Europarecht

Technische Bauvorschrift für fliegende Bauten

Aktenzeichen  2 B 17.543

Datum:
18.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 125
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43
BayVwVfG Art. 36
BayBO Art. 3 Abs. 2, Art. 72 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die technische Regel der DIN EN 13814 für fliegende Bauten ist wirksam als Technische Baubestimmung nach Art. 3 Abs. 2 BayBO eingeführt worden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Verweis auf die Fundstelle der DIN EN 13814 genügt den Anforderungen an das Publizitätsprinzip, auch wenn diese nur auf einen Verlag verweist, bei welchem die DIN EN 13814 käuflich erworben werden kann. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 14.4412 2015-02-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 11. Februar 2015 wird die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung (§ 124 Abs. 1 VwGO) der Beklagten ist begründet. Die Anschlussberufung des Klägers nach § 127 VwGO ist jedenfalls unbegründet.
1. Statthafte Klageart ist die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO. Insoweit ist wegen des mit der eingelegten Anschlussberufung gestellten Hilfsantrags der Klageantrag von einer Fortsetzungsfeststellungsklage in eine allgemeine Feststellungsklage umzustellen. Da es sich bei der allgemeinen Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO bzw. der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO um ein Minus handelt (vgl. auch die Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 VwGO) stellt die Umstellung des Klageantrags in der Hauptsache gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO keine Klageänderung im Sinn von § 91 VwGO dar, so dass weder eine Sachdienlichkeit noch eine Einwilligung der Beteiligten notwendig ist.
a) Voraussetzung für die Statthaftigkeit einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses. Als Rechtsverhältnis werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19.09 – BVerwGE 136, 54). Nach dieser Rechtsprechung setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ferner voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können.
Vorliegend wies die Beklagte in ihrem Bescheid vom 11. März 2014 in der Nr. 1 der „Auflagen und Bedingungen“ den Kläger darauf hin, dass sich die technische Grundlage für fliegende Bauten durch die zum 1.1.2013 bauaufsichtlich eingeführte Norm DIN EN 13814 geändert habe und, um dieser Neuerung Rechnung zu tragen, die obersten Bauaufsichten in Deutschland beschlossen hätten, dass alle bestehenden fliegenden Bauten hinsichtlich der Einhaltung des neuen Standards zu überprüfen seien. Daher wurde der Kläger gebeten bis zur nächsten Verlängerung der Ausführungsgenehmigung diese Überprüfung durch die Erstprüfstelle der Anlage, in Ihrem Fall der TÜV SÜD in München, durchführen zu lassen und der Genehmigungsstelle einen entsprechenden Bericht über die erfolgte Prüfung vorzulegen. Der Kläger hingegen ist der Auffassung, dass die DIN EN 13814 für sein bestehendes Fahrgeschäft entsprechend deren Wortlaut nicht anwendbar und die im Rahmen der Übernahme der DIN EN 13814 als technische Baubestimmung erfolgte Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf bestehende Fahrgeschäfte nicht wirksam ist. Dies stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im oben genannten Sinn dar.
b) Die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ist auch nicht nach § 43 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, weil der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könnte. In Betracht käme hier lediglich eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alternative VwGO in der Gestalt der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass es sich bei der Nr. 1 der „Auflagen und Nebenbestimmungen“ des Bescheids vom 11. März 2014 um eine selbständig anfechtbare Nebenbestimmung im Sinn des Art. 36 BayVwVfG handeln würde. Wie das Erstgericht jedoch richtig erkannt hat, wird dem Kläger vorliegend ein Handeln für die Zukunft angeraten und damit nicht eine Voraussetzung des konkreten Hauptverwaltungsakts, hier der Verlängerung der Ausführungsgenehmigung nach Art. 72 Abs. 2 Satz 2 BayBO für das Jahr 2014, sichergestellt. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass ab dem Jahr 2015 – also für die Zukunft – eine andere Rechtslage gelte und ein dieser entsprechender Prüfbericht als Voraussetzung für eine weitere Verlängerung der Ausführungsgenehmigung erforderlich sei. Darüber hinaus sind Nebenbestimmungen Regelungen, die auf einen bestimmten Verwaltungsakt bezogen sind. Elementar für eine selbständig anfechtbare Nebenbestimmung ist daher das Vorliegen einer Regelung. Keine Nebenbestimmungen sind mangels unmittelbarer Rechtserheblichkeit die vielfach in Verwaltungsakten enthaltenen Hinweise. Vorliegend wird der Kläger auf die nach Auffassung der Beklagten geänderte Rechtslage verwiesen. Weiter wird in der Nr. 1 der „Auflagen und Bedingungen“ des Bescheids vom 11. März 2014 der Kläger lediglich darauf hingewiesen, dass er für das Folgejahr als Voraussetzung für die Erteilung einer weiteren Verlängerung der Ausführungsgenehmigung diese geänderte Rechtslage zu beachten habe und gebeten, einen entsprechenden Prüfbericht vorzulegen habe. Dies stellt lediglich einen Hinweis auf die Rechtslage und eine Bitte um Beachtung dar, dem jedoch kein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt.
c) Der Senat geht trotz der weiteren für die Jahre 2016 und 2017 erteilten Verlängerungen der Ausführungsgenehmigung, die ihrerseits jeweils mit nun ausdrücklich als solchen bezeichneten Hinweisen zur Anwendung der DIN EN 13814 versehen sind, vom Vorliegen eines berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung als qualifizierter Form des Rechtsschutzbedürfnisses aus. Da die Verlängerungen der Ausführungsgenehmigungen ebenfalls den Hinweis auf die Einhaltung der DIN EN 13814 für die jeweils für das Folgejahr zu beantragende Verlängerung enthalten, diese aber gerade mangels Regelungscharakters nicht selbständig anfechtbar sind, besteht insoweit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung im Hinblick auf den ersten diese Frage betreffenden Bescheid. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass das Vorliegen des berechtigten Interesses im Hinblick auf die nachträglich bekannt gewordene Tatsache, dass der Kläger sein Fahrgeschäft inzwischen verkauft hat (vgl. Bericht in der TZ vom 19. Mai 2017), obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2017 auf Frage des Gerichts erklärt hat, dass er Eigentümer und Betreiber des hier verfahrensgegenständlichen Fahrgeschäfts sei, das Fortbestehen des Feststellungsinteresses fraglich geworden ist, da nunmehr eine weitere Verlängerung der letzten Ausführungsgenehmigung vom 2. Mai 2017 bis zum 31. Mai 2017 wohl nicht mehr in Betracht kommt.
2. Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts geht der Senat davon aus, dass die technische Regel der DIN EN 13814 wirksam als Technische Baubestimmung nach Art. 3 Abs. 2 BayBO eingeführt worden ist. Die DIN EN 13814 wurde mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 30. November 2012 (AllMBl 2012, 965/976) als Technische Baubestimmung gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayBO mit Wirkung am 1. Januar 2013 eingeführt.
Technische Bauvorschriften werden in der Rechtsform einer Verwaltungsvorschrift, also nicht einer Rechtsnorm, nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayBO öffentlich eingeführt (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 3 Rn. 181). Die Einführung stellt eine behördliche Verwaltungsentscheidung dar, die den Zeitpunkt, von dem an die Technische Baubestimmung zu beachten ist, bestimmt. Als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift haben Technische Baubestimmungen Außenwirkung und binden auch die Verwaltungsgerichte (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 19.12.1985 -7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300). Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung sind grundsätzlich zu publizieren. Die Publikationspflicht für Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung ist im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie in der Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG begründet (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.2004 -5 CN 1.03 – BVerwGE 122, 264; B.v. 29.7.2010 – 4 BN 21.10 – BayVBl 2010, 767; U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100). Damit das Gebot der Rechtssicherheit gewahrt ist, muss für den Betroffenen klar erkennbar sein, welche Vorschriften im Einzelnen für ihn gelten sollen. Danach muss die Verlautbarung solcher in Bezug genommener Regelungselemente für den Betroffenen zugänglich und ihrer Art nach für amtliche Anordnungen geeignet sein. Der Betroffene muss sich verlässlich und ohne erhebliche Schwierigkeiten Kenntnis vom Inhalt der Regelungen verschaffen können, auf die Bezug genommen wird. Dabei darf die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein (dazu insgesamt vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2010 – 4 BN 21.10 – BayVBl 2010, 767; U.v. 27.6.2013 -3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100; U.v. 24.6.2015 – 9 C 23.14 – NVwZ-RR 2016, 68). Es richtet sich jedoch nach dem jeweils einschlägigen Recht, welche Anforderungen an die Verkündung zu stellen sind. Ob die Möglichkeit, sich vom Norminhalt zuverlässig Kenntnis zu verschaffen, durch die Art und Weise der Veröffentlichung unmittelbar erschwert wird, hängt von den jeweiligen Umständen ab, die sich einer Verallgemeinerung über den konkreten Fall hinaus entziehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100). Denn das Rechtsstaatsprinzip enthält keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote. Es bedarf vielmehr der Konkretisierung nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerwG, B.v. 18.10.2006 – 9 B 6.06 – NVwZ 2007, 216). Dabei spielt auch der konkrete Adressatenkreis, der typischerweise von einer Regelung betroffen ist, eine Rolle (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100; B.v. 5.12.2013 – 4 BN 48.13 – BauR 2014, 503; U.v. 24.6.2015 – 9 C 23.14 – NVwZ-RR 2016, 68; BayVGH, B.v. 17.12.1974 – Nr. 85 IV 72 – BayVBl 1974, 617).
Nach den hier maßgeblichen Umständen genügt der Verweis auf die Fundstelle der DIN EN 13814 den Anforderungen an das Publizitätsprinzip. Zwar verweist die Fundstelle auf einen Verlag, bei welchem die DIN EN 13814 käuflich erworben werden kann (vgl. AllMBl 2012, 980). Jedoch ist dies vorliegend ausreichend. Zum einen bestimmt das zugrundeliegende Recht in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 BayBO ausdrücklich, dass bei der Bekanntmachung einer Technischen Baubestimmung hinsichtlich ihres Inhalts auf die Fundstelle verwiesen werden kann. Grund hierfür ist insbesondere, dass Technische Baubestimmungen in der Regel einen größeren Umfang haben und zu ihnen Zeichnungen und Tabellen gehören, so dass eine vollständige Veröffentlichung aufwändig wäre. Im Übrigen gibt es verschiedene amtliche Auslegestellen, bei welchen die DIN EN 13814 eingesehen werden kann (so z.B. im Deutschen Patent- und Markenamt und der Technischen Universität München). Die Modifikationen der DIN EN 13814 durch die Bekanntmachung vom 30. November 2012 (Anlage 2.7/8, AllMBl 2012, 965/1014) sowie durch die Bekanntmachung vom 8. November 2012 „Fliegende Bauten; Vollzug des Art. 72 der Bayerischen Bauordnung“ (AllMBl 2012, 1046/1047) sind allgemein zugänglich. Zwar mag es noch weitere nicht veröffentlichte Schreiben geben (Entscheidungshilfen für die Verlängerung von Ausführungsgenehmigungen, Fassung Dezember 2013, Schreiben des Vorsitzenden der Fachkommission Bauaufsicht der Bauministerkonferenz vom 18.12.2013, IMS vom 29.9.2014). Diese modifizieren die DIN EN 13814 jedoch nicht dauerhaft, sondern geben lediglich Hinweise zur Anwendung für die zuständigen Behörden bzw. Beliehenen als Prüfstelle. Zum anderen ist der Adressatenkreis der DIN EN 13814 hier stark beschränkt. Betroffen sind vor allem die Betreiber von fliegenden Bauten sowie die Sachverständigen, welche die erforderlichen Prüfberichte erstellen, und die Prüfstellen, welche die Verlängerung der jeweiligen Ausführungsgenehmigung erteilen, bzw. die Bauaufsichtsbehörden. Nicht nur ist der Adressatenkreis eingeschränkt, dieser ist auch von besonderer Sachkunde. Damit nicht vergleichbar ist der Verweis eines Bebauungsplans auf eine DIN-Norm. Dort ist der Adressatenkreis deutlich größer und erstreckt sich auf jeden, der im Plangebiet ein Grundstück besitzt, sowie Architekten und Bauaufsichtsbehörden. Dieser Adressatenkreis beinhaltet zudem in größerem Umfang Personen, die nicht entsprechend sachkundig sind. Hier gewährleistet der bloße Verweis auf eine DIN-Norm nicht die notwendige Verständlichkeit des Bebauungsplans aus sich heraus, so dass die Rechtsprechung einen Verstoß gegen den Publizitätsgrundsatz annimmt (vgl. BVerwG, B.v. 5.12.2013 -4 BN 48.13 – BauR 2014, 503; B.v. 29.7.2010 – 4 BN 21.10 – BayVBl 2010, 767).
3. Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken dahingehend, dass die als Technische Baubestimmung eingeführte DIN EN 13814 nicht den Zwecken des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO dienen könnte, nämlich sicherzustellen, dass Anlagen unter Berücksichtigung der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet sind.
Die Technische Baubestimmung DIN EN 13814 ist generell betrachtet verhältnismäßig. Dies gilt nicht nur für ihre Anwendung auf Neuanlagen. Soweit es um den technischen Inhalt der Vorsorgeanforderungen geht, ist der Senat hinsichtlich der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift auf die Prüfung einer offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit beschränkt (vgl. NdsOVG, U.v. 4.12.2015 – 1 LC 178/14 – BauR 2016, 985). Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit gilt in besonderem Maß, wenn neue Anforderungen an schon vorhandene Anlagen gestellt werden. Dann ist die Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten. Die bei der ersten Ausführungsgenehmigung des klägerischen Fahrgeschäfts angewandte DIN 4112 stammte vom Februar 1983. Je älter jedoch eine Verwaltungsvorschrift ist, desto mehr nimmt ihre Bindungswirkung ab. Dies gilt auch im Hinblick auf technische Anforderungen. Je älter das Regelwerk ist, nach dem abstrakt gefährliche Anlagen beurteilt werden sollen, umso eher drohen damit Gefahren unerkannt und unbewältigt zu bleiben. Diese Vermutung gilt in umso größeren Maß, je älter die in Rede stehende Anlage ist. Daher ist gerade bei älteren Anlagen kritisch zu hinterfragen, ob noch ältere, bereits vor ihrer erstmaligen Inbetriebnahme, vor nunmehr über 30 Jahren erlassene Regelwerke die spezifischen Gefahren meistern helfen können, welche über die Anzahl von Auf- und Abbauvorgängen eher exponentiell denn linear zunehmen. Dies vor allem dann, wenn man den Umstand in den Blick nimmt, dass seit Erlass der seit dem Jahr 2013 zurückgezogenen DIN 4112 neue Erkenntnisse aus der Materialforschung über die Belastbarkeit und Ausdauer von Baumaterialien für Fahrgeschäfte (insbesondere Metalle) erlangt wurden. Dies ist ein Gesichtspunkt, der gerade bei Bestandsanlagen von besonderer Bedeutung ist. Je länger eine Anlage betrieben, d.h. auf- und abgebaut sowie befahren wird, desto mehr spielt die Dauerbelastbarkeit eine erhebliche Rolle. Das spricht ganz allgemein für die Einbeziehung von Bestandsanlagen in neue Sicherheitskonzepte, die langfristige Betriebssicherheit garantieren wollen.
Der Normgeber war auch nicht gehindert, die zunächst geltende Freistellung von Bestandsanlagen von der Anwendbarkeit der Technischen Baubestimmung nach einiger Zeit aufzuheben. Ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand von Normen allgemein gibt es nicht. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellen hier zudem die von der ARGEBAU erarbeiteten Entscheidungshilfen sicher. Diese differenzieren in nahezu außergewöhnlichem Maß zwischen Anlagentypen und enthalten Verfahrensvorschläge, mit denen Härten abgemildert werden können. Gleichzeitig berücksichtigen sie die hohe Auslastung der Prüfstellen.
Die entstehenden Kosten für den Betreiber von Altanlagen stehen grundsätzlich im angemessenen Verhältnis zum Sicherheitsgewinn, der durch die Technische Baubestimmung erreicht wird. Neben den ohnehin anfallenden Kosten für die Verlängerung der Ausführungsgenehmigung treten die Kosten für die Erstellung des von der Beklagten geforderten Prüfberichts bzw. Vorprüfberichts sowie die Kosten für die Umrüstung der Anlage selbst, sofern die erforderlich wird. All dies steht jedoch nicht außer Verhältnis zu dem damit erzielbaren Sicherheitsgewinn (vgl. dazu ausführlich NdsOVG, U.v. 4.12.2015 – 1 LC 178/14 – BauR 2016, 985). Die Umbaukosten können vom Normgeber nicht generell eingeschätzt werden, da sie rechtliche Folge der Anpassungspflicht und abhängig vom Einzelfall sind. Fahrgeschäfte können eine Nutzungszeit von 20 bis 40 Jahren haben. Deutlich längere Betriebszeiten sind nicht unüblich. Bei grundsätzlich langen Betriebszeiten können sich Anpassungsinvestitionen noch amortisieren. Diesen Belastungen des Fahrgeschäftsbetreibers stehen Vorsorgeanordnungen gegenüber, die Schäden für höchstwertige Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit, verhüten sollen. Je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut ist, desto weniger strenge Anforderungen sind an die Verhältnismäßigkeit zu stellen. Diesen Anforderungen wird die Technische Baubestimmung auch insoweit gerecht, als sie auf Alt-Fahrgeschäfte anzuwenden ist. Denn die Vorsorgeanforderungen sollten gerade künftige Unfälle verhindern, die beispielsweise auf Materialermüdungen beruhen, die bisher noch nicht in diesem Maß auftreten konnten. Auch die übrigen Anforderungen tragen eindeutig zu einem Sicherheitsgewinn bei, erhöhen in einer gerechtfertigten Weise das Vorsorgeniveau und verbreitern den Abstand zur Grenze konkreter Gefahren deutlich. Die Entscheidungshilfen der ARGEBAU für die Verlängerung der Ausführungsgenehmigung vom 12. Dezember 2014 differenzieren weiter und stellen damit die Verhältnismäßigkeit beim Übergang von der DIN 4112 auf die DIN EN 13814 sicher. Die bloße Tatsache, dass es beim klägerischen Fahrgeschäft bislang keinen Unfall gab, ist insoweit nicht zu berücksichtigen, da es um den Sicherheitsgewinn für den künftigen Betrieb geht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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