Europarecht

Verlustfeststellung, Krankenversicherungsschutz, Sicherung des Lebensunterhalts

Aktenzeichen  AN 5 K 18.01910

Datum:
26.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12816
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizüG/EU § 5 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.         
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandelt und entschieden werden, da dieser im Zusammenhang mit der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO hierauf hingewiesen worden war.
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 4. September 2018 nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die in Ziffer I verfügte Verlustfeststellung ist ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffern II und III getroffenen Annexentscheidungen.
Rechtsgrundlage der in Ziffer I verfügten Verlustfeststellung ist vorliegend § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift kann der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind.
Dabei ist die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nicht bereits insoweit ausgeschlossen, als sich ein Unionsbürger – wie der Kläger – fünf Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat; vielmehr ist erforderlich, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt hat (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 16 f.; BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 10 C 19.68 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 10 ZB 19.2131 – juris Rn. 8). Erst ein solcher Aufenthalt führt zum Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU. Ist ein Daueraufenthaltsrecht einmal entstanden, kann eine Verlustfeststellung nicht mehr auf § 5 Abs. 4 FreizügG/EU gestützt werden, weil sodann ein Recht auf Einreise und Aufenthalt gerade unabhängig vom weiteren Vorliegen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU besteht.
Der Kläger hat vorliegend ein Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU nicht erworben. Zwar ist er als niederländischer Staatsangehöriger Unionsbürger. Aus diesem Umstand folgt aber nicht automatisch eine Freizügigkeitsberechtigung i.S.d. FreizügG/EU. Vielmehr knüpft § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Freizügigkeitsrecht an bestimmte zusätzliche Voraussetzungen, die bei dem Kläger zu keinem Zeitpunkt vorlagen.
Der Kläger reiste zuletzt am … in das Bundesgebiet ein und beantragte am … 2016 Asyl und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es ist insofern schon nicht dargetan, dass der Kläger zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, so dass ihm als arbeitssuchenden Unionsbürger ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für bis zu sechs Monate zugestanden hätte. Jedenfalls hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen, dass er Arbeit suche und die begründete Aussicht bestehe, dass er eingestellt werde. Ein etwaiges Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU ist daher, selbst bei Annahme, dass sich der Kläger zunächst zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufgehalten hat, jedenfalls nach Ablauf von sechs Monaten entfallen.
Als Rechtsgrundlage für ein Freizügigkeitsrecht kommt daher für den Kläger, der nach eigenen – unbelegten – Angaben aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung dauerhaft erwerbsunfähig ist, allein § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU in Betracht. Nach den genannten Normen ist ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, wenn er über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt.
Der Kläger verfügt weder über hinreichenden Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel. Als grundsätzlich schädlich erweist sich insoweit der Bezug von nicht auf einer Beitragsleistung beruhenden öffentlichen Mitteln, insbesondere – wie hier – Sozialhilfeleistungen nach dem AsylblG. Die vollumfängliche Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen indiziert das Nichtvorhandensein ausreichender Existenzmittel (BayVGH, B.v. 16.10.2017 – 19 C 16.1719 – juris Rn. 19).
Zwar führt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht automatisch zu einem Verlust des Freizügigkeitsrechts. Da die in Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38/EG genannte Voraussetzung vor allem verhindern soll, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch genommen werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-424/10 und C-425/10 – juris Nr. 40 der Gründe), ist, wie aus dem 16. Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG hervorgeht, vielmehr zu prüfen, ob der Betreffende (lediglich) vorübergehende Schwierigkeiten hat. Zudem ist die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und der ihm gewährte Sozialhilfebetrag zu berücksichtigen. Auch ist zu betrachten, „welche Belastung dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde“ (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 21). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs soll Art. 7 Abs. 1 lit. b der RL 2004/38/EG nicht erwerbstätige Unionsbürger gerade daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen (EuGH, U.v. 11.11.2014 – C-333/13 – juris Rn. 76). Die Notwendigkeit, die Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats zu schützen, reicht grundsätzlich aus, um die Möglichkeit zu rechtfertigen, zum Zeitpunkt der Gewährung einer Sozialleistung insbesondere an Personen anderer Mitgliedstaaten, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durchzuführen, da diese Gewährung geeignet ist, sich auf das gesamte Niveau der Beihilfe auszuwirken, die dieser Staat gewähren kann (EuGH, U.v. 14.6.2016 – C-308/14 – juris Rn. 80).
Gemessen an diesen Grundsätzen nimmt der Kläger in unangemessener Weise Sozialleistungen in Anspruch. Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger nach Aktenlage seinen Lebensunterhalt seit seiner Einreise im Jahr 2016 fortlaufend durch den Bezug von öffentlichen Leistungen. Nach den Angaben des Beklagtenbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung bezieht er aktuell gekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es ist demnach davon auszugehen, dass seine Unterstützungsbedürftigkeit nicht nur vorübergehender Natur ist. Unter Berücksichtigung der perspektivisch langjährigen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen würde es eine unangemessene Belastung für das nationale Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit bedeuten, wenn es gleichermaßen für sämtliche Unionsbürger in der Lage des Klägers geöffnet und damit faktisch eine „Sozialleistungsfreizügigkeit“ begründet würde (BayVGH, B.v. 16.10.2017 – 19 C 16/1719 – juris Rn. 21). Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kommt es insoweit auch nicht auf die Vorwerfbarkeit des fehlenden Krankenversicherungsschutzes und der ausreichenden Existenzmittel des Klägers an.
Schließlich ist auch die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung, die nach § 114 Satz 1 VwGO nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegt, nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die spezielle Situation des Klägers, die kurze Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet und dessen fehlende soziale und wirtschaftliche Integration hinreichend in den Blick genommen und gewürdigt.
Ist die Verlustfeststellung rechtsfehlerfrei, so sind auch die in Ziffern II und III des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3, 4 FreizügG/EU i.V.m. §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen rechtmäßig.
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des Bescheides der Beklagten vom 4. September 2018 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 117 Abs. 5 VwGO ab.
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben