Europarecht

Wegen Ablaufs der Überstellungsfrist erfolgreiche Anfechtungsklage gegen einen als unzulässig abgelehnten Asylantrag

Aktenzeichen  M 22 K 15.50577

Datum:
21.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134610
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 27a
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Bei Ablauf der Überstellungsfrist hat der Asylsuchende einen Anspruch gegen den nunmehr zuständigen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens, wenn nicht feststeht, dass der andere Mitgliedsstaat trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin zur Wiederaufnahme bereit ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Juni 2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid vom 9. Juni 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), denn zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfällung war die Überstellungsfrist bereits abgelaufen, was hier zur Folge hat, dass die Klägerin eine sachliche Prüfung ihres in der Bundesrepublik gestellten Asylantrags durch die Beklagte beanspruchen kann.
Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Für den Beginn des Fristlaufs ist dabei auf die Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat bzw. die endgültige Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat, abzustellen (Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO).
Im vorliegenden Fall hat die tschechische Dublin-Unit am 27. Februar 2015 der Aufnahme zugestimmt. Für den Fristbeginn ist auf dieses Datum abzustellen, da die Klägerin kein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO angestrengt hat. Die Frist ist folglich bereits am 27. August 2015 abgelaufen und mithin zum 28. August 2015 ein Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland erfolgt (zur Fristberechnung siehe Art. 42 Dublin III-VO).
Die Klägerin ist durch den Bescheid auch in eigenen Rechten verletzt. Der Asylsuchende hat im Falle des Ablaufs der Überstellungsfrist einen Anspruch darauf, dass der nunmehr zuständige Mitgliedsstaat das Asylverfahren durchführt jedenfalls dann, wenn nicht feststeht, dass der andere Mitgliedsstaat trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit ist, den Betroffenen wieder aufzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24/15 – und OVG NRW, B.v. 11.11.2015 – 13 A 1692/15.A – beide in juris). Dafür, dass dies hier der Fall wäre, Tschechien also weiterhin aufnahmebereit wäre, ist aber nichts ersichtlich.
Der angefochtene Bescheid war danach vollumfänglich aufzuheben. Da der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag zulässig geworden ist, kann auch die Abschiebungsanordnung (Bescheidstenor Nr. 2), die an die rechtswidrig gewordene Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Bescheidstenor Nr. 1) anknüpft, keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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