Europarecht

Schadensersatzansprüche nach Kauf und Weiterverkauf eines vom sogenannten “Abgasskandal” betroffenen Fahrzeugs

Aktenzeichen  8 O 3884/18

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 48073
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249, § 826, § 849
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Dem Käufer eines vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffenen PKWs der Marke VW steht ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB gegen die Volkswagen AG zu, auch wenn der PKW zwischenzeitlich weiterveräußert wurde. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der Rückabwicklung gemäß § 249 BGB hat sich der Anspruchsteller nach den Prinzipien der „Vorteilsausgleichung“ die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, wobei eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km für einen PKW VW Touran 2,0 TDI zu berücksichtigen ist. (Rn. 22 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn der PKW verkauft wurde, berechnet sich der Schadensersatzanspruch aus dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich der Nutzungsentschädigung für die bis zum Verkauf gefahrenen Kilometer und des beim Weiterverkauf erzielten Kaufpreises. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bestreitet der Anspruchsgegner, dass der von dem ursprünglichen Käufer erzielte Verkaufspreis beim Weiterverkauf angemessen war, ist er insoweit aufgrund der Behauptung der Verletzung der Schadensminderungspflicht beweisbelastet. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.829,51 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2019 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € freizustellen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist im zugesprochenen Umfang gemäß § 826 BGB begründet.
1.
Zur Überzeugung des Gerichts hat die Beklagte in vorsätzlicher und sittenwidriger Weise im klägerischen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und hat hierdurch jedenfalls in bedingter vorsätzlicher Weise auch eine Vermögensschädigung des Ehemanns der Klägerin und in Konsequenz der Klägerin als dessen Erbin in Kauf genommen.
§ 826 BGB schützt nicht nur das Vermögen an sich, sondern setzt bereits bei der Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten an, so dass der Schaden auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung bestehen kann. Ein Vermögensschaden in diesem Sinne ist auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung möglich, wenn der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte.
Vorliegend ist das Fahrzeug ausweislich des Bescheides des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.10.2015 mit einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ versehen worden. In Unkenntnis dieses Umstandes wurde der Erblasser zum Abschluss des Kaufvertrages vom 21.02.2013 verleitet, den er sonst zur Überzeugung des Gerichts nicht geschlossen hätte. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob der Erblasser das Fahrzeug zum Preis von 28.449,51 € auch dann gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs die EG-Typgenehmigung nur erhalten hatte, weil die Beklagte das Testverfahren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung manipulierte. Diese Frage ist eindeutig zu verneinen. Kein vernünftiger Käufer würde sich auf die Unsicherheit des möglichen Widerrufs der EG-Typgenehmigung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben, selbst wenn mit dem Fahrzeug weder nachteilige Emissionswerte noch eine Wertminderung verbunden sind. Die berechtigten Erwartungen eines vernünftigen Käufers, wozu auch der Erblasser gehört, erstrecken sich darauf, dass das erworbene Fahrzeug die technischen und rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt und diese nicht durch illegale Mittel erreicht worden sind.
Die Beklagte hat in objektiv sittenwidriger Weise die Kaufentscheidung des Erblassers herbeigeführt. Die besonders verwerfliche Vorgehensweise der Beklagten besteht darin, dass sie für das Zulassungsverfahren einen Betriebsmodus entwickelt und eingebaut hat, dessen alleiniger Zweck in der Manipulation des Genehmigungsverfahrens bestand. Diese Manipulation wurde in einer Vielzahl von Fällen massenweise durchgeführt, wobei dieses Verhalten darauf abzielte, unter Täuschung von potentiellen Käufern die eigenen Umsatzzahlen und den erzielten Gewinn in die Höhe zu treiben. Schutzwürdige Belange auf Seiten der potentiellen Käufer bzw. Umweltgesichtspunkte blendete die Beklagte in ihrem Gewinnstreben vollständig aus. Eine solche planmäßige, langfristig angelegte Strategie, die jegliche Rücksichtnahme auf schutzwürdige Belange der Kunden sowie der Allgemeinheit vermissen lässt, ist sittlich auf ziemlich unterster Stufe anzusiedeln.
Die Beklagte hat sich das Verschulden ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB zurechnen zu lassen. Zur Überzeugung des Gerichts liegt der erwähnten massenhaften Verbauung von unzulässigen Abschalteinrichtungen keine Entscheidung des einzelnen Monteurs am Fließband zugrunde, vielmehr ist von einer diesbezüglichen Weichenstellung auf höchster Ebene bei der Beklagten auszugehen, wobei eine namentliche Benennung dahingestellt bleiben kann.
2.
Im Rahmen der Rückabwicklung gemäß § 249 BGB hat sich die Klägerin nach den Prinzipien der „Vorteilsausgleichung“ die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen (vgl. Palandt, BGB, 78. Auflage, Vorb. vor § 249 Rn. 94). Diese Anrechnung hat auch bei vorsätzlicher Begehung des Schädigers zu erfolgen.
Soweit unter Verweis auf das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14.11.2018 (DAR 2019, 45) vertreten wird, ein Nutzungsvorteil müsse nicht gegengerechnet werden, kann dem nicht gefolgt werden. In der dortigen Entscheidung wurde die Nichtanrechnung begründet mit einem Urteil des EuGH vom 17.04.2008 (NJW 2008, 1433). Diese Entscheidung bezieht sich jedoch nicht auf eine Rückabwicklung im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs nach Deliktsrecht. Vielmehr nimmt diese Entscheidung des EuGH Bezug auf Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG, wo es um die Rechte des Verbrauchers gegenüber einem Verkäufer geht. Die Beklagte war aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs, weshalb die Ausführungen des EuGH vom 17.04.2008 auf die vorliegende Konstellation überhaupt nicht übertragbar sind.
Die Berechnung des Nutzungsvorteils der Klägerin geschieht mit der Formel
bezahlter Kaufpreis × gefahrene km : Restlaufleistung des Fahrzeugs.
Vorliegend also: 28.449,51 € × 23.000 km : 250.000 km.
In ständiger Rechtsprechung nimmt das Gericht eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km an.
Hieraus errechnet sich ein Nutzungsvorteil in Höhe von 2.620,00 €. Nach Abzug vom Kaufpreis verbleibt somit ein Betrag von 25.829,51 €, den die Klägerin Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs zu beanspruchen hätte. Sie ist allerdings aufgrund des zwischenzeitlichen Verkaufs des Fahrzeugs zur Rückgabe des Fahrzeugs nicht mehr in der Lage. Nach Abzug des erlösten Verkaufspreises von 15.000,00 € verbleibt somit eine Forderung von 10.829,51 €. Die Beklagte hat zwar bestritten, dass der erlöste Verkaufspreis von 15.000,00 € dem tatsächlichen Marktpreis entsprochen hat, zum Nachweis aber – auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts – keinen Beweis durch Erholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Da insoweit eine Verletzung der Schadensminderungspflicht der Klägerin im Raum steht (§ 254 BGB), liegt die Beweislast bei der Beklagten (vgl. Palandt, BGB, 78.A., § 254 RN 72 m.w.N.). Die Erholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen ist nicht geboten, zumal angesichts des Alters des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Verkaufes (ziemlich genau 6 Jahre) der erlöste Verkaufspreis von 15.000,00 € – und damit mehr als 50 % des damaligen Anschaffungspreises – nicht unrealistisch erscheint.
Aufgrund der Zustellung der Klage am 21.01.2019 ergibt sich der beantragte Verzinsungsbeginn ab 22.01.2019 aus § 288 Abs. 1 BGB.
3.
Auf Basis des Betrags von 10829,51 € hat die Klägerin auch Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten wie folgt:
„1,3 Geschäftsgebühr = 785,20 €, Pauschale: 20,00 €, 19 % Umsatzsteuer: 152,99 €, insgesamt damit 958,19 €.
4.
Soweit die Klägerin eine Verzinsung in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Kaufpreiszahlung 12.04.2013 beantragt, hat Klageabweisung zu erfolgen.
Insoweit ist die Klage unschlüssig. Bei Kauf eines anderen Fahrzeuges wäre ebenso ein Kaufpreis aufzuwenden gewesen. Ein Zinsschaden ist insoweit dem Erblasser/der Klägerin damit nicht entstanden.
Als Anspruchsgrundlage insoweit kann auch § 849 BGB nicht greifen. Die gesetzlichen Voraussetzungen insoweit liegen nicht vor. § 849 BGB gewährt ohne Schadensnachweis eine pauschale Nutzungsentschädigung (vgl. Palandt, a.a.O, § 849 Rn. 1). Dem Erblasser/der Klägerin war es aber möglich, das gekaufte Fahrzeug weiterhin zu nutzen. Der von § 849 BGB vorausgesetzte Eingriff beim Geschädigten bezüglich der Substanz und Nutzbarkeit einer Sache ist vorliegend nicht ersichtlich.
Im Übrigen wäre es systemwidrig, nach § 249 BGB im Rahmen der Vorteilsausgleichung die eigenen Nutzungsvorteile des Erblassers und der Klägerin gegenzurechnen, im Rahmen des § 849 BGB dann aber eine pauschale Nutzungsentschädigung zuzuerkennen.
Die beantragte Verzinsung ist gem. § 4 Abs. 1 ZPO nicht streitwerterhöhend.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 269 Abs. 3 (jedenfalls anlalog), 91, 92 Abs. 1 ZPO.
Bei der Kostenentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Klageforderung unter 1. ursprünglich auf die Zahlung von 28.449,51 € lautete und wegen eines späteren Fahrzeugverkaufs durch die Klägerin auf 13.449,51 € reduziert wurde. Insoweit liegt eine Klagebeschränkung gem. § 264 Nr. 2 ZPO vor, die eine teilweise Klagerücknahme beinhaltete (vgl. Zöller, ZPO, 32.A., § 264 Rn. 4a). Die Ursache hierfür lag (durch Verkauf des Fahrzeugs am 24.02.2019 an die Tochter) im Verantwortungsbereich der Klägerin, weshalb die durch vorherige Zuvielforderung ausgelösten Kosten nach § 269 Abs. 3 ZPO direkt oder jedenfalls analog der Klägerin aufzubürden sind. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2019 war die Klageforderung bereits reduziert. Angesichts des obigen Prozessergebnisses erscheint es in der Gesamtschau daher angemessen, eine Kostenaufhebung auszusprechen.
6.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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