Europarecht

Zustandigkeit Litauens im Asylverfahren durch Visumsausstellung

Aktenzeichen  Au 6 S 19.50042

Datum:
21.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1240
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 2
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1 S. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung ist nicht erfolgreich, da dem Antragsteller ein Visum vom Staat Litauen ausgestellt wurde, was die Zuständigkeit Litauens zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz begründet. (Rn. 13 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az. Au 6 K 19.50041) gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. Januar 2019 wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine sofort vollziehbare Anordnung ihrer Abschiebung nach Litauen.
Die ausweislich ihres Nüfus am … 1992 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige türkischer Volkszugehörigkeit. Sie flog nach eigenen Angaben mit einem litauischen Visum am 6. Februar 2018 von der Türkei nach Litauen, hielt sich dort elf Wochen auf, reiste am 31. April 2018 in die Bundesrepublik ein und äußerte am 28. August 2018 ein Asylgesuch.
In ihrer auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 13. September 2018 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 63 ff.), sie habe vor ihrer Ausreise bei ihrer Familie in … (Provinz …) gelebt. Ihr Reisepass befinde sich bei einem Bekannten in Deutschland, der sich weigere, den Pass an sie herauszugeben. Sie habe die Türkei am 6. Februar 2018 über den Flughafen … mit einem von Litauen ausgestellten und bis Januar 2019 gültigen Schengen-Visum verlassen. Ab Februar 2018 habe sie in Litauen studiert. Als in Litauen die Semesterferien begonnen hätten, habe sie aus finanziellen Gründen arbeiten wollen, jedoch habe sie keinen Englischsprachigen Arbeitsplatz gefunden und die litauische Sprache nicht beherrscht. Da es in Deutschland viele Türken gebe und sie dort Freunde gehabt habe, sei sie daher am 31. April 2018 mit dem Bus nach Deutschland gereist. Sie habe sowieso vorgehabt, nach Deutschland zu kommen, um ihre akademische Laufbahn fortzusetzen, denn in Deutschland gebe es mehr Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, während das Arbeitsplatzangebot in Litauen sehr begrenzt sei. Auch die Sprache sei verbreiteter als Litauisch. Mit einem in Deutschland lebenden Freund, einem Bulgaren mit EU-Aufenthaltsstatus, habe es jedoch große Probleme gegeben. Sie sei lesbisch, er habe sich mehr erwartet und sie schließlich auch vergewaltigt. Sie sei deswegen zur Polizei gegangen; der Freund sitze jetzt vermutlich in Haft, denn er sei auch Drogendealer gewesen. Dieser Freund habe sie auch bedroht und gewusst, wo sie in Litauen gelebt habe. Zudem habe er Fotos von ihr in Unterwäsche im Internet veröffentlicht; auch hiergegen habe sie Anzeige erstattet. Ihre hier in Deutschland lebende Tante, die die Bilder auch zugeschickt bekommen habe, sei sehr konservativ und habe keinerlei Verständnis gezeigt. Sie habe einen 45-jährigen Mann heiraten sollen, um hier zu bleiben, oder verschwinden sollen. Sie habe kein Geld gehabt, zwei Tage auf der Straße gelebt und sei dann wieder zu dem Bulgaren zurückgegangen, der versprochen habe, sie nie wieder anzufassen und ihr erklärt habe, dass er sie liebe, auch wenn sie ihm von Anfang an gesagt habe, dass sie lesbisch sei. Er habe ihr dann aber die Hände auf den Rücken gebunden, den Mund zugebunden und sie geschlagen. Als sie habe fliehen wollen, habe er ihr den Pass abgenommen, weil er Angst gehabt habe, dass sie Deutschland verlasse. Sie sei daraufhin ohne Reisepass davongelaufen und habe dann Woche für Woche bei verschiedenen Bekannten von Freunden übernachtet. Nach einiger Zeit habe sie erkannt, dass es so nicht weitergehe und einen Asylantrag gestellt. In Litauen habe ihr niemand etwas getan; sie könne aber nicht Litauisch und es gebe dort nur wenige Arbeitsplätze. Außerdem liebe sie Litauen nicht; sie sei nur nach Litauen gegangen, weil sie hierfür ein Visum bekommen habe. Sie habe eigentlich ein deutsches Visum gewollt, aber ihre einzige in Deutschland lebende Tante habe sie nicht unterstützt; sie habe Probleme mit ihrer Tante und deren Familie. Wegen der Vorfälle hier in Deutschland sei sie in Gesprächstherapie; Medikamente nehme sie nicht.
Die Antragstellerin legte einen litauischen Studentenausweis vor.
Auf ein Informationsersuchen des Bundesamtes nach erfolgloser Eurodac-Auskunft hin teilten die litauischen Behörden mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 mit, dass die Antragstellerin im Besitz eines vom 3. Februar 2018 bis zum 2. Februar 2019 gültigem litauischen Visums für Studierende sei. Die Antragstellerin sei am 6. Februar 2018 mit dem Flugzeug nach Litauen eingereist und habe nicht um internationalen Schutz nachgesucht. Am 5. November 2018 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen für die Antragstellerin an Litauen, das mit Schreiben vom 3. Januar 2019 die Rückübernahme zusicherte.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2019, der Antragstellerin zugestellt am 10. Januar 2019, lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung nach Litauen an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). In den Gründen ist ausgeführt, der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Litauen wegen des ausgestellten Visums nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig sei. Systemische Schwachstellen bestünden in Litauen nicht. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Bei etwaigen medizinischen Beschwerden – Atteste habe die Antragstellerin nicht vorgelegt – sei sie auf das litauische Gesundheitssystem zu verweisen. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate sei im vorliegenden Fall angemessen.
Am 10. Januar 2019 erhob die Antragstellerin Klage und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Januar 2019, Geschäftszeichen:, aufzuheben.
Darüber hinaus beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verwies die Antragstellerin auf ihren Asylantrag.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die am 18. Januar 2019 vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist unbegründet.
Gegenstand des nach § 34a Abs. 2 AsylG zulässigen Antrags ist die von der Antragstellerin begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 10. Januar 2019 gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 7. Januar 2019.
Der Antrag ist unbegründet, da das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurücktritt.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der im Zeitpunkt seiner Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) vorliegenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im vorläufigen Eilverfahren nur beschränkt möglichen Prüfung und nach derzeitigem Kenntnisstand wird die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage gegen die Abschiebungsanordnung voraussichtlich erfolglos sein. Denn die Klage ist voraussichtlich unbegründet.
1. Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend alle erfüllt.
2. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag der Antragstellerin ist voraussichtlich unzulässig, weil Litauen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist damit voraussichtlich rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 – Dublin III-VO).
a) Vorliegend ist davon auszugehen, dass Litauen im auch für die Anwendung der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 8) nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylgesuchs der Antragstellerin zuständig ist.
Die Antragstellerin ist im Besitz eines von Litauen ausgestellten Visums (Gültigkeitsdauer 3.2.2018 bis 2.2.2019). Besitzt ein Antragsteller ein gültiges Visum, so ist nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung erteilt wurde. Nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO verbleibt es bei der Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates, solange das Visum, aufgrund dessen der Antragsteller in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte, nicht mehr als sechs Monate abgelaufen ist. Der Begriff des Visums nach Art. 2 Buchst. m Dublin III-VO umfasst nicht nur durch den Visakodex harmonisierte Visa für den kurzfristigen Aufenthalt und den Flughafentransit, sondern auch nach nationalen Rechtsvorschriften erteilte Visa für den längerfristigen Aufenthalt (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-646/16 – NVwZ 2017, 1357/1358). Nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO kommt es für die Bestimmung des nach Kapitel III zuständigen Mitgliedstaates auf den Zeitpunkt der ersten Stellung eines Gesuchs auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat an, nicht hingegen auf die förmliche Asylantragstellung (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75 ff.). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin am 28. August 2018 ihr erstes Asylgesuch gestellt. Zu diesem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt war ihr Visum noch nicht abgelaufen.
b) Da das nicht auf einem Eurodac-Treffer basierende Wiederaufnahmegesuch vom 5. November 2018 binnen drei Monaten nach dem Asylgesuch der Antragstellerin (28.8.2018) gestellt wurde, ist auch die Frist nach Art. 21 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin III-VO gewahrt und kein Zuständigkeitswechsel nach Art. 21 Abs. 1 Uabs. 3 Dublin III-VO eingetreten. Dementsprechend hat Litauen mit Schreiben vom 3. Januar 2019 innerhalb von zwei Monaten seine Zustimmung zur Aufnahme der Antragstellerin erklärt (Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO).
c) Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen, worauf sich die Antragstellerin berufen könnte (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486/1487 f. Rn. 30, 40, 44 ff.). Vielmehr läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Litauen am 3. Januar 2019 ab Bestandskraft dieses Beschlusses über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage neu für sechs Monate an, da im vorliegenden Verfahren eine Überprüfung der Überstellungsentscheidung mit aufschiebender Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b Dublin III-VO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG erfolgt, in deren Anschluss die Überstellungsfrist neu zu laufen beginnt (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486 Rn. 27).
d) Gründe, von einer Überstellung nach Litauen nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCH ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht davon auszugehen, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt oder dass die Antragstellerin in Litauen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. dazu auch VG Ansbach, B.v. 11.4.2018 – AN 14 S 18.50048 – juris; B.v. 30.10.2017 – AN 14 S 17.51092 – juris; VG München, B.v. 14.7.2016 – M 7 S 16.50401, M 7 S 16.50403 – juris; VG Düsseldorf, B. v. 14.12.2015 – 22 L 3629/15.A – juris; B. v. 17.6.2015 – 13 L 1896/15.A – juris; VG Regensburg, B. v. 13.1.2015 – RO 9 S 14.50347 – juris; United States/US Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2017 – https://www.ecoi.net/de/dokument/1430320.html). Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Litauen gestellt haben, können dies nach ihrer Rückkehr tun. Dublin-Rückkehrer haben in Litauen ohne Unterschied dieselben Ansprüche betreffend Unterbringung und medizinische Versorgung wie andere Asylbewerber auch. Eine kostenlose medizinische Grundversorgung sowie soziale Leistungen in der Asylbewerberunterkunft werden gewährleistet; vulnerable Personen haben Zugang zu psychologischer Unterstützung. Die Unterbringungsbedingungen haben sich in den letzten Jahren sehr verbessert und werden als sehr gut beschrieben, auch wenn es Stimmen gibt, die die Unterkünfte für langfristige Unterbringung als ungeeignet empfinden und weitere Verbesserungen fordern. Asylbewerber erhalten ein Taggeld von zehn Euro im Monat; Nahrung und Hygieneartikel werden zur Verfügung gestellt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl v. 2.11.2018, S. 6 ff.). Danach verfügt Litauen unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass im litauischen Asylsystem systemische Schwächen vorliegen, die auf strukturellen Missständen beruhen, von den litauischen Behörden tatenlos hingenommen werden und zu massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen der Asylsuchenden führen würden. Die Antragstellerin hat keine systemischen Mängel im litauischen Asylsystem dargelegt, sondern maßgeblich auf Probleme in Deutschland wie einen gewalttätigen Bekannten und Probleme mit der Tante verwiesen. Das erkennende Gericht schließt sich der vorgenannten Rechtsprechung, insbesondere auch unter Bezugnahme auf die dort zitierten und ausgewerteten Erkenntnismittel an, die keine Hinweise auf systemische Mängel enthalten. Selbst wenn die sozialen und medizinischen Standards in Litauen niedriger sein sollten als in der Bundesrepublik, ist nichts dafür ersichtlich oder konkret vorgetragen, dass dort die Mindeststandards bei der Behandlung der Asylbewerber im Allgemeinen oder im konkreten Fall nicht einhalten würden. Insbesondere hat die Antragstellerin dort auch Zugang zu medizinischer Grundversorgung und psychologischer Unterstützung.
e) Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Insbesondere stellen die vorgetragenen Probleme mit einem in Deutschland lebenden bulgarischen Staatsangehörigen keine außergewöhnlichen humanitären Gründe dar. Die Antragstellerin ist insofern gehalten, sich an die deutschen bzw. litauischen Sicherheitsbehörden zu wenden.
3. Die Abschiebung der Antragstellerin nach Litauen kann voraussichtlich auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen. Ziffern 2 und 3 des Bescheids sind damit nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig.
Solche Abschiebungshindernisse sind ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist.
Soweit die volljährige Antragstellerin geltend macht, in der Bundesrepublik habe sie Verwandte (Tante), ist dies unionsrechtlich im Dublin-System irrelevant. Besondere persönliche Umstände, die befürchten ließen, dass der Antragstellerin bei der Durchführung ihres Asylverfahrens in Litauen erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen würden, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK befürchten ließen, sind insoweit nicht ersichtlich. Bei ihrer Tante – zu der sie keine gute Beziehung hat – handelt es sich insbesondere nicht um eine Familienangehörige i.S.d. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO.
Ebenso unerheblich ist im Rahmen des Dublin-Systems, dass die Antragstellerin ausweislich ihres Vortrags ihre Studien- und Erwerbsperspektiven in der Bundesrepublik besser einschätzt als in Litauen. Wirtschaftliche Gründe sind im Asylverfahren irrelevant.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald – wie hier – feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise bedarf es nicht (§ 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG).
4. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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