Europarecht

Stationäre Einrichtung für ältere Menschen, Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen, Mindestfläche eines Wohn-Schlaf-Raumes, Anteil an Einzelwohnplätzen, Anspruch auf Verlängerung der sog. Angleichungsfrist (verneint), Ordnungsgemäße Ermessensausübung

Aktenzeichen  M 17 K 18.6101

Datum:
2.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40178
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PfleWoqG §§ 1, 3 Abs. 2
AVPfleWoqG § 2 Abs. 1
AVPfleWoqG § 4 Abs. 2
PfleWoqG § 4 Abs. 3
PfleWoqG § 10 Abs. 1
AVPfleWoqG § 50 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat sowohl in den Hauptanträgen als auch in den Hilfsanträgen keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 27. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 15. November 2018 ist – soweit er angegriffen wurde – rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von den Anforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG (1.) bzw. auf „maximale“ Verlängerung der Angleichungsfrist (2.) und auf Verlängerung der Angleichungsfrist bezüglich der Anforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG (3.) bzw. Befreiung von den Anforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG (4.), § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Gegenstand des Hauptantrags 1 ist das auf § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG gestützte Begehren der Klägerin, den Beklagten unter Aufhebung von Ziff. 4 des Bescheids des Landratsamts … vom 27. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 15. November 2018 zu verpflichten, sie für den Betrieb der stationären Einrichtung von den Verpflichtungen bezüglich der Mindestwohnflächen für die Wohn- und Schlafräume zu befreien.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die mit Schreiben vom 29. August 2016 beim Landratsamt beantragte Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG kann der Träger einer stationären Einrichtung, dem die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist, bei der zuständigen Behörde beantragen, ganz oder teilweise von der Verpflichtung befreit zu werden, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
1.1. Die Klägerin betreibt eine stationäre Einrichtung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG, sodass die Vorschriften dieses Gesetzes anwendbar sind. Bei dem Betrieb einer solchen stationären Einrichtung sind gemäß Art. 3 PfleWoqG besondere Qualitätsanforderungen einzuhalten. Unter anderem haben der Träger und die Leitung sicherzustellen, dass die Würde und die Interessen und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen geschützt werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 1 PfleWoqG) und dass die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt und gefördert werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 2 PfleWoqG). Zudem muss gemäß Art. 3 Abs. 2 Ziffer 6 PfleWoqG unter anderem eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet sein. Art. 25 Abs. 1 PfleWoqG ermächtigt die Staatsregierung, durch Rechtsverordnung zur Durchführung des Gesetzes Regelungen zu erlassen unter anderem für die Räume in stationären Einrichtungen, insbesondere die Wohn- und Aufenthaltsräume. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage beruht die AVPfleWoqG, in der unter anderem bauliche Mindestanforderungen festgelegt werden.
1.2. Die streitgegenständliche Einrichtung erfüllt die Anforderungen des Art. 3 PfleWoqG i.V.m. § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG nicht.
Nach § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG muss der Wohnplatz für eine Person mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 14 m², der Wohnplatz für zwei Personen mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 20 m² umfassen. Hierbei nicht enthalten ist ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist.
Im vorliegenden Fall wird diese Vorschrift bei allen 46 Wohnplätzen für zwei Personen der Einrichtung nicht eingehalten. Die Wohnplätze mit jeweils identischem Grundriss (vgl. Bl. … der Behördenakte – BA) verfügen über einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Fläche von 16,12 m² (3,59 m² x 4,49 m²), einen Sanitärraum und einen räumlich nicht abgetrennten Vorraum mit einer Fläche von 4,05 m² (1,67 m² x 2,43 m²).
1.2.1. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich um den an den Sanitärraum angrenzenden Eingangsbereich des Wohnplatzes um einen Vorraum und nicht um einen Teil des Wohn-Schlaf-Raumes. Für die Abgrenzung maßgeblich ist, ob die räumliche Durchgangsfläche vom Flur zum Wohn-Schlaf-Raum in ihrer Breite deutlich über die Bewegungsfläche mit einem Schrank hinausgeht, wobei die Bewegungsfläche 120 cm bzw. 150 cm rollstuhlgerecht zzgl. einer Schranktiefe von 60 cm beträgt (vgl. Vollzugshinweise der damaligen Obersten Baubehörde im Bayer. Staatsministerium des Innern vom 2.2.2012). Vorliegend ist der Bereich vor dem Sanitärraum als Vorraum zu werten, da er in seiner Breite nicht deutlich über die erforderliche Bewegungsfläche mit einem Schrank hinausgeht, sondern diese mit einer Breite von insgesamt 167 cm nicht einmal erreicht.
1.2.2. Die Fläche des Vorraumes zählt nicht zu der Fläche des Wohn-Schlaf-Raumes. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG, wonach ein etwaiger Vorraum nicht enthalten ist, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist. Der § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG einleitende Begriff „hierbei“ bezieht sich nach dem Kontext von Satz 2 im Zusammenhang mit Satz 1 auf die Vorgabe des § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG, dass der Wohnplatz für zwei Personen mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 20 m² umfassen muss.
Soweit der Klägerbevollmächtigte ausführt, der Begriff des „Wohn-Schlaf-Raumes“ sei durch Auslegung unter Rückgriff auf die HeimMindBauV und auf die BR-Drs. 760/74, die auf die DIN 283-1 und 283-2 verweise, auszulegen, wonach unter „Wohn-Schlaf-Raum“ alle Flächen der Bewohnerzimmer innerhalb der nach außen abschließenden Bauteile zu verstehen seien, verkennt er, dass der Freistaat Bayern aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz für die ordnungsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Heimrechts, die im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom Bund auf die Länder übergegangen war, bewusst verschiedene höhere bauliche Anforderungen an stationäre Einrichtungen eingeführt hat als sie das zuvor gültige Heimgesetz und die HeimMindBauV vorgesehen hatten. Unabhängig davon besteht aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 AVPfleWoqG kein Auslegungsbedürfnis. Für eine Auslegung unter Rückgriff auf nicht mehr gültige Vorschriften, die im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG stehen würde, besteht kein Raum.
Auch der vom Klägerbevollmächtigten angeführte Umstand, dass nach § 3 Abs. 1 AVPfleWoqG die Berechnung der Wohnfläche entsprechend der Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche (Wohnflächenverordnung – WoFlV) erfolge, führt nicht dazu, dass entgegen des Wortlauts des § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG über die WoFlV ein baulich nicht abgetrennter Vorraum zum Wohn-Schlaf-Raum zu rechnen wäre. Die von § 3 Abs. 1 AVPfleWoqG angeordnete Berechnung nach der WoFlV ist für den auf der Grundlage von § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 AVPfleWoqG ermittelten Wohn-Schlaf-Raum vorzunehmen.
Soweit die Klägerin die von § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG getroffene Regelung als solche in Frage stellt, ist auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) vom 5. Februar 2018 (Vf. 16-VII-16) zu verweisen, wonach keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der in § 4 Abs. 2 und 3 AVPfleWoqG vorgeschriebenen Standards zu erkennen seien (BayVerfGH, a.a.O., Rn. 37 ff. juris).
1.3. DieTatbestandsvoraussetzungen für eine Befreiung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG liegen nicht vor.
Ist dem Träger einer stationären Einrichtung die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, kann die zuständige Behörde gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG auf Antrag des Trägers ganz oder teilweise von der Verpflichtung befreien, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
Nach der Struktur der Vorschrift müssen zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sein, nämlich zum einen die Unmöglichkeit der Einhaltung der Mindestanforderungen im Gebäudebestand aus technischen oder denkmalschutzrechtlichen Gründen oder die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Einhaltung dieser Mindestanforderungen und zum anderen die Vereinbarkeit der begehrten Befreiung von diesen Mindestanforderungen mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, hat das Gericht vollumfänglich zu überprüfen. Wenn beide Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, hat die zuständige Behörde einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.1998 [4 C 22/86 – juris Rn. 17 bis Rn. 24] zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgänger-Vorschrift des § 31 Abs. 1 HeimMindBauV).
Die Klägerin hat vorgetragen, dass ihr die Erfüllung der Mindestanforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG wirtschaftlich unzumutbar wäre. Ob die Erfüllung der Mindestanforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG im Gebäudebestand der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist, kann vorliegend offenbleiben, weil die begehrte Befreiung mit den Interessen und den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar ist.
1.3.1. Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ist auf die gesetzlichen Vorgaben des PfleWoqG, auf die Begründung des Gesetzentwurfes der Staatsregierung zur Förderung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung vom 11. März 2008 (LT-Drs. 15/10182) und auf die Begründung zur AVPfleWoqG zurückzugreifen. Weiterhin kann auch die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen (herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesministerium für Gesundheit, Oktober 2018, im Folgenden: Pflege-Charta) herangezogen werden.
Nach der Begründung des Gesetzentwurfes vom 11. März 2008 (LT-Drs. 15/10182 S. 15) ergibt sich die Notwendigkeit für die umfassende Wahrung der Rechte von Bewohnerinnen und Bewohnern von Heimen im Bereich der Alten- und Behindertenhilfe und damit die Notwendigkeit für die Einführung ordnungsrechtlicher Schutzmechanismen durch den Gesetzgeber aus dem Umstand, dass die Betroffenen vielfach in ihrer geistigen und körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sowie hilflos sind und daher ihre Fähigkeit, sich bei auftretenden Missständen selbst zu helfen, oft erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben ist. Diesen Schutzzweck nimmt Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf, wonach der Zweck des Gesetzes darin besteht, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen als Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen vor Beeinträchtigungen zu schützen. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 PfleWoqG ist es weiterhin Zweck des Gesetzes, die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung sowie die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 PfleWoqG soll unter anderem eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Wohnqualität gesichert werden. Auf diese Weise wird das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner als Kernelement und Qualitätsmaßstab des Gesetzes klar zum Ausdruck gebracht (LT-Drs. 15/10182 S. 18).
In Konkretisierung dieses Schutzzwecks führt der Gesetzgeber in Art. 3 PfleWoqG konkrete Qualitätsanforderungen an den Betrieb einer stationären Einrichtung auf (vgl. oben 1.1.). Insbesondere hat der Träger einer stationären Einrichtung nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG unter anderem sicherzustellen, dass eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet wird. Dies bedeutet gemäß der Begründung zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 7 (damalige Fassung) in der LT-Drs. 15/10182 (S. 22), dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Möglichkeit haben müssen, ihre unmittelbare Umgebung nach ihren persönlichen Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten.
Nach der Begründung zur AVPfleWoqG (Burmeister/Gaßner/Melzer/Müller, BayPfleWoqG, 2. Aufl. 2015, § 10 AVPfleWoqG Rn. 1) ist als Ziel des ordnungsrechtlichen Teils der Verordnung der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner und die Stärkung ihrer Partizipation festgehalten (Ziffer A.I.). Die Verordnung soll die Rahmenbedingungen für das freiwillige Leben von älteren und pflegebedürftigen Menschen in stationären Einrichtungen gestalten, um ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe dieser Personen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird auf den Paradigmenwechsel von der Fürsorge und Versorgung hin zur gleichberechtigten Teilhabe hingewiesen. In Ziffer A.III.1. der Begründung wird darauf abgestellt, dass gegenüber der bundesrechtlichen Vorgängerregelung die Mindestanforderungen den heutigen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben bei Pflegebedürftigkeit, im Alter und bei Behinderung angepasst werden sollen und dass durch die Festlegung einer höheren Mindestquadratmeterzahl für die Wohnflächen die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner deutlich verbessert werden soll. Gemäß Ziffer C. Teil 1 der Begründung sollen die baulichen Mindestanforderungen den Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen ein menschenwürdiges Wohnen gewährleisten und ihnen ein weitgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Nach Ziffer C. Teil 1, zu § 4 der Begründung dienen Wohnplätze nicht nur dem Schlafen, sondern auch dem Wohnen, der Betreuung und Versorgung. Sie sind privater Rückzugs- und Wohnraum, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise ihren Besuch empfangen. Die Vorgabe von Mindestquadratmeterzahlen sichert die Ausgestaltung einer Privat- und Intimsphäre. Sie kann auch das Mitbringen eigener Möbel erleichtern. Die Mindestgrößen für den privaten und häufig lebenslang genutzten Wohn-Schlaf-Raum entsprechen dem derzeit allgemein anerkannten Wohnstandard. Der Lebensort Heim soll einen persönlichen Wohnbereich mit privater Atmosphäre bieten. Auf dieser Grundlage legt § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG die oben genannten Mindestwohnflächen für Wohnplätze für eine Person von mindestens 14 m² und für zwei Personen von mindestens 20 m² fest. Nach Ziffer C. Teil 5, zu § 50 der Begründung schützen das PfleWoqG und die darauf beruhende Verordnung die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen. Jede Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen ist hieran zu messen.
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner kann weiterhin die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschenherangezogen werden. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/10182 S. 18). Hiernach soll durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf die vom Runden Tisch Pflege erarbeitete Charta der Rechte hilfe- und pflegebedüftiger Menschen inhaltlich Bezug genommen und deren Ziele unterstrichen werden. Die Charta hat keinen rechtsverbindlichen Charakter, ist aber eine wichtige Grundlage für die Ausgestaltung würdevoller Pflege sowie Impulsgeber für den gesamten Bereich der Pflege (Pflege-Charta, Vorwort). Die Pflege-Charta fasst in acht Artikeln grundlegende Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zusammen und erläutert diese, dies auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention, der Europäischen Sozialcharta, der Charta der Grundrechte der EU und verschiedener Vorschriften des Neunten und des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Grundrechte-Charta, Präambel, Fußnote 1). Nach Art. 3, Privatheit, müssen hilfe- und pflegebedürftige Menschen jederzeit Besuch empfangen können und die Möglichkeit haben, einige Zeit allein zu sein sowie ungestört kommunizieren zu können, auch wenn sie in einer Einrichtung leben und nicht über ein Einzelzimmer verfügen. Sie sollten ihren persönlichen Lebensbereich mit persönlichen Gegenständen wie Kleinmöbeln und Bildern ausstatten können.
Hieraus ergibt sich, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung davon geprägt sind, trotz ihrer möglicherweise bestehenden körperlichen und geistigen Einschränkungen in Würde ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und dabei möglichst weitgehend am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Dies umfasst auch den Bereich des Wohnens hinsichtlich der Größe und Ausgestaltungsmöglichkeiten des Wohnraums. Um diesen Interessen und Bedürfnissen gerecht zu werden, legt das PfleWoqG in Verbindung mit der AVPfleWoqG allgemein und für den Regelfall fest, welche baulichen Mindestanforderungen den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung entsprechen (BVerwG, B.v. 22.7.1985 – 4 B 73/85 – juris LS 3 und Rn. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV; vgl. hierzu auch § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG: „die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 genannten Mindestanforderungen“), deren Einhaltung unerlässlich sind. Unterschreiten die baulichen Gegebenheiten einer stationären Einrichtung die Vorgaben der §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG, entspricht dies grundsätzlich nicht den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. In besonders gelagerten atypischen Fallgestaltung kann im Einzelfall eine Unterschreitung der Mindestanforderungen auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG gerechtfertigt sein. Außerdem kann eine Unterschreitung der baulichen Mindestanforderungen auch dann mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sein, wenn bei konkreten Regelungen – wie der Festlegung einer Mindestgröße für Räume nach Quadratmetern – eine sehr geringfügige Abweichung vorliegt, die im Einzelfall keinen spürbaren Nachteil für den Bewohner ergeben muss, dennoch aber die beabsichtigte Nutzung wegen des Verstoßes gegen die bauliche Mindestanforderung in Frage stellt.
1.3.2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die begehrte Befreiung nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG von den in § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG festgelegten baulichen Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
Die in § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG festgelegte Mindestgröße wird bei 46 Wohn-Schlaf-Räumen um jeweils 3,88 m² unterschritten. Vor dem Hintergrund, dass § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG keine Durchschnitts- oder Standard-Größe vorgibt, sondern Mindestgrößen für eine „angemessene“ (Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG) Qualität des Wohnens, eine Unterschreitung dieser Flächen also unangemessen ist, liegt es auf der Hand, dass eine Abweichung von den Mindestgrößen um 3,88 m² mit mehr als geringfügigen, also spürbaren Nachteilen verbunden ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.12.2020 – W 3 K 19.99). Eine nur geringfügige Abweichung liegt im streitgegenständlichen Fall nicht vor. Auch besondere Zimmerzuschnitte, die einen atypischen Ausnahmefall darstellen mit der Folge, dass trotz der Unterschreitung der Mindestanforderungen die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt werden könnten und deshalb eine abweichende Bewertung erfolgen müsste, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Zufälligkeit aufgrund der Lage des Sanitärraums stellt nach Auffassung der Kammer keinen atypischen Ausnahmefall in diesem Sinne dar. Die Fläche des Vorraums kann von den Bewohnerinnen und Bewohnern weder als Verkehrsfläche im Rahmen des Wohnens noch als Fläche für die Unterbringung von Kleinmöbeln genutzt werden und steht damit nicht zur individuellen Ausgestaltung des Wohnraums zur Verfügung.
Ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung von den Mindestanforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG scheitert damit daran, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar ist. Auf die Frage, ob die Erfüllung dieser Mindestanforderungen der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sein könnte – was diese im Übrigen nicht substantiiert dargelegt hat – und auf die Korrektheit der Ermessenserwägungen des Beklagten kommt es deshalb nicht an.
Der Auffassung des Klägerbevollmächtigten, dass Art. 27 Abs. 2 PfleWoqG, der die Fortgeltung der HeimMindBauV anordnete, bestätige, dass der durch die HeimMindBauV festgeschriebene Standard akzeptabel und mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sei, folgt das Gericht nicht. Die Bestimmung des Art. 27 Abs. 2 PfleWoqG a.F. enthielt eine Übergangsregelung, die bereits durch § 1 des Änderungsgesetzes vom 22. Mai 2013 (GVBl. S. 308) mit Wirkung vom 1. Juli 2013 ersatzlos aufgehoben worden ist.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte „maximale“ Verlängerung der Angleichungsfrist. Ziffer 4 des Bescheids des Beklagten, in dem der Klägerin (nur) eine gestaffelte Verlängerung der Angleichungsfrist gewährt wurde, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Angleichungsfrist ist § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG. Für stationäre Einrichtungen, die bei Inkrafttreten der AVPfleWoqG in Betrieb sind oder für die eine Baugenehmigung beantragt ist und die die Mindestanforderungen der § 1 Abs. 2 und §§ 2 bis 9 nicht erfüllen, gilt eine Angleichungsfrist von fünf Jahren. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG kann die zuständige Behörde auf Antrag längere angemessene Fristen zur Angleichung an die einzelnen Anforderungen einräumen. Die Frist für die Angleichung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG endet bei grundlegenden Modernisierungsmaßnahmen, spätestens jedoch 25 Jahre nach Inkrafttreten dieser Verordnung, § 10 Abs. 1 Satz 4 AVPfleWoqG.
Die streitgegenständliche stationäre Einrichtung war bei Inkrafttreten der AVPfleWoqG am 1. September 2011 bereits in Betrieb. Die Mindestanforderungen des § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG sind nicht erfüllt (vgl. oben 1). Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG galt eine Angleichungsfrist von fünf Jahren bis zum 31. August 2016. Die Klägerin stellte am 29. August 2016 beim Landratsamt den Antrag auf „maximale“ Verlängerung der Angleichungsfrist.
Der Antrag der Klägerin auf „maximale“ Verlängerung der Angleichungsfrist ist gem. § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Angleichungsfrist bis zum 31. August 2036 verlängert werden soll (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 4 AVPfleWoqG).
Bei § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift („kann“).
§ 114 Satz 1 VwGO konkretisiert den Grundsatz der Gewaltenteilung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Verwaltung und (Verwaltungs-)Rechtsprechung. Hiernach sind die Gerichte nur zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung ermächtigt; sie sind auf die Nachprüfung beschränkt, ob das Ermessen rechtmäßig, nicht auch, ob es zweckmäßig ausgeübt wurde (BVerwG, U.v. 18.8.1960 – I C 42.59 – juris – BVerwGE 11, 95/97; 19, 149/153). Die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung bestimmt sich nach der dem Fall zugrundeliegenden objektiven Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ermessensausübung. Die Verpflichtungsklage führt bei Feststellung eines Ermessens- oder Abwägungsfehlers grundsätzlich zum Bescheidungsurteil; das Gericht darf die Sache nicht darüber hinaus spruchreif machen (BVerwG, U.v. 18.8.1960 – I C 42.59 – juris – BVerwGE 10, 202/204; 11, 95/99). Anders nur, wenn ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 1, 9, 11). Dies ist der Fall, wenn bei einer Verpflichtungsklage auf Erlass eines im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsaktes trotz der rechtlich gegebenen Ermessensfreiheit der Behörde im Einzelfall praktisch nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht kommen kann, d.h. wenn allgemein oder im konkreten Einzelfall keine Zweckmäßigkeitserwägungen denkbar sind, die eine Versagung der Befreiung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.1339 – juris Rn. 44). Eine Ermessensreduzierung auf Null darf nur zurückhaltend und in engen Ausnahmefällen angenommen werden, um einen Übergriff der Gerichte in den Bereich der Verwaltung zu vermeiden (BVerwG, B.v. 15.01.1988 – 7 B 182/87 – juris – NVwZ 1988, 525). Die praktische Alternativlosigkeit muss offensichtlich sein; §§ 113 Abs. 5, 114 Satz 1 VwGO verbieten dem Gericht, im Sinne eines Bescheidungsurteils entscheidungsreife Klagen im Hinblick auf von der Behörde bislang nicht erwogene Handlungsalternativen durch eigenes Aufklären bis zu einem Verpflichtungsurteil hin spruchreif zu machen (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 32 m.w.N.).
Gemessen daran liegt in dem streitgegenständlichen Verfahren weder ein Ermessensfehler noch eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
Unter Ziffer II. 2 d) (2) des streitgegenständlichen Bescheids vom 27. August 2018 übte das Landratsamt sein pflichtgemäßes Ermessen ordnungsgemäß aus. Dabei führte es aus, dass dem Hilfsantrag auf Verlängerung der Angleichungsfrist nach Abwägung der wirtschaftlich einschneidenden Gesamtplatzzahlreduzierung von 107 auf 61 Wohnplätze mit den Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner teilweise stattgegeben werden könne. Unter Abwägung der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner an einer schnellstmöglichen Umsetzung der Mindestgröße zum allgemein anerkannten Wohnstandard, jedoch auch am Bestand der Einrichtung sei es vertretbar, die anstehende Umwandlung von 46 Doppelzimmern in Einzelzimmer hinauszuschieben und unter Bewilligung von gestaffelten Angleichungsfristverlängerungen durchzuführen.
Diese Ermessensausübung ist auch unter Berücksichtigung des vom Verordnungsgeber vorgegebenen Maßstabs nicht zu beanstanden. Die Angemessenheit einer Fristverlängerung hat sich danach unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner an den konkreten Umständen des Einzelfalls zu orientieren (Begründung zur AVPfleWoqG, zu § 10 Abs. 1).
Soweit die Klagepartei allein wirtschaftliche Gesichtspunkte für die Verlängerung der Angleichungsfrist ins Feld führt, kann daraus keine Ermessensfehlerhaftigkeit des Bescheids abgeleitet werden, da es vornehmlich auf das Interesse und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ankommt. Wie sich aus Ziffer II. 2 d) (2) des Bescheids ergibt, hat das Landratsamt bei seiner Ermessensentscheidung die wirtschaftlichen Auswirkungen der baulichen Mindestanforderungen berücksichtigt.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände erweist sich die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Angleichungsfrist im Hinblick auf die insoweit längstens mögliche Frist von 25 Jahren nach Inkrafttreten der AVPfleWoqG (§ 10 Abs. 1 Satz 4 AVPfleWoqG) nicht als ermessensfehlerhaft, zumal die Klagepartei seit 1. September 2011 in der Lage gewesen wäre, die entsprechenden Mindestanforderungen in der streitgegenständlichen Einrichtung umzusetzen.
Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Klagepartei einen Anspruch auf Verlängerung der Angleichungsfrist auch nicht aus § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG ableiten kann. Ungeachtet der Tatsache, dass die Rechtsfolge des § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG eine Verlängerung der Angleichungsfrist nicht vorsieht, handelt es sich bei § 10 AVPfleWoqG diesbezüglich um eine lex specialis, die nicht umgangen werden darf.
Aus der vom Klägerbevollmächtigten angeführten Übergangsregelung des § 97 Abs. 2 AVPfleWoqG bezüglich der Mindestanforderungen nach § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG, wonach jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu seinem Sanitärraum haben muss, ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die Regelung gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für die Mindestanforderung des § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG. Die klägerische Auffassung, dass die Existenz eines zum Bewohnerzimmer gehörenden Sanitärraumes für die Bewohnerinnen und Bewohner einen höheren Stellenwert habe als die Fläche der Bewohnerzimmer, wird nicht geteilt. Bei den baulichen Mindestanforderungen bezüglich der Fläche der Wohn-Schlaf-Räume und der Mindestanforderung bezüglich des Zugangs zum Sanitärraum handelt es sich um unabhängig voneinander bestehende bauliche Mindestanforderungen, für die der Verordnungsgeber verschiedene Regelungen getroffen hat.
Jede bauliche Mindestanforderung muss gesondert und unabhängig von anderen Anforderungen und Gegebenheiten bewertet werden. Eine Kompensation einer Unterschreitung einer baulichen Mindestanforderung durch eine Erfüllung einer anderen baulichen Mindestanforderung oder durch einen anderen positiv bewertbaren Umstand ist nicht zulässig (VG Würzburg, U.v. 17.12.2020 – W 3 K 19.99).
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die geltend gemachte Verlängerung der Angleichungsfrist bezüglich der Anforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG bis zum 30. Mai 2030. Ziffer 5 des Bescheids des Beklagten, in dem der Klägerin eine gestaffelte Verlängerung der Angleichungsfrist unter der aufschiebenden Bedingung der gestaffelten Umwandlung gemäß Ziffer 4 des Bescheids gewährt wurde, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Angleichungsfrist ist § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG.
Die Mindestanforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG sind bei der streitgegenständlichen stationären Einrichtung, die bei Inkrafttreten der AVPfleWoqG am 1. September 2011 bereits in Betrieb war, nicht erfüllt. Nach § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG muss ein angemessener Anteil der Wohnplätze als Einzelwohnplätze ausgestaltet sein. Das Landratsamt als zuständige Behörde hat den unbestimmten Rechtsbegriff des „angemessnen Anteils“ für die streitgegenständliche Einrichtung in Orientierung an das Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 28. Dezember 2015 (Gz. G43a-G8300-2015/704-5), wonach sich der angemessene Anteil von Einzelzimmern in bestehenden Einrichtungen der Pflege grundsätzlich auf 75 Prozent beläuft, auf 46 von 61 Zimmern konkretisiert. Diese Auslegung wird dem Sinn und Zweck des PfleWoqG, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen als Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen vor Beeinträchtigungen zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG), gerecht. Nach der Begründung zu § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG ist im Regelfall ein Einzelzimmer-Anteil von mindestens 75% als angemessen zu betrachten, um auch dem Wunsch älterer Menschen auf Privatsphäre und Selbstbestimmung gerecht zu werden. Wohnplätze für zwei Personen in einem Raum entsprechen im Allgemeinen nicht den Wohnbedürfnissen, werden aber regelmäßig zur Verfügung gestellt, um den Wunsch von Bewohnerinnen und Bewohnern nach einem Zusammenziehen berücksichtigen zu können.
Die Klägerin stellte am 29. August 2016 beim Landratsamt den Antrag auf Verlängerung der Angleichungsfrist bis zum 30. Mai 2030. Ein entsprechender Anspruch besteht nicht, da keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Ermessensfehler hinsichtlich der unter der aufschiebenden Bedingung der gestaffelten Umwandlung gewährten Verlängerung der Angleichungsfrist in Ziffer 5 des Bescheids sind nicht ersichtlich.
Unter Ziffer II. 2 e) i.V.m. d) des streitgegenständlichen Bescheids vom 27. August 2018 übte der Beklagte sein pflichtgemäßes Ermessen ordnungsgemäß aus. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter 2. Bezug genommen.
4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG.
Die streitgegenständliche stationäre Einrichtung erfüllt die Anforderungen des Art. 3 PfleWoqG i.V.m. § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG nicht (vgl. oben 3).
Ist dem Träger einer stationären Einrichtung die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, kann die zuständige Behörde gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG auf Antrag des Trägers ganz oder teilweise von der Verpflichtung befreien, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
Die begehrte Befreiung ist nicht mit den Interessen und den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar. Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner wird auf die Ausführungen unter 1.2.1. verwiesen.
Die baulichen Mindestanforderungen dienen dem Schutz älterer und pflegebedürftiger Menschen sowie von Menschen mit Behinderung, die Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen sind. Diese verbringen anders als Krankenhauspatienten eine unbestimmte Zeit ihres Lebens, oft bis zu ihrem Tod, in stationären Einrichtungen. Die baulichen Mindestanforderungen gewährleisten den Bewohnerinnen und bewohnern stationärer Einrichtungen ein menschenwürdiges Wohnen und ermöglichen ihnen ein weitgehend selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Sie werden vor Beeinträchtigungen ihrer Interessen und Bedürfnisse geschützt, die von stationären Einrichtungen ausgehen, die die in der AVPfleWoqG festgelegten baulichen Mindeststandards nicht erfüllen (Begründung zur AVPfleWoqG, C. Teil 1 S. 6).
Der in § 4 Abs. 3 Satz 1 AVPfleWoqG festgelegte Mindeststandard, dass ein angemessener Anteil der Wohnplätze als Einzelwohnplätze ausgestaltet sein muss, wird nicht eingehalten, da die stationäre Einrichtung lediglich über 15 Einzelwohnplätze verfügt, während 46 Wohnplätze für zwei Personen vorhanden sind. Die Gewährleistung einer „angemessenen Qualität des Wohnens“ als zentrale Qualitätsanforderung an den Betrieb einer stationären Einrichtung ergibt sich bereits aus Art. 3 Abs. 2 Nr. 7 PfleWoqG und umfasst auch die Frage nach der Ausgestaltung eines angemessenen Anteils der Wohnplätze als Einzelwohnplätze. Die Möglichkeit, sich in einen geschützten und selbst kontrollierten Raum zurückziehen zu können, ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wohnplätze für zwei Personen in einem Raum entsprechen im Allgemeinen nicht den Wohnbedürfnissen von erwachsenen Menschen (vgl. Begründung zur AVPfleWoqG, zu § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG).
Ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung von den Mindestanforderungen des § 4 Abs. 3 AVPfleWoqG scheitert damit daran, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar ist.
5. Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben