Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Fahrzeug, Kaufpreis, Rechtsanwaltskosten, Anfechtung, Sachmangel, Sittenwidrigkeit, Pkw, Verletzung, Haftung, Arglist, Herausgabe, Zug um Zug, unangemessene Benachteiligung, inhaltliche Richtigkeit

Aktenzeichen  20 U 3043/20

Datum:
25.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5687
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

71 O 3465/19 2020-05-05 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 05.05.2020, Az. 71 O 3465/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 29.606,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.03.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Audi A5 3.0 l TDI, FIN …860.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Gerichtskosten erster Instanz trägt der Kläger 66% und die Beklagte zu 2) 34%. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers in erster Instanz trägt die Beklagte zu 2) 69%. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) erster Instanz trägt der Kläger 31%.
Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 51% und die Beklagte zu 2) 49%. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren trägt die Beklagte zu 2).
Die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen der Beklagten zu 1) trägt der Kläger.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung durch den Kläger abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.292,25 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagten wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
Der Kläger erwarb mit „verbindlicher Bestellung“ vom 14.03.2017 zum Preis von 39.999,00 € von der Beklagten zu 1) einen Gebrauchtwagen Audi A5 Sportback 3.0 TDI, 160 kw, Erstzulassung 09.09.2016, Schadstoffklasse Euro 6, mit einem Kilometerstand von 8.999 km. Das Fahrzeug wurde am 17.03.2017 übergeben (vgl. Anlage K 73). Die Beklagte zu 2) ist die Herstellerin des Wagens und des Motors (Kennbuchstaben CKV). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betrug der Kilometerstand 71.613 km.
Das Fahrzeug ist von einem verbindlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“ betroffen. Beanstandet wurde nach den Angaben des Klägers u.a. eine Aufheizstrategie, die nahezu ausschließlich unter Prüfbedingungen genutzt wird. Die Beklagte zu 2) hat hierzu ein Softwareupdate entwickelt, das vom Kraftfahrtbundesamt geprüft und freigegeben wurde.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.02.2019 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und den Rücktritt. Mit Anwaltsschreiben vom 07.02.2019 forderte der Kläger die Beklagte zu 2) wegen deliktischer Ansprüche zur Erstattung des Kaufpreises und Rücknahme des Fahrzeugs auf (vgl. Anlage K 74).
Mit Schriftsatz vom 05.11.2019 erhob er Klage. Bezüglich der Beklagten zu 1) verlangte er u.a. Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1) darzulegenden Nutzungsentschädigung, ferner Feststellung der Schadensersatzpflicht und des Annahmeverzugs sowie Freistellung von vorgerichtlichen Kosten. Bezüglich der Beklagten zu 2) beantragte er Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Freistellung von vorgerichtlichen Kosten, mit Schriftsatz vom 02.03.2020 außerdem hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags, die Beklagte zu 2) zur Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen und ihre Schadensersatzpflicht für weitere Schäden festzustellen.
Ergänzend – auch hinsichtlich der in erster Instanz gestellten Anträge – wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus: Die Klage gegen die Beklagte zu 2) sei nur im Hilfsantrag zulässig, jedoch nicht begründet. Es bestehe ihr gegenüber kein Anspruch aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, da sie in die Vertragsverhandlungen mit der Beklagten zu 1) nicht eingebunden gewesen sei, auf diese keinen Einfluss genommen und auch kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt habe. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe ebenfalls nicht. Soweit der Kläger eine Aufheizstrategie behaupte, die die Prüfstandsituation erkenne, handele es sich um Vortrag ins Blaue hinein. Der Vortrag zum sog. Thermofenster begründe keinen Schadensersatzanspruch. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 1). Der Kaufvertrag sei nicht nichtig, denn § 27 Abs. 1 EG-FVG stelle schon kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB dar. Ein Anfechtungsrecht i.S.d § 123 BGB habe dem Kläger nicht zugestanden, denn die Beklagte zu 1) habe ihn nicht getäuscht, eine etwaige Täuschung durch die Beklagte zu 2) sei ihr nicht zuzurechnen. Hinsichtlich etwaiger Mängelgewährleistungsansprüche greife die von der Beklagten zu 1) erhobene Einrede der Verjährung durch, denn die Verkürzung der Gewährleistungsfrist auf ein Jahr sei wirksam vereinbart. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidung des Landgerichts verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz gestellten Anträge weiter. Zur Begründung führt er insbesondere aus: Gegen die Beklagte zu 1) bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises. Der Verstoß gegen § 27 Abs. 1 EG-FGV führe zur Nichtigkeit des Kaufvertrages. Jedenfalls habe der Kläger den Vertrag wirksam angefochten; soweit das Landgericht die Beklagte zu 2) als Dritte ansehe, setze es sich nicht mit den Besonderheiten des Vertragshändlervertrages auseinander. Die Verkürzung der Gewährleistungsfrist stelle eine unangemessene Benachteiligung des Klägers dar und sei deshalb unwirksam. Zudem bestehe auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers, u.a. aus europarechtlichen Vorschriften mit drittschützender Wirkung. Bezüglich der Beklagten zu 2) sei der Feststellungsantrag zulässig, weil künftige Schäden drohten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe der Kläger substantiiert unter Vorlage des einschlägigen Rückrufbescheides zu den unzulässigen Abschalteinrichtungen vorgetragen, u.a. zur Aufheizstrategie, die in ihrer Ausgestaltung als Prüfstanderkennung zu bewerten sei. Die Beklagte habe das Vorhandensein der Abschalteinrichtungen nicht oder nicht hinreichend bestritten.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung sowie die weiteren Schriftsätze Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
1. Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 05.05.2020, 71 O 3465/19 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klagepartei € 39.999,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A5 3,0 l TDI, FIN …860 und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1) noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte zu 2) in dem Fahrzeug Audi A5 3,0 l TDI, FIN: …860
a) unzulässige Abschalteinrichtungen
– in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasrückführung so verändert, dass die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 33 °C reduziert wird (sog. Thermofenster),
– in Gestalt einer Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert, und
– in Gestalt einer Funktion, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und auf dem Prüfstand die AdBlue-Dosierung erhöht verbaut hat und hierdurch die Emissionswerte auf dem Rollenprüfstand reduziert werden
b) ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem einsetzt.
Hilfsweise für den Fall, dass der Klageantrag Ziffer 2, nunmehr Berufungsantrag Ziffer 3, unzulässig sein sollte:
3a. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerpartei € 39.999,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2019 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Audi A5 3,0 l TDI, FIN: …860 sowie abzüglich einer von der Beklagten zu 2) darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten PKW.
3b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte zu 2) in dem Fahrzeug Audi A5 3,0 l TDI, FIN: …860
a) unzulässige Abschalteinrichtungen
– in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasrückführung so verändert, dass die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 33 °C reduziert wird (sog. Thermofenster),
– in Gestalt einer Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert, und
– in Gestalt einer Funktion, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und auf dem Prüfstand die AdBlue-Dosierung erhöht verbaut hat und hierdurch die Emissionswerte auf dem Rollenprüfstand reduziert werden
b) ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem einsetzt.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1) genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
5. Die Beklagtenparteien werden jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils € 2.434,74 freizustellen.
Die Beklagte beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 1) hält die Einrede der Verjährung aufrecht und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte zu 2) verweist insbesondere darauf, dass das Fahrzeug jederzeit über eine wirksame Typgenehmigung verfügt habe; es habe keinerlei softwarebedingte Einschränkungen im Gebrauch gegeben. Nach Auffassung des KBA sei beim streitgegenständlichen Fahrzeug die Bedatung aufzuweiten gewesen; dies sei durch eine Anpassung der Motorsteuerungssoftware sichergestellt. Das Thermofenster sei nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft worden. Der Vortrag des Klägers zu weiteren angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen gehe fehl und erfolge „ins Blaue hinein“. Substantiierter Vortrag zu Täuschung und Vorsatz fehle. Es fehle an der Kausalität, denn das Fahrzeug sei erst nach Bekanntwerden der sog. „Diesel-Thematik“ im September 2015 erworben worden. Angesichts des Leergewichts von ca. zwei Tonnen und einer Motorleistung von 326 PS sei es nicht glaubhaft, dass der Kauf von der Einhaltung von Stickoxidwerten abhängig gemacht worden sei. Es fehle auch an einem Schaden, die Klagepartei habe die Entscheidung getroffen, das ihr eingeräumte verbriefte Rückgaberecht nicht auszuüben. Annahmeverzug liege nicht vor, die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien nicht erstattungsfähig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderungen und das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten Bezug genommen.
Der Senat hat am 16.03.2022 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
A) Zu Recht hat das Landgericht Ansprüche des Klägers gegen Beklagte zu 1) verneint.
1. Eine Nichtigkeit nach § 134 BGB scheidet aus, weil das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer gültigen EG-Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne der §§ 6, 27 EG-FGV versehen ist. Es ist nämlich insoweit von einem formellen Gültigkeitsbegriff auszugehen, sodass es allein darauf ankommt, ob die Bescheinigung durch den Hersteller unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt wurde, sie fälschungssicher und vollständig ist. Daran besteht vorliegend kein Zweifel; eine fehlerhafte Ausstellung wird von Klägerseite auch nicht vorgetragen. Die inhaltliche Richtigkeit ist dagegen Frage des Typgenehmigungsverfahrens.
Darüber hinaus ist § 27 EG-FGV auch kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Selbst wenn man aber davon ausgehen sollte, dass dem so sei, so würde ein beim Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs an den Kläger erfolgter Verstoß gegen § 27 EG-FGV nicht zur Nichtigkeit des Kaufvertrages gemäß § 134 BGB führen. § 134 BGB beschränkt die Privatautonomie zum Schutz der allgemeinen gesetzlichen Werteordnung, indem Rechtsgeschäften, deren Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, die Wirksamkeit versagt wird, soweit dies nach Sinn und Zweck des jeweils konkret verletzten Verbotsgesetzes geboten ist. Richtet sich ein gesetzliches Verbot dabei an beide Parteien eines Rechtsgeschäfts, kann i.d.R. davon ausgegangen werden, dass das verbotswidrige Geschäft nichtig sein soll. Richtet sich das gesetzliche Verbot jedoch nur an eine Partei eines Rechtsgeschäfts, dann lässt ein Verstoß dagegen die Wirksamkeit des gleichwohl vorgenommenen Rechtsgeschäfts i.d.R. unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.1999 – X ZR 34/98, Rdnr. 18) – es sei denn, dass es dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes zuwiderliefe, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (BGH, Urteil vom 14.12.1999 – X ZR 34/98, Rdnr. 18).
§ 27 Abs. 1 EG-FGV richtet sich in allen Handlungsalternativen (Feilbieten, Veräußern und Inverkehrbringen) ausschließlich an den Verkäufer, nicht aber an den Käufer eines Kraftfahrzeugs, sodass von der Wirksamkeit eines unter Verstoß gegen die Vorschrift zustande gekommenen Kaufvertrages auszugehen ist.
Dem widerspricht auch nicht der Sinn und Zweck des § 27 EG-FGV, da die Sicherung der Übereinstimmung produzierter Fahrzeuge mit dem genehmigten Fahrzeugtyp durch die in § 25 EG-FGV vorgesehenen Maßnahmen – u.a. den Widerruf der erteilten Typgenehmigung – gewährleistet wird. Einer zusätzlichen zivilrechtlichen Sanktionswirkung in Form der Nichtigkeit von gegen § 27 EG-FGV verstoßenden Kaufverträgen bedarf es somit nicht. Diese Rechtsfolge ist auch nicht aus Gründen des Käuferschutzes geboten. Denn würde der unter Verstoß gegen § 27 EG-FGV geschlossene Kaufvertrag als nichtig angesehen, würden dem Käufer die vertraglichen Gewährleistungsrechte der §§ 434 ff. BGB genommen; er wäre allein auf die abstrakt weniger vorteilhaften bereicherungsrechtlichen Vorschriften zu verweisen. Der Fahrzeugverkäufer würde außerdem in Bezug auf die kaufvertraglichen Verjährungsvorschriften schlechter gestellt. Das gebietet der Schutzzweck des § 27 EG-FGV nicht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 01.04. 2020 – I-30 U 33/19, Rdnrn 59 – 61).
2. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch die Beklagte zu 1) hat das Landgericht ebenfalls zutreffend verneint, da unstreitig die Beklagte zu 1) bei Abschluss des Kaufvertrages im März 2017 von der in dem Fahrzeug implementierten unzulässigen Abschalteinrichtung keine Kenntnis hatte. Eine Zurechnung des bei der Beklagten zu 2) vorhandenen Wissens über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gem. § 166 Abs. 1 BGB scheidet aus, da sich die Beklagte zu 1) als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs einerseits und die Beklagte zu 1) andererseits als juristisch selbstständige Personen gegenüberstehen.
Auch kann eine Wissenszurechnung nicht über eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB begründet werden. Die Beklagte zu 1) hat den Kaufvertrag im eigenen Namen und für eigene Rechnung abgeschlossen. Sie hatte keine „vertreterähnliche“ Position und war auch nicht „Verhandlungsbevollmächtigte“ der Beklagten zu 2), so dass eine Situation, die mit einer Stellvertretung vergleichbar wäre, nicht vorlag.
Die Beklagte zu 2) als Vorlieferantin des Verkäufers ist auch nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer i.S.v. § 278 BGB. Ebenso wenig ist der Hersteller der Kaufsache Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seinen Kunden verkauft hat (vgl. BGH, Urteil vom 02.04.2014 – VIII ZR 46/03, Rdnr. 31). Dementsprechend muss sich auch im Rahmen des § 123 BGB ein Automobilvertragshändler nicht das Wissen des Herstellers zurechnen lassen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 01. April 2020 – I-30 U 33/19, Rdnrn. 64 – 67).
3. Gewährleistungsansprüche sind verjährt, da die Verkürzung der Gewährleistungsfrist auf ein Jahr wirksam vereinbart ist.
a) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die hier verwendete Klausel hinreichend klar. Sie ist nicht mit den Klauseln vergleichbar, die Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2015 (VIII ZR 104/14, NJW 2015, 2244) waren. Die vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Klausel lautete: „VI. Sachmangel. 1. Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung des Kaufgegenstandes an den Kunden. … 5. Abschnitt VI Sachmangel gilt nicht für Ansprüche auf Schadensersatz, für diese Ansprüche gilt Abschnitt VII Haftung.“ Dabei bleibt unklar, ob der Käufer mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung gemäß Ziffer VI. 1. bereits nach einem Jahr oder erst nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist von zwei Jahren ausgeschlossen ist, da nach Ziffer VI. 5. die Verjährungsverkürzung nicht für Schadensersatzansprüche gelten soll. Die hier verwendeten „Gebrauchtwagen-Verkaufsbedingungen“ (vgl. Anlage K 73) unterscheiden hingegen klar zwischen „VI. Haftung für Sachmängel“ und „VII. Haftung für sonstige Schäden“. Unklarheit darüber, welche Verjährungsfrist für einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung gilt, kann deshalb nicht entstehen.
b) Auch wenn die Verkürzung der Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche gegen Unionsrecht verstößt, ändert das nichts an ihrer Wirksamkeit (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2020 – VIII ZR 78/20, NJW 2021, 1008).
4. Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 311 BGB scheidet hier wegen des Vorrangs der Mängelhaftung aus. Die vom Kläger herangezogenen europarechtlichen Vorschriften haben keine drittschützende Wirkung.
5. Nachdem kein Anspruch in der Hauptsache besteht, kommt eine Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht in Betracht.
B) Hinsichtlich der Beklagten zu 2) hat die Berufung insoweit Erfolg, als dem Kläger der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zuzusprechen ist.
1. Zu Recht hat das Landgericht die auf Feststellung gerichteten Anträge als unzulässig abgewiesen. Der Schadensverlauf ist durch den Abschluss des Kaufvertrags abgeschlossen, weitere Schäden, hinsichtlich derer ebenfalls von einem vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhalten der Beklagten ausgegangen werden könnte, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 379/19, Rn. 29). Nachdem eine Änderung der Schadstoffklasseneinteilung von den zuständigen Behörden weder angedroht noch durchgeführt worden ist, sind Steuernachforderungen nicht zu erwarten. Es sind auch keine anderen konkrete Schäden vorgetragen, welche die Klagepartei, die das Fahrzeug Zug um Zug herauszugeben hat, noch treffen könnten.
2. Die Beklagte zu 2) haftet auf Schadensersatz gem. §§ 826, 31 BGB. Sie hat den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt mit der Inverkehrgabe eines Fahrzeugs mit einem von ihr hergestellten und entwickelten Motor, bei dem eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Aufheizstrategie (Strategie A) in Verbindung mit weiteren Strategien zum Einsatz kam.
a) Unstreitig hat das Kraftfahrt-Bundesamt in Bezug auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp einen verpflichtenden Rückruf wegen festgestellter unzulässiger Abschalteinrichtung angeordnet. Das ergibt sich auch aus der gerichtsbekannten, im Internet veröffentlichten Liste des KBA der betroffenen Fahrzeugvarianten; Zeile 2 dieser Liste weist den hier streitgegenständlichen Audi A 4 mit 160 kW, Euro 6, Motorkennbuchstabe CKV auf. Darauf hat der Senat in der Terminsverfügung hingewiesen. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift und in der Replik dargelegt, welche Aspekte das KBA beanstandet hat, nämlich u.a. die sog. Aufheizstrategie (vgl. Klageschrift vom 05.11.2019, S. 11, Bd. I Bl. 11 d.A.; Schriftsatz vom 02.03.2020, S. 35 f., Bd. I Bl. 381 d.A.). Er hat hierzu u.a. den Rückrufbescheid des KBA vorgelegt (Anlage R1), aus dem sich ergibt, dass die Schaltbedingungen so eng bedatet sind, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingen wirkt, während schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen zur Abschaltung der Aufheizstrategie führen. Durch die Nutzung dieser Strategie sowie der Strategie B – „Alternatives Aufheizen“ während der Vorkonditionierung des Fahrzeugs – wird die Überschreitung des NOx-Grenzwerts bei der Prüfung sicher vermieden. Mit der Abschaltung der Aufheizstrategie verschlechtert sich das Stickoxid-Emissionsverhalten. Dass die Emissionsgrenzwerte auch mit abgeschalteter Aufheizstrategie eingehalten würden, konnte das KBA nicht feststellen (vgl. Anlage R 1, S. 3). Die Beklagte ist dem Vortrag zur Aufheizstrategie nicht substantiiert entgegengetreten und hat eingeräumt, dass sie auf Anordnung des KBA eine Aktualisierung der Motorsoftware mit einer Aufweitung der Bedatung vornimmt.
b) Die Beklagte hat sittenwidrig gehandelt i.S.v. § 826 BGB, indem sie Fahrzeuge wie das streitgegenständliche in den Verkehr gebracht hat. Denn diese Fahrzeuge sind/waren – unstreitig – von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen, wobei die Arglist des Vorgehens bereits aufgrund der Machart der beanstandeten Abschalteinrichtung indiziert wird.
(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19). Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
(2) Zwar genügt für eine Haftung nach § 826 BGB, und zwar bereits in Bezug auf die Frage nach der objektiven Sittenwidrigkeit, nicht die bloße Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist für sich allein nicht ohne Weiteres geeignet, den Einsatz der beanstandeten Technologie durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich anzusehen. Maßgeblich ist, ob entweder die beanstandete Technik darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Machart als evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung dem Handeln ein sittenwidriges Gepräge gibt oder ob darüber hinaus weitere Umstände dazu treten, die den Einsatz der beanstandeten Technologie durch Verantwortliche der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen, indem sie ein auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde abzielendes Verhalten nahelegen. Auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BGH zu „Thermofenstern“ (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19) wird Bezug genommen.
(3) Vorliegend indiziert aber bereits die Machart der beanstandeten Technologie eine bewusste Täuschung der Genehmigungsbehörde und damit die Sittenwidrigkeit des Handelns der für die Beklagte handelnden Personen. Zwar mag die hier inmitten stehende Technologie anders konstruiert sein als die sog. „Umschaltlogik“ der Volkswagenmotoren EA 189, die für den Prüfstand und den realen Fahrbetrieb zwei verschiedene Betriebsmodi aktivierte und auf diese Weise die Einhaltung der Grenzwerte allein im Testbetrieb sicherstellte, und mag eine Behebung der Beanstandung hier durch ein bloßes Aufweiten der Daten möglich sein. Mit der streitgegenständlichen Technologie wird aber der gleiche Effekt wie bei der „Umschaltlogik“ lediglich auf andere Weise erzielt. Die Aktivierung der Aufheizstrategie, bei deren Verwendung die erforderlichen NOx-Abgaswerte jedenfalls zusammen mit der Strategie B sicher eingehalten werden, ist an eine Vielzahl von Initialisierungsparametern geknüpft, die außerdem sämtlich kumulativ vorliegen müssen. Die Schaltbedingungen sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand unter den dort geltenden gesetzlich definierten Sonderbedingungen wirkt. Kleine Abweichungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die Aktivierung der Aufheizstrategie ist mithin zur Überzeugung des Senats gezielt auf den Prüfstandbetrieb zugeschnitten. Die Abgasreinigung funktioniert damit eben gerade nicht im Prüfstand wie im Straßenverkehr im Grundsatz in gleicher Weise.
c) Der Vortrag der Klagepartei zur Kenntnis der Verantwortlichen bei der Beklagten und zur Entscheidung über den Einsatz der hier inmitten stehenden Technologie, gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, weil die Beklagte aus vergleichbaren Gründen, wie vom BGH in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 29 ff., dargelegt, ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Die dortigen Grundsätze sind auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch dazulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 ZPO als zugestanden.
Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen hat und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Denn schon in der Klageschrift verweist der Kläger auf eingeleitete Ermittlungsverfahren und Anklageerhebung gegen Vorstandsmitglieder, insbesondere den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler, und führt aus, letzterer habe von den Manipulationen Kenntnis gehabt und habe diese geduldet (Bd. I Bl. 207 ff. d.A.). Die illegale Abschalteinrichtung sei eingebaut worden, damit die Herstellungskosten der Fahrzeuge nicht zu hoch würden (Bd. I Bl. 227 d.A.).
Die Beklagte ist dieser sekundären Darlegungslast aber nicht nachgekommen; sie hat sich im Wesentlichen auf Ausführungen zur mangelnden Substantiierung des Klagevortrags beschränkt (Bd. I Bl. 312 d.A.).
Vor diesem Hintergrund ist von Schädigungsvorsatz auszugehen. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
d) Die Einwände gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch. Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen ist, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestand, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen.
Auf den Einwand der Beklagten, die hohe Motorisierung des streitgegenständlichen Wagens spreche dafür, dass das Abgasverhalten des Wagens tatsächlich für den Kauf keine Rolle gespielt habe, kommt es damit nicht an. Selbst wenn für einen Käufer Umweltschutzaspekte vollkommen unerheblich sein sollten, so ändert dies nichts an seinem Interesse daran, ein Fahrzeug ohne Stilllegungsrisiko zu erwerben. Auch wenn dem Kläger ein verbrieftes Rückgaberecht eingeräumt gewesen sein sollte, das er nicht ausgeübt hat, lässt das den Schaden nicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2021 – VII ZR 389/21, juris Rn. 16 ff.).
e) Zu ersetzen ist gem. §§ 826, 249 BGB der gezahlte Kaufpreis; im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug zurückzugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.).
Der Senat wendet in ständiger Rechtsprechung die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes an. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – ist nicht angezeigt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, Rdnr. 36). Der Senat geht für das streitgegenständliche Fahrzeug von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus. Das liegt in der Bandbreite der von den Obergerichten angenommenen Werte für vergleichbare Fahrzeuge. Die vom Kläger angenommene Gesamtlaufleistung von 500.000 km erscheint hingegen überhöht. Auf das konkrete Fahrzeug bezogene Tatsachen, aus denen sich u.U. eine höhere Prognose der Gesamtlaufleistung ergeben könnte, wurden nicht vorgetragen.
Danach errechnet sich bei einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 10.392,06 € (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer: Restlaufleistung) ein Erstattungsanspruch i.H.v 29.606,94 €.
3. Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit des Zahlungsantrags, mithin seit 04.03.2020 zu (§ 291 BGB).
4. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht, denn es ist nicht dargetan, dass durch die vorprozessuale Tätigkeit der Klägervertreter eine Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) ausgelöst worden ist. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es nur dann, wenn sich der Auftrag auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Es obliegt der Klagepartei, darzulegen und ggfls. im Streitfall zu beweisen, dass sie ihrem Anwalt einen Auftrag zunächst zur vorgerichtlichen Vertretung bzw. mindestens einen entsprechend bedingten Klageauftrag erteilt hat (BGH, Urteil vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff.). Diesen Nachweis hat der Kläger nicht geführt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in der Folge des Dieselabgasskandals, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit wie auch die Substantiierungsanforderungen sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt.


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