Europarecht

Zuwendungsrecht, Rücknahme eines Zuwendungsbescheids, Unternehmen in Schwierigkeiten, Unrichtige und unvollständige Angaben, Fehlende Anhörung

Aktenzeichen  M 31 K 20.6004

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20939
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
BV Art. 118 Abs. 1
BayVwVfG Art. 48
BayVwVfG Art. 49a
BayVwVfG Art. 46

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2021 trotz des Ausbleibens der Klägerin bzw. deren Vertreters entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist mit Verfügung vom 1. März 2021, ihr zugestellt am 3. März 2021, form- und fristgerecht geladen worden; sie wurde in der Ladung auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei Ausbleiben eines Beteiligten hingewiesen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Aufhebungsanspruch in Bezug auf den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 17. November 2020 (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Bescheid ist Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, weil der Zuwendungsbescheid vom 22. Juni 2020 – ausgehend vom Zeitpunkt seines Erlasses – rechtswidrig war. Die Klägerin durfte auch nicht in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes, der eine einmalige Geldleistung gewährte, vertrauen (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BayVwVfG). Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG wurde gewahrt; auf Rechtsfolgenseite ist die Ermessensbetätigung des Beklagten nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Bei der Nennung von Art. 49 BayVwVfG als Rechtsgrundlage im streitgegenständlichen Bescheid handelt es sich offensichtlich um einen bloßen Tippfehler, gemeint ist ersichtlich Art. 48 BayVwVfG. Art. 49 BayVwVfG enthielte die im Bescheid zitierten Absätze und Sätze der Vorschrift nicht und im Übrigen ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass der Beklagte zutreffend von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ausgeht und nicht der Rechtmäßigkeit, wie es bei der Anwendung von Art. 49 BayVwVfG inmitten stünde.
2. Zwar bestehen Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Ver waltungsakts, die hier jedoch jedenfalls nicht zu einer Aufhebung führen. Nach Aktenlage wurde die Klägerin vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nicht gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Diesen Umstand räumte auch der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ein. Allerdings erweist dich der streitbefangene Bescheid gemäß Art. 46 BayVwVfG nicht als angreifbar verfahrensfehlerhaft.
2.1 Offen bleiben kann dabei, inwieweit möglicherweise noch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eine Heilung dieses Formfehlers eingetreten ist. Gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Zwar ist eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. Angesichts dessen, dass im Grundsatz eine mindestens aus zwei eigenständigen Schritten bestehende behördliche Verfahrenshandlung nachzuholen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur allerdings wohl überwiegend angenommen, dass jedenfalls eine gleichsam automatische Heilung durch den Austausch von Argumenten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens für eine Nachholung nicht ausreichend ist (vgl. nur etwa Emmenegger, in: NK- VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 45 Rn. 113 m.w.N.). Soweit der Anzuhörende im gerichtlichen Verfahren von sich aus umfangreich vorträgt, kann gegebenenfalls auf ein gesondertes Anhörungsschreiben verzichtet werden. In jedem Fall muss die Behörde indes ihre Entscheidungsoffenheit klar und eindeutig zum Ausdruck bringen; keinesfalls darf sie sich auf die bloße Verteidigung ihres Verwaltungsakts beschränken. Entscheidend ist insoweit die materielle Gleichwertigkeit mit einer Anhörung im gesonderten Verfahren (Emmenegger, in: NK-VwVfG, a.a.O.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 87).
Im vorliegenden Fall fehlt es nicht an einem umfangreichen Vortrag der Klägerin im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens. In seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2020 zeigt der Beklagte zudem, dass er sich mit dem klägerischen Vorbringen eingehend auseinandergesetzt hat. Denn er beschränkt sich nicht nur darauf, den angegriffenen Bescheid zu verteidigen, sondern zieht, ausgehend vom Vorbringen der Klägerin, auch weitere, im Bescheid noch nicht berücksichtigte Aspekte des Falles in Betracht, namentlich die Frage eines außerbayerischen Sitzes der Klägerin und den Umstand, dass möglicherweise verbundene Unternehmen vorliegen könnten. Diese Aspekte würden freilich die behördliche Entscheidung eher zulasten der Klägerin noch stützen. Gleichwohl dürfte darin eine entscheidungsoffene Bewertung des Vorgetragenen zu sehen sein, so dass hier durchaus eine Heilung des Formfehlers anzunehmen sein dürfte.
2.2 Die Frage einer Heilung der fehlenden Anhörung kann indes hier dahinstehen, da die Klägerin jedenfalls gemäß Art. 46 BayVwVfG eine Aufhebung des Verwaltungsakts aus diesem Grund nicht beanspruchen kann. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften unter anderem über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So liegt der Fall hier. Das Gericht kann zweifelsfrei davon ausgehen, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler – hier die fehlende Anhörung – nicht anders ausgefallen wäre (vgl. etwa BVerwG, U.v. 28.6.2018 – 2 C 14/17 – juris Rn. 32; zum Ganzen statt vieler Emmenegger, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 46 Rn. 65).
Dies folgt zunächst daraus, dass vorliegend ein Fall eines sogenannten intendierten Ermessens vorliegt und somit die behördliche Entscheidung bereits weitestgehend durch die gesetzliche Regelung determiniert ist. Nach dem hier einschlägigen Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG wird in den Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. In einem solchen Fall entfällt sodann nicht nur die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, sondern es greift zudem auch eine entsprechende Ermessenslenkung im Sinne einer regelmäßigen behördlichen Pflicht zur Rücknahme ein. Anders wäre es nur bei einem atypischen Ausnahmefall (vgl. statt vieler Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 48 Rn. 127b und 127c; im Zusammenhang des Zuwendungsrechts jüngst etwa VG München, U.v. 16.2.2021 – M 31 K 20.5502 – juris Rn. 35; VG Düsseldorf, U.v. 14.12.2020 – 20 K 4706/20 – juris Rn. 51 ff.), für dessen Vorliegen vorliegend allerdings nichts ersichtlich ist. Demnach ist hier bereits der Bereich der „administrativen Letztentscheidungsmacht“ (Emmenegger, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 46 Rn. 65 ff.) unter diesem Gesichtspunkt eingeschränkt und es erscheint eine abweichende Entscheidung schon aus diesem Grund kaum möglich.
Eine weitere Einschränkung folgt aus dem Charakter des inmitten stehenden Verfahrens. Bei der im Rahmen der Prüfung des Art. 46 BayVwVfG erforderlichen (hypothetischen) Betrachtung der behördlichen Entscheidung ohne den jeweiligen Verfahrensfehler ist es zwar grundsätzlich nur begrenzt relevant, wie die jeweilige Behörde – insbesondere im Nachhinein – ihre Entscheidungspraxis darstellt. Allerdings kann, letztlich unter dem Gesichtspunkt einer Selbstbindung der Verwaltung, die behördliche Praxis in verfahrensfehlerfrei abgewickelten Parallelfällen zu berücksichtigen sein (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 46 Rn. 82). Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass im Rahmen des hier vorliegenden Massenverfahrens in der Verwaltungspraxis bei – wie hier – fehlender Antragsberechtigung insbesondere eines Unternehmens in Schwierigkeiten regelmäßig eine Rückforderung der ausgezahlten Soforthilfe erfolge. Dies ist nachvollziehbar und entspricht auch dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit der Haushaltsführung (Art. 7 Abs. 1 BayHO).
Vor diesem Hintergrund erscheint es insgesamt ausgeschlossen, dass in einem Fall fehlender Förderantragsberechtigung, der im Übrigen hier zusätzlich durch unrichtige Angaben im Antrag gekennzeichnet ist, auch bei durchgeführter Anhörung eine abweichende Rücknahme- und Rückforderungsentscheidung durch den Beklagten getroffen worden wäre. Die Aufhebung des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes kann daher selbst bei Vorliegen eines Anhörungsmangels nicht beansprucht werden.
3. An der materiellen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Rücknahmebe scheides bestehen keine Zweifel. Nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Sofern es sich – wie hier – um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, ist bei der Rücknahme die Vertrauensschutzregelung des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG zu berücksichtigen. Ein Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG). Das Vertrauen ist dabei in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht und eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Auf Vertrauen kann sich der Betroffene nicht berufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 BayVwVfG vorliegen, insbesondere wenn der begünstigte Verwaltungsakt durch im Wesentlichen unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt wurde (Nr. 2) oder der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG).
3.1 Der die Corona-Soforthilfe i.H.v. 4.051 EUR gewährende Bescheid vom 22. Juni 2020 war rechtswidrig, da der Klägerin insbesondere die entsprechende Antragsberechtigung für das Zuwendungsverfahren fehlte.
Bei Zuwendungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige Maßnahmen des Beklagten. Eine Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung der beantragten Zuwendung begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Zuwendung auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis.
Sind die Fördervoraussetzungen – wie hier – zulässigerweise in Richtlinien geregelt, müssen diese von der zuständigen Bewilligungsbehörde gleichmäßig angewendet werden. Die Verwaltungsgerichte haben sich auf die Prüfung zu beschränken, ob bei der Anwendung der jeweiligen Richtlinie im Einzelfall der Gleichheitssatz verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung im zugrunde liegenden Haushaltsgesetz/Haushaltsplan gezogen ist, nicht beachtet worden ist. Entscheidend ist allein, wie die zuständige Behörde die Richtlinie im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) gebunden ist. Dabei darf eine solche Richtlinie nicht – wie Gesetze oder Rechtsverordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dient nur dazu, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (BVerwG, U.v. 16.6.2015 – 10 C 15.14 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris Rn. 6; U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 26; VG München. U.v. 27.1.2020 – 31 K 19.4697 – juris Rn. 22). Bei der rechtlichen Beurteilung staatlicher Fördermaßnahmen, die – wie hier – nicht auf Rechtsnormen, sondern lediglich auf Verwaltungsvorschriften beruhen, kommt es nicht auf eine objektive Auslegung der Richtlinien an, sondern nur darauf, wie die entsprechenden Vorgaben von der zuständigen Stelle tatsächlich verstanden und praktiziert worden sind. Insoweit hat sie auch die Interpretationshoheit über die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften, sodass es allein darauf ankommt, wie die Förderrichtlinien als administrative Binnenvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger behördlicher Praxis gehandhabt wurden (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2020 aaO juris Rn. 10; zusammenfassend auch VG München, U.v. 16.2.2021 – M 31 K 20.5502 – juris Rn. 22). Nur entsprechend den vorgenannten Grundsätzen kann ein Anspruch auf Förderung im Einzelfall bestehen.
Der Zuwendungsbescheid war rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der Soforthilfe zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides am 22. Juni 2020 nicht vorlagen. Antragsberechtigt sind nach Nr. 2.3 der Richtlinien zu den Corona-Soforthilfen, die in der Verwaltungspraxis des Beklagten auch entsprechend angewendet und umgesetzt wird, nur Unternehmen, die nicht bereits am 31. Dezember 2019 gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren.
Der Begriff des „Unternehmens“ im Sinne der Nr. 2.3 der Richtlinien umfasst nicht nur juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften, sondern jede Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (Art. 1, Anhang I zur Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung). Als – nach den Angaben im Antrag vom 31. Mai 2020 – Einzelunternehmer übt die Klägerin eine solche wirtschaftliche Tätigkeit aus.
Ihre Antragsberechtigung fehlte nach Nr. 2.3 der Richtlinien zu den Corona-Soforthilfen, weil sie sich bereits am 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach Art. 2 Nr. 18 Buchst. c) der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung befunden hat. Danach ist ein Unternehmen in Schwierigkeit, das die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger erfüllt. Dies trifft auf die Klägerin zu. Nach § 17 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) ist allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren die Zahlungsunfähigkeit. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (Satz 2). Voraussetzung der Zahlungseinstellung ist ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 14.12.2020 – 20 K 4706/20 – juris Rn. 34). Nach den durch das Finanzamt … dem Beklagten am 15. Juli 2020 mitgeteilten Umständen, wonach im Fall der Klägerin bzw. des Einzelunternehmers bereits vor dem 31. Dezember 2019 nicht unerhebliche rückständige Betriebssteuern bestanden, Einzelvollstreckungsmaßnahmen erfolglos verlaufen seien, eine fruchtlose Pfändung vorliege und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erfolgt sei, konnte der Beklagte von einer Zahlungsunfähigkeit im ausgeführten Sinne und im relevanten Zeitpunkt ausgehen.
Nicht zu beanstanden ist es in diesem Zusammenhang, dass der Beklagte diese Fest stellung auf die gemäß §§ 30 Abs. 4 Nr. 2, 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) Abgabenordnung (AO) mögliche Mitteilung des Finanzamts stützt und auf dieser Grundlage von einem Unternehmen in Schwierigkeiten und dementsprechend einer fehlenden Antragsberechtigung ausgeht. Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung die Zuwendungspraxis in dieser Weise dargelegt und bestätigt. Aufgrund des freiwilligen Charakters der Förderung und dem weiten Ermessen des Förderungsgebers bei der Aufstellung von Förderrichtlinien müssen diese, wie ausgeführt, von der zuständigen Bewilligungsbehörde gleichmäßig (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV), im Einklang mit Art. 23 und 44 BayHO, ohne Verstoß gegen andere Rechtsvorschriften und gemäß dem Förderzweck angewendet werden, wie dieser in den selbst gegebenen Richtlinien zum Ausdruck kommt. Vorstehende Grundsätze sind dabei konsequenterweise nicht allein für die Gewährung einer Förderung an sich, sondern gleichermaßen für die Durchführung des der Förderung vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens einschließlich der Art der Antragstellung entsprechend heranzuziehen (VG Würzburg, B.v. 13.7.2020 – W 8 E 20.815 – juris Rn. 28). Ausgehend hiervon begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Beklagte bei der Prüfung wesentlicher Antragsvoraussetzungen lediglich von Angaben der Antragsteller und – wie hier relevant – Informationen anderer Behörden ausgeht. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Zuwendungsgeber nur eine dergestalt formalisiertes Verfahren vorsieht, da hierfür sachliche Gründe gegeben sind. In Massenverfahren wie dem Vorliegenden kann insbesondere unter Beschleunigungs- und Effektivitätsgesichtspunkten ein Zuwendungsgeber das Verfahren so ausgestalten, dass die Entscheidungsfindung über den Antrag nur nach bestimmten standardisierten und formalisierten Abläufen erfolgt. Dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Effektivitäts- und Zügigkeitsgebot (Art. 10 Satz 2 BayVwVfG) kommt bei der administrativen Bewältigung des erheblichen Förderantragsaufkommens im Zusammenhang der Corona-Soforthilfe besondere Bedeutung zu; dies gerade auch deswegen, um den Antragstellern möglichst schnell Rechtssicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten ihrer Anträge und damit über die (Nicht-) Gewährung der Soforthilfe geben zu können (vgl. VG München, U.v. 17.2.2021 – M 31 K 20.4944 – juris Rn. 30; B.v. 25.6.2020 – M 31 K 20.2261 – juris Rn. 18; VG Düsseldorf, U.v. 14.12.2020 – 20 K 4706/20 – juris Rn. 48). Vor diesem Hintergrund führt es nicht weiter, wenn die Klägerin das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit schriftsätzlich ohne weitere Erläuterung schlicht in Abrede stellt. Abgesehen davon, dass diese nicht weiter substantiierte Einlassung bereits als solche kaum geeignet ist, die dezidierte finanzbehördliche Auskunft in Frage zu stellen, kann der Beklagte nach – wie dargelegt – nicht zu beanstandender Zuwendungspraxis auf die Informationen anderer Behörden abstellen, ohne diese zusätzlich verifizieren zu müssen. Dies gilt im Übrigen insbesondere für Auskünfte von Fachbehörden wie hier der Finanzbehörden, die gerade den entsprechenden behördlichen Aufgabenbereich berühren (vgl. insbesondere § 31a Abs. 2 Satz 1 AO).
Damit war der Bescheid über die Gewährung der Corona-Soforthilfe vom 22. Juni 2020 rechtswidrig.
3.2 Der rechtswidrige Zuwendungsbescheid konnte auch ohne Verstoß gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BayVwVfG) vom Beklagten zurückgenommen werden. Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie die Zuwendung durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG). Sie hat mit Antragstellung erklärt, der sie am 31. Dezember 2019 kein Unternehmen in Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung war. Jedenfalls diese Erklärung ist unrichtig, da sie – wie dargelegt – nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt. Ob der Klägerin bei der Abgabe der entsprechenden Erklärung gegebenenfalls nicht bewusst gewesen sein mag, dass sie nicht anspruchsberechtigt war, kann dahinstehen, weil ein Verschulden für die Anwendung des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG nicht erforderlich ist und die bloße Verursachung der Rechtswidrigkeit durch den Antragsteller für den Ausschluss von Vertrauensschutz nach dieser Vorschrift genügt (vgl. statt vieler aktuell VG Düsseldorf, U.v. 14.12.2020 – 20 K 4706/20 – juris Rn. 44 m.w.N.).
Die Klägerin bestätigte in dem Antragsformular weiterhin, dass sie die Bedingungen gelesen und akzeptiert habe. Daher greift neben Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG auch Nr. 3 der Vorschrift ein. Danach kann sich der Begünstigte auf ein schutzwürdiges Vertrauen nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Auch unabhängig davon ist das Vertrauen der Klägerin nicht schutzwürdig, selbst wenn sie die Fördermittel bei ihrer Vermögensdisposition miteinbezogen hat (vgl. Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Maßgeblich zu berücksichtigen ist insofern, dass es primär im Verantwortungsbereich der Klägerin lag, zu eruieren, ob sie Antragsberechtigter für die Gewährung des beantragten Billigkeitszuschusses war. Dabei hat sie im konkreten Einzelfall nicht das zu fordernde Maß an Sorgfalt walten lassen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Soforthilfe hier aufgrund der pandemiebedingten Sondersituation unbürokratisch größtenteils allein auf der Grundlage von Versicherungen und Erklärungen des Antragstellers ohne jegliche Überprüfung dieser Angaben vor Erlass des Zuschussbescheides gewährt wurde, kam der Antragstellerin eine besondere Verantwortung für die eigenen Angaben zu. Es fällt in den Verantwortungsbereich der Antragstellerin zu eruieren, ob sie Antragsberechtigte für die Gewährung des beantragten Billigkeitszuschusses war (VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 48). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang umfangreich zu den aus ihrer Sicht bestehenden Unzulänglichkeiten und Problemen der elektronischen Antragstellung vorträgt, ergibt sich daraus nichts Entscheidendes für die hier allein relevante Frage, inwieweit sie ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der Richtlinien zu den Corona-Soforthilfen darstellt. Alle – durchaus denkbaren – Herausforderungen und Komplexitäten bei der Beantragung im Rahmen länderübergreifender Firmenverbünde ändern nichts daran, dass der jeweilige Antragsteller nach den eindeutigen Vorgaben des Antragsformulars, der Richtlinien und ihres Vollzugs nicht antragsberechtigt ist, wenn es sich um ein Unternehmen im Schwierigkeiten handelt.
3.3 Der Beklagte hat schließlich auch ermessensfehlerfrei von seiner Rücknahmebefugnis Gebrauch gemacht. Das Gericht hat insoweit nur zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Die im Bescheid angeführten Erwägungen der Regierung von Oberbayern sind sonach nicht zu beanstanden. Sie hat bei der Entscheidung über die Rücknahme des Zuwendungsbescheids insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass die Bewilligung durch falsche Angaben bewirkt wurde.
Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG wird in den Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. In einem solchen Fall entfällt sodann nicht nur die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, sondern es greift zudem auch eine entsprechende Ermessenslenkung im Sinne einer regelmäßigen behördlichen Pflicht zur Rücknahme ein. Anders wäre es nur bei einem atypischen Ausnahmefall (vgl. statt vieler Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 48 Rn. 127b und 127c; vgl. auch VG München, U.v. 16.2.2021 – M 31 K 20.5502 – juris Rn. 35), für dessen Vorliegen vorliegend allerdings nichts ersichtlich ist. Diese Vorgehensweise entspricht nach den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung auch der geübten Verwaltungspraxis des Beklagten im Vollzug der Richtlinien zu den Corona-Soforthilfen und genügt auch insoweit dem Gleichheitssatz.
4. Die Rückforderung der gezahlten Corona-Soforthilfe in der geltend gemachten Höhe ist auf Grundlage von Art. 49a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ebenfalls rechtmäßig. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit – wie hier – ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Die zu erstattende Leistung ist gemäß Art. 49a Abs. 1 Satz 2 BaVwVfG durch schriftlichen Verwaltungsakt festgesetzt.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben