Europarecht

VI ZR 189/20

Aktenzeichen  VI ZR 189/20

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:191021UVIZR189.20.0
Normen:
§ 199 Abs 1 Nr 2 BGB
§ 204 Abs 1 Nr 1a BGB
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sogenannten Dieselfall.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 30. Januar 2020, Az: 1 U 131/19, Urteilvorgehend LG Osnabrück, 16. August 2019, Az: 5 O 1462/19

Tenor

Auf die Revision der Beklagten – soweit diese nicht durch die teilweise Klagerücknahme gegenstandslos geworden ist – wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 30. Januar 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 20. Dezember 2012 von einem Händler einen gebrauchten VW Golf Plus zum Kaufpreis von 23.999 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug sich auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, in der sie einräumte, dass beim Motor EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei. Der Kläger schloss sich zunächst einer Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte an, meldete sich später aber wieder ab.
3
Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage verlangt er die Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz sowie Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
4
Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagte zur Zahlung von 11.662,67 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und den Annahmeverzug festgestellt.
5
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte außerdem im Wesentlichen zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung des Klägers und die auf vollständige Klageabweisung gerichtete Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.
6
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger hat seine Revision sowie die Klage, soweit er mit ihr Deliktszinsen und die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt hat, mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

I.
7
Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem unter BeckRS 2020, 517 und in MDR 2020, 671 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren relevant – im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
8
Dem Kläger stehe nach § 826 BGB ein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung der Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu.
9
Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung sei erfolglos. Ob die Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren die Verjährung gehemmt habe, könne dahinstehen, da der Anspruch auch ohne Anmeldung zu diesem Verfahren nicht verjährt sei. Die Beklagte habe zwar in der im September 2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung mitgeteilt, dass beim Motor EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, und damit die Mangelhaftigkeit der Fahrzeuge eingeräumt. Sie habe aber bestritten, dass ihr Vorstand oder der für die Haftung nach § 826 BGB in Betracht kommende Personenkreis davon gewusst habe. Erst im Jahr 2016 seien durch Nachforschungen und Ermittlungen Umfang und Größe des Problems deutlich geworden und hätten sich belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten verdichtet. In den rund drei Monaten zwischen der Ad-hoc-Mitteilung und dem Jahresende 2015 hätten allenfalls vage Hinweise bestanden. Damit sei den Geschädigten im Jahr 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge bekannt geworden, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten begründenden Umstände. Eine Klageerhebung sei den Geschädigten bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen.
II.
10
Soweit die Revision der Beklagten durch die teilweise Klagerücknahme nicht gegenstandslos geworden ist, ist sie begründet. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
11
1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit dem Erwerb des VW Golf Plus am 20. Dezember 2012 ein auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichteter Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden ist (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.). Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel.
12
2. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann jedoch die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB gegen die Beklagte angesichts der erst im Jahr 2019 erhobenen Klage nicht verneint werden.
13
Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung bleibe erfolglos, da dem Kläger eine Klageerhebung bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen sei.
14
Die Frage, wann eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führt, unterliegt der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht (Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, VersR 2021, 324 Rn. 16 mwN). Das Berufungsgericht hat die Unzumutbarkeit damit begründet, dass der Sachverhalt noch weitgehend ungeklärt gewesen sei, da bis Ende 2015 belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten noch nicht vorgelegen hätten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedurfte es jedoch keiner näheren Kenntnis des Klägers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation der Beklagten (vgl. hierzu Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, VersR 2021, 324 Rn. 23). Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich damit die Unzumutbarkeit einer Klage gegen die Beklagte in 2015 nicht rechtfertigen (siehe allgemein dazu auch Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, VersR 2021, 324 Rn. 18 ff.).
15
3. Das Berufungsurteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
16
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Verjährungseinrede der Beklagten auch nicht bei unterstellter Zumutbarkeit der Klageerhebung in 2015 wegen einer Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB unbegründet. Insoweit fehlt es an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Verjährung durch eine wirksame Anmeldung des Klägers zu einer Musterfeststellungsklage gehemmt wurde. Wie der Senat bereits entschieden und näher begründet hat, tritt die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Dem Kläger ist es auch dann nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen, wenn er seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat (im Einzelnen Senatsurteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20, ZIP 2021, 1973 Rn. 21, 38). Das Berufungsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – keine Feststellungen dazu getroffen, dass vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben wurde, dass der Kläger die nunmehr streitgegenständlichen Ansprüche wirksam zum entsprechenden Klageregister angemeldet hat (vgl. § 608 Abs. 1, 2 und 4 ZPO) und den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20, ZIP 2021, 1973 Rn. 20 mwN).
III.
17
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben. Die Sache ist mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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