Europarecht

Versäumnis der Antragsfrist nach § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG

Aktenzeichen  M 9 S 16.50411

Datum:
19.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 2 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 S. 2
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 Ein Antrag, der nicht die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG einhält, ist bereits unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)
2 In Italien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso VGH München BeckRS 2014, 52068). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1987 geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 15. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein (Bl. 28 des Behördenakts). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Nigerias. Nach eigenen Angaben hat er zwischen 15. April 2015 und 15. Dezember 2015 in Italien internationalen Schutz beantragt (Bl. 29 des Behördenakts).
Aufgrund dessen und wegen eines Eurodac-Treffers wurde am 18. Februar 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 7ff. des Behördenakts). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom … Juni 2016 ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung nach Italien an (Nr. 1.) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 2). Ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde (Bl. 66f. des Behördenakts) wurde der Bescheid dem Kläger am 16. Juni 2016 zugestellt. Da weder die Einlegung in einen Briefkasten noch eine Ersatzzustellung in der Unterkunft möglich war, erfolgte die Zustellung des Bescheides durch Niederlegung in der Postfiliale in … Eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung wurde in der Poststelle der Unterkunft abgegeben. Die Abschiebung nach Italien sei anzuordnen gewesen, da dieser Staat für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprächen, seien nicht ersichtlich. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat zur Niederschrift des Urkundsbeamten am 24. Juni 2016 Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Weiter beantragt er
hinsichtlich der Klage- und Antragsfrist vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Antragsteller trägt vor, dass ihm der Bescheid in der vergangenen Woche über die Unterkunftsleitung ausgehändigt worden sei. Als er am 23. Juni 2016 gegen 16:00 Uhr zur Klageerhebung beim Verwaltungsgericht vorsprechen wollte, sei jedoch schon geschlossen und niemand mehr erreichbar gewesen. In der Sache werde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Eine Rückkehr nach Italien sei nicht zumutbar, weil das dortige Asylsystem nicht menschenwürdig sei und Asylbewerber dort keinerlei Hilfe oder Unterstützung erhielten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung werde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig und im Übrigen auch unbegründet.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig.
a) Der Antragsteller hat die nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgesehene Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung versäumt.
Ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 66f. des Behördenakts) hat der Zusteller, weil weder die Einlegung in einen Briefkasten nach § 180 ZPO noch die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftsunterkunft, § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, möglich war, die Sendung bei der Postfiliale niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der Poststelle der Unterkunft abgegeben, § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Dies entspricht der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Art und Weise. Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO gilt der Bescheid des Bundesamtes mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung am Donnerstag, den 16. Juni 2016 als zugestellt. Anhaltspunkte für Zustellmängel bestehen nicht. Die Antragsfrist begann am Freitag, 17. Juni 2016, zu laufen, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB, und endete am Donnerstag, den 23. Juni 2016 um 24.00 Uhr, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB. Damit ist der erst am 24. Juni 2016 bei Gericht gestellte Antrag verfristet.
b) Dem Antragsteller konnte auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO gewährt werden.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nur dann erfolgreich, wenn der Betreffende glaubhaft machen kann, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtzeitig zu stellen. Ein Verschulden ist dabei immer dann anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen.
Vorliegend trifft den Antragsteller ein Verschulden an der Fristversäumnis. Nach seinem Vortrag wollte er am 23. Juni 2016 „gegen 16:00 Uhr“ zur Klageerhebung beim Verwaltungsgericht vorsprechen. Die Dienstzeiten der Rechtsantragsstelle sind für jedermann einsehbar u. a. auf der Homepage des Verwaltungsgerichts veröffentlicht. Demnach ist die Stelle bis 16:00 Uhr besetzt. Wenn der Antragsteller behauptet, es sei niemand mehr erreichbar gewesen, so ist allein aufgrund seines Vorbringens, er sei „gegen 16:00 Uhr“ am Verwaltungsgericht gewesen, davon auszugehen, dass er nach 16:00 Uhr eintraf. Ein gerichtsinterner Organisationsmangel, den sich der Antragsteller nicht zurechnen lassen müsste, ist nicht glaubhaft gemacht. Nachdem der Bescheid den Antragsteller, wie er selbst vorträgt, über die Unterkunftsleitung bereits in der der Antragstellung vorhergehenden Woche erreicht hatte, wäre es ihm ohne Weiteres zumutbar gewesen, sich innerhalb der laufenden Frist um eine ordnungsgemäße und fristwahrende Antragstellung zu bemühen. Dabei hätte er auch nicht zwingend den Weg über die Rechtsantragsstelle beschreiten müssen, sondern seinen Eilantrag auch noch am 23. Juni 2016 nach 16:00 Uhr über den gerichtlichen (Nacht-) Briefkasten einreichen können.
2. Darüber hinaus ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Italien ist für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 22 Abs. 7, Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Aufnahmegesuch vom 18. Februar 2016 nicht reagiert.
Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO steht der Zuständigkeit Italiens nicht entgegen. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Der Tag des illegalen Grenzübertritts – hier: Tag der Einreise nach Italien – war nach Angaben des Antragstellers der 15. April 2015. Die Vorschrift regelt aber nur, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Vorliegend beantragte der Antragsteller aber nach eigenen Angaben zwischen dem 15. April 2015 und dem 15. Dezember 2015 in Italien selbst internationalen Schutz. Damit endete die Zuständigkeit Italiens nicht. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen benennt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es nicht von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (VG München, B. v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – DVBl 2014, 790 – juris Rn. 46 ff.; VG Minden, B. v. 18.2.2015 – 10 L 107/15.A – juris Rn. 22 ff.).
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden.
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 4. November 2014 – 29217/12 – juris ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ist. Ein alleinstehender Mann gehört nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (EGMR, E. v. 5.2.2015 – 51428/10 – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris).
Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit (BVerfG, B. v. 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447) wurde nicht vorgetragen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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