Europarecht

Wöchentliche Corona-Testpflicht für Grenzgänger

Aktenzeichen  20 NE 20.2605

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32041
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2, Abs. 6, § 152 Abs. 1, § 154
IfSG § 2 Nr. 7, § 28 Abs. 1 S. 1, § 29, § 30 Abs. 1 S. 2, § 32 S. 1, § 36 Abs. 7 S. 1
EQV § 1, § 3, § 4 Abs. 1, § 6 S. 1
AEUV Art. 21, Art. 45
GG Art. 2 Abs. 2

 

Leitsatz

Die wöchentliche Testpflicht für Grenzgänger aus Österreich nach Bayern dürfte unverhältnismäßig sein, da deren Nutzen nach derzeitigem Kenntnisstand zweifelhaft ist und sie zu einer Ungleichbehandlung von Grenzpendlern und Grenzgängern führt. (Rn. 32 und 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. § 4 Abs. 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 5. November 2020, BayMBl. 2020 Nr. 630, wird vorläufig außer Vollzug gesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf jeweils 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehren die Antragsteller, § 4 Abs. 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) einstweilen außer Vollzug zu setzen.
2. Der Antragsgegner hat am 5. November 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen (BayMBl. 2020 Nr. 630), die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
„§ 2 Ausnahmen von der häuslichen Quarantäne
(2) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind Personen,
3. a) die im Freistaat Bayern ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder Ausbildung an ihre Berufsausübungs-, Studien- oder Ausbildungsstätte in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzpendler), oder
b) die in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung in den Freistaat Bayern begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzgänger),
wobei die zwingende Notwendigkeit durch den Arbeitgeber, Auftraggeber oder die Bildungseinrichtung zu bescheinigen ist,
§ 4 Grenzgänger
(1) Grenzgänger im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b sind verpflichtet, sich unaufgefordert regelmäßig in jeder Kalenderwoche auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 testen zu lassen und das Testergebnis der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde oder einer von ihr beauftragten Stelle auf Verlangen unverzüglich vorzulegen. Das Testergebnis nach Satz 1 muss jeweils
1. in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfasst sein und
2. sich auf eine molekularbiologische Testung stützen, die
a) in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem sonstigen Staat, den das Robert Koch-Institut in eine Liste von Staaten mit hierfür ausreichendem Qualitätsstandard aufgenommen hat, durchgeführt worden ist und
b) innerhalb der in Satz 1 genannten Zeiträume oder höchstens 48 Stunden vor deren Beginn erfolgte.
Das negative Testergebnis nach Satz 1 ist jeweils für mindestens 14 Tage nach der Einreise aufzubewahren. Dem Testergebnis nach Satz 2 steht eine Bestätigung der testenden Stelle in deutscher, englischer oder französischer Sprache über eine negative Testung durch einen CE-zertifizierten und zugelassenen Antigenschnelltest gleich. Die Verpflichtung nach Satz 1 entfällt für Kalenderwochen, in denen keine Einreise in den Freistaat Bayern erfolgt.
(2) Die in Abs. 1 Satz 1 genannten Personen sind ferner verpflichtet, beim Auftreten von Symptomen, die auf eine Erkrankung mit COVID-19 hinweisen, die in Abs. 1 Satz 1 genannte Kreisverwaltungsbehörde hierüber unverzüglich zu informieren.“
Die EQV ist seit dem 9. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft. (§ 6 Satz 1 EQV).
3. Die Antragsteller sind österreichische Staatsbürger und haben ihren Wohnsitz in Österreich. Sie besuchen ein Gymnasium im Landkreis Berchtesgadener Land. Bei Befolgung der Einreise-Quarantäne-Verordnung müssten sie, nachdem bis auf zwei Gemeinden ganz Österreich als Risikogebiet im Sinne von § 1 Abs. 5 EQV eingestuft sei, mindestens einmal wöchentlich einen Coronatests über sich ergehen lassen. Die Testpflicht verstoße gegen Art. 21 AEUV. Die unterschiedliche Behandlung von Grenzpendlern und Grenzgängern verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Die Tests stellten eine körperlich und psychisch belastende Situation dar; die Antragsteller seien in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt. Der durch die Tests anfallende Zeitaufwand sei nicht zu rechtfertigen. Ein Schulwechsel an ein österreichisches Gymnasium sei den Antragstellern nicht zumutbar. Für § 4 Abs. 1 EQV fehle eine Ermächtigungsgrundlage.
4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. § 4 Abs. 1 EQV finde als Teil einer im Ausgangspunkt Quarantänemaßnahmen anordnenden Rechtsverordnung in § 32 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 28 ff. IfSG eine geeignete Ermächtigungsgrundlage. In der Testpflicht nach § 4 Abs. 1 EQV liege kein Verstoß gegen EU-Grundfreiheiten wie die Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV und die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV. Das Primärrecht selbst lasse Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu, wenn sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt seien (vgl. Art. 45 Abs. 3 AEUV). Bei Covid-19 handele es sich um eine Krankheit mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation – dieses Potenzial habe sich infolge der weltweiten Ausbreitung der Krankheit auch realisiert. Gegen eine weitere Ausbreitung des Infektionsgeschehens würden aktuell zum Schutz der Einwohner Deutschlands und Bayerns, aber auch aller sich regelmäßig hier aufhaltenden Personen Beschränkungsmaßnahmen getroffen, wie insbesondere durch die 8. BayIfSMV. Darüber hinaus sei bei Grenzgängern i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 3 lit. b EQV durch den Aufenthalt in einem Risikogebiet ein hinreichender Ansteckungsverdacht gegeben, der es rechtfertige, sie als Ansteckungsverdächtige nach § 2 Nr. 7 IfSG einzuordnen. Die mit der Testpflicht nur für Grenzgänger (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 lit. b EQV), aber nicht für Grenzpendler (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 lit. a EQV), verbundene Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt. Bei Erlass der Verordnung seien die 7-Tage-Inzidenzen in den Nachbarstaaten Tschechische Republik, Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft um ein Vielfaches höher als in Deutschland und in Bayern (gewesen). Die Wahrscheinlichkeit, dass Grenzgänger, d. h. Personen die ihren Lebensmittelpunkt in diesen Anrainerstaaten hätten, die in Risikogebieten ihren Wohnsitz hätten und dort auf ihr familiäres Umfeld bzw. ihren Freundeskreis träfen, aufgrund ihres regelmäßigen Aufenthalts in einem ausländischen Risikogebiet mit höheren Infektionszahlen mögliche Infektionen nach Bayern eintrügen, sei mithin vielfach höher als bei Grenzpendlern, die sich in Bayern in festen Strukturen (privates Umfeld) bewegten und deren soziale Kontakte dadurch konstanter seien. Die Testpflicht sei verhältnismäßig. Der für den Test erforderliche Rachenabstrich sei zwar unangenehm und die Testsituation belastend. In der Rechtsprechung würden diese Umstände jedoch als nicht gravierend und auch als nicht gesundheitsgefährdend eingeordnet. Wenn überhaupt, bedeute der Rachenabstrich nur einen niederschwelligen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass auf Basis des § 36 Abs. 7 Satz 1 IfSG die Testpflichtverordnung geschaffen worden sei. Nach deren § 1 Abs. 1 Satz 1 hätten Personen, die auf dem Land-, See oder Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor der Einreise in einem Gebiet aufgehalten hätten, in dem ein erhöhtes Infektionsrisiko mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestehe, nach ihrer Einreise auf Anforderung des zuständigen Gesundheitsamtes oder der sonstigen vom Land bestimmten Stelle einen Testnachweis nach Maßgabe des Absatzes 2 vorzulegen. Eine derartige – regelmäßige beziehungsweise bei Erfüllung der Voraussetzungen generelle – Anforderung liege im Übrigen mit § 4 Abs. 1 EQV vor.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
A. Der Antrag ist zulässig. Die Antragsteller sind antragsbefugt, da sie durch die nach § 4 EQV auferlegte Testpflicht in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen sind.
B. Der Antrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) gegeben (2.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) davon aus, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeben sind und § 4 Abs. 1 EQV voraussichtlich unwirksam ist.
a) Es ist bereits fraglich, auf welche Rechtsgrundlage der Antragsgegner die streitgegenständliche Vorschrift des § 4 Abs. 1 EQV gestützt hat. Die Verordnung selbst gibt im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1, §§ 29, 30 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) an. Gem. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG ist die Rechtsgrundlage in der Verordnung anzugeben. Eine zusammenfassende Angabe der Ermächtigungsgrundlagen in der Präambel der Verordnung genügt zwar den Anforderungen des Zitiergebotes (Maunz/Dürig, Art. 80 GG Rn. 130). Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, auf welcher konkreten Rechtsgrundlage die Testpflicht für sogenannte Grenzgänger in § 4 EQV beruht. In seiner vom Senat angeforderten Stellungnahme vom 20. November 2020 vertritt der Antragsgegner die Auffassung, dass § 4 Abs. 1 EQV als Teil einer im Ausgangspunkt Quarantänemaßnahmen anordnenden Rechtsverordnung in § 32 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 28 ff. IfSG eine geeignete Ermächtigungsgrundlage finde. Die Testpflicht für Grenzgänger ist jedoch, anders als die Testmöglichkeit nach § 3 EQV zur Verkürzung der Quarantänedauer, als selbständige Testpflicht konzipiert, deren Nichtbefolgung nicht zur Verhängung einer Quarantäne nach § 1 EQV führt. Damit scheidet § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG als mögliche Ermächtigungsgrundlage für § 4 Abs. 1 EQV aus.
Allerdings stellt § 29 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2, § 25 Abs. 3 IfSG eine mögliche Rechtsgrundlage für die Verpflichtung, sich auf den Coronavirus Sars-CoV-2 testen zu lassen, dar. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden (§ 29 Abs. 1 IfSG). Eine Anordnung nach § 29 Abs. 1 IfSG und die damit verbundene Pflicht, Untersuchungen usw. zu dulden, setzt voraus, dass der Betroffene objektiv krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider im Sinne des § 2 IfSG ist. Es handelt sich dabei um eine Bekämpfungsmaßnahme, nicht mehr um eine Ermittlungsmaßnahme (vgl. zur Vorgängernorm des § 36 BSeuchG BT-Drucksache 8/2468 S.28). Zwar kann die Unterwerfung der Beobachtung auch in Form einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 IfSG ergehen. Aus Bestimmtheitsgründen ist es jedoch erforderlich, dass eine entsprechende Anordnung der Unterwerfung einer Beobachtung eindeutig aus einer entsprechenden Vorschrift hervorgeht. Dies ist bei § 4 Abs. 1 EQV voraussichtlich jedoch nicht der Fall, denn die Vorschrift beschränkt sich darauf, mit der Testpflicht eine einzelne Rechtsfolge einer anzuordnenden Beobachtung zu formulieren. Eine Anordnung der Beobachtung von Grenzgängern lässt sich der Verordnung auch andernorts nicht entnehmen, da diese Personengruppe lediglich von einer Quarantänepflicht nach § 32 Abs. 1 Satz 2 IfSG ausgenommen wurde (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EQV). Bereits deswegen dürfte sich § 4 EQV in einem Hauptsacheverfahren als unwirksam erweisen.
Damit muss die Frage, ob es sich bei Grenzgängern aus Risikogebieten um Ansteckungsverdächtige, also Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie Corona-Erreger aufgenommen haben, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein (§ 2 Nr. 7 IfSG) nicht entschieden werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2020 – 20 NE 20.2142 – juris). Die Beantwortung dieser Frage dürfte sich als schwierig erweisen, weil zwar die von dem Antragsgegner vorgetragenen, in den Risikogebieten im Vergleich zu Bayern (184) wesentlich erhöhten 7-Tages-Inzidenzen (Tschechien: 417; Österreich: 553) ein Anhaltspunkt sein können. Der Senat ist aber aufgrund der bisher vorgebrachten Bewertungsgrundlagen nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, ab welcher 7-Tages-Inzidenz es wahrscheinlich ist, dass Grenzgänger aus einem Risikogebiet den Coronavirus Sars-CoV-2 vor der Einreise aufgenommen haben. Fraglich bleibt auch, wie die Umstände zu bewerten sind, dass in einigen an Risikogebiete angrenzenden bayrischen Landkreisen 7-Tages-Inzidenzen von bis zu 300 oder darüber herrschen und die Inzidenzen in den Grenzregionen beiderseits der Grenze durchaus stark variieren können. Bei einem lediglich erhöhten Infektionsrisiko bestünde die Möglichkeit einer Regelung durch Rechtsverordnung nach § 36 Abs. 7 und 10 IfSG.
Die Frage, ob der durch das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz vom 18. November 2020 (BGBI. l S. 2397 ff.) mit Wirkung vom 19. November 2020 in Kraft getretene § 28a IfSG hier Anwendung findet, kann ebenso offenbleiben. Dies dürfte ohnehin am Zitiergebot des § 80 Abs. 1 Satz 3 GG scheitern.
Ein Rückgriff auf § §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG kommt dagegen nicht in Betracht, weil § 29 IfSG für die dort bezeichneten Personengruppen vorrangig zur Anwendung kommt.
Die Heranziehung von § 36 Abs. 7 Satz 1 IfSG i. V. m. § 1 Abs. 5 der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten vom 4. November 2020 scheitert bereits daran, dass diese Rechtsgrundlage nicht in der Verordnung genannt wurde (§ 80 Abs. 1 Satz 3 GG).
b) Die wöchentliche Testpflicht für Grenzgänger nach § 4 Abs. 1 EQV könnte sich im Ergebnis zudem nach jetzigem Kenntnisstand als unverhältnismäßig erweisen. Zwar dürfte die Maßnahme geeignet und erforderlich sein, um Infektionen durch Grenzgänger aus Risikogebieten zu reduzieren. Zweifelhaft bleibt aber, ob die Maßnahme auch angemessen ist. Die Angemessenheit oder auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn fordert, dass der Nutzen der Maßnahme nicht zu den dadurch herbeigeführten Beeinträchtigungen außer Verhältnis stehen darf. Das Gebot erfordert eine Abwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme und den durch die Maßnahmen herbeigeführten Beeinträchtigungen und setzt dem Ergebnis eine Grenze (Maunz/Dürig, Art. 20 GG Rn 117). Im vorliegenden Fall kann der Senat den infektiologischen Nutzen der wöchentlichen Testpflicht für Grenzgänger nicht mit hinreichender Sicherheit bewerten. Der Antragsgegner war nicht in der Lage, die Positivquote der Tests von Grenzgängern zu benennen. Der alleinige Hinweis auf wesentlich erhöhte Inzidenzen und Positivquoten in den ausländischen Risikogebieten im Vergleich zu Binnentests in Bayern erscheint hier nicht ausreichend. Zudem stellt sich die Frage, welchen Nutzen ein nur wöchentlicher Test bei der Verhinderung der Ausbreitung besitzt.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch die am 12. Oktober 2020 erlassene Empfehlung des Rates für eine koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie zu berücksichtigen. Richtig ist zwar, dass Empfehlungen des Europäischen Rates nach Art. 288 Abs. 5 AEUV nicht verbindlich sind. Die innerstaatlichen Gerichte sind aber verpflichtet, bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten die Empfehlungen zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn diese Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen (EuGH, U. v. 13.12.1989 – Rs C – 322/88 – BeckRS 9998, 80943). Weil durch die bußgeldbewehrte Testpflicht des § 4 Abs. 1 EQV das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger berührt ist, ist die Empfehlung des Europäischen Rates für eine koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie bei der Auslegung zu berücksichtigen.
Nach dem allgemeinen Grundsatz Nr. 17 können die Mitgliedstaaten zwar verlangen, dass Personen aus einem nicht als grün gekennzeichneten Risikogebiet sich nach der Ankunft einem COVID-19-Test unterziehen. Um Beschränkungen auf das absolut Notwendige zu begrenzen, sollten sich die Mitgliedstaaten so weit wie möglich darum bemühen, diese Beschränkungen in nichtdiskriminierender Weise nur auf Personen anzuwenden, die aus besonders stark betroffenen Gebieten oder Regionen einreisen, und sie nicht auf das gesamte Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats ausdehnen (Erwägungsgrund 12). Weiter darf es nach dem Allgemeinen Grundsatz Nr. 3 keine Diskriminierung zwischen Mitgliedstaaten geben, beispielsweise indem auf Reisen in einen und aus einem benachbarten Mitgliedstaat großzügigere Vorschriften angewandt werden als auf Reisen in andere und aus anderen Mitgliedstaaten, die sich in derselben epidemiologischen Lage befinden. Nach dem allgemeinen Grundsatz Nr. 21 dürfen die Maßnahmen, die auf Personen angewandt werden, die aus gemäß Nummer 10 als „rot“, „orange“ oder „grau“ eingestuften Gebieten einreisen, nichtdiskriminierend sein, d. h. sie müssen gleichermaßen für zurückkehrende Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats gelten. Deshalb dürfte die Ungleichbehandlung von Grenzpendlern und Grenzgängern problematisch sein, da derzeit sowohl Deutschland als auch Tschechien und Österreich als rot eingestuft sind (https://www.ecdc.europa. eu/en/covid-19/situation-updates/weekly-maps-coordinated-restriction-free-movement). All diese Aspekte sind bei der Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme zu berücksichtigen.
3. Der weitere Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren lässt Nachteile befürchten, die unter Berücksichtigung der Belange der Antragsteller, betroffener Dritter und der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für die Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. § 47 Abs. 6 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von den Antragstellern angegriffene Bestimmung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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