Europarecht

Unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer schnellen Motoraufwärmfunktion

Aktenzeichen  4 O 4112/20

Datum:
15.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39073
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
ZPO § 256, § 287
VO 715/2007/EG Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine unzulässige Abschalteinrichtung ist anzunehmen, wenn die Software zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes durch eine nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand einsetzende Programmierung der Motorsteuerung in eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion schaltet, mit der Folge, dass im realen Straßenverkehr diese NOx-Schadstoffminderung unterbleibt, so dass der Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb höher ist als auf dem Prüfstand (sog. Rückruf „23 × 6“). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Fahrzeughersteller täuscht die Erwerber der manipulierten Fahrzeuge vorsätzlich, wenn er eine bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gesamtlaufleistung eines Audi A6 AV. 3.0 TDI kann gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km geschätzt werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.740,98 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.07.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 3.0 TDI, FIN: …, nebst Fahrzeugschlüssel
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW Audi A6 3.0 TDI, … in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 18 % und die Beklagte 82 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 27.753,94 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
I.
Die Klage ist insgesamt zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich im Hinblick auf den Antrag Ziff. 2 aus dem Interesse an einer einfacheren Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Regelung der §§ 756, 765 ZPO.
II.
Die gegen die Beklagte gerichteten Anträge sind weitgehend begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich eines Nutzungsersatzes zu (1.). Der Feststellungsantrag Ziff. 2. ist begründet (2.).
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung einer manipulierenden Motorsoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 O 470/18 -, juris Rn. 37 ff.; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 76 ff.).
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. So liegt der Fall hier.
a) Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem arglistigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Abschalteinrichtung zur Beeinflussung der Emissionswerte auf dem Prüfstand (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 79 ff.).
In das Fahrzeug der Klagepartei war zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Auslieferung eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Der Entscheidung ist zugrunde zu legen, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung dahingehend verbaut ist, dass die schadstoffmindernde Aufheiztstrategie (sog. schnelle Motoraufwärmfunktion) nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringt, im realen Verkehr diese NOx-Schadstoffminderung aber unterbleibt.
Das Fahrzeug ist unstreitig Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes. Dieser bezieht sich auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Emissionskontrollsystem. In der Rückrufmitteilung der Beklagten (Anlage K2a) ist angegeben, dass festgestellt wurde, dass es zu Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware im Hinblick auf die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems gekommen sei.
Legt man diese unstreitigen Umstände zugrunde, ist von einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen. Es ist aus zahlreichen anderen Verfahren, denen der Rückruf „23 × 6“ zugrunde liegt, gerichtsbekannt, dass laut Kraftfahrtbundesamt die Software durch eine nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand einsetzende Programmierung der Motorsteuerung in eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion schaltet, mit der Folge, dass im realen Straßenverkehr diese NOx-Schadstoffminderung unterbleibt, so dass der Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb höher ist als auf dem Prüfstand. Insofern ist zu berücksichtigen, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist. Der Prüfstandmodus muss zwar nicht exakt den realen Fahrbetrieb abbilden, die Motorsteuerung muss aber jedenfalls im Wesentlichen identisch wie dort funktionieren (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 – 11 O 197/18 -, juris Rn. 38; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 O 470/18 -, juris Rn. 70). Dies ist hier gerade nicht der Fall, so dass von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist.
Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung weist das Fahrzeug einen erheblichen Mangel auf. Unerheblich ist hierbei, dass die Beklagte angibt, dass das Fahrzeug die Vorgaben der Euro-5 Norm erfüllen würde. Aus dem Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt die Nachbesserung für verpflichtend erklärt hat, kann ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug ohne Update nicht zulassungsfähig ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 – 11 O 197/18 -, juris Rn. 42). Die Rückrufaktion der Beklagten ist nicht freiwillig erfolgt oder eine bloße Kulanzmaßnahme, sondern notwendig um den Anforderungen des Kraftfahrtbundesamtes zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu genügen. Den Fahrzeughaltern ist es nicht freigestellt, das Update durchführen zu lassen oder nicht. Da bei Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeugs, solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Aufgrund der gesetzeswidrigen Manipulation besteht daher zumindest die latente Gefahr, dass im Falle einer noch nicht erfolgten Nachrüstung die Betriebszulassung widerrufen wird. Diese Gefahr hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt und damit ein Sachmangel vorliegt. Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss damit rechnen, es aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu dürfen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Fahrzeug derzeit eine entsprechende Zulassung entzogen wurde oder ob eine solche zunächst unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 17 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 24. April 2018 – 6 U 409/17 -, juris Rn. 38).
Da die unstreitig vorhandene Aufheizstrategie eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und eine schädigende Handlung der Beklagten begründet, kann im Ergebnis offenbleiben, ob weitere Abschalteinrichtungen vorliegen.
b) Die schädigende Handlung der Beklagten erfolgte sittenwidrig und die Klagepartei ist auch vom Schutzbereich des § 826 BGB umfasst.
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pflichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassung erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. Hierbei ist die Ersatzpflicht eines Schädigers – wie bei allen deliktsrechtlichen Ansprüchen – auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann daher hinsichtlich bestimmter Personen und Schadensfolgen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während diese Bewertung für andere ebenfalls adäquat verursachte Schadensfolgen ausscheidet. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Geht man von diesen Grundsätzen aus, haftet die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB.
Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt hier seitens der Beklagten dahingehend vor, als Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden (allgemein LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 86 f.). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bewegen, handelt in der Regel sittenwidrig (Sprau, in: Palandt, 79. Auflage 2020, § 826 BGB Rn. 20). Der Fahrzeughersteller täuscht die Erwerber der manipulierten Fahrzeuge vorsätzlich, wenn er die bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt.
Die unzulässige Abschalteinrichtung wurde von der Beklagten bewusst eingesetzt, eine fahrlässige Programmierung der Software scheidet aus. Dies ergibt sich im Hinblick auf die Aufheizstrategie bereits aus dem Umstand, dass diese Funktion im praktischen Ergebnis einer Umschaltlogik entspricht, da sie nahezu ausschließlich im Prüfstand wirkt, wohingegen sie im normalen Straßenbetrieb nicht greift mit der Folge eines höheren Stickoxidausstoßes. Dass die Initialisierungsparameter für die Aufheizstrategie nur zufällig so gewählt wurden, dass diese praktisch nur auf dem Prüfstand wirkt, erscheint ausgeschlossen und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich auch als sittenwidrig. Denn Zweck der Konstruktion war es, die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen, dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen und höhere Gewinne zu generieren. Ein anderes Motiv für den bewussten Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen, die ansonsten keinerlei legitimen Zweck hatten, ist nicht ersichtlich und wurde von der insoweit sekundär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auch nicht aufgezeigt. Die Sittenwidrigkeit ist dahingehend begründet, dass die Beklagte einen unmittelbaren Vorteil aus der Täuschung zieht, da sie Fahrzeug kostengünstiger als ihr sonst möglich produzieren und damit ihren Gewinn erhöhen kann. Die Täuschung bezieht sich aus Sicht des Fahrzeugherstellers vor diesem Hintergrund gerade darauf, Kunden zum Kauf der Fahrzeuge zu bewegen. Zugleich musste den handelnden Personen auch bewusst sein, dass durch diese Vorgehensweise zumindest die Möglichkeit eines beträchtlichen Schadens für die Erwerber bestand. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteinrichtung entzogen wird. Diese mögliche Folge wurde offensichtlich von den handelnden Personen billigend in Kauf genommen, um weitere Gewinne erzielen zu können. Die Beklagte hat daher nicht nur gegen Vorschriften zum Umweltschutz verstoßen, sondern auch gegenüber Verbrauchern planmäßig das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschleiert, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und so aus Gewinnstreben gegenüber den Erwerbern des Fahrzeugs sittenwidrig gehandelt. Ein solches Handeln verstößt ersichtlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und erfüllt damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB.
bb) Der Einzelrichter hält angesichts der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 nicht mehr an der Ansicht fest, dass eine Haftung des Herstellers nach § 826 BGB bei einem Gebrauchtwagenkauf ausscheidet. Denn der Käufer eines Fahrzeugs setzt die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraus gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt. Die Beklagte macht sich im Rahmen der von ihr bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung bemakelte Fahrzeuge in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze. Dabei erfolgt das Inverkehrbringen der Fahrzeuge gerade mit dem Ziel, möglichst viele der bemakelten Fahrzeuge abzusetzen. Ein solcher Fall steht einer bewussten arglistigen Täuschung des Erwerbers eines Fahrzeugs gleich. Die Beklagte trifft das Unwerturteil sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge dar und liegt unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens. Das betrifft auch die Gebrauchtwagenkäufer, da diese vom Geschäftsmodell der Beklagten umfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 25).
c) Die Beklagte hat durch Personen gehandelt, für deren sittenwidrige Schädigung sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Ein verfassungsmäßige Vertreter der Beklagten hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht.
Zwar trifft hierfür grundsätzlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings ist es vorliegend der Beklagten ausnahmsweise zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen kennt (LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 89).
Der Vorstand der Beklagten kann sich das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entwickeln und einzusetzen. Die Klagepartei behauptet, Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Dies ist nachvollziehbar und lebensnah. Bei dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem ganzen Fahrzeugtyp handelt sich um eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, die von untergeordneten Mitarbeitern grundsätzlich nicht ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen wird. Auch ist im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben davon auszugehen, dass bei der Beklagten Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet waren. Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Vorstand eines Fahrzeugherstellers sich hinreichende Kenntnis davon verschafft, ob der eingesetzte Motor den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Der Vortrag der Klagepartei ist somit als hinreichend substantiiert anzusehen. Vor diesem Hintergrund oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, welche Entscheidungsträger wann und in welchem Umfang von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis erlangten und aufgrund welcher Umstände sie gegebenenfalls davon hätten ausgehen können, dass es sich nicht um eine solche handelt. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass die betreffende Behauptung der Klagepartei, dass Vorstandsmitglieder Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung und diesen gebilligt hätten, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO gilt.
Der Annahme einer sekundären Darlegungslast steht hierbei nicht entgegen, dass möglicherweise einzelnen Vertreter der Beklagten ein Schweigerecht im Hinblick auf die Gefahr einer Strafverfolgung zustehen könnte. Der Beklagten als eigenständige juristische Person steht ein solches Schweigerecht jedenfalls nicht zu (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris, Rn. 45).
d) Der Klagepartei ist ferner durch das Handeln der betreffenden Personen der Beklagten ein kausaler Schaden entstanden.
Im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB liegt ein Schaden auch dann vor, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. nur BGH NJW-RR 2015, 275, 276). Entscheidend und ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris Rn. 26 ff.).
aa) Es steht außer Zweifel, dass unter normalen Umständen kein verständiger Autokäufer ein Kraftfahrzeug kauft, welches zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die behördlicherseits gleichwohl erteilte Typgenehmigung durch Manipulationen erschlichen hat. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Betriebsuntersagung ausspricht, wodurch das Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung überhaupt nicht mehr geeignet wäre. Dass der Käufer das Risiko bewusst eingegangen wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit das hypothetische Verhalten der Klagepartei bei Vertragsschluss nicht bereits als offenkundig angesehen werden kann, streitet nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises dafür, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 38). Die so begründete Vermutung wurde seitens der Beklagten noch nicht einmal im Ansatz erschüttert.
bb) Zudem besteht kein Zweifel daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung für Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war. Dies ist bei einer ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit als einschränkendes Korrektiv für die weite Fassung des Vermögensschadensbegriffs zu sehen. Die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung darf nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen werden, sondern auch die Verkehrsanschauung muss bei Berücksichtigung der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehen (BGH DNotZ 1998, 349, 354). Zumindest ex ante bestand die nicht nur theoretische Gefahr einer Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung. Da hiermit der hauptsächliche Verwendungszweck (allgemeine Nutzung im Straßenverkehr) gefährdet ist, begründet bereits dies nach der Verkehrsanschauung eine Nachteiligkeit des Vertrags (vgl. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 32 f.).
cc) Dem Schaden der Klagepartei steht auch nicht entgegen, dass an ihrem Fahrzeug auf Kosten der Beklagten ein Softwareupdate durchgeführt werden kann. Das Update kann nicht im Nachhinein den bereits entstandenen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB beseitigen, selbst wenn hierdurch die Mängel beseitigt sein sollten. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ebenso OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 34).
e) Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich. Für § 826 BGB ist zu fordern, dass der Täter Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, des Schadenseintritts und der Kausalität hat. Hierbei reicht das Bewusstsein aus, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB Rn. 25 ff.). Für die verantwortlichen Personen der Beklagten war ohne weiteres ersichtlich, dass aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest die latente Gefahr eines Widerrufs der Betriebszulassung bestand und dass die Kunden ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Zulassungsvorgaben entspricht. Auch war ihnen der Zweck des Einbaus der Abschalteinrichtung bewusst. Die betreffenden verfassungsmäßig berufenen Vertreter hatten daher Kenntnis von allen maßgeblichen haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen und handelten vorsätzlich. Auch insoweit kommt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zum Tragen, der diese nicht nachgekommen ist (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 46 ff.).
f) Nach §§ 249 ff. BGB kann die Klagepartei eine Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags und damit eine Rückzahlung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs verlangen. Hierbei muss sich die Klagepartei nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18 – juris Rn. 112 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. März 2020 – 4 U 65/19 -, juris Rn. 50 ff.; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 63 ff.).
Dem steht nicht entgegen, dass das Fahrzeug von der Beklagten gesetzeswidrig manipuliert wurde und sie wegen sittenwidriger Schädigung haftet. Bei dem Schadensausgleich im Rahmen des § 826 BGB kommt es darauf an, den Schaden auszugleichen, welcher durch den Vertrag entstanden ist. Der Schaden ist bei der Klagepartei aber nicht in der vollen Höhe des Kaufpreises eingetreten, da diese dafür die Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs erlangte. Tatsächlich konnte die Klagepartei das Fahrzeug ohne Einschränkungen nutzen, so dass sie sich jedenfalls Aufwendungen für eine anderweitige Fortbewegungsmöglichkeit ersparte. Wäre eine Nutzungsentschädigung vorliegend nicht zu berücksichtigen, würde dies zu einer Besserstellung des Käufers führen und gegen das Bereicherungsverbot verstoßen. Im deutschen Recht ist lediglich ein Schadensausgleich, nicht jedoch ein Strafschadensersatz vorgesehen (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18 – juris Rn. 112 ff.).
Auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis in Höhe von 35.000,00 Euro hat sich die Klagepartei daher eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Da der Wertersatz für die gezogenen Nutzungen auf den Zeitpunkt des Leistungsaustausches zu bemessen ist, ist er über die Laufleistung abstrakt zu bestimmen. Bei Übergabe hatte das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 98.300 km. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 168.947 km. Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris Rn. 50).
Der Nutzungsersatz bestimmt sich nach der Formel: Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer: Restnutzungsdauer. Hiernach ergibt sich ein Betrag von 12.259,02 Euro (35.000 Euro × 70.647 km : 201.700 km), so dass der Zahlungsanspruch in Höhe von 22.740,98 Euro besteht.
g) Der tenorierte Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich seit Zustellung der Klage am 21.07.2020 mit der Rückzahlung des Kaufpreises in Verzug.
2. Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Diese war wegen der (jedenfalls konkludent) verweigerten Entgegennahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß §§ 298, 293 BGB in Verzug.
3. Ob weitere Anspruchsgrundlagen durchgreifen, kann offen bleiben, weil sich aus ihnen jedenfalls kein weitergehender Anspruch ergibt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.


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