Europarecht

Schadensersatz im Zusammenhang mit der Rückgabe eines von dem sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs

Aktenzeichen  3 U 5449/19

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 984
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 263 Abs. 1
BGB § 437, § 438, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1
ZPO § 97, § 708 Nr. 10, § 711, § 713

 

Leitsatz

1. Wird ein Fahrzeug 1,5 Jahre nach dem Bekanntwerden des sog. Abgasskandals erworben, kann schon deshalb nicht von einem Schädigungsvorsatz des Verkäufers ausgegangen werden. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Fahrzeug erworben und begehrt nur sie das eingeklagte Recht auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, ohne darzutun, warum sie als Alleineigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs anzusehen sei, fehlt es ihr an der notwendigen Aktivlegitimation. (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB oder nach § 826 BGB i.V.m. § 831 BGB wegen sittenwidrigen Verhaltens im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal scheidet aus, wenn dieser ausreichende Abwehrmechanismen, z.B. die zeitnahe Herausgabe einer ad-hoc Mitteilung oder die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte in einer Pressemitteilung, veranlasst hat. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weil sie nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer dienen. (Rn. 28 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
5. Auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst weisen keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers auf und stellen daher kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 O 5338/18 2019-09-05 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 05.09.2019, Az. 8 O 5338/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des von dem sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs.
Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um einen von der Beklagten hergestellte Pkw VW Touran 1,6 TDI, der im März 2017 von der Firma Auto-H. in E. veräußert wurde. Das Fahrzeug war im Januar 2011 erstmals zum Verkehr zugelassen worden und wies im März 2017 einen Kilometerstand von 151.868 km auf. Der Kaufvertrag weist die Klägerin als Käuferin auf, in der Zulassungsbescheinigung Teil I ist der Ehemann der Klägerin aufgeführt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Kaufvertrag vom 20.03.2017 (Anlage K 1) und die Zulassungsbescheinigung Teil I (Anlage K 2) verwiesen.
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor vom Typ EA 189 und ist mit einer Software ausgestattet, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb optimiert.
Nachdem das Kraftfahrbundesamt das Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug freigegeben hatte, wurde das Update durchgeführt.
Hinsichtlich des Vortrags der Klägerin vor dem Landgericht wird verwiesen auf die Klageschrift vom 17.12.2018 (Bl. 1/18 d.A.).
Bezüglich des Vorbringens der Beklagten wird Bezug genommen auf die Klageerwiderung vom 17.04.2019 (Bl. 28/90 d.A.) und den Schriftsatz vom 31.07.2019 (Bl. 93/98 d.A.).
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 08.08.2019 [vgl. insoweit das Protokoll vom 08.08.2019 (Bl. 99/101 d.A.), auf das verwiesen wird], hat das Landgericht die Klage mit Endurteil vom 05.09.2019 abgewiesen. Auf das Endurteil vom 05.09.2019 (Bl. 103/120 d.A.) wird Bezug genommen.
Gegen das Endurteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Hinsichtlich ihrer Ausführungen wird verwiesen auf die Berufungsbegründung vom 18.11.2019 (Bl. 128/158 d.A.).
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises des Fahrzeugs in Höhe von 11.300,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.12.2018 zu zahlen.
Dies Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs VW Touran mit der FIN …4606 sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Aufwendungen und Schäden, die aufgrund des Erwerbs und des Unterhalts des Fahrzeugs VW Touran mit der FIN …4606 entstanden sind und noch entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus dem Kaufpreis in Höhe von 11.300,00 Euro seit dem 21.03.2017 bis zum 05.12.2018 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW Touran mit der FIN …4606 seit dem 06.12.2018 im Annahmeverzug befindet.
5. Die Beklagte wird verurteilt, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 490,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.12.2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Klage, soweit möglicherweise im Rahmen der Antragsumstellung zwischen den Instanzen eine Klageerweiterung gesehen werden kann.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Endurteil. Auf die Berufungserwiderung vom 08.01.2020 (Bl. 162/198 d.A.) wird Bezug genommen.
Der Senat hat am 22.01.2020 mündlich verhandelt und die Klägerin informell angehört. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf das Protokoll vom 22.01.2020. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die sonstigen Aktenbestandteile.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nicht zu.
Vertragliche Ansprüche werden von der Klägerin nicht thematisiert und kommen auch nicht in Betracht. Deliktische Ansprüche sind nicht gegeben; zu den insoweit allein tragenden Gründen gehört der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug ca. 1,5 Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des sog. Abgasskandals erworben wurde. Schon deshalb kann nicht von Schädigungsvorsatz der Beklagten ausgegangen werden. Darüber hinaus mangelt es vorliegend an der schlüssigen Darlegung der Aktivlegitimation. Im Einzelnen:
1. Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der schlüssigen Darlegung der Aktivlegitimation.
Schlüssig und damit ausreichend substantiiert ist eine Klage, wenn die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen den Klageantrag rechtfertigen, wenn sie also in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, die geltend gemachten Rechte als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen (Thomas / Putzo / Seiler, ZPO, 40. Auflage § 253 Vorb Rn. 38). Zur Begründetheit einer Klage gehört, dass das eingeklagte Recht dem Kläger zusteht, er Träger dieses Rechts ist (Thomas / Putzo / Seiler, aaO, § 253 Vorb Rn. 39).
Das Klagevorbringen als wahr unterstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das eingeklagte Recht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags – unterstellt ein solches Recht wäre denn gegeben (wie nicht) – der Klägerin zusteht, denn die Klägerin ist – ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22.01.2020 zugrunde gelegt – nicht als Alleineigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs anzusehen.
Zwar hat sie in erster Instanz vorgetragen, sie habe das streitgegenständliche Fahrzeug am 20.03.2017 vom Verkäufer Auto-H. zu einem Kaufpreis von 11.300,00 € erworben (Klageschrift, Seite 4 = Bl. 4 d.A.). In ihrer informellen Anhörung vor dem Senat am 22.02.2020 hat die Klägerin ihren Vortrag jedoch dahingehend präzisiert, dass auch ihr Mann beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs dabei gewesen sei. Der Pkw sei auch vom gemeinsamen Geld bar bezahlt worden, denn ihr Mann und sie hätten eine gemeinsame Kasse. Zwar laufe die Versicherung über sie, sie sei auch im Kaufvertrag als Käuferin aufgeführt, jedoch stehe ihr Mann im Fahrzeugschein, er habe das Fahrzeug auf sich zugelassen. Das Auto werde von ihnen gemeinsam genutzt. Sie hätten nur dieses eine Fahrzeug als Familienauto. Wahrscheinlich stehe sie, die Klägerin, im Kaufvertrag, weil sie als erste beim Autohändler gewesen sei. Die Autos, die sie zuvor gekauft hätten, habe ihr Mann gekauft (Protokoll vom 22.01.2020, Seiten 2/3).
Diesen Vortrag der Klägerin in der Verhandlung vom 22.01.2020 zugrunde gelegt, kann nicht davon ausgegangen werden, sie habe das Alleineigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erworben. Damit fehlt es an der schlüssigen Darlegung der Aktivlegitimation der Klägerin. Daran vermag auch der Umstand, dass die Beklagtenvertreterin den Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen bestritten hat (Protokoll vom 22.01.2020, Seite 3), nichts zu ändern.
2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist vorliegend – entgegen der Auffassung der Klägerin (Berufungsbegründung, Seiten 9 bis 30 = Bl. 126 bis 157 d.A.) – auch eine Haftung der Beklagten nicht ersichtlich – weder nach § 826 BGB, noch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder § 831 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 II, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 38 Abs. 1 BImSchG.
2.1. Eine Haftung nach § 826 BGB oder nach § 826 BGB i.V.m. § 831 BGB scheidet hier schon deshalb aus, da das streitgegenständliche Fahrzeug im März 2017, d.h. ca. 1,5 Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des sog. Abgasskandals, von der Klägerin und ihrem Ehemann (so der Vortrag der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Senat) erworben wurde.
a) Es kann dahinstehen, ob der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist oder nicht, denn die Beklagte hatte jedenfalls im Zeitpunkt als das streitgegenständliche Fahrzeug erworben wurde, ausreichende Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schadenseintritts getroffen. Die Beklagte hatte am 22.09.2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete ad hoc Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informiert und mitteilt hatte, dass „die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden“ sei. In der Folge kam es zu einer umfassenden Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat in einer Mitteilung vom 02.10.2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Thematik Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland, z.B. Bild, Spiegelonline, Süddeutsche Zeitung, Die Welt etc.. Ebenso die Händler und Vertriebspartner wurden von der Beklagten informiert. Diese Unterrichtungsmaßnahmen durch die Beklagte sind allgemein bekannt. Auch der Senat selbst kann sich an die umfangreiche Berichterstattung erinnern, darunter auch die frühzeitig kommunizierte Möglichkeit der Abfrage des eigenen Fahrzeugs.
Nachdem die Beklagte mithin ausreichende Maßnahmen getroffen hat, um die weiteren Auswirkungen ihres – unterstellt – sittenwidrigen Verhaltens einzudämmen, ist der Zurechnungszusammenhang in Bezug auf Schäden wegen nach Bekanntwerden der Diesel-Thematik verkaufter Fahrzeuge auf diese Weise unterbrochen worden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019 – Az. 10 U 199/19).
b) Im Hinblick auf die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilungen und die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen konnte die Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerin und ihr Ehemann, die das Fahrzeug – nach dem Vortrag der Klägerin in ihrer Anhörung vom 22.01.2020 – im März 2017 erworben hatten, aufgrund der monatelangen Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen bereits von der Problematik des zu erwerbenden Fahrzeugs erfahren haben mussten. In ihrer Anhörung vor dem Senat am 22.01.2020 hat die Klägerin dementsprechend auch zugegeben, beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus den Medien von dem Abgasskandal gehört zu haben (Protokoll vom 22.01.2020, Seite 2). Auf Erwerber eines betroffenen Fahrzeugs nach Bekanntwerden der Abgasproblematik kann sich der von der Klägerin behauptete Plan der Beklagten naturgemäß deshalb nicht erstreckt haben, weil ein solcher die Unbekanntheit der Umschaltung der Abgasrückführung vorausgesetzt hätte (OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss vom 02.11.2017 – 7 U 69/17 in BeckRS 2017, 147937, beck-online). Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten ist damit schon wegen des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs rund 1,5 Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des sog. Abgasskandals nicht gegeben.
Darauf, ob die Klägerin konkrete Kenntnis davon hatte, dass gerade der von ihrem Mann und ihr erworbene Wagen (vgl. dazu den Vortrag der Klägerin in der Verhandlung vor dem Senat am 22.01.2020) vom Abgasskandal betroffen war, kommt es nicht an.
2.2. Mangels Schädigungsvorsatzes des Beklagten ist auch eine Haftung nach § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB oder nach § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB i.V.m. § 831 BGB nicht gegeben.
Unabhängig davon fehlt es vorliegend für die Verwirklichung des Betrugstatbestandes auch an der Stoffgleichheit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 263 StGB. Der Täter des § 263 Abs. 1 StGB muss die Absicht haben, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Dieser ist das Gegenstück zum Vermögensschaden des Geschädigten. Daher stellt jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage, jede Erhöhung des Vermögenswertes einen Vermögensvorteil dar (Schönke/Schröder/Perron, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 263 StGB Rn. 166 f.). Der vom Täter erstrebte Vermögensvorteil und der verursachte Vermögensschaden müssen mit anderen Worten einander entsprechen. Das eine muss gleichsam die Kehrseite des anderen sein (st. Rspr., vgl. bereits BGH NJW 1954, 1008). Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin trägt vorliegend vor, der Schaden bestehe in dem ungewollten Kaufvertrag über das Fahrzeug. Bei der Beklagten, deren Bereicherung ein verfassungsmäßiger Vertreter i.S.v. § 31 BGB erstrebt haben könnte, ist eine solche jedoch allenfalls dadurch eingetreten, dass sie das Fahrzeug an den Erstkäufer ausgeliefert hat (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17 -, Rn. 176 – 177 bei JURIS). Bei dem hier streitgegenständlichen Gebrauchtwagenkauf fließt – anders als beim Neuwagenkauf – der vom Gebrauchtwagenkäufer gezahlte Kaufpreis nicht, auch nicht teilweise, an die Herstellerin. Eine Absicht, sich bei einem Weiterverkauf selbst zu bereichern, hat die Beklagte als Herstellerin des Motors jedoch zweifelsfrei nicht. Auch eine Absicht der Drittbereicherung kann nicht angenommen werden, denn die Beklagte als Herstellerin des Motors weiß in der Regel gar nicht, ob, wie oft und von wem das Fahrzeug, in dem der von ihr hergestellte Motor eingebaut ist, weiterverkauft wird und wem der Weiterverkaufspreis zufließt (OLG Bamberg, Urteil vom 24.07.2019 – 8 U 38/19, BeckRS 2019, 21335, Rn. 25 f.; OLG München, Beschluss vom 8.11.2019 – 3 U 4764/19; vgl. auch OLG München, Hinweis vom 20.05.2019 – Az.: 32 U 1775/19, wonach die deliktische Haftung bei Gebrauchtwägen generell abzulehnen ist).
2.3. Ein Schadensersatzanspruch besteht auch nicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach §§ 6, 27 EG-FGV, denn der Schutzgesetzcharakter von § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ist zu verneinen.
(1) Eine Norm ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Zudem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden muss, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – Az.: XI ZR 51/10 Rn. 21 bei JURIS).
(2) Die §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer. Derartiges ergibt sich auch nicht aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az.: 8 U 1449/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17).
Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG folgt, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist; darüber hinaus sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung.
Sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nrn. 14 und 17 genannten, lassen anderweitige Rückschlüsse nicht zu. Diese betreffen, soweit sie denn über die bereits genannten Erwägungsgründe hinausgehen, ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der (allgemeinen) Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
Ein Individualschutz lässt sich auch nicht aus dem Erwägungsgrund (3) der VO (EG) 385/2009 herleiten, wonach sicherzustellen ist, dass die Angaben auf der Übereinstimmungsbescheinigung für die beteiligten Verbraucher und Wirtschaftsteilnehmer verständlich sein müssen. Das Verständlichkeitsgebot allein spricht nämlich nicht dafür, dass nunmehr individuelle Interessen geschützt werden sollen, sondern mag auch dadurch zu erklären sein, dass es der Käufer ist, der die Übereinstimmungsbescheinigung zum Zweck der Zulassung bei den zuständigen Behörden vorlegen muss. Schon dazu bedarf es einer verständlichen Fassung.
Neben der Berücksichtigung des Wortlauts kann im Rahmen der Auslegung der VO (EG) 385/2009 aber auch nicht außer Betracht bleiben, dass die eine Richtlinie ändernde Verordnung von der Kommission, dem Exekutivorgan der Europäischen Union, erlassen worden ist. Dabei geht der Senat nicht von einer Unwirksamkeit der Verordnung aus, sondern berücksichtigt vielmehr ausschließlich im Rahmen der Auslegung, dass nicht anzunehmen ist, dass die Kommission dem ursprünglich klar erkennbaren, einen Individualschutz nicht enthaltenden Zweck der Richtlinie 2007/46/EG einen gänzlich neuen hinzufügen wollte.
Selbst wenn – wie nicht – die europarechtlichen Vorgaben (auch) den Individualschutz bezwecken würden, würde dies die Annahme eines Schutzgesetzes nicht präjudizieren, denn die Fahrzeugkäufer können nach dem innerstaatlichen Recht auch durch die allgemein anerkannten Haftungsnormen des deutschen Zivilrechts – etwa durch §§ 437 ff BGB – hinreichend geschützt werden.
2.4. Auch ein Anspruch der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 II, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 oder nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 38 Abs. 1 BImSchG ist nicht gegeben, dies schon deshalb, da der Schutzgesetzcharakter von Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 und von § 38 Abs. 1 BImSchG zu verneinen ist.
Ziel der VO (EG) 715/2007 ist nach deren einleitenden Bemerkungen (1) bis (4) sowie zusammengefasst nochmals in (27) die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung von Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau (1) als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen (4) beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen unter (7), die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zuge mit der Senkung der Gesundheitskosten (und dem Gewinn an Lebensjahren) nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht. Dass der europäische Gesetzgeber i.S.d. Definition des Schutzgesetzes dem einzelnen Verbraucher die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der in dieser Verordnung zur Umsetzung dieser Ziele geregelte Verbote übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt, geht damit aus den Vorbemerkungen nicht hervor. Vielmehr spricht stattdessen sogar der Umstand, dass die Ziele in (7) in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern, gegen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers aufweisen (so i.E. auch Riehm DAR 2016, 12, 13). Gerade einen derartigen Bezug zu Individualinteressen sieht der Europäische Gerichtshof aber in seiner Vorabentscheidung vom 16.02.2017, Az.: C – 219/15, Rn. 55, 56, als Erfordernis für eine Schutzgesetzeigenschaft an (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17 – Rn. 144 bei JURIS und OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az.: 8 U 1449/19 – Rn. 82 bei JURIS).
3. Ein Anspruch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht mangels einer Hauptforderung ebenso wenig wie ein Anspruch auf Feststellung eines Annahmeverzugs der Beklagten.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.
Der Senat hat hier einen Einzelfall entschieden und folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Deliktsrecht. Eine Grundsatzbedeutung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass derzeit zahlreiche „Diesel-Klagen“ bundesweit bei Gerichten anhängig sind. Grundsatzbedeutung hat eine Sache nur dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (BGH, Beschluss vom 19.12.2002 – VII ZR 101/02). Daran fehlt es hier, weil der Rechtsstreit lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall betrifft.


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