Europarecht

Subsidiär Schutzberechtigter, Slowakische Republik, Dublin-III-VO, Abschiebungsstopp, Drohende Abschiebung, Zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Abschiebungshindernis, Abschiebungsschutz, Abschiebungsanordnung, Mitgliedstaaten, Systemischer Mangel, Asylverfahren, Asylbewerberunterbringung, Abgelehnter Asylbewerber, Asylantragsteller, Flüchtlingskonvention, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Erniedrigende Behandlung, Selbsteintrittsrecht, Zuständiger Mitgliedstaat

Aktenzeichen  W 8 S 20.50301

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39899
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a
AsylG § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 60a Abs. 2c
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. b

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 17. September 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 22. September 2020 Kenntnis erlangte, und stellte am 9. Oktober 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates (Slowakische Republik) gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 10. November 2020 erklärten die slowakischen Behörden mit Schreiben vom 23. November 2020 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 30. November 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung in die Slowakische Republik an (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 9. Dezember 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50300 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf das Verfahren und die Begründung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte des Weiteren im Wesentlichen vor: Er könne nicht in die Slowakei zurück. Er habe dort ein schlechtes Leben gehabt. Er habe keine Unterkunft, keine Nahrung und sonst keine Unterstützung von den slowakischen Behörden erhalten. Er habe auch gesundheitliche Probleme mit einem Ausschlag auf seinem Rücken und mit seinem Fuß. Er habe in der Slowakei keine ärztliche Versorgung erhalten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.50300) sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller wendet sich bei verständiger Würdigung seines Begehrens (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) mit dem vorliegenden Sofortantrag gegen eine mögliche Abschiebung in die Slowakische Republik und begehrt damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die betreffende Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 30. November 2020.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. November 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zur Begründung hat der Antragsteller nur kurz vorgebracht, keine Unterkunft, keine Nahrung und keine Unterstützung sowie auch keine ärztliche Versorgung erhalten in der Slowakei erhalten zu haben. Er habe Probleme mit einem Ausschlag auf seinem Rücken und mit seinem Fuß. Dies änder nichts an der Zuständigkeit der Slowakischen Republik und der rechtlichen Zulässigkeit einer Überstellung dahin.
Die Slowakische Republik ist gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Verordnung Nr. 604/2013/EU – Dublin III-VO). Die Zuständigkeit der Slowakischen Republik ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO. Die slowakischen Behörden haben ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 23. November 2020 ausdrücklich erklärt.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das slowakische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) ausgesetzt wären.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12. 2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – InfAuslR 2014, 293 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – DVBl 2018, 392 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – ZAR 2019, 192 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – ZAR 2019, 192 – juris Rn. 92 f.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen bestehen aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel im slowakischen Asylsystem (OVG Saarl, B.v. 9.10.2019 – 2 A 325/18 – juris; VG Trier, U.v. 4.9.2019 – 7 K 2673/19.TR – juris; VG Würzburg, B.v. 26.2.2019 – W 10 S 19.50012 – juris, B.v. 19.9.2018 – W 8 S 18.50521; jeweils m.w.N.), zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantziiert vorgebracht hat.
Denn in der Slowakischen Republik gibt es ein rechtsstaatliches Asylsystem mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Auch für Dublin-Rückkehrer besteht Zugang zum Asylverfahren in Abhängigkeit vom Stand des Verfahrens. Entweder wird das Verfahren fortgesetzt oder es wird ein Folgeverfahren durchgeführt. Alle Asylantragsteller erhalten dieselbe Versorgung. Die Slowakische Republik sieht für Dublin-Rückkehrer und für Asylbewerber Unterbringung, Verpflegung, grundlegende Hygieneartikel und sonstige notwendige Gegenstände des täglichen Bedarfs vor. Darüber hinaus wird die dringende medizinische Versorgung übernommen, wenn der Betreffende keine öffentliche Versicherung hat. Während des Aufenthalts im Aufnahmezentrum oder im Integrationszentrum erhalten Asylbewerber ein Taschengeld. Die Unterbringungszentren bieten eine umfassende Versorgung, die unter anderem Unterkunft, Verpflegung und dringende medizinische Versorgung beinhaltet. Außerdem werden slowakische Sprachkurse, Sozial- und Rechtsberatungsdienste, aber auch psychologische Beratung und Freizeitaktivitäten angeboten. Auf eigene Kosten können die Asylbewerber auch außerhalb des Unterbringungszentrums untergebracht werden. Nach neun Monaten besteht Zugang zum Arbeitsmarkt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in der Slowakischen Republik wie generell in der EU in ausreichendem Maße verfügbar sind (vgl. im Einzelnen m.w.N.: BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Slowakei vom 31.10.2019 sowie die Hinweise in der oben zitierten Rechtsprechung).
Vorstehendes gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in der Slowakischen Republik (BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – jeweils juris). Zu beachten ist dabei, dass zur Abschätzung der Gefahrenprognose eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne weiteres zu unterstellen ist, insbesondere also keine inzidente Prüfung des Anspruchs auf Asyl vorzunehmen ist (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
International Schutzberechtigte besitzen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der Slowakischen Republik; subsidiär Schutzberechtigte müssen ihren Schutzstatus nach einem Jahr erneuern lassen und danach alle zwei Jahre. Des Weiteren besteht ein Recht auf Integrationsmaßnahmen. Schutzberechtigte haben Zugang zum Gesundheitswesen, einigen Sozialleistungen, Bildung und Arbeitsmarkt wie slowakische Bürger. Sie brauchen keine Arbeitserlaubnis. Die Integration wird durch verschiedene Projekte von NGOs durchgeführt. Bei den Integrationsprojekten wird ein besonderer Wert auf Unterbringung, slowakische Sprachkurse, Arbeitssuche, Jobtrainings- und psychosoziale sowie rechtliche Beratung gelegt. Die Bereitstellung geeigneter Wohnungen und die Gewährleistung der sozialen Sicherheit gelten als die wichtigsten und gleichzeitig kompliziertesten Bereiche der Integration von Schutzberechtigten. Schutzberechtigte können vorübergehend in einem Integrationszentrum untergebracht werden. Sie erhalten als Teil der materiellen Leistungen staatliche Wohnungsbeihilfe, wenn sie auch in der Anfangsphase noch keinen Zugang zu Sozialwohnungen haben, weil die Schutzberechtigten dafür die gleichen Bedingungen wie slowakische Bürger erfüllen müssen. Wenn Schutzberechtigte die Anforderungen für Sozialhilfe nicht erfüllen und sie über kein anderes Einkommen verfügen, sind sie von staatlichen Leistungen abhängig, die aber ein Armutsrisiko bergen. Positiv zu bewerten ist jedoch der Zugang zu den Sozialdiensten und zu den staatlichen Familienleistungen, zu denen anerkannte Flüchtlinge den gleichen Zugang wie slowakische Staatsbürger haben. Ansonsten können sie auf finanzielle Unterstützung und Kapazitäten der NGOs zurückgreifen (vgl. zu alledem BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Slowakei vom 31.10.2019, S. 11 ff.).
Auch eine Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers in der Slowakischen Republik, verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in das Heimatland, führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin verbunden mit einer (nochmaligen) Prüfung des Schutzbegehrens in Deutschland. Dem Antragsteller steht es frei, in der Slowakischen Republik gegebenenfalls um Rechtschutz nachzusuchen bzw. dort einen Folgeantrag zu stellen. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben, ist kein hier relevanter Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist – wie ausgeführt – davon auszugehen, dass in der Slowakischen Republik ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Dublin-Regelungen insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft, oder nach Ablehnung eines Asylantrags in einem Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat weiterzureisen, um eine weitere Prüfung seines Asylantrags mit einen für ihn günstigen Ergebnis zu erreichen. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO.
Eine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 ist insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID 19-Pandemie (Corona-Krise) gerechtfertigt.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in der Slowakischen Republik mit Blick auf das „Coronavirus“ entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in der Slowakischen Republik aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des oben näher erläuterten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Slowakischen Republik getroffenen Maßnahmen – keine substanziierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in der Slowakischen Republik begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für die Slowakische Republik vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Nach alledem ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte rechtsfehlerhaft nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat.
Des Weiteren hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – bezogen auf die Slowakische Republik – noch liegen inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Zu den vom Antragsteller geltend gemachten Erkrankungen (Ausschlag auf dem Rücken, Probleme mit dem Fuß) ist mit Bezug auf die vorstehenden Ausführungen zur medizinischen Versorgung in der Slowakischen Republik festzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, dass diese Erkrankungen nicht in der Slowakischen Republik behandelt bzw. weiter behandelt werden könnten. Darüber hinaus wird nach § 60a Abs. 2c AufenthG vermutet, dass eine Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, sofern der Betreffende eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht, wobei die ärztliche Bescheinigung gewisse Voraussetzungen zu erfüllen hat, die in § 60a Abs. 2c Sätze 3 und 4 AufenthG konkret aufgelistet sind. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch für die Beurteilung der Frage ob dem Betreffenden eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben bei einer Abschiebung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. Zudem besteht ein Abschiebungshindernis nur bei einer erheblich konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen, die nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist eine durch Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BverwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen Gefahr fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Im Bedarfsfall muss sich der Antragsteller auf die Möglichkeiten des slowakischen Gesundheitssystems verweisen lassen.
Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aufgrund der weltweiten COVID 19-Pandemie („Corona-Krise“). Diese führt mit Bezug auf die Slowakische Republik nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. Nach der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längsten drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann der Antragsteller in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor, denn es fehlt an einer derart extremen Gefahrenlage.
Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer derartigen Gefahrenlage besteht für das Gericht auch aufgrund der in Slowakischen Republik getroffenen Maßnahmen keine greifbaren Anhaltspunkte. So besteht etwa die Pflicht zur Quarantäne und Selbstisolation für zehn Tage bei der Einreise mit Verkürzungsmöglichkeit, soweit nicht schon ein negativer PCR-Test vorliegt. Weiter gelten Beschränkungen für Restaurants und Lokale sowie für Supermärkte und Drogerien, das Verbot privater Versammlungen mit mehr als sechs Personen, die Anordnung strenger Auflagen für kulturelle Veranstaltungen, Gottesdienste und Sportwettkämpfe sowie weitere beschränkende Maßnahmen infolge des Notstandes, die Verpflichtung zur Einhaltung von Hygieneregeln, wie das Tragen von Mundschutz auch draußen, außer in der freien Natur mit fünf Meter Abstand (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Slowakei: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ slowakei-node/slowakeisicherheit/206360; Reiseinformationen des österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten zur Slowakei, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/ land/slowakei/).
Der Antragsteller gehört offensichtlich nicht zu einer Personengruppe für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung.
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Covid-19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahmen der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht.
Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in der Slowakischen Republik – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte.
Das Gericht geht schließlich nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst längerfristig aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass es binnen der regelmäßigen sechsmonatigen Überstellungsfrist nicht tatsächlich zu einer Überstellung des Antragstellers in die Slowakische Republik kommen kann.
Konkret stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie und damit zusammenhängenden Reisebeschränkungen keine längerfristigen unüberbrückbaren tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen.
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers in die Slowakische Republik weiterhin rechtlich zulässig und möglich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher nach alledem abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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