Europarecht

Vergabeverfahren für Leistungen für Aufzugsanlagen – Rügeobliegenheit und Ausschluss

Aktenzeichen  Z3-3-3194-1-21-06/18

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 37826
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 127 Abs. 1 Nr. 7, § 134, § 155, § 160 Abs. 3 S. 1, § 165
VgV § 3 Abs. 3
RL 2014/24/EU Art. 57
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Die Rügetatbestände des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB können nur innerhalb eines bereits begonnenen Vergabeverfahrens greifen. (Rn. 52)
2. Bei europaweiten Vergaben im offenen Verfahren beginnt das Verfahren grundsätzlich mit der Absendung der Auftragsbekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen der europäischen Union (siehe auch § 3 Abs. 3 VgV). (Rn. 53)
3. Die Rügetatbestände des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB sind – solange die Vorschriften des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB restriktiv ausgelegt werden und den Primärrechtsschutz i. S. des effet utile nicht übermäßig einschränken – mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar (vgl. Art. 1 Abs. 4 und Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2007/66/EG). Dabei dürften die Regelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB das absolute Maximum der europarechtlich noch zulässigen Erschwerung des Rechtsschutzes darstellen. (Rn. 51)
4. Der Gesetzgeber hat in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB den Fristbeginn an eine innere Tatsache beim Antragsteller geknüpft. Dieser auf das Bewusstsein des konkreten Antragstellers abstellende Maßstab stellt eine hohe Hürde für die Feststellung einer frühzeitigen, zur Obliegenheitsverletzung führenden Kenntnis dar. (Rn. 62)
5. Die Ausschlussgründe des § 124 Abs. 1 GWB können nach dem klaren Wortlaut der Norm („zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens“) ebenfalls nur innerhalb eines bereits begonnenen Vergabeverfahrens greifen. (Rn. 57)
6. Anders als unter der vor dem 18.04.2016 geltenden Rechtslage (vgl. § 19EG Abs. 3 VOL/A bzw. § 16EG Abs. 1 VOB/A a.F.) können nach § 124 Abs. 1 GWB nicht nur Angebote, sondern Unternehmen ausgeschlossen werden. Dies steht im Einklang mit Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU, der durchgängig von Wirtschaftsteilnehmern spricht. Ein Ausschluss eines Unternehmens nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist daher im Grundsatz zu einem Zeitpunkt nach Einleitung eines Vergabeverfahrens möglich, an dem es – wie hier – noch kein Angebot abgegeben hat. (Rn. 58)

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 Euro festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen war notwendig.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerinnen beabsichtigen die Vergabe der Instandhaltung und Störungsbehebung sowie anderer Leistungen für Aufzugsanlagen als Rahmenvereinbarung im offenen Verfahren.
Die Antragstellerin hat nach dem Vertragsschluss am 08.05.2017 die streitgegenständlichen Leistungen bisher für die Antragsgegnerinnen erbracht. Dem Vertragsschluss ging ein von der Antragstellerin beantragtes Nachprüfungsverfahren vor der erkennenden Kammer voraus (Az.: Z3-3-3194-1-26-06/16), das zu einer zwischenzeitlichen Rückversetzung des damaligen Vergabeverfahrens führte. Nach der Rückversetzung des damaligen Verfahrens gab die Antragstellerin das wirtschaftlichste Angebot ab und erhielt nach einem Aufklärungsgespräch vom 23.02.2017 den Zuschlag. Im Rahmen der Vertragsdurchführung kam es zu massiven Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. In zwei Besprechungen vom 05.10.2017 und vom 23.11.2017 wurden die verschiedenen Vorwürfe erörtert. Nach den jeweiligen Protokollen wiesen die Antragsgegnerinnen jeweils abschließend darauf hin, dass Abläufe wie bisher nicht duldbar seien. Im Gespräch vom 23.11.2017 wurden von den Antragsgegnerinnen im Falle weiterer Schlechtleistungen vertragliche Konsequenzen angedroht.
Mit Schreiben vom 20.03.2018 kündigten die Antragsgegnerinnen das Vertragsverhältnis in Los 1 und 2 ordentlich gem. § 10 der geschlossenen Rahmenverträge zum 03.06.2018. Mit der ordentlichen Kündigung nach Ablauf der 1-jährigen Grundvertragslaufzeit kamen die vereinbarten Verlängerungsoptionen um jeweils ein weiteres auf maximal 3 Jahre und zwei Monate nicht zum Tragen.
Zur nunmehr streitgegenständlichen Neuvergabe der Leistungen erfolgte am 16.05.2018 die Absendung der Bekanntmachung an das Informationssystem für die öffentliche Auftragsvergabe in Europa (SIMAP).
Dem Protokoll des eVergabe-Systems der Antragsgegnerinnen zufolge erfolgte die Bekanntmachung am 17.05.2018 um 15:25 Uhr.
Mit Schreiben vom 17.05.2018 – per E-Mail und Telefax versandt um 15:39 Uhr – erklärten die Antragsgegnerinnen den Ausschluss der Antragstellerin von dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB aufgrund der Verletzung wesentlicher vertraglicher Pflichten. Vorliegend sei die Antragstellerin nicht nur wiederholt auf die Schlechtleistungen hingewiesen und zur künftigen vertragsgerechten Leistung aufgefordert, sondern der mit ihr bestehende Vertrag, der bestmöglich mehrere Jahre laufen sollte, sei bereits vorzeitig beendet worden, indem das ordentliche Kündigungsrecht ausgeübt worden sei. Eine Kündigung aus wichtigem Grund mit der Rechtsfolge der sofortigen Beendigung des Vertrags habe in Anbetracht der Dauer des nunmehr durchzuführenden Vergabeverfahrens nicht ausgesprochen werden können. Im Rahmen des auszuübenden Ermessens haben die zu berücksichtigenden Ermessenserwägungen dazu geführt, dass die Entscheidung getroffen worden sei, die Antragstellerin von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen. Angesichts der Vielzahl und der Erheblichkeit der Verletzungen der vertraglichen Pflichten sei nicht zu erwarten, dass sie im Falle einer erneuten Auftragserteilung im gegenständlichen Vergabeverfahren den Auftrag ordnungsgemäß ausführen werde, zumal sich die auftraggeberseitigen Zweifel im vergangenen Vergabeverfahren an einer ordnungsgemäßen Auftragsdurchführung nunmehr bestätigt hätten. In diesem Zusammenhang sei auch die Bedeutung der ordnungsgemäßen Wartung sowie Störungsbeseitigung für die Mieter maßgeblich zu berücksichtigen. Ein längerer Stillstand von Aufzugsanlagen bzw. eine lange Reparaturdauer beeinträchtige die Vielzahl der Mieter, die auf einen Aufzug angewiesen seien. Ein milderes Mittel als der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren komme mit Rücksicht auf die zu unterbindenden Beeinträchtigungen nicht in Betracht.
Dieses Schreiben ging der Antragstellerin entweder am 18.05. oder am 19.05.2018 zusätzlich per Post zu.
Nach Angaben der Antragstellerin hat diese am 17.05.2018 um 21:09 Uhr Kenntnis von der Bekanntmachung auf einer nationalen Plattform erhalten.
Die im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Bekanntmachung trägt das Datum 18.05.2018.
Am 18.05.2018 um 09:16 Uhr wurden die Unterlagen im eVergabe-System der Antragsgegnerinnen für die Antragstellerin freigeschaltet.
Diese Entscheidung rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12.06.2018. An dem laufenden Vergabeverfahren werde sie sich beteiligen und ein Angebot abgeben. Die von den Antragsgegnerinnen angeführten Ausschlussgründe seien nicht haltbar. Hiervon seien wohl auch die Antragsgegnerinnen ausgegangen, da zu keinem Zeitpunkt eine Abmahnung ausgesprochen worden sei. Ein Ausschluss vom Vergabeverfahren aufgrund vorangehender schlechter Erfahrungen mit einem Bieter komme nach ständiger Rechtsprechung nur dann in Frage, wenn die vorangehende Schlechtleistung ein Ausmaß hätte, welches es dem Auftraggeber unzumutbar mache, ein weitergehendes Vertragsverhältnis mit dem Bieter einzugehen. Dies ist in der Regel nur dann der Fall, wenn die Schlechtleistung nach Abmahnung zu einer rechtswirksamen außerordentlichen Kündigung geführt habe und nicht zu erwarten sei, dass der Bieter in Zukunft seine Leistungen ordnungsgemäß erbringe. Eine Schlechtleistung, welche dementsprechend einen Ausschluss von dem Vergabeverfahren rechtfertigen würde, liege bereits nach dem eigenen Sachvortrag der Antragsgegnerinnen nicht vor.
Dieser Rüge halfen die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 18.06.2018 nicht ab und teilten mit, dass sie an ihrer Entscheidung festhielten und ein Angebot der Antragstellerin nicht werten würden. Die Rügefrist sei bereits verstrichen, so dass bereits aus diesem Grund eine Rügepräklusion vorliege und die Rüge ins Leere gehe. Im Übrigen sei der Ausschluss auch unter Berücksichtigung der jüngsten Einwendungen rechtmäßig.
Die Antragstellerin hat fristgerecht am 18.06.2018 ein Angebot abgegeben.
Auf das Schreiben der Antragsgegnerinnen vom 18.06.2018 entgegnete die Antragstellerin mit Schreiben vom 20.06.2018, dass § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB auf den am 17.05.2018 erfolgten Ausschluss überhaupt nicht anwendbar sei. Eine Anwendung der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB auf einen erfolgten Ausschluss, der zeitgleich mit der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Auftrags erfolge, würde die Rechtschutzmöglichkeiten des Bieters unangemessen beeinträchtigten. Ferner sei anzumerken, dass das Schreiben vom 17.05.2018 selbst keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthalten habe. Soweit das Nichtabhilfeschreiben vom 18.06.2018 als ein erneuter Ausschluss zu werten sei, werde dieser ausdrücklich wiederholt als vergaberechtswidrig gerügt.
Mit Schreiben vom 22.06.2018 erwiderten die Antragsgegnerinnen, dass sie der erneuten Rüge nicht abhelfen sowie an der Ausschlussentscheidung und Nichtwertung des Angebots festhalten würden.
Weil die vorangegangene Rüge die Antragsgegnerinnen nicht zur Änderung ihrer Rechtsauffassung bewegte, beantragte die Antragstellerin am 26.06.2018:
1. Die Antragsgegnerinnen werden verpflichtet, den Zuschlag in dem Vergabeverfahren nur unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin und der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu erteilen.
2. Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakte gemäß § 165 GWB gewährt.
3. Den Antragsgegnerinnen werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung gemäß §§ 182 GWB, 80 VwVfG, einschließlich die vorprozessualen Anwaltskosten der Antragstellerin, auferlegt.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Nach Auffassung der Antragstellerin sei der Nachprüfungsantrag zulässig, da sie u.a. rechtlich gesehen nicht verpflichtet gewesen sei, den Ausschluss vom 17.05.2018 gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB innerhalb von 10 Tagen zu rügen, da § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB weder direkt, noch analog anwendbar sei und zudem das Schreiben vom 17.05.2018 keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthalten habe. In Bezug auf das Nichtabhilfeschreiben bzw. Erweiterung der Ausschlussgründe habe die Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB unverzüglich reagiert, obwohl sie hierzu ebenfalls nicht verpflichtet gewesen sei, weil kein wirksames Absageschreiben gemäß § 134 GWB vorgelegen habe.
Der Nachprüfungsantrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Voraussetzungen des § 124 Absatz 1 Nr. 7 GWB nicht vorlägen. Die Antragstellerin habe weder im Rahmen der Abrechnung Leistungen abgerechnet, die nicht ausgeführt worden seien, noch dauerhaft mangelhaft geleistet. § 124 Absatz 1 Nr. 7 GWB setze eine fortwährende und erhebliche Leistungspflichtverletzung voraus, welche zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall. Der Auftrag sei weder außerordentlich gekündigt, noch rechtswirksam abgemahnt worden, noch entstand den Antragsgegnerinnen ein Schaden, der geltend gemacht worden sei. Die angeblichen Leistungsmängel hätten nicht einmal zu einer Rechnungskürzung geführt, welches klar stelle, dass nicht einmal die Antragsgegnerinnen davon ausgegangen seien, dass die angeblich mangelhafte Leistung nachweislich von der Antragstellerin verschuldet worden sei.
Aber auch selbst wenn die Antragsgegnerinnen vorliegend vortragen würden, dass ein Teil der Rechnungskürzungen aus ihrer Sicht auf Leistungsmängeln beruht haben soll, gelte Folgendes: Die Antragsgegnerin habe von 1891 Geschäftsvorfällen unstreitig nur 60 Rechnungen reklamiert (3,37%). Bei einem derart geringen Prozentsatz könne nicht von einer dauerhaften und erheblichen mangelhaften Leistungspflichtverletzung ausgegangen werden, so dass es diesbezüglich überhaupt nicht mehr auf die einzelnen Vorwürfe oder den Verursacher ankommen könne. Der Ausschluss sei somit rechtswidrig. Das Angebot der Antragstellerin sei in die Wertung einzubeziehen und der Auftrag nur unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin zu vergeben.
Abschließend sei erwähnt, dass die Bekanntmachung über die beabsichtigte Auftragsvergabe unter Verstoß gegen § 40 Absatz 3 VgV erfolgte. Aus Sicht der Antragstellerin dürfte somit die Bekanntmachung vom 18.05.2018 unwirksam sein, da nur so der von der Vorschrift bezweckte Schutz von nicht inländischen Mitbewerbern gewährleistet werden könne.
Die Vergabekammer informierten die Antragsgegnerinnen über den Nachprüfungsantrag mit Schreiben vom 26.06.2018. Diese legte die Vergabeunterlagen vor.
Mit Antragserwiderung vom 10.07.2018 nahm der Bevollmächtigte der Antragsgegnerinnen Stellung und beantragte,
1.Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
3.Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei unzulässig, jedenfalls jedoch unbegründet.
Die Rüge sei verspätet erhoben worden, so dass der Nachprüfungsantrag bereits gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 GWB unzulässig sei. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 GWB finde vorliegend entgegen der Ansicht der Antragstellerin ohne weiteres Anwendung. Auf eine Rechtsbehelfsbelehrung:komme es insoweit nicht an. Bei der Frist gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 GWB handele es sich um keine echte Rechtsbehelfsfrist, für die eine Rechtsbehelfsbelehrung:erteilt werden müsse. Unbeschadet dessen sei die Bekanntmachung entgegen der Darlegung der Antragstellerin vor Mitteilung der Ausschlussentscheidung erfolgt. Jedenfalls habe die Antragstellerin bereits am 17.05.2018 Kenntnis von der Bekanntmachung und somit auch der Rügefrist, die sie zu beachten habe, was sie jedoch versäumt habe.
Unabhängig von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags sei dieser auch unbegründet. Die Antragstellerin habe nicht nur viele Pflichtverstöße in dem Vertragszeitraum begangen; weit überwiegend handele es sich zudem um schwerwiegende Vertragspflichtverletzungen (Abrechnung von nicht erbrachten Leistungen; überteuerte Angebotspreise; Anbieten von unnötigen Leistungen), die jeweils für sich eine schwere Verfehlung darstellen würden, die den Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB rechtfertigten. Der Umstand, dass durch das Handeln der Antragstellerin (wie zum Beispiel die unterlassene Außerbetriebsetzung von Aufzugsanlagen, deren Nutzung vom TÜV als sicherheitsgefährdend bewertet worden seien) nachweislich dann noch Gefahren für Mieter und deren Familien hervorgerufen worden seien, führe dazu, dass die Antragsgegnerin es nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht verantworten könne, die Antragstellerin zum Vergabeverfahren zuzulassen.
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladungen und den Umfang der Akteneinsicht sowie ggf. über die Verfahrenseinstellung nach einer Rücknahme oder anderweitigen Erledigung auf den Vorsitzenden und den hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
Mit Schreiben vom 16.07.2018 nahm die Antragstellerin noch Stellung zu der Antragserwiderung der Antragsgegnerin. Auf den Schriftsatz wird verwiesen.
Die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 18.07.2018 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 30.07.2018 um 10.00 Uhr geladen.
Mit Schreiben vom 23.07.2018 nahm die Antragsgegnerin noch Stellung zu dem Schreiben der Antragstellerin vom 23.07.2018. Auf die Ausführungen in diesem Schreiben wird verwiesen.
Daraufhin teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.07.2018 noch mit, dass die Erklärung der Antragsgegnerin vom 17.05.2018 nur als „Absichtserklärung“ zu werten sei, da der Antragsgegnerin zu dieser Zeit noch nicht bekannt gewesen sei, ob sich die Antragstellerin überhaupt an dem Vergabeverfahren beteiligen möchte. Der endgültige Ausschluss der Antragstellerin sei erst am 18.06.2018 erfolgt, nachdem die Antragstellerin ein Angebot abgegeben habe. In diesem Schreiben seien die Vorwürfe gegen die Antragstellerin im Hinblick auf den Abrechnungsbetrug erweitert worden und ihr sei erstmalig mitgeteilt worden, dass ihr Angebot nicht in die Wertung einbezogen werde. Es handle sich um zwei getrennte Vorgänge. Zum einen begründe die Absichtserklärung der Antragsgegnerin vom 17.05.2018 eine Rechtshandlung, die zu einem Vergabeverstoß führe, zum anderen begründe aber auch der Ausschluss und die nicht erfolgte Wertung des konkreten Angebots der Antragstellerin vom 18.06.2018 einen Vergabeverstoß. Letzterer sei unstreitig rechtzeitig gerügt worden, so dass es vorliegend auf die Rechtsfrage, zu welchem Zeitpunkt § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB eine Rügeverpflichtung begründe, nicht mehr ankomme.
Die mündliche Verhandlung fand am 30.07.2018 in den Räumen der Regierung von Oberbayern statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. In Bezug auf die Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung erläuterte Herr S…, der Regionalleiter Bayern der Antragstellerin, auf Nachfrage des Vorsitzenden das weitere Vorgehen nach Eingang dieses Schreibens der Antragsgegnerinnen vom 17.05.2018. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin sei am 17.05.2018 telefonisch von Herrn V… selbst in ihrem Urlaub (14.05.-26.06.2018) über ein „generelles Ausschlussschreiben“ der Antragsgegnerinnen informiert worden und habe daraufhin telefonisch empfohlen, die vorgebrachten Schlechtleistungen seitens der Antragstellerin zu prüfen. Am 18.06.2018 (Freitag) oder am 22.05.2018 (Dienstag) sei das weitere Vorgehen hinsichtlich des Ausschlussschreibens mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin besprochen worden.
Im Anschluss habe die Antragstellerin versucht, jeden einzelnen vorgebrachten Fall der Schlechtleistung zu prüfen. Dazu habe sie die einzelnen Techniker zu dem jeweiligen Sachverhalt befragt. Die Prüfung habe bis Ende Mai /Anfang Juni gedauert. Herr S… habe dann das Rügeschreiben formuliert und dieses am 12.06.2018 noch der Verfahrensbevollmächtigen zukommen lassen, die daraufhin per E-Mail empfohlen habe, noch einen Satz zu ergänzen, was auch gemacht worden sei. Das Rügeschreiben sei dann noch am 12.06.2018 an die Antragsgegnerinnen gesandt worden.
Herr S… erklärte, dass ihm von Anfang an klar gewesen sei, dass die Antragstellerin sich in Bezug auf das Ausschlussschreiben wehren und auf das Schreiben vom 17.05.2018 antworten müsse.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er sich Gedanken über die Rechtswirkung des Schreibens vom 17.05.2018 gemacht habe, teilte dieser mit, dass er dieses nur als Absichtserklärung für einen Ausschluss verstanden habe und er davon ausging, dass sich eine rechtliche Wirkung erst nach Angebotsabgabe entfalte bzw. ein dann eingereichtes Angebot erneut ausgeschlossen würde.
Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerinnen wies darauf hin, dass eine Rüge nicht vollständig substantiiert werden müsse, um einen Verstoß gegen den Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu rügen. Eine Prüfung der einzelnen Punkte, die im Schreiben über den Ausschluss vorgetragen wurden, sei seitens der Antragstellerin für die Erhebung der Rüge nicht erforderlich gewesen. Die Antragstellerin habe innerhalb von 10 Tagen nach Kenntnis ihres Ausschlusses diesen zu rügen gehabt, eine Stellungnahme zu den einzelnen Punkten hätte sie dann nachreichen können.
Die Vergabekammer hat in der mündlichen Verhandlung den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Die Vergabekammer vertrete die vorläufige Rechtsauffassung, dass hinsichtlich der Rüge des Ausschlusses Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB eingetreten sein könnte und der Nachprüfungsantrag daher keinen Erfolg haben werde. Im Falle einer Sachentscheidung sei allerdings zweifelhaft, ob der Ausschluss der Antragstellerin den Anforderungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB genüge.
Im Übrigen sei das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien so gestört, dass eine weitere Beauftragung der Antragstellerin bei den Antragsgegnerinnen keinerlei Sinn mache. Zudem liege nach einer ersten Sichtung der abgegebenen Angebote die Antragstellerin preislich nicht auf dem ersten Rang, so dass ihre Zuschlagschancen gering seien. Vor diesem Hintergrund sei eine vergleichsweise Einigung dahingehend denkbar, dass die Antragsgegnerinnen den Ausschluss der Antragstellerin zurücknehmen, so dass sich andere öffentliche Auftraggeber hierauf nicht berufen könnten und die Antragstellerin im Gegenzug den Nachprüfungsantrag für erledigt erkläre und ihr Angebot zurückziehe, beispielsweise durch ausdrückliche Nichtverlängerung der am 18.08.2018 ablaufenden Bindefrist.
Beiden Parteien wurde Frist bis 03.08.2018 gewährt, um der Vergabekammer mitzuteilen, ob eine Sachentscheidung erforderlich wird.
Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerinnen teilte mit Schreiben vom 03.08.2018 mit, dass die Antragsgegnerinnen aus rein unternehmerischen Erwägungen den Ausschluss für erledigt erklären, wenn die Antragstellerin ihr Angebot zurückzieht, wobei bereits vorab nicht an der Bindefrist des Angebots der Antragstellerin festgehalten wird. Auf die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen würde in diesem Fall verzichtet. Im Übrigen habe die Antragstellerin mit Rücksicht auf die Präklusion die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu tragen.
Die Bevollmächtigte der Antragstellerin teilte mit Schreiben vom 03.08.2018 der Kammer mit, dass die Antragstellerin einer vergleichsweisen Beilegung des Nachprüfungsverfahrens nicht zustimme. Die Antragstellerin werde dementsprechend den Antrag nicht für erledigt erklären und ihr Angebot nicht zurückziehen.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zurückzuweisen, da die Antragstellerin ihren Ausschluss aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren nicht innerhalb von 10 Tagen nach Erkennen des von ihr angenommenen Verstoßes gegen Vergabevorschriften gerügt hat und damit gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB Rügepräklusion eingetreten ist.
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
1. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV.
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i.S.d. § 103 Abs. 1, 3 GWB. Die Antragsgegnerinnen sind Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro erheblich.
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
2. Der Nachprüfungsantrag ist aufgrund der eingetretenen Rügepräklusion hinsichtlich des Ausschlusses der Antragstellerin bereits unzulässig. Der Ausschluss der Antragstellerin gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vor Abgabe eines Angebots ist nach geltender Rechtslage grundsätzlich möglich. Der Ausschluss erfolgte auch innerhalb eines Vergabeverfahrens, so dass auch die §§ 155 ff. GWB, somit auch § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB grundsätzlich Anwendung finden. Die Antragstellerin hat ihren Ausschluss jedoch nicht innerhalb von 10 Tagen gerügt, nachdem sie nach Überzeugung der Vergabekammer Südbayern Kenntnis von dem von ihr angenommenen Verstoß hatte.
Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.
§ 160 Abs. 3 GWB begründet für den Antragsteller eine Rügeobliegenheit. Er erleidet bei einer Verletzung dieser Obliegenheit den verfahrensrechtlichen Nachteil, mit der Geltendmachung vor Anbringung des Nachprüfungsantrags nicht gerügter Beanstandungen im Vergabenachprüfungsverfahren prozessual abgeschnitten zu sein (Präklusion). Die Obliegenheit zur vorprozessualen Rüge ist eine zwingende Sachentscheidungs- oder Zugangsvoraussetzung für das Nachprüfungsverfahren (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberechts § 160 GWB Rn. 36; OLG Düsseldorf Beschuss vom 22.8.2000, Az. Verg 9/00).
Die Rügeobligenheit beruht im Kern darauf, dass öffentliche Auftraggeber und Bieter in einem Vertragsanbahnungsverfahren eine Vertrauensgemeinschaft mit wechselseitigen Rechten und Pflichten bilden, die nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu gegenseitiger Rücksichtnahme, Loyalität und Kooperation verpflichtet (Dicks a.a.O. Rn. 37; Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht § 160 GWB Rn. 42). Die Rügeobligenheit ist – solange die Vorschriften des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB restriktiv ausgelegt werden und den Primärrechtsschutz i. S. des effet utile nicht übermäßig einschränken – mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar (vgl. Art. 1 Abs. 4 und Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2007/66/EG; Dicks a.a.O. Rn. 38). Dabei dürften die Rügetatbestände in § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB das Maximum der europarechtlich noch zulässigen Erschwerung des Rechtsschutzes darstellen.
2.1 Aufgrund der angenommenen schuldrechtlichen Sonderverbindung, die nur im Rahmen eines konkreten Vergabeverfahrens als Vertragsanbahnungsverfahren besteht und wegen der systematischen Stellung in den § 155 ff. GWB, die nur Handlungen innerhalb eines Vergabeverfahren erfassen (vgl. Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht § 156 GWB Rn. 10), steht fest, dass die Rügeobligenheit nur innerhalb eines Vergabeverfahrens greifen kann (vgl. Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht § 160 GWB Rn. 47).
Zum Zeitpunkt der Übermittlung des Ausschlussschreibens per E-Mail und per Fax am 17.05.2018 um 15:39 Uhr war das streitgegenständliche Vergabeverfahren bereits eingeleitet. Wird – wie hier – ein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt, beginnt dieses mit dem ersten nach außen erkennbaren Schritt zur Durchführung eines Verfahrens, welcher nach der Vorstellung des Auftraggebers zu einem Vertragsabschluss führen soll (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar § 155 GWB Rn 11; OLG München, Beschluss vom 12.11.2010, Verg 21/10). Bei europaweiten Vergaben ist dies grundsätzlich die Absendung der Auftragsbekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen der europäischen Union (OLG München, Beschluss vom 12.11.2010, Verg 21/10 – siehe auch § 3 Abs. 3 VgV). Die Absendung der Bekanntmachung war hier bereits am 16.05.2018 erfolgt.
Jedenfalls hatte die Antragstellerin schon Kenntnis vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren (nach ihren eigenen Angaben am Abend des 17.05.2018), als sie das Ausschlussschreiben der Antragsgegnerinnen per Post am 18. oder 19.05.2018 erreichte.
2.2 Aufgrund der bereits erfolgten Einleitung des Vergabeverfahrens konnte der Ausschluss der Antragstellerin im Schreiben vom 17.05.2018 gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB auch Rechtswirkung entfalten und ging nicht ins Leere. Aus diesem Grund konnte er auch eine Rügeobligenheit der Antragstellerin begründen.
Gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
Aus der Formulierung „zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens“ folgt, dass ein Ausschluss eines Unternehmens, der außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens oder vor Einleitung eines solchen erfolgt, nicht von § 124 Abs. 1 GWB gedeckt ist. Ein solcher Ausschluss würde ins Leere gehen und – mangels Anwendbarkeit der § 155 ff. GWB auch keine Rügeobligenheit auslösen. Da das Vergabeverfahren hier – zumindest im Zeitpunkt der Übermittlung des Ausschlussschreibens per Post – bereits begonnen war, war auch ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB im Grundsatz möglich.
Anders als unter der vor dem 18.04.2016 geltenden Rechtslage (vgl. § 19EG Abs. 3 VOL/A bzw. § 16EG Abs. 1 VOB/A a.F.) können nach § 124 Abs. 1 GWB nicht nur Angebote, sondern Unternehmen ausgeschlossen werden. Dies steht im Einklang mit Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU, der durchgängig von Wirtschaftsteilnehmern spricht. Ein Ausschluss eines Unternehmens nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist daher im Grundsatz zu einem Zeitpunkt nach Einleitung eines Vergabeverfahrens möglich, an dem es – wie hier – noch kein Angebot abgegeben hat. Da ein solcher Ausschluss – wird er nicht angegriffen – dazu führt, dass ein später abgegebenes Angebot des ausgeschlossenen Unternehmens ohne weitere Ausschlusserklärung nicht berücksichtigt wird, entfaltet er auch schon Rechtswirkungen und kann damit die Rügeobligenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auslösen.
2.3 Die Antragstellerin hat den geltenden gemachten Verstoß nach Überzeugung der Vergabekammer Südbayern auch zu einem Zeitpunkt erkannt, der länger als 10 Kalendertage vor der Erhebung der Rüge am 12.06.2018 lag.
Die vorliegend grundsätzlich bestehende Rügeobliegenheit wird allerdings nur ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2005, X ZB 27/04; OLG München, Beschluss vom 13.04.2007, Verg 1/07) volle (nicht nur zu vermutende) positive Kenntnis nicht lediglich von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen, sondern aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen hat (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberechts § 160 GWB Rn. 40; OLG Dresden, Beschluss vom 23.04.2009, WVerg 11/08.128). Anders ausgedrückt hat ein Antragsteller dann die entsprechende Kenntnis, wenn er zum einen die den Verstoß begründenden Tatsachen kennt und zum anderen aus den Tatsachen auch auf den Vergaberechtsverstoß schließt (Möllenkamp in Kulartz / Kus / Portz / Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht § 160 Rn. 140; OLG München, Beschluss vom 23.06.2009, Verg 8/09).
Die positive Kenntnis muss mithin zwei Komponenten umfassen, also sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht bestehen. Bloße Vermutungen und selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2005, Verg 74/04; BayObLG, Beschluss vom 15.09.2004, Verg 26/03). Der Antragsteller darf in tatsächlicher oder rechtlicher Unkenntnis nur nicht in einer Weise verharren, die mit Blick auf einen möglichen Vergaberechtsverstoß als ein mutwilliges Sich-der-Erkenntnis-Verschließen zu bewerten ist (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.2008, Verg 55/08). Ist Kenntnis des Antragstellers von einem Vergaberechtsverstoß (oder ein mutwilliges Sich-der-Erkenntnis-Verschließen) zu verneinen, unterliegt der Antragsteller keiner Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, X ZB 14/06).
Der Gesetzgeber hat damit in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB den Fristbeginn an eine innere Tatsache beim Antragsteller geknüpft (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar § 155 GWB Rn. 49). Dieser auf das Bewusstsein des konkreten Antragstellers abstellende Maßstab stellt eine hohe Hürde für die Feststellung einer frühzeitigen, zur Obliegenheitsverletzung führenden Kenntnis dar. Es ist häufig bereits nicht möglich, beim Bieter die frühzeitige Kenntnis der den Verstoß begründenden Tatsachen festzustellen. Noch problematischer ist regelmäßig der Nachweis, dass der Bieter auch die Rechtswidrigkeit des Auftraggeberhandelns kannte (Möllenkamp in Kulartz / Kus / Portz / Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht § 160 Rn. 143). Dies kann in der Regel nur anhand von Beweisanzeichen (Indizien) und einer Einzelfallwürdigung in Verbindung mit der Lebenserfahrung entsprechend (§ 286 ZPO geschehen (Dicks a.a.O. Rn. 44).
Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin und zwar in Gestalt von Mitarbeitern, die zur Erhebung einer Rüge befugt waren (vgl. Horn/Hofmann in Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar § 160 GWB Rn 46), wie dem Geschäftsführer Herrn V… und dem Regionalleiter Bayern, Herrn S…, der die Rüge vom 12.06.2018 unterzeichnet hat, spätestens am 18.05.2018 Kenntnis von den maßgeblichen tatsächlichen Umständen des Ausschlusses. Die maßgeblichen tatsächlichen Umstände bestehen hier darin, dass der Antragstellerin mitgeteilt worden war, dass sie von einem bestimmten Vergabeverfahren ausgeschlossen worden war und dass das entsprechende Vergabeverfahren eingeleitet war. Dass die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von der Stichhaltigkeit jedes einzelnen der zahlreichen Vorwürfe der Schlechtleistung hatte, ändert daran nichts. Diese Frage spielt allenfalls für die Bewertung der positiven Kenntnis in rechtlicher Hinsicht eine Rolle.
Nach Überzeugung der Vergabekammer unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts und insbesondere der Einlassungen des Herrn S… in der mündlichen Verhandlung bestand bei der Antragstellerin auch frühzeitig, d.h. noch im Mai 2018, Kenntnis des Vergabeverstoßes zumindest insoweit, dass sie eine laienhafte rechtliche Wertung dahingehend vorgenommen hatte, dass das Handeln der Antragsgegnerinnen vergaberechtlich zu beanstanden sei. So begann Herr S…, nachdem er am 17.05.2018, dem Donnerstag vor Pfingsten sowohl vom Ausschluss als auch von der Einleitung des Vergabeverfahrens erfahren hatte, umgehend mit den Vorbereitungen, sich gegen den ausgesprochenen Ausschluss zur Wehr zur setzen. Er hat in der mündlichen Verhandlung auch erklärt, dass ihm bewusst war, dass die Antragstellerin sich gegen den Ausschluss wehren müsse. Spätestens nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin, Herrn V…, am Dienstag nach Pfingsten, dem 22.05.2018 bereitete die Antragstellerin ein rechtliches Vorgehen gegen den ausgesprochenen Ausschluss vor. Auch hatte Herr V… zu diesem Zeitpunkt bereits – wenn auch mit einer unklaren und nicht zielführenden Fragestellung – die spätere Bevollmächtigte der Antragstellerin in deren Pfingsturlaub kontaktiert.
Aus diesen äußeren, feststellbaren Indizien kann im vorliegenden Fall auf die Bildung einer Rechtsauffassung bei Herrn S… und Herrn V… geschlossen werden, dass das Handeln der Antragsgegnerinnen ihrer Ansicht nach vergaberechtlich zu beanstanden war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es hier um die Bewertung eines Ausschlusses der Antragstellerin von einem Vergabeverfahren geht. Im Gegensatz zu vielen anderen vergaberechtlichen Fragen, liegt im Falle eines Ausschlusses auch für einen Laien der Schluss nahe, dass dieser Ausschluss das entsprechende Unternehmen in seinen Rechten verletzen kann. Insbesondere ist davon auszugehen, dass Herr S… und Herr V… bereits nach ihrem Gespräch am 22.05.2018 der Auffassung waren, dass die vorgeworfenen Vertragspflichtverletzungen, die sie zumindest im Grundsatz bereits aus der konfliktreichen Abwicklung der mit den Antragsgegnerinnen geschlossenen Rahmenverträge kannten, nicht in dem von den Antragsgegnerinnen behaupteten Umfang bestehen würde und damit der Ausschluss nicht gerechtfertigt sei.
Aus diesem Grund ist eine positive Kenntnis der Antragstellerin, dass das Handeln der Antragsgegnerinnen ihrer Ansicht nach vergaberechtlich zu beanstanden war, auch nicht erst mit Abschluss der Befragungen der verschiedenen Mitarbeiter der Antragstellerin, die an den von den Antragsgegnerinnen aufgeführten Geschäftsvorfällen beteiligt waren, Ende Mai/Anfang Juni 2018 anzunehmen (wobei auch bei einer angenommenen Kenntniserlangung am 31.05.2018 Rügepräklusion eingetreten wäre). Diese Befragungen dienten nach Angaben der Antragstellerin dazu, den Vorwürfen der Antragsgegnerinnen substantiiert entgegenzutreten. Zu dieser Substantiierung hielt sich die Antragstellerin offenbar für verpflichtet. Diese Fehlvorstellung – der Bevollmächtigte der Antragsgegnerinnen hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Rüge des Ausschlusses zur Erfüllung der Rügeobligenheit nicht tiefgreifend substantiiert hätte werden müssen – betraf jedoch nicht die Frage, ob der Ausschluss nach Auffassung der Antragstellerin vergaberechtlich zu beanstanden war, sondern wie das prozesstaktische Vorgehen gegen den bereits als vergaberechtswidrig erkannten Ausschluss auszusehen hatte.
Nicht glaubwürdig ist aus Sicht der Vergabekammer der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Vortrag, dass die Antragstellerin deshalb von einer früheren Rüge abgesehen hat, weil sie davon ausging, dass der im Schreiben vom 17.05.2018 ausgesprochene Ausschluss nur eine Absichtserklärung darstelle und nach Angebotsabgabe ein weiteres, dann tatsächlich maßgebliches Ausschlussschreiben erfolgen würde. Zwar wäre ein solcher rechtlicher Irrtum der Antragstellerin angesichts der Tatsache, dass vor der Vergaberechtsreform vom 18.04.2016 tatsächlich nur Angebote ausgeschlossen werden konnten, nicht ganz fernliegend. Gegen die Annahme, dass die Antragstellerin das Ausschlussschreiben vom 17.05.2018 als rechtlich bedeutungslose Absichtserklärung verstanden hat, sprechen jedoch gewichtige Indizien. Zum einen ist das Schreiben der Antragsgegnerinnen sehr eindeutig formuliert und lässt bei einem verständigen Leser keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin als Unternehmen vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen werden soll. Zum anderen ergibt sich aus der Einlassung der Bevollmächtigten der Antragstellerin, dass zumindest Herr V… das Schreiben vom 17.05.2018 auch als sofortigen Ausschluss verstanden haben muss, als er im Telefonat mit der späteren Bevollmächtigten von einem „generellen Ausschluss aus allen Vergabeverfahren“ gesprochen hatte. Auch die umfangreichen Bemühungen der Antragstellerin, dem Ausschluss substantiiert entgegenzutreten, passen nicht zur behaupteten Vorstellung, das Ausschlussschreiben sei eine rechtlich irrelevante Absichtserklärung. Auch die letztlich am 12.06.2018 abgesandte Rüge, also noch vor dem Termin zur Angebotsabgabe, passt nicht zu einer behaupteten Erwartung, erst nach Angebotsabgabe erneut und dann mit Rechtswirkungen ausgeschlossen zu werden.
Nach Würdigung des Sachverhalts durch die Vergabekammer steht für diese daher fest, dass die Antragstellerin in Gestalt des Geschäftsführers, Herrn V… und des Regionalleiters Bayern, Herrn S…, nach deren Gespräch am 22.05.2018 der laienhaften Auffassung waren, dass der Ausschluss ihres Unternehmens ihrer Ansicht nach vergaberechtlich zu beanstanden war. Folgerichtig begannen sie daraufhin auch mit der Vorbereitung einer Rüge gegen den Ausschluss. Damit begann am 23.05.2018 die Frist von 10 Kalendertagen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu laufen und war deutlich vor der Erhebung der Rüge am 12.06.2018 abgelaufen, so dass hinsichtlich der Rüge des Ausschlusses Rügepräklusion eingetreten ist.
3. Aufgrund der eingetretenen Rügepräklusion hat die Vergabekammer weder zu prüfen noch zu entscheiden, ob der Ausschluss tatsächlich mit den Vorgaben des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vereinbar war.
4. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S.1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin, der Nachprüfungsantrag aufgrund der eingetretenen Rügepräklusion bereits unzulässig ist.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Die Gebühr wird vorliegend unter Berücksichtigung der Tatsache, dass keine Beiladung erfolgen musste, auf …,00 Euro festgesetzt.
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft verrechnet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte sind die Antragsgegnerinnen hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen. Hierüber hinaus war die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin herzustellen.


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