Europarecht

Schadensersatz, Kaufvertrag, Fahrzeug, Annahmeverzug, Mangel, Sachmangel, Streitwert, PKW, Sicherheitsleistung, Darlegung, Gesamtschuldner, Anspruch, Klage, Zinsen, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, wesentlicher Mangel

Aktenzeichen  33 O 17/19

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51490
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 36.640,44 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen PKW gegen die Beklagte zu 1) nach §§ 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 2, Nr. 3 BGB.
1. Die darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei konnte bereits das Vorliegen eines Mangels zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht substantiiert darlegen.
Die Behauptung der Klagepartei, es läge eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, ist seitens der Beklagten (insbesondere der Beklagten zu 2)) umfangreich bestritten worden. Angesichts dessen stellt sich die Behauptung der Klagepartei als schlichte Mutmaßung und Behauptung ins Blaue hinein dar. Irgendwelche Tatsachen konkreter Art, die für einen Mangel bei Gefahrübergang sprechen, trägt der Kläger nicht vor.
Die Klagepartei ist als Anspruchssteller für die Darlegung des Sachmangels und für die Behauptung, ihr Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung darlegungs- und beweisbelastet.
Eine Partei genügt grundsätzlich ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 16.04.2015, Az. IX ZR 195/14). Einer Partei darf grundsätzlich nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen von jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten gerechtfertigt werden können (BGH, Urt. v. 27.05.2003, Az. IX ZR 283/99).
So liegt der Fall bei der bloßen anlasslosen Behauptung, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2018 – 33 O 17/19 – Seite 6 – 20 U 95/18; OLG Oldenburg, Urteil vom 15.02.2019 – 2 U 156/18; OLG Celle, Beschluss vom 07.02.2019 – 7 U 263/18; OLG Köln, Beschluss, vom 07.03.2019 – 3 U 148/18).
2. Die Klagepartei trägt vorliegend keinerlei Anhaltspunkte vor, die ihre Behauptung stützen könnten. Ihr Vortrag ergeht sich indes in Mutmaßungen zu der pauschal als „Dieselskandal“ bezeichneten Diskussion um Dieselfahrzeuge seit Herbst 2015. Hinsichtlich des konkreten streitgegenständlichen Fahrzeugs trägt die Klagepartei keine Anhaltspunkte für eine solche, gezielt den NEFZ-Zyklus anhand eines engen Temperaturbereichs erkennende Funktion vor. Der klägerische Vortrag zur Art der Programmierung des Motorsteuergeräts des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist ohne greifbare Anhaltspunkte „ins Blaue hinein“ erfolgt.
Dem Gericht fehlen daher jegliche Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass im Fahrzeug des Klägers eine unzulässige Manipulationssoftware verbaut worden sein könnte, weshalb das Gericht auch nicht gehalten war das klägerseits beantragte Sachverständigengutachten einzuholen.
Schließlich ist es nicht einmal zu einem bestandskräftigen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes hinsichtlich des Fahrzeugs, das die Klagepartei erworben hat, gekommen. Dass das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf angeordnet hat, dies hinsichtlich anderer Fahrzeuge als von der Klagepartei erworbene, lässt nicht den Schluss zu, dass ein Mangel an dem Fahrzeug der Klagepartei (unzulässige Abschalteinrichtung o.ä.) vorliegt.
Im Übrigen bedeutet selbst der Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes nicht, dass damit hinreichender Vortrag für einen Mangel vorliegt. Auch hier gilt, dass man aus Anordnungen des Kraftfahrtbundesamtes nicht darauf schließen kann, dass deshalb ein erheblicher Mangel an dem Fahrzeug vorliegt. (so auch LG Verden Urteil vom 26.09.2018 Az.: 8 O 32/18, betätigt durch OLG Celle Urteil vom 13.11.2019 Az.: 7 U 367/18)
Mithin hat die Klagepartei keine Ansprüche auf Rückabwicklung gegen die Beklagte zu 1).
II. Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 2, 826 BGB gegen die Beklagte zu 2). Diesbezüglich ist zunächst auf die vorangegangenen Ausführungen zu verweisen, wonach die darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei einen Anspruch nicht ausreichend schlüssig darlegen konnte und zudem aufgrund des klägerischen Vortrags „ins Blaue hinein“ kein Beweis über die vorgetragene Art der Programmierung des Motorsteuergeräts des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erheben war.
2. Zudem kann anhand des Wortlautes auch nicht ohne Weiteres und eindeutig beantwortet werden, ob es sich bei der vorliegenden Funktionen der Abgasrückführung um eine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG handelt. Die Vorschrift ist derart unklar formuliert, dass es insoweit einer Auslegung der Norm bedarf. Daher ist das vom Kläger behauptete Verhalten der Beklagten zu 2) nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bzw. als vorsätzliche Täuschung zu qualifizieren (so auch OLG Nürnberg Urteil vom 19.07.2019 Az.: 5 U 1670/18; LG Stuttgart Urteil vom 03.05.2019 Az.: 22 O 238/18).
Der Annahme vorsätzlichen sittenwidrigen oder täuschenden Verhaltens der Beklagten zu 2) steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. Zu diesem Ergebnis ist auch der 5. Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 des Grundgesetzes des Deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900) gelangt. In den Schlussfolgerungen und Empfehlungen dieses Ausschusses (S. 536 ff. der zitierten Drucksache) wird die Auffassung des Ausschusses festgehalten, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgeführten Ausnahmen vom Verbot von Abschalteinrichtungen seien nicht eindeutig definiert. Das europäische Recht ermögliche der Typgenehmigungsbehörde nicht in jedem Fall, zweifelsfrei festzustellen, ob eine genutzte Abschalteinrichtung zulässig sei oder nicht. Die Formulierung der Ausnahmen sei teilweise so weit, dass den Automobilherstellern ein weiter Einsatzspielraum verbleibe. Dies gelte insbesondere für die Ausnahme des Motorenschutzes, die den Herstellern die Definition weitreichender sog. Thermo-Fenster ermögliche. Letztlich bestimme der Hersteller durch seine Motorkonstruktion, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen müsse, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden könne. Die europäischen Typgenehmigungsvorschriften müssten deshalb überarbeitet werden (vgl. dazu insgesamt OLG Nürnberg Urteil vom 19.07.2019 Az.: 5 U 1670/18).
Zudem ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 2), wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 vom 18.07.2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EGTypgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems einschließlich seines Funktionierens bei niedrigen Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen gemacht hat, so dass dem Kraftfahrtbundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm jedoch – offensichtlich – nicht beanstandet worden ist. Auch dies zeigt, dass die vom Kläger angeführte Auslegungung nicht als zwingend angesehen werden kann. Zugleich und vor allem stellt dies ein wesentliches Argument gegen die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten bei dem In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges dar. Jedenfalls konnte die Beklagte durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt eben beanstandet worden wäre. (vgl. OLG Nürnberg Urteil vom 19.07.2019 Az.: 5 U 1670/18; LG Stuttgart Urteil vom 03.05.2019 Az.: 22 O 238/18).
Selbst wenn man mangels gegenteiliger Darlegung der Beklagten zu 2) unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere – und vor allem durchgehend hohe – Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere StickoxidEmissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg Urteil vom 19.07.2019 Az.: 5 U 1670/18; LG Stuttgart Urteil vom 03.05.2019 Az.: 22 O 238/18).
Mithin bestehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche des Klägers auf Schadenersatz nach den §§ 826, 823 BGB gegen die Beklagte zu 2).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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