Europarecht

Systemische Mängel des Asylsystems in Polen, Behandelbarkeit psychiatrischer Erkrankungen, Erneuter Fristlauf bei Sekundärmigration, mit falschen Angaben erreichtes Visum

Aktenzeichen  B 8 S 21.50108

Datum:
28.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44333
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird mit der Maßgabe abgelehnt, dass die Abschiebung des Antragstellers medizinisch begleitet wird.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Dem Antragsteller wurde von der polnischen Vertretung in Moskau am 25. Juli 2019 ein Schengen-Visum für einen Aufenthalt von maximal 10 Tagen mit einem Gültigkeitszeitraum 01.08.2019 bis 25.08.2019 erteilt (Seite 7 ff. der Behördenakte zum Az.: …). Der Antragsteller reiste am 30. August 2019 auf dem Landweg über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 06.09.2019 einen Asylantrag (vgl. Behördenakten zum Az.: …).
Gegenüber dem Bundesamt für … (im Folgenden Bundesamt) gab der Antragsteller bei seinem ersten persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (06.09.2019), bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages und seiner Anhörung nach § 25 AsylG jeweils am 08.10.2019 zusammengefasst an, er habe eine Stressproblematik und könne nicht alleine leben. In Deutschland lebe sein Onkel, der ihn unterstützen und ihm helfen könne. Weiterhin gab er an, von Schleusern einen russischen Pass mit einem Visum erhalten zu haben. In Wirklichkeit sei er Afghane. Hierzu legte er eine Tazkira, einen Studentenausweis und weitere Dokumente vor.
Am 14.10.2019 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) an Polen, dem von den polnischen Behörden mit Schreiben vom 17.10.2019 entsprochen wurde.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.10.2019 (Az.: …) wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Abschiebung nach Polen wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO sei Polen für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig. Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestünden nicht. Es lägen keine Gründe zu der Annahme von systemischen Mängeln im polnischen Asylverfahren vor. Dem Antragsteller drohe keine verfahrenswidrige Abschiebung in sein Heimatland. Die Frist von zwölf Monaten für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei im vorliegenden Fall angemessen. Die Zustellung des Bescheides erfolgte ausweislich der Empfangsbestätigung am 25.10.2019.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 28.10.2019 eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 17.10.2019 erheben (B 8 K 19.50553). Zwei hiergegen gerichtete Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz sind erfolglos geblieben (B 9 S 19.50552 und B 8 S 19.50614).
Von 03.01.2020 bis 09.01.2020 war der Antragsteller unbekannten Aufenthalts, woraufhin die Überstellungsfrist verlängert wurde. Ab dem 09.01.2020 befand er sich in stationärer Behandlung. Hierzu liegt auch der Arztbrief in den Akten vor. Der Antragsteller hatte versucht, sich mit Medikamenten das Leben zu nehmen.
Nachdem das Bundesamt die Aussetzung der Vollziehung der obigen Entscheidung vom 31.03.2020 am 15.09.2020 wiederrufen hatte wurde der Antragsteller nach einem erneuten unbekannten Aufenthalt (von 06.10.2020 bis 18.10.2020) am 03.12.2020 nach Polen abgeschoben. Er kehrte nach eigenen Angaben am 14.12.2020 zurück in die Bundesrepublik Deutschland wo er sich erneut ins Krankenhaus begab.
Das Bundesamt leitete daraufhin ein sog. Aufgriffsverfahren ein und stellte am 02.03.2021 ein erneutes Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Die polnischen Behörden stimmten diesem mit Schreiben vom 08.03.2021 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 c Dublin III-VO zu. Der Akte des Aufgriffsverfahrens ist ein sog. EURODAC Treffer (…) zu einer Asylantragstellung des hiesigen Antragstellers in Polen nach seiner Überstellung am 03.12.20210 zu entnehmen (Seite 31 der Behördenakte zum Az.: …).
Der Antragsteller erhielt am 16.03.2021 erneut eine Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrages. Darin gab er an, in Deutschland bleiben zu wollen, da hier sein Onkel und seine Tante lebten und diese ihm Sicherheit insbesondere auch bei Suizidgedanken geben würden.
Zur aktuellen gesundheitlichen Verfassung des Antragstellers enthalten die Akten insbesondere den Arztbrief über den stationären Aufenthalt des Klägers von 14.12.2020 bis 08.01.2021 und Reisefähigkeitsatteste von … (Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie) vom 12.01.2021, 09.04.2021 und 28.04.2021.
Mit Bescheid vom 17.05.2021 (Az.: …) wurde erneut die Abschiebung nach Polen angeordnet (Ziff.1). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 2). Darüber hinaus blieb der Bescheid des Bundesamtes vom 17.10.2019 zum Aktenzeichen … hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 unberührt (Ziff.3).
Auf die ausführliche Begründung wird Bezug genommen.
Hiergegen wendete sich der Antragsteller mit einer Klage (B 8 K 21.50109) vom 21.05.2021, mit der er zugleich beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dieser Antrag sowie die Klage werden im Wesentlichen damit begründet, dass die Überstellungsfrist abgelaufen sei. Hilfsweise bestünden Abschiebungsverbote hinsichtlich Polens.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Behörden- und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG – keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen.
Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat.
Nach § 34a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einen aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates, daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
Die notwendigen Voraussetzungen liegen hier- wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt (§ 77 Abs. 2 AsylG) – im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung des Antragstellers nach Polen vor.
1. Der Asylantrag ist gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG unzulässig. Für das Asylverfahren des Antragstellers ist Polen zuständig.
a. Dies ergibt sich durch das Visum der polnischen Behörden nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO. Danach ist für die Prüfung eines Asylantrags eines Inhabers eines Visums, welches vor weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, der Mitgliedsstaat zuständig, der das jeweilige Visum erteilt hat, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Nach der in Art. 2 Buchst. m Dublin III-VO enthaltenen Definition ist ein Visum eine „Erlaubnis oder Entscheidung eines Mitgliedstaats“, die „im Hinblick auf die Einreise zum Zweck der Durchreise oder die Einreise zum Zweck eines Aufenthalts“ im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten verlangt wird. Aus dem vom Unionsgesetzgeber verwendeten Wortlaut geht hervor, dass der Begriff des Visums auf einen förmlichen Rechtsakt einer nationalen Verwaltung Bezug nimmt. Voraussetzung ist aber nach dem Wortlaut nicht, dass diese Entscheidung, wie vom Antragsteller im Ergebnis angenommen, rechtmäßig getroffen wurde. Im Gegenteil regelt Art. 12 Abs. 5 Satz 1 Dublin III-VO ausdrücklich geregelt, dass der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, nicht daran hindert, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Bei der maßgeblichen ersten Antragstellung im September 2019 (vgl. BeckOK MigR/Thomann, 7. Ed. 1.1.2021, VO (EU) 604/2013 Art. 12 Rn. 11) war das Visum des Antragstellers weniger als sechs Monate abgelaufen. Der Antragsteller hat seither das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen.
b. In Polen bestehen auch keine derartigen Mängel im Asylsystem, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO oder Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ausgeschlossen wäre.
Nach dem System der normativen Vergewisserung (s. dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (s. dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Diese ist nicht unwiderleglich, sondern es obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 105 f.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 84 f.). Jedoch fallen solche Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Dies ist erst dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergeben sich keine Anhaltspunkte für entsprechende Schwachstellen in Polen. Nach § 77 Abs. 2 AsylG wird hierzu auf die Gründe der Bescheide vom 17.10.19 und 17.05.2021 Bezug genommen, welche sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im polnischen Asylverfahren auseinandersetzen. Auch in der Rechtsprechung wird diese Einschätzung überwiegend geteilt (vgl. grundlegend BayVGH, U.v. 19.01.2016 – 11 B 15.50130 -, juris und in jüngster Zeit: VG Würzburg B.v. 03.01.2020 – W 8 S 19.50825 -, juris; VG Frankfurt (Oder), B.v. 28.01.2021 – 2 K 79/20.A -, juris; VG Ansbach, B.v. 01.10-2020 – AN 18 S 19.50476 -, juris; VG Trier, U.v. 24.08.2020 – 7 K 203/20.TR -, juris). Insbesondere ist auch unter Zugrundelegung der Erkenntnismittel davon auszugehen, dass die gesundheitliche Versorgung in Polen ausreichend ist (vgl. hierzu Aida Country Report, Poland 2020 Update, April 2021 Seite 66; Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Polen, Gesamtaktualisierung 04.09.2020, S. 6 und 12 f). Der Antragsteller hat auch keine entsprechenden Schwachstellen geltend gemacht, sondern möchte aus familiären und gesundheitlichen Gründen in Deutschland bleiben. Solch persönliche Wünsche können, wie im Bescheid vom 17.05.2021 zutreffend ausgeführt, bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates keine Berücksichtigung finden.
c. Die Zuständigkeit Polens ist auch nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen. Nach der erfolgreichen Überstellung nach Polen am 03.12.2020 und der Rückkehr nach Deutschland begann die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 23 ff. Dublin III-VO neu zu laufen. Die Antragsgegnerin hat hierzu innerhalb der vorgesehenen Fristen von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung vom 15.01.2021 bzw. drei Monaten nachdem der Wiedereinreise am 14.12.2020 (vgl. Art. 23 Abs. 2 bzw. Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO) ein neues Wiederaufnahmegesuch an Polen gerichtet, dem mit Schreiben vom 08.03.2021 auch zugestimmt wurde. Damit begann die neue 6-monatige Überstellungsrist zu laufen. Sie endete damit frühestens am 08.09.2021.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller davon ausgeht, dass die erste Überstellungsfrist rechtswidrig verlängert, bzw. später die Überstellung rechtswidrig ausgesetzt wurde. Der Antragsteller war von 03.01.2020 bis 09.01.2020 und von 06.10.2020 bis 18.10.2020 aktenkundig unbekannten Aufenthalts. Er begab sich im Januar 2020 erst am 09.01.2020 in die von seiner Bevollmächtigten gegen die Flüchtigkeit angeführte stationäre Behandlung. Er war damit 6 Tage, mithin fast eine Woche, untergetaucht und damit nach summarischer Prüfung flüchtig im Sinne der Dublin III-VO. Die (erste) Überstellungsfrist wurde damit wirksam bis 06.05.2021 verlängert.
2. Weiter stehen einer Abschiebung weder inlands- noch zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Auch hierzu ist zunächst auf die überzeugenden und ausführlichen Ausführungen im Bescheid zu verweisen, § 77 Abs. 2 AsylG. Es ist insbesondere weder dargelegt noch sonst hinreichend ersichtlich, dass durch die Abschiebung selbst oder einen Aufenthalt in Polen, der gesundheitliche Zustand des Klägers eine lebensbedrohliche Verschlechterung erfährt, sofern, wie bereits bei der ersten Abschiebung geschehen, die Abschiebung entsprechend medizinisch begleitet wird.
a. Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht auch im Hinblick auf die im Raum stehende Reiseunfähigkeit des Antragstellers nicht. Von einer Reiseunfähigkeit im engeren Sinne spricht man, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne liegt dann vor, wenn die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorgangs eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (BayVGH, B.v. 29.07.2014 -10 CE 14.1523 – juris Rn. 21; BayVGH B. v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 20; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.10.2013 – 7 S 11.13 – juris Rn. 12). Selbst eine ernsthafte Suizidgefahr führt nicht unmittelbar zu einem krankheitsbedingten Abschiebungshindernis, sondern hat zur Folge, dass die Abschiebung dann so zu gestalten wäre, dass der Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BayVGH, B.v. 29.07.2014 -10 CE 14.1523 – juris Rn. 21 und B. v. 09.04.2003 – 10 CE 03.4844 – juris Rn. 9, BVerfG, B. v. 16.04.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; B. v. 26.02.1998 – 2 BvR 1985/98 – juris Rn. 4). Dies soll mit der tenorierten Maßgabe sichergestellt werden. Dass einer etwaigen Suizidgefahr im Rahmen der Abschiebung nicht begegnet werden könnte, ist den Stellungnahmen der Psychiaterin … nicht zu entnehmen. Im Gegenteil sind bei den letzten Beurteilungen vom 09.04.2021 und 28.04.2021 keinerlei Aussagen hinsichtlich der Entwicklung des Klägers nach dem letzten stationären Aufenthalt bzw. der vorangegangenen Stellungnahme vom 12.01.2021 mehr zu entnehmen. Weshalb entgegen der vorherigen Prognose die Reiseunfähigkeit um weitere 3 Monate verlängert werden muss, ist nicht schlüssig erläutert. Die Stellungnahmen vom 12.01.2021 und 09.04.2021 sind nahezu wortgleich. Die Psychiaterin hält eine engmaschige psychiatrische Betreuung mit Gewährleistung einer regelmäßigen Medikation für absolut notwendig dies wird auch bei Einhaltung der Maßgabe gewähreistet.
Auch aus dem Hinweis, dass weiterer Therapiebedarf bei dem Antragsteller bestehe, ergibt sich keine Unmöglichkeit der Abschiebung wegen fehlender Reisefähigkeit. Dies kann allenfalls ein zielstaatenbezogenes Abschiebungshindernis darstellen.
b. Die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind jedoch nicht erfüllt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist.
Psychiatrische Erkrankungen, wie sie dem Kläger in den Arztbriefen der stationären Aufenthalte (09.01.2020 bis 27.02.2020 und 14.12.2020 bis 08.01.2021) und den Bescheinigungen von … attestiert wurden, können in Polen behandelt werden. Es kann daher offen bleiben, ob die genannten Dokumente die Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG erfüllen.
Übereinstimmend mit den umfassenden Ausführungen im Bescheid geht die zuständige Einzelrichterin nach Sichtung der Erkenntnismittel davon aus, dass psychiatrische Erkrankungen von Asylbewerbern in Polen behandelt werden. Für Ausländer, die im Wege des Dublin-Verfahrens nach Polen zurückkehren, stellt sich die medizinische Versorgungslage wie folgt dar: Im Anschluss an die Überstellung nach Polen wird der Gesundheitszustand eines Rückkehrers zunächst durch das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt, wobei insbesondere die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers sowie die eventuelle Notwendigkeit einer Unterbringung in einer (fachlichen) medizinischen Einrichtung abgesprochen werden.
Entsprechendes ist schon in den Antworten der Polnischen Behörden angedeutet, wenn diese bitten, entsprechende Informationen mitzuteilen (vgl. Bundesamtsakte Az.: … Seite 138 und Bundesamtsakte Az. … Seite 61). Sollte der Rückkehrer einer sofortigen Hospitalisierung bedürfen, wird außerdem der Transport in eine entsprechende medizinische Einrichtung sichergestellt. Während des Asylverfahrens ist die medizinische Versorgung im selben Umfang wie für versicherte polnische Staatsbürger garantiert; diese besteht auch dann fort, wenn die materielle Versorgung – gleich aus welchen Gründen – reduziert werden sollte. Die medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird dabei im Auftrag der polnischen Asylbehörde von der Firma Petra Medica erbracht und umfasst die medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlungen, Zahnbehandlungen, die Versorgung mit Medikamenten sowie psychologische Betreuung. Im Rahmen letzterer stehen unter anderem psychologische Unterstützungsleistungen, Bildungsaktivitäten sowie das Angebot einer Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention zur Verfügung. Die betreffenden Maßnahmen basieren auf den Standards der Polnischen Psychologischen Vereinigung. Ergibt sich die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung, kann der Patient außerdem an einen Psychiater oder – entsprechend seines Alters – in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene überwiesen werden (vgl. zum Ganzen: Republik Österreich – BFA, Länderinformationsblatt Polen, Gesamtaktualisierung 04.09.2020, S. 6 und 12 f.; Aida Country Report, Poland 2020 Update, April 2021 Seite 66).
Nachdem weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, ist, dass die Behandlung des Antragtellers alleine in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, oder er hierfür die Unterstützung der auch derzeit nicht am selben Ort wie der Antragsteller lebenden Verwandten benötigte, ist unter den oben genannten Erkenntnissen davon auszugehen, dass der Antragsteller in Polen eine medizinische Behandlung erhalten kann, die eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausschließt oder dieser zumindest ausreichend vorbeugt.
3. Schließlich begegnet auch die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen Bedenken. Die Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Gem. § 83 b AsylG keine Gerichtskosten erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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