Europarecht

Zur Rücküberstellung von Asylbewerbern nach Italien während COVID-19-Pandemie

Aktenzeichen  W 8 S 20.50319

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39902
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 li. a, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Dublin III-VO Art. 3, Art. 13 Abs. 1, Art. 22

 

Leitsatz

Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gem. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, ergeben sich nicht wegen der Verhältnisse in Italien mit Blick auf das „Coronavirus“. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 17. August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für … am 24. August 2020 Kenntnis erlangte, und stellte am 30. September 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates (Italien) gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 2. Oktober 2020 reagierten die italienischen Behörden nicht.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf fünfzehn Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 16. Dezember 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50319 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Italien sowie die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Zur Begründung bezog sich der Antragsteller auf seine Anhörungen beim Bundesamt für … und brachte darüber hinaus im Wesentlichen weiter vor: Er sei ca. 20 Tage in Italien gewesen, davon 14 Tage in Quarantäne. Anschließend habe er draußen auf der Straße geschlafen, kein Dach über den Kopf, kein Geld und keine andere Unterstützung gehabt. Er habe Algerien verlassen müssen aus Angst vor einer anderen Familie, von der Mitglieder in Italien lebten. Deshalb könne er nicht zurück; er müsse dort um sein Leben fürchten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.50319) sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller wendet sich bei verständiger Würdigung seines Begehrens (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) mit dem vorliegenden Sofortantrag gegen eine mögliche Abschiebung nach Italien und begehrt damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 3. Dezember 2020.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für … vom 3. Dezember 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zur Begründung hat der Antragsteller vorgebracht, in Italien nach der Quarantäne keine Unterkunft und auch keine Unterstützung erhalten zu haben. Er fürchte in Italien auch um sein Leben, weil Mitglieder der ihn bedrohenden Familie in Italien seien. Diese Gründe machen den streitgegenständlichen Bescheid indes nicht rechtswidrig und stehen auch einer Abschiebung nach Italien von Rechts wegen nicht entgegen.
Italien ist gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 und 7 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrages des Antragstellers zuständig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Italien hat nicht fristgerecht auf das Übernahmeersuchen reagiert. Somit ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung für Italien nach sich zieht, den Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft in Italien zu treffen.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/19 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) ausgesetzt wären.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – InfAuslR 2014, 293 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen bestehen aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel im italienischen Asylsystem, zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat. Dies gilt auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Dublin-Rückkehrer. Sofern Dublin-Rückkehrer einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt bzw. ein bereits anhängiges Verfahren wird fortgesetzt. Grundsätzlich erhalten auch Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung – im Einzelnen: Unterbringung, Verpflegung; Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation; notwendige Transporte; medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst; Hygieneprodukte; Wäschedienst und Waschprodukte; Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte); Taschengeld (2,50 EUR/Tag/Person bis zu 7,50 EUR/Tag für eine Kernfamilie); Schulbedarf usw. (siehe BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020 S. 4 f. und 13 ff.; vgl. neben der schon im streitgegenständlichen Bescheid zitierten Rechtsprechung insbesondere zuletzt etwa noch VG Würzburg, U.v. 14.12.2020 – W 8 S 20.50305; U.v. 23.11.2020 – W 10 K 19.31019 – juris sowie VG Augsburg, U.v. 10.11.2020 – Au 3 K 20.31390 – juris; VG München, B.v. 15.10.2020 – M 1 S7 20.50551 – juris; VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge – juris; VG Gießen, B.v. 7.10.2020 – 5 L 3097/20.GI.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – juris; jeweils m.w.N.).
Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende im Einzelfall während der Bearbeitung ihres Asylantrages in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen der Mitgliedsstaaten vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Rechtsverletzung im Schutzbereich von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GR-Charta mit den dafür notwendigen Schweregrad nahelegt (vgl. neben der oben zitierten Rechtsprechung auch noch NdsOVG, B.v. 6.8.2018 – 10 LA 320/18 – juris Rn. 6 f.; U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris Rn. 39 ff.; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 41 ff.).
Denn in Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (BFA, Bundesamt für das Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 5 ff. und vom 9.10.2019, S. 6 ff.).
Aus den Aufnahmebedingungen ergibt sich nichts Gegenteiliges. So hat sich die Zahl der Unterbringungsplätze in der Vergangenheit bei gleichzeitig zurückgehenden Asylanträgen und Asylverfahren in Italien sowie zurückgehender Zahl von Personen in den staatlichen Unterbringungseinrichtungen deutlich erhöht (vgl. BFA, Bundesamt für das Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 13 ff. und vom 9.10.2019, S. 6 ff.). In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell von Dublin-Rückkehrern. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert. Dublin-Rückkehrer haben letztlich einen durchsetzbaren Unterkunftsanspruch. Ihnen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie auch faktisch in der Regel einen Zugang zu Wohnraum haben. Dublin-Rückkehrer haben bei ihrer Ankunft in Italien je nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften. Zur Durchsetzung des Unterkunftsanspruchs müssen Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, zum Zweck der förmlichen Registrierung wieder zu den für ihr Asylverfahren bzw. ihre Unterbringung zuständigen Stellen reisen. Dazu erhalten sie am Flughafen entsprechende Informationen. Dass in Einzelfällen auch Dublin-Rückkehrer obdachlos werden können, ändert nichts an der Verneinung des Vorliegens systemischer Mängel (vgl. neben der schon oben zitierten Rechtsprechung auch noch VG Würzburg, B.v. 19.2.2019 – W 8 S 19.50120 – juris m.w.N.).
Die Änderungen infolge des Salvini-Dekrets führen nicht zu systemischen Mängeln gerade angesichts des Rückgangs der Flüchtlingszahlen, zumal weiterhin nicht davon auszugehen ist, dass der italienische Staat mit Gleichgültigkeit reagiert, sondern auch entsprechende Maßnahmen zur Bewältigung von Obdachlosigkeit trifft (vgl. zu der oben schon zitierten Rechtsprechung noch VG Frankfurt, B.v. 27.12.2019 – 2 L 615/19.A – juris; VG Hannover, B.v. 14.1.2019 – 5 B 5153/18 – juris; VG Berlin, G.v. 9.1.2019 – 34 K 1131.17 A – juris). Ergänzend wird angemerkt, dass der italienische Ministerrat am 5. Oktober 2020 ein neues sogenanntes Immigrationsdekret vorgelegt hat, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise wieder aufheben würde, aber noch nicht geltendes Recht ist. Danach würde etwa ein verbesserter Refoulement-Schutz und die Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylbewerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen vorgesehen (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020 S. 6 ff.).
Durch das am 5. Oktober 2018 erlassene und am 7. November 2018 durch den Senat sowie am 28. November 2018 durch das Parlament bestätigte Dekret No. 113/2018 über Sicherheit und Migration (sog. Salvini-Dekret) wird zwar der bisherige humanitäre Schutz stark eingeschränkt. Wurde dieser bislang für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“ vorlagen, ist er nunmehr an eine restriktive und vor allem abschließende Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann (teilweise auch mit einer Dauer von weniger als zwei Jahren). Eine solche Aufenthaltserlaubnis ist etwa möglich für medizinische Behandlungen, für Opfer von Gewalt, bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland sowie bei Fällen des Non-Refoulement. Es kommt zwar zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel, diese werden allerdings nicht mehr erneuert oder verlängert. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformations der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020 S. 6 und vom 9.11.2019, S. 6 ff. sowie vom 26.2.2019, S. 5 f.). Jedoch liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der RL 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechtes die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor. Gleichermaßen bleibt es dem italienischen Staat unbenommen, gegen straffällig gewordene Asylbewerber in einem rechtsstaatlichen Verfahren strafrechtlich vorzugehen und überführte Straftäter gegebenenfalls zu inhaftieren.
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: März 2018, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_ 2017 update.pdf, S. 80 ff.), so dass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine teilweise Überbelegung anzunehmen sein mag. Allerdings befanden sich nach dem Stand am 30. September 2019 in Italien 99.599 Immigranten in staatlicher Unterbringung (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien vom 9.10.2019, S. 17). Ergänzend ist anzumerken, dass laut italienischem Innenministerium im Jahr 2019 43.783 Asylanträge gestellt wurden. Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylverfahren anhängig (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 7).
Durch das Salvini-Dekret soll die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert und ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen werden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte („Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugiati“), wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Künftig werden Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Ausschreibungsspezifikationen für die Unterkünfte wurde auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Zudem kann durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen sollen auch künftig Berücksichtigung finden. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich im Stichtag 5. Oktober 2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraums weiterhin bleiben. Sofern sie sich dagegen noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben sie dort so lange, bis ihnen von der Questura der Aufenthaltstitel übergeben wurde. Danach werden sie aus dem Aufnahmesystem entlassen. Des Weiteren gibt es Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten sogenannte CPSA (Centri di prmno soccorso e accoglinza) – Hotspots (vgl. zum Ganzen BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, vom 11.11.2020, S. 15 ff. und vom 9.10.2019, S. 12 ff., 15 ff. und 18 f. sowie vom 26.2.2019, S. 5 ff.).
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren zudem verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es jedenfalls bislang gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 16 ff. und vom 19.10.2019, S. 17). Der Anspruch kann zwar wiederaufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe/pro Asyl, Auskunft an den Hess.VGH vom 19.10.2020; Accord, Anfragebeantwortung zu Italien: Rücknahme und Unterstützung von Personen mit in Italien zuerkannten internationalen Schutzstatus, insbesondere von Familien und Kindern; Auswirkungen der Corona-Pandemie vom 18.9.2020). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder karitativen Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau zum aktuellen Stand weiterhin nicht unproblematisch.
Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat sich im Hinblick auf die Aufnahme- und Unterbringungssituation nicht untätig und gleichgültig zeigt, sondern Maßnahmen zur Verbesserung ergriffen hat bzw. ergreift (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 14 ff.). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung durch das Salvini-Dekret.
Zudem soll es durch das Salvini-Dekret zu keiner Kürzung oder Streichung der Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung kommen (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 13 und vom 19.10.2019, S. 12 ff.). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Nicht anders stellt sich die Lage im Hinblick auf die medizinische Versorgung in Italien dar. Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 19 ff. und vom 19.10.2019, S. 19 ff.). Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 19 ff. und vom 9.10.2019, S. 19). Im Übrigen ist davon auszugehen, dass in Italien als EU-Mitgliedstaat medizinische Behandlungsmöglichkeiten wie generell in der EU im ausreichenden Maße verfügbar sind (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 21 und vom 19.10.2019, S. 21 mit Verweis auf MedCOI).
Vorstehendes gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Italien (BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – jeweils juris). Zu beachten ist dabei, dass zur Abschätzung der Gefahrenprognose eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne weiteres zu unterstellen ist, insbesondere also keine inzidente Prüfung des Anspruchs auf Asyl des Antragstellers vorzunehmen ist (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
Für die Fallgruppe anerkannter Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien jedenfalls nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wie auch Italiener, die arbeitslos sind – die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. dazu ausführlich NdsOVG, U.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris; B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris; OVG NRW U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – NVwZ-RR 2017, 115, VG München, U.v. 13.2.2017 – M 21 S 16.33951 – juris). Denn nach den vorliegenden Erkenntnissen zu Italien werden anerkannt Schutzberechtigte nicht ausschließlich sich selbst überlassen und geraten auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existentielle Notlage (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 22 ff. und vom 19.10.2019, S. 21 f; . Schweizerische Flüchtlingshilfe/pro Asyl, Auskunft vom 29.10.2020 an den HessVGH; Accord, Anfragebeantwortung zu Italien: Rücknahme und Unterstützung von Personen mit in Italien zuerkannten internationalen Schutzstatus, insbesondere von Familien mit Kindern; Auswirkungen der Corona-Pandemie vom 18.9.2020). Vielmehr können sie in Italien trotz bestehender Schwierigkeiten auf staatliche Unterstützung zurückgreifen. Das italienische System geht für anerkannte internationale Schutzberechtigte davon aus, dass man ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen kann. Für eine Übergangszeit können Schutzberechtigte auf staatliche Leistungen zurückgreifen. Sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiter besteht die Möglichkeit von Integrationsprojekten und Sprachkursen. Anerkannte Schutzberechtigte können weiter auf Hilfsorganisationen zurückgreifen und können sich im Übrigen in Eigenverantwortung um Wohnung und Arbeit kümmern. Insbesondere steht so für anerkannte internationale Schutzberechtigte Zugang, nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich, für eine Übergangszeit ein Zugang zu Einrichtungen des SIPROIMI offen, die in einer Übergangszeit Versorgungs-, Unterstützungs- und Integrationsleistungen gewähren. Auch über die Verfahren des Unterbringungssystems SIPROIMI hinaus reagieren die staatlichen Stellen auf Probleme, um auftretende Obdachlosigkeit anerkannter internationaler Schutzberechtigter zu verhindern. Insgesamt reagiert der italienische Staat darauf, dass anerkannte Schutzberechtigte in dieser Übergangszeit nicht in eine existentielle Notsituation geraten und sorgen so auch dafür, dass sie nach einer Übergangszeit sich selbst eine Existenzgrundlage aufbauen können (VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 9 K 6001/17.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – juris; VG Trier, U.v. 28.2.2020 – 7 K 1250/19.TR – juris; VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 398/19 – juris; VG Würzburg, U.v. 4.2.2019 – W 8 K 18.32181 – juris; jeweils m.w.N.).
Die vorstehenden Ausführungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer nach Italien sowie die Situation der dort anerkannt Schutzberechtigten zugrunde gelegt hat der Antragsteller nichts Substantiiertes dafür vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht, dass ihm in Italien eine Situation droht, in der er seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten könnte.
Soweit der Antragsteller vorgebracht hat, keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten zu haben, ist ihm entgegenzuhalten, dass ihm zuzumuten ist, sich dem italienischen Asylsystem zu unterwerfen und sich registrieren zu lassen. Der Antragsteller hat indes selbst angegeben, in Italien noch keinen Antrag gestellt zu haben, aber vorher in Quarantäne gewesen zu sein. Wenn er sich aber dem staatlichen Aufnahmesystem verweigert oder entzieht, so führt das nicht dazu, dass er dann dadurch gleichsam privilegiert würde, indem man dann zu seinen Gunsten systemische Mängel annähme (vgl. Aachen, U.v. 10.11.2020 – 9 K 6001/17.A – juris, Rn. 64 m.w.N). Denn der italienische Staat kann den Unterkunftsanspruch zulässigerweise an bestimmte – vom Asylsuchenden zu erfüllende – Voraussetzungen knüpfen, bei deren Nichteinhaltung kein Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft besteht. Diese Einschränkung oder Entziehung des Unterkunftsanspruchs steht im Einklang mit dem europäischen Recht (VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge – juris, Rn. 36). Dies gilt gerade auch, wenn dem Antragsteller Rechtsverluste drohen, weil er in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat (vgl. VG Gießen, B.v. 7.10.2020 – 5 L 3097/20.GI.A – juris, Rn. 39). Dem Antragsteller ist zumutbar, die nötige Eigeninitiative zu entwickeln, sich registrieren zu lassen und sich dem italienischen Asylsystem zu unterwerfen.
Dem kann der Antragsteller nicht entgegenhalten, dass er um sein Leben fürchte, weil er Angst wegen der anderen Familie habe, die ihn bedrohe und von der auch Mitglieder in Italien seien. Denn Italien ist ein Rechtstaat mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten. Bei drohender Gefahr ist der Antragsteller gehalten, sich an die italienische Polizei bzw. sonstigen Stellen zu wenden, um Hilfe und Schutz zu erhalten. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die italienischen Stellen bei drohender Leib- oder Lebensgefahr nicht schutzwillig oder schutzfähig wären. Abgesehen davon erachtet es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller in Italien von Privatpersonen, Familienmitgliedern, gefunden und tätlich angegriffen werden könnte, wenn insoweit überhaupt eine konkrete Gefahr droht (VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 9 K 6001/17.A – juris, Rn. 75; VG Würzburg, B.v. 2.9.2019 – W 8 S 19.50664 – juris).
Eine andere Beurteilung der Aufnahmebedingungen in Italien ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID-19-Pandemie („Corona-Krise“) angezeigt (vgl. ebenso VG Würzburg, B.v. 14.12.2020 – W 8 S 20.50305; VG Augsburg, U.v. 10.11.2020 – Au 3 K 20.31390 – juris; VG München, B.v. 15.10.2020 – M 1 S7 20.50551 – juris; VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge – juris; VG Karlsruhe, B.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – juris).
Das Gericht geht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in Italien mit Blick auf das „Coronavirus“ entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in Italien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des oben näher erläuterten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Italien getroffenen Maßnahmen – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Italien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Italien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, wenn auch die Quästuren in der Praxis geschlossen gewesen sind. Versorgungsmaßnahmen sind bis zum Ende der Pandemie verlängert worden, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Asylbewerber können bis längstens 31. Januar 2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe untergebracht werden und erhalten dort auch Versorgung. Des Weiteren sind Quarantäneschiffe und sonstige Quarantäneeinrichtung geschaffen worden. Über das Mittelmeer kommende Asylbewerber müssen – wie auch der Antragsteller – für 14 Tage in Quarantäne. Dublin-Überstellungen nach Italien sind derzeit suspendiert (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 4).
Nach alledem ist auch nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin rechtsfehlerhaft nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat.
Des Weiteren hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – bezogen auf Italien – noch liegen inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Insbesondere führt die derzeitige COVID-19-Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus, in Italien nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann die Klägerin in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn sie bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor, denn es fehlt an einer derart extremen Gefahrenlage.
Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer derartigen Gefahrenlage bestehen für das Gericht auch aufgrund der in Italien getroffenen Maßnahmen auch konkret mit Blick für Asylbewerber und Asylberechtigte (vgl. etwa https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/italiensicherheit/ 211322 sowie BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation vom 11.11.2020, S. 4; Schweizerische Flüchtlingshilfe/pro Asyl Auskunft an den HessVGH v. 29.10.2020) keine greifbaren Anhaltspunkte.
Der Antragsteller gehört offensichtlich nicht zu einer Personengruppe für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung.
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Covid-19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht.
Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Italien – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte (vgl. die schon oben zitierte Rechtsprechung, insbesondere VG Würzburg, B.v. 13.11.1020 – W 10 K 19.31019 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – juris,).
Das Gericht geht weiter nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre. Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen COVID 19-Pandemie und damit zusammenhängenden Reisebeschränkungen keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen. Auch wenn gegenwärtig Dublin-Überstellungen nach Italien suspendiert sind (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11.11.2020, S. 4), hat das Gericht keine Anhaltspunkte, dass eine Überstellung innerhalb der für maßgeblich erachteten Sechsmonatsfrist des Art. 29 Dublin III-Verordnung unmöglich wäre (auch im Hinblick auf Art. 34a Abs. 1 AsylG), weil im maßglichen jetzigen Entscheidungszeitpunkt nicht nur (weiter) eine grundsätzlich Aufnahmebereitschaft des Ziellandes Italien vorliegt, sondern auch die Prognose weiterhin gültig ist, dass die Abschiebung innerhalb der Frist von (grundsätzlich) sechs Monaten realisiert werden kann (ebenso VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge – juris, Rn. 48 ff.).
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien weiterhin rechtlich zulässig und möglich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher nach alledem abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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