezug genommen und zum Teil wörtlich zitiert werden).
I.
Dem Kläger ist durch den Erwerb des streitgegenständlichen Pkws ein Schaden im Sinne von § 826 BGB entstanden.
1. Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt.
Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist vielmehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie – bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit – die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Wagner, in: MüKo, 7. Aufl., § 826 BGB, Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – stellt die Tatsache, dass der Kläger aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz der Umschaltlogik bzw. der Motorsteuerungssoftware einen für ihn ungewollten wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hat, einen derartigen Schaden dar, da sein Vermögen bereits dadurch – unabhängig von einem messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust – mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet ist.
a) Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages für den Kläger ergibt sich dabei schon daraus, dass der Kläger nicht das erhalten hat, was ihm nach dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
Stattdessen hat der Kläger einen Vertrag über einen Pkw geschlossen, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zulassung objektiv entgegenstand.
aa) Die objektiven Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf Abschaltvorrichtungen ergeben sich aus folgenden Normen:
Gemäß Art. 10 Abs. 1 EG-VO 715/2007 erteilt die nationale Zulassungsbehörde die Typgenehmigung, wenn das betreffende Fahrzeug den Vorschriften der Verordnung und ihrer Durchführungsbestimmungen entspricht.
Gemäß § 4 Abs. 4 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-FGV) darf eine EG-Typgenehmigung nur erteilt werden, wenn die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellenden Ergebnis durchgeführt wurden.
Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
Gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist eine „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
bb) Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nach Auffassung des Gerichts über eine unzulässige Abschalteinrichtung im derartigen Sinne, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht vorliegen.
Die von der Beklagten geschilderte Umschaltlogik – d.h. der Betrieb in zwei verschiedenen Betriebsmodi, bei Rückführung von Emissionen aus dem Verbrennungsprozess durch eine Abgasrückführung teilweise wieder in den Verbrennungsprozess hinein – ist Teil eines Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007. Die Emissionen werden ersichtlich kontrolliert und gesteuert: Die Motorsteuerung, die den Prüfzyklus erkennt, schaltet im Modus 0 (regulärer Straßenbetrieb) die Abgasrückführung, die der Kontrolle der Emissionen und der Reduzierung des Schadstoffausstoßes dient, ab.
Soweit die Beklagte dies durch eine Unterscheidung zwischen „so genannten innermotorischen Maßnahmen“ und denjenigen der „Abgasreinigung im Emissionskontrollsystem“ in Zweifel zieht, „lässt sich eine derartige Unterscheidung der Verordnung nicht entnehmen und widerspricht offensichtlich deren Zweck. Die Emissionskontrolle im Sinne der Verordnung ist nicht auf die Abgasreinigung beschränkt. Durch die Rückführung eines Teils der Abgase (Emissionen) in den Verbrennungsprozess im Motor werden die Emissionen kontrolliert. Durch die Fahrzykluserkennung wird dieser Teil des Kontrollsystems abgeschaltet. Die Auslegung der Beklagten widerspricht auch offensichtlich dem Zweck der Verordnung, wonach das Testverfahren möglichst das Verhalten des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen widerspiegeln soll. So schreibt Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausdrücklich vor, dass der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten hat, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Erwägungsgrund 15 der Verordnung weist auf das Ziel hin, dass die bei den Typgenehmigungsprüfungen gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen sollen. Die Motorsteuerung der Beklagten knüpft demgegenüber nicht an bestimmte Betriebszustände oder Umweltbedingungen an, sondern ausschließlich an die Feststellung des NEFZ, zielt also bewusst auf eine Steuerung der Emissionen für den Ausnahmefall der Genehmigungsprüfung.“ (so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2018 – 19 O 68/17, juris; inhaltlich ebenso beispielhaft: LG Krefeld, Urteil vom 19. Juli 017 – 7 O 147/16, juris; LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 193/16, juris; LG Offenburg, Urteil vom 12. Mai 2017 – 6 O 199/16, juris; LG Düsseldorf – Urteil vom 09. Februar 2018 – 7 O 212/16, juris).
b) Die durch den wirtschaftlich nachteiligen Vertrag begründete Verbindlichkeit war für den Kläger ersichtlich auch ungewollt:
Dies folgt schon daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte (oder der Verkäufer) ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform ist und er deshalb jedenfalls für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA (wenn auch erst in einigen Jahren) mit Problemen bis hin zum Entzug der Zulassung rechnen muss.
Ein Durchschnittskäufer kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt wird und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
Insoweit kann auch zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Gesetzmäßigkeit des Fahrzeugs schon allein wegen des Einflusses der Manipulation auf die Schadstoffklasseneingruppierung – mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Folgen – und die Zulassung des Fahrzeugs für die Kaufentscheidung immer von Bedeutung ist, ohne dass es auf konkrete Äußerungen im Verkaufsgespräch ankäme (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14. Juni 2017 – 1 O 227/16, juris; LG Kleve, Urteil vom 31. März 2017 – 3 O 252/16, juris).
Bei gehöriger Aufklärung hätte der Kläger vielmehr erkannt, dass sich aus der geschilderten Problematik die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs sowie die Gefahr eines massiven Wertverlustes der Kaufsache ergeben und vom Kauf abgesehen (wofür nach Auffassung des LG Duisburg, Urteil vom 19. Februar 2018 – 1 O 178/17, juris, bereits ein Anscheinsbeweis spricht), zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht absehbar gewesen wäre, dass die Beklagte kurzfristig in der Lage ist, ein Software-Update zu entwickeln, das tatsächlich die Zulassungsfähigkeit herstellt, ohne negative Auswirkungen für das Fahrzeug mit sich zu bringen.
Selbst der Käufer eines gebrauchten Fahrzeuges darf regelmäßig erwarten, dass er sein Fahrzeug dauerhaft und uneingeschränkt nutzen kann und er sich nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft damit konfrontiert sieht, dass ein Entzug der Zulassung und bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein massiver Wertverlust drohen.
Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dies im konkreten Fall ausnahmsweise anders war – der Kläger das Fahrzeug mithin auch in Kenntnis der Umschaltlogik zu den vereinbarten Konditionen erworben hätte – sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
c) Soweit von Beklagtenseite und teilweise auch in der Rechtsprechung (vgl. LG Köln, Urteil vom 07. Oktober 2016 – 7 O 138/16; LG Ellwangen, Urteil vom 10. Juni 2016 – 5 O 385/15; LG Braunschweig, Urteil vom 19. Mai 2017 – 11 O 4153/16; sämtlich abrufbar bei juris) die Auffassung vertreten wird, eine Haftung nach § 826 BGB scheide schon deshalb aus, weil die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen, gegen welche die Beklagte durch den Einsatz der Software und die Manipulation des Prüfungsverfahrens verstoßen hat, nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen diene, und deshalb Vermögensschäden im Zusammenhang mit dem Verstoß der Beklagten nicht unter den Schutzbereich des § 826 BGB fielen, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.
„Die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche gesetzlichen Vorschriften der Schädiger gehandelt hat (vgl. LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17. Juli 2017 – 13 O 174/16). Es steht auch nicht zu befürchten, dass es andernfalls zu einer Ausuferung der Haftung kommen würde: Der Schädiger haftet allein für die durch seine sittenwidrige Schädigung verursachten Vermögensschäden, der Kreis der Ersatzberechtigten wird dadurch eingegrenzt, dass der Schädiger hinsichtlich der Schädigung mit Vorsatz handeln muss (s.u.) und dadurch diejenigen Personen, deren Vermögensschäden zu ersetzen sind, von vornherein ausreichend genau bestimmt werden; erfasst werden im vorliegenden Fall nämlich nur die Erwerber der von der Manipulation betroffenen Fahrzeuge. Im Übrigen übersieht die vorzitierte Rechtsauffassung, dass der Beklagten nicht allein ein Verstoß gegen das Genehmigungsverfahren anzulasten ist, sondern insbesondere, dass sie der Allgemeinheit und den betroffenen Fahrzeugkäufern durch ihre öffentlichen Angaben und die – von ihr zu verantwortenden Übereinstimmungsbescheinigungen – suggeriert, dass die Fahrzeuge bestimmte technische Eigenarten aufweisen, die tatsächlich nicht gegeben sind. Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB hängt schließlich auch nicht davon ab, ob der Käufer seinen Vermögensschaden von einer anderen Person ersetzt verlangen kann. Das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten nämlich keinesfalls aus.“ (so zutreffend LG Duisburg, Urteil vom 19. Februar 208 – 1 O 178/17, juris; sowie inhaltlich ebenso LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16, juris LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17. Juli 2017 – 13 O 174/16, juris).
II.
Der Schaden des Klägers beruht auch auf einem Verhalten der Beklagten.
Diese hat das streitgegenständliche Fahrzeug, insbesondere den Motor mit Abschalteinrichtung produziert, sich durch das Vorspiegeln scheinbar zulässiger Emissionswerte gegenüber dem KBA die EG-Typgenehmigung erschlichen und das Fahrzeug schließlich – im konkreten Fall mittels selbständigem Verkäufer – so vertreiben lassen, dass es in den Verkehr gelangt.
Dieses Verhalten war für den Schadenseintritt (Eingehung des wirtschaftlich nachteiligen und ungewollten Vertrages) auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm adäquat kausal, wobei hier dahinstehen kann, wie dies im Fall eines Gebrauchtwagenkaufs zu bewerten ist (zu letzterem insb. LG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2018 – 19 O 68/17, juris).
III.
Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
1. Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr., seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH, Urteil vom 06. Mai 1999 – VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361; BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; BGH, Urteil vom 03. Dezember 2013 – XI ZR 295/12, WM 2014, 71, Rn. 23 m.w.N.). Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380, Rn. 8 m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 – VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, Rn. 12; BGH, Urteil vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, Rn. 25 jeweils m.w.N.). Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler, BGB [2014], § 826, Rn. 31).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren:
Die berechtigten Verkehrserwartungen gehen dahin, dass ein Autohersteller sich gewissenhaft an die Regeln hält, denen er im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterliegt, und er sich nicht durch falsche Angaben zu wichtigen, zulassungsrelevanten Eigenschaften eine Typengenehmigung erschleicht. Dabei wird eine sehr hohe Sorgfalt erwartet, weil das Handeln von einer großen Tragweite sowohl für die Mobilität als auch das Vermögen der einzelnen (zigtausend bis Millionen) Kunden, als auch für die Umwelt (bei in großer Stückzahl produzierten Fahrzeugen hohen Auswirkungen auf die Umweltbelastung und damit wiederum für die Gesundheit der Allgemeinheit) ist und Verstöße zu hohen Schäden führen können. „Den europäischen Normen entsprechend erwartet der Verbraucher objektive und genaue, und somit wahrheitsgemäße Informationen. Verbrauchs- und Emissionswerte haben allgemein eine hohe Bedeutung bei den Anschaffungsentscheidungen. Die allgemeine Verkehrserwartung geht auch dahin, dass sich ein Hersteller nicht durch falsche Angaben oder durch Manipulationen im Rahmen des Prüfverfahrens mit nicht vergleichbaren Werten Wettbewerbsvorteile verschafft. An die Redlichkeit werden besonders hohe Erwartungen gestellt, da der Verbraucher auf die Richtigkeit der Angaben durch den Hersteller angewiesen ist, weil er zu einer eigenen Überprüfung nicht in der Lage ist.
Gegen diese berechtigte Verkehrserwartung hat die Beklagte in einem erheblichen Maße verstoßen. Die Installation einer Abschalteinrichtung widersprach offensichtlich den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Ein Fahr- und Emissionsverhalten, das durch eine spezielle Steuerungssoftware allein auf das Prüfverfahren abgestimmt war und somit – wie die Beklagte selbst vorträgt – keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften im Normalbetrieb erlaubt, widersprach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift und erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen nicht. Unstreitig wurde die Beklagte durch den Hersteller der Software, die Firma Bosch, vor dem gesetzeswidrigen Einsatz der Software gewarnt. Das Handeln entgegen dieser Warnung verstärkt das Unwerturteil.
Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit des Handelns ist der hohe Schaden, den die Beklagte verursacht hat, sowie das hohe Risiko für die zahlreichen Fahrzeugkäufer zu berücksichtigen, das die Beklagte in Kauf genommen hat. Der Beklagten war bewusst, dass sie die Anforderungen der Abgasnormen nicht ohne die unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen konnte. Dies folgt bereits aus der Installation der Software, die speziell eine Motorsteuerung für den Prüfzyklus vorsah, und somit für die Prüfung nicht geeignete Emissionswerte erzeugte. Als Automobilhersteller war ihr weiter bekannt, dass sie keine rechtsbeständige EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung im Prüfverfahren erhalten kann und somit die Gefahr des Widerrufs der EG-Typgenehmigung und der Allgemeinen Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge bestand. Der dadurch drohende Schaden war angesichts der hohen Stückzahl der produzierten Motoren enorm. Die Inkaufnahme eines derartigen Schadens zum Zwecke des Gewinnstrebens enthält ein hohes Maß an Skrupellosigkeit. Gleichzeitig hat sich die Beklagte gegenüber ihren Mitbewerbern, die auf ordnungsgemäße Weise die Einhaltung der Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nachgewiesen haben, einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil verschafft. Sie hat sich die Kosten der Entwicklung einer Technik gespart, die den Anforderungen der Vorschriften gerecht geworden wäre.“(so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2018 – 19 O 68/17, juris).
„Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und die Umwelt so zu schädigen, dass Gesundheitsgefahren [für die Allgemeinheit] drohen, weil die Schadstoffwerte (NOx) erhöht werden, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anschaffung eines Fahrzeugs für einen Verbraucher in der Regel um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht handelt und ein Verbraucher als technischer Laie die Manipulation nicht erkennen kann. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit des Verbrauchers bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, was eine besonders verwerfliche Vorgehensweise darstellt. Mit der Motorsteuerungssoftware wurde mit erheblichem Aufwand ein System zur planmäßigen Verschleierung gegenüber Behörden und Verbrauchern geschaffen, um den Umsatz und Gewinn durch die bewusste Täuschung zu steigern.“ (so zutreffend LG Krefeld, Urteil vom 28. Februar 2018 – 7 O 10/17, juris, m.w.N.).
Die subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände war bei den handelnden Personen unzweifelhaft gegeben.
IV.
Die Beklagte hat dabei auch vorsätzlich gehandelt, wobei sie sich das Wissen und Verhalten ihrer Repräsentanten zurechnen lassen muss.
1. Die schädigende Handlung ist der Beklagten nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen.
a) Die Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/16, juris).
Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des § 31 BGB bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl. 2018, § 31 BGB, Rn. 7), denn juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 08. Juli 1980 – VI ZR 158/78 = NJW 1980, 2810).
b) Hier hat die Beklagte jedenfalls entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dargelegt, dass sie den Organisationsanforderungen gerecht geworden ist.
Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware handelt es sich offensichtlich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung – wie insbesondere die finanziellen Folgen des „Abgasskandals“ zeigen – und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) eingegriffen wird.
Selbst wenn – wie die Beklagte vorträgt (zur Frage einer direkten Zurechnung unter einer sekundären Darlegungslast der Beklagten insoweit etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 09. Februar 2018 – 7 O 212/16, juris; LG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2018, juris; LG Bonn, Urteil vom 07. März 2018 – 19 O 327/17, juris) – kein Vorstandsmitglied Kenntnis von dieser Entscheidung hatte, sondern diese weitreichende Entscheidung tatsächlich von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden sein sollte, läge insoweit offenbar ein massives Organisationsdefizit vor, so dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als wären die handelnden Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter (so auch LG Essen, Urteil vom 28. August 2017 – 4 O 114/17, juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 09. Februar 2018 – 7 O 212/16, juris).
2. Die der Beklagten zuzurechnende Handlung war auch vorsätzlich, da die handelnden Personen jedenfalls Art und Richtung des Schadens (massenhafter Abschluss von Kaufverträgen über Fahrzeuge, deren EG-Typgenehmigung erschlichen war) und die Schadensfolgen (Begehr auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages) vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
V.
Als Rechtsfolge kann der Kläger Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB fordern – er hat mithin einen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
1. Nachdem davon auszugehen ist, dass der Kläger bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis einerseits und des Wertes des Fahrzeugs andererseits den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht geschlossen hätte und damit der Schaden bereits bei Eingehung des Vertrages bzw. mit Vertragsschluss entstanden ist, ist er so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen.
Er hat folglich Anspruch auf Zahlung des unstreitigen Kaufpreises, muss jedoch gleichzeitig im Wege des Vorteilsausgleichs das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben (dem ist in Form einer Zugum-Zug-Verurteilung Rechnung zu tragen) sowie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
2. Dass die Beklagte zwischenzeitlich das Software-Update aufgespielt hat (bzw. diese Möglichkeit überhaupt in Abstimmung mit dem KBA existiert und dazu führt, dass dauerhaft nicht mehr mit einem Entzug der Typengenehmigung zu rechnen ist), ist für die Schadensbeurteilung ohne Relevanz. Der Geschädigte muss sich vom Schädiger nicht das Festhalten an dem Vertrag aufdrängen lassen, zumal die (etwaig nachteiligen) Folgen des Software-Updates möglicherweise erst nach einem längeren Dauerbetrieb auftreten und nur mittels kostspieligen Sachverständigengutachtens geklärt werden können (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 8. Februar 2018 – 19 O 68/17, juris).
3. Die Höhe des Nutzungsvorteils berechnet sich auf Grundlage der Formel: Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Gesamtlaufleistung.
Hierbei geht das Gericht nach § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus, was bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch erscheint (so etwa auch LG Duisburg, Urteil vom 19. Februar 2018 – 1 O 178/17, juris; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17. Juli 2017 – 13 O 174/16, juris; LG Krefeld, Urteil vom 12. Juli 2017 – 7 O 159/16, juris; LG Trier, Urteil vom 7. Juni 2017 – 5 O 298/16, juris).
Die tatsächlich insgesamt gefahrenen Kilometer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entnimmt das Gericht den Angaben des Klägers, der unbestritten 63.257 km angegeben hat.
Vom letzten Kilometerstand und von der generellen Fahrleistung sind die bei Erwerb gefahrenen Kilometer abzuziehen: 63.257 km abzüglich 14.850 km (K1): 48.407 km gefahren 300.000 km abzüglich 14.850 km: 273.000 km Dies ergibt eine Nutzungsentschädigung von (24.500 EUR x 48.407 km /285.150 km=) 4.159,11 EUR, die mit dem Kaufpreis – ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (vgl. BGH, NJW 2015, 3160) – zu verrechnen ist (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung: 20.340,89 EUR).
Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit des Klägers – trotz der Umschaltlogik – nicht beeinträchtigt war, kann aus dem bloßen Umstand der Mangelhaftigkeit nicht abgeleitet werden, dass Nutzungsentschädigung nicht geschuldet ist (so auch LG Hamburg, Urteil vom 18. Mai 2018 – 308 O 308/17, juris).
Insgesamt ergibt sich danach ein Zahlungsanspruch von 20.340,89 EUR, der Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Klageantrags war die Klage abzuweisen.
VI.
Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt. Der Kläger hat sich im Dezember 2018 zum Klageregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig gegen die Beklagte angemeldet. Diese Anmeldung hat er im September 2019 zurückgenommen. Die Verjährung war damit gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gehemmt, da dieser Anmeldung unstreitig derselbe Lebenssachverhalt zugrunde lag wie dem hiesigen Verfahren. Diese Hemmung endete gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB sechs Monate nach Rücknahme der Anmeldung. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits die hiesige Klage erhoben (die mit Rücknahme der Anmeldung auch zulässig geworden ist, vgl. oben unter A.), so dass die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB weiterhin gehemmt ist. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Anmeldung zum Klageregister durch den Kläger sind nicht ersichtlich. Die dahingehende, bloße Behauptung der Beklagten kann insoweit nicht genügen, die legitime Rechtsausübung des Klägers in Form der Anmeldung und Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen.
VII.
Zu verzinsen ist die Forderung ab Rechtshängigkeit, § 291 BGB. In der Klageschrift hat der Kläger die Laufleistung mitgeteilt, so dass die Beklagte ab diesem Zeitpunkt den von ihr geschuldeten Schadenersatz ermitteln konnte.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte jedoch kein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% aus dem Kaufpreis für die Zeit ab Leistung des Kaufpreises aus § 849 BGB zu.
Nach § 849 BGB kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird, wenn wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist. Der Kläger fordert Zinsen aus dem vollen Kaufpreis für einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum. Ein solcher Anspruch steht ihr jedoch nicht zu:
Der Kläger hat in demselben Zeitraum das streitgegenständliche Fahrzeug genutzt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung insgesamt eine Strecke von mehr als 48.407 km damit zurückgelegt. Somit handelt es sich bei dem von ihm gezahlten Kaufpreis, ab dem Zeitpunkt der Nutzung des Fahrzeugs nicht um den „zu ersetzenden Betrag“ im Sinne des § 849 BGB. Dieser zu ersetzende Betrag verringerte sich mit jedem Kilometer, den der Kläger mit dem Fahrzeug gefahren ist.
Mithin hat der Kläger zwar den Kaufpreis an seinen Verkäufer gezahlt, hat jedoch auch ein Fahrzeug bekommen, das er uneingeschränkt nutzen konnte. Eine Verzinsung des vollständigen Kaufpreises kommt daher nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht, weshalb die Klage insoweit abzuweisen war.
VIII.
Nachdem sich die Beklagte seit dem 5. März 2019 mit der Annahme von Besitzübertragung und Übereignung des streitgegenständlichen Pkws in Verzug gemäß §§ 293, 295 BGB befindet (vgl. Anlage K 13), war auf Antrag des Klägers die entsprechende Feststellung auszusprechen.
IX.
Die Klage war im Hinblick auf den Anspruch des Klägers, wonach die Beklagte ihm die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.899,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.3.2019 zu zahlen habe, abzuweisen. Der Kläger trägt bereits selbst nicht vor, dass ihm diese Kosten entstanden seien, sondern erklärte im Rahmen informatorischer Anhörung, dass diese Kosten durch seine Rechtsschutzversicherung beglichen würden. Er selbst habe nur seinen – nicht konkret bezifferten – Anteil zur Rechtsschutzversicherung gezahlt. Das Vorbringen des Klägers ist daher in dieser Hinsicht nicht ausreichend substantiiert, um hierauf eine Verurteilung zu stützen, so dass es auf die Frage, ob eine Geschäftsgebühr von 2,0 für den vorliegenden Fall, der sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrades nicht als überdurchschnittlich zu bewerten ist, für erforderlichen gehalten werden darf, nicht ankommt.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 GKG festgesetzt.


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