Europarecht

Unzuverlässigkeit einer Hebamme wegen sexuellen Missbrauchs

Aktenzeichen  21 C 19.439

Datum:
21.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1246
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HebG § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 2
VwGO § 146 Abs. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Wer wegen schwerwiegender Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern verurteilt wurde, bietet nicht die Gewähr für eine verantwortungsvolle Ausübung der Tätigkeit als Hebamme.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” kann auch dann widerrufen werden, wenn das Strafgericht kein Berufsverbot verhängt hat.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 18.1974 2019-02-04 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit welcher sie sich gegen den Widerruf der ihr erteilten Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” durch den Beklagten wehrt.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Februar 2015 wurde die Klägerin durch das Landgericht Augsburg wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen sowie wegen Verschaffung des Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.
Dem lag zugrunde, dass die Klägerin an ihren beiden am 21. November 2006 und am 8. April 2013 geborenen leiblichen Kindern im Februar und März 2014 wiederholt sexuelle Handlungen vorgenommen, diese teilweise aufgezeichnet und die Aufzeichnungen Dritten zur Verfügung gestellt hatte.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 widerrief die Regierung von Schwaben die der Klägerin erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” (Nr. 1), forderte die Klägerin auf, das Original ihrer Erlaubnisurkunde und alle davon noch in ihrem Besitz befindlichen beglaubigten Kopien innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Bescheids an die Regierung von Schwaben zu übersenden (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an (Nr. 3).
Hiergegen ließ die Klägerin am 3. Dezember 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Antrag erheben, den Bescheid vom 15. Oktober 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin das Original ihrer Erlaubnisurkunde zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” zurückzugeben.
Den am 10. Januar 2019 gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Februar 2019 ab, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
II.
1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1, § 147 VwGO) ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung zu Recht abgelehnt.
Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung dürfen dabei nicht überspannt werden. Ob eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, beantwortet sich anhand einer summarischen Prüfung, wobei es genügt, wenn es eine gewisse Erfolgsaussicht gibt, also ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Sept. 2018, § 166 Rn. 29 m.w.N.).
Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung bietet die Klage nach diesem Maßstab keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1.1. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Klage gegen den angefochtenen Bescheid werde erfolglos bleiben, weil die Klägerin aufgrund ihrer Verfehlungen nicht mehr die Gewähr für eine verantwortungsvolle Ausführung ihrer Tätigkeit bieten könne und damit zur Ausübung des Berufs der Hebamme unzuverlässig sei. Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” sei zu widerrufen gewesen (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers (HebG) i.d.F. vom 18. April 2016).
1.2 Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.
1.2.1 Die Prozessvertreterin der Klägerin trägt vergeblich vor, das strukturelle Rückfallrisiko der Klägerin für weitere Sexualdelikte sei als gering einzuschätzen und ihre Legalprognose als günstig zu bewerten.
Der Begriff der Unzuverlässigkeit erfordert eine Prognose im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22/09 – juris Rn. 11), ob ein Erlaubnisinhaber nach den gesamten Umständen des Falles willens oder in der Lage sein wird, künftig seine beruflichen Pflichten zuverlässig zu erfüllen. Maßgeblich hierfür ist der nach Art, Schwere und Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordene Charakter eines Betroffenen (BVerwG, U.v. 28.4.2010 – a.a.O. Rn. 10 für den Fall eines Logopäden).
Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Landgerichts im Februar und März 2014 in sieben Fällen sexuelle Handlungen an ihren damals ein bzw. sieben Jahre alten Kindern vorgenommen, hiervon mit ihrem Mobiltelefon Videos angefertigt und diese einem Dritten zur Verfügung gestellt und wurde deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Sie hat durch diese Handlungen mehrfach schwerwiegende Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen, die so erhebliche charakterliche Mängel erkennen lassen, dass die Gesamtwürdigung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden ist, die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht die Gewähr für eine verantwortungsvolle Ausführung der Tätigkeit als Hebamme geboten.
Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf das im Auftrag der Justizvollzugsanstalt Aichach erstellte Gutachten des Dipl.-Psych. Hansjörg Urbach vom 31. Oktober 2016. Dieses erging ersichtlich im Zusammenhang mit dem Vollzug der zulasten der Klägerin verhängten Freiheitsstrafe. Anders als dort, geht es bei der Beurteilung der berufsrechtlichen Zuverlässigkeit darum, ob zu erwarten ist, dass die Klägerin ihren Beruf künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Der Beschwerde lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass das Gutachten auch für die Beurteilung dieser Frage herangezogen werden könnte.
Die Klägerin kann auch nichts daraus für sich ableiten, dass, wie ihre Prozessvertreterin vorträgt, bei ihr keine Pädophilie oder ähnliche sexuelle Präferenzen festgestellt worden seien. Das Verwaltungsgericht hat bei der Würdigung der Klägerin nicht hierauf, sondern auf die schon im Strafurteil festgestellte “große Durchlässigkeit für Fremdbeeinflussung” abgestellt (BA S. 8). Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert auseinander.
1.2.2 Der Einwand der Prozessvertreterin der Klägerin, die zugrunde liegenden Taten ließen keinen Rückschluss auf die Unzuverlässigkeit der Klägerin zu, weil sich diese “ausschließlich im privaten Bereich” der Klägerin zugetragen hätten und kein Zusammenhang mit der Berufsausübung als Hebamme bestanden habe, führt nicht weiter.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass für die Prognose der Zuverlässigkeit die Würdigung der gesamten Persönlichkeit und der Lebensumstände des Erlaubnisinhabers entscheidend ist, so dass auch Straftaten außerhalb des beruflichen Wirkungskreises von Bedeutung sein können (BVerwG, B.v. 28.8.1995 – 3 B 7.95 – juris Rn.10; OVG Lüneburg, B.v. 4.3.2014 – 8 LA 138/13 – juris Rn. 15). Ungeachtet dessen ergibt sich eine Berufsbezogenheit der Taten der Klägerin daraus, dass die Versorgung von Neugeborenen, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, Hauptbestandteil der Tätigkeit einer Hebamme ist (BA S. 7).
1.2.3 Entgegen der Auffassung der Prozessvertreterin der Klägerin steht dem Widerruf der Erlaubnis auch nicht entgegen, dass das Landgericht kein Berufsverbot verhängt hat. Zum einen ist das Verwaltungsgericht an die diesbezügliche Beurteilung der ordentlichen Gerichte nicht gebunden, sondern trifft eine eigene Prognose (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22/09, aaO.). Zum anderen haben das Gefahr verhütende strafrechtliche Berufsverbot und der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” auch eine unterschiedliche Zielsetzung und andere Voraussetzungen. Es ist daher rechtlich nicht ausgeschlossen, dass das Strafgericht von einer entsprechenden Maßnahme absieht, die zuständige Verwaltungsbehörde aber die Erlaubnis widerruft (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2013 – 21 ZB 12.2581 – juris Rn. 17).
1.2.4 Die von der Klägerin vorgelegte “Bestätigung” vom 22. Februar 2019 über die Durchführung einer regelmäßigen, niederfrequenten verhaltenstherapeutischen Behandlung durch eine Diplompsychologin seit Juli 2017 rechtfertigt kein anderes Ergebnis, weil auf die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorhandenen Tatsachen abzustellen ist und die allgemein gehaltene Formulierung der “Bestätigung” nicht im Ansatz erkennen lässt, dass die Prognose der Zuverlässigkeit zu diesem Zeitpunkt unrichtig gewesen sein könnte.
1.2.5 Bei dem von der Prozessvertreterin der Klägerin als “Beweis” angeführten Schreiben der früheren Kollegin und jetzigen Arbeitgeberin der Klägerin, dass diese keinen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Klägerin habe, handelt es sich um eine persönliche Einschätzung, die ersichtlich ebenfalls nicht geeignet ist, die auf die strafgerichtliche Verurteilung gestützte Prognoseentscheidung der Regierung von Schwaben zu entkräften.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als im Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz fallen im Beschwerdeverfahren Gerichtskosten an, wobei allerdings Kosten nicht erstattet werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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