Europarecht

Zulässige Fahrtenbuchauflage bei Gewerbefahrzeug und 153 potentiellen Nutzern – Umfang der Mitwirkungspflicht

Aktenzeichen  B 1 K 16.592

Datum:
12.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVZO StVZO § 31a Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 6, § 84 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 5, § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 1, Abs. 2
ZPO ZPO § 708 Nr. 11, § 711

 

Leitsatz

1 Bei einem potentiellen Nutzerkreis von 153 Mitarbeiten steht außer Frage, dass die Polizei mit sachgerechtem und rationellem Einsatz den Täter eines mit diesem Fahrzeug begangenen Geschwindigkeitsverstoßes nicht ermitteln kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es entspricht unabhängig von der Buchführungspflicht des HGB sachgerechtem kaufmännischem Verhalten, auch Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es kann angesichts dieser Dokumentationsobliegenheit unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Wird der Obliegenheit nicht entsprochen, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 18.07.2016, mit dem die Klägerin zur Führung eines Fahrtenbuches verpflichtet wurde. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Über den Rechtsstreit kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ebenso konnte das Verfahren gemäß § 6 VwGO dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen werden, weil auch insofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid und auch zur Übertragung auf den Einzelrichter gehört und haben damit ihr Einverständnis erklärt.
Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassung-Ordnung (StVZO) kann die zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310; B.v. 23.12.1996 – 11 B 84.96 – juris; BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 11 CS 15.6 – juris; B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14; U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – BayVBl 2016,593; B.v. 20.07.2016 – 11 CS 16.1187).
Im vorliegenden Fall bestehen keine Zweifel daran, dass mit dem Pkw der Klägerin eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde, indem die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Geschwindigkeitsmessung fehlerhaft gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich.
Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessverfahren PoliScanSpeed erfüllt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens, d.h. eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und seines Ablaufs so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, BGHST Jahr 43 Seite 277). Diesen Anforderungen genügt das PoliScanSpeed-Verfahren, dessen Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen ist und bei dem die Geschwindigkeitsmessung von besonders geschultem Personal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers sowie der Zulassungsbedingungen der PTB durchgeführt wird. Dies bietet hinreichende Gewähr für eine zuverlässige Anwendung des PoliScanSpeed-Messverfahrens (vgl. z.B. OLG Bamberg, B.v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/13 m.w.N.; OLG Düsseldorf, B.v. 20.01.2010 – 5 Ss [OWi] 206/09; OLG Frankfurt, B.v. 21.04.2010 – 2 Ss OWi 236/10). Ein den geschilderten Anforderungen entsprechendes Verfahren indiziert die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler nicht ersichtlich sind (OLG Bamberg, a.a.O.). Umstände, die abweichend vom Regelfall dem Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Messung entgegen stehen, mithin konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit und der sachgerechten Handhabung des eingesetzten Geschwindigkeitsmessgerätes begründen, hat der Klägerbevollmächtigte nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere sind auf den vorliegenden Fotos keinerlei Reflexionen zu erkennen, die in der Vergangenheit verschiedentlich Anlass zu Kritik an diesem Messverfahren waren. Im Übrigen hat das Landratsamt sich von der korrekten Anwendung des Messverfahrens, insbesondere von der Eichung des Messgeräts überzeugt. Weiterhin ergibt sich aus dem vorliegenden Messprotokoll eindeutig, dass auch eine Messtoleranz abgezogen wurde, so dass auch insoweit keine Bedenken bestehen (vgl. OLG Bamberg, B.v. 05.11.2015 – 2 Ss OWi 1303/15).
Die Polizei hat ausreichende Ermittlungsbemühungen zur Fahrerfeststellung unternommen. Nachdem das Fahrzeug der Klägerin von ca. 30 Mitarbeitern in gehobener Stellung, deren engeren Angehörigen sowie grundsätzlich jedem Mitarbeiter (von 153) einer völlig unbestimmten Anzahl von Personen ohne Kontrolle – die Richtigkeit ihrer Behauptungen unterstellt – genutzt wird, steht es außer Frage, dass die Polizei mit sachgerechtem und rationellem Einsatz den Fahrer nicht ermitteln kann. Die Befragung des für den Fuhrpark verantwortlichen Mitarbeiters genügt deshalb völlig. Entgegen der Darstellung der Klägerin sind die in den Behördenakten enthaltenen Fotos so deutlich, dass sowohl Fahrer als auch Beifahrer ohne weiteres zu erkennen sind. Soweit die Klägerin vorträgt, in den der Anhörung beigefügten Fotos seien die Beifahrer unkenntlich gemacht worden, ist dies ohne Belang. Dem Protzessbevollmächtigten der Klägerin wurden die Ermittlungsakte zur Akteneinsicht übersandet (vgl. Schriftsatz vom 19.04.2016, S. 25 der Behördenakte), indem die Originalfotos ohne Schwärzung enthalten sind. Die Ausführungen der Klägerin zu Standards der Bildidentifikation liegen neben der Sache, weil die Personen im Fahrzeug eindeutig identifiziert werden können.
Dass die Klägerin sich das Verhalten ihres Fuhrparkleiters zurechnen lassen muss, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Unabhängig davon, ob der Fuhrparkleiter Fahrer und Beifahrer erkennen konnte, hat die Klägerin auch sonst gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen. Ich weise darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.05.2013 – 11 CS 13.606; B.v. 17.1.2013 – 11 ZB 12.2769; B.v. 29.4.2008 -11 CS 07.3429) sich aus der Buchführungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch über die Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung“ zwar keine unmittelbare Pflicht ergibt, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne vorzuhalten. Jedoch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischem Verhalten, auch Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. Es kann angesichts der Dokumentationsobliegenheit unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten nach seinen Kontenbüchern in Verbindung mit Belegmappen, Einsatzplänen oder Ähnlichem zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Nachdem es sich um eine Obliegenheit handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Dokumentation der Fahrten in der einen oder anderen Form erfolgt ist. Wird, wie im vorliegenden Fall, der Obliegenheit nicht entsprochen, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht. Es wäre eine Obliegenheit der Klägerin bzw. ihres Fuhrparkleiters gewesen, selbst die entsprechenden Nachforschungen anzustellen. Wenn dies jedoch unterbleibt, sind weitere polizeiliche Ermittlungen nicht erforderlich.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung war so erheblich, dass die Auferlegung eines Fahrtenbuches ohne weiteres gerechtfertigt ist. Das Gerichtfolgt insoweit den Darlegungen im angefochtenen Bescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Verpflichtung, das Fahrtenbuch für die Dauer von 15 Monaten zu führen, ist nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat erkannt, dass diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen hat; es hat sein Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt und auch ausreichend begründet. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich um einen massiven Geschwindigkeitsverstoß gehandelt hat. So rechtfertigt nach der Rechtsprechung des BayVGH eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h auf der Autobahn bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auch bei erstmaliger Begehung die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten (BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 11 CS 16.1187). Im vorliegenden Fall wurde die Höchstgeschwindigkeit um 66 km/h überschritten, was sogar zu einem zweimonatigen Fahrverbot geführt hätte. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass es sich bereits um den zweiten Fall handelt, bei dem ein Verkehrsverstoß wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin nicht geahndet werden konnte (vgl. VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 30.10.2012 Az. B 1 K 12.545; BayVGH, B.v. 17.01.2013 – 11 ZB 12.2769). Offensichtlich hat die Klägerin aus diesem Vorfall nach wie vor nicht die erforderlichen, einem verantwortungsbewussten Fahrzeughalter obliegenden Konsequenzen gezogen. Dieser Umstand durfte in die Entscheidung der Behörde über die Dauer der Pflicht, ein Fahrtenbuch zu führen, einfließen.
Bei diesem Sachverhalt ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, als unterliegende Partei trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO


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