Europarecht

Zweitantrag nach unanfechtbarem Abschluss eines Asylverfahrens in Griechenland

Aktenzeichen  M 1 K 17.45146

Datum:
2.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36994
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a

 

Leitsatz

1 § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus, dh der Asylantrag ist entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden (BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist unzulässig, soweit über die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides hinaus im Wege der Verpflichtungsklage auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes und weiter die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten begehrt wird. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete – Ausgestaltung des Asylverfahrens einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, entgegen steht (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 16f.; BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – DVBl 1995, 857). Im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde damit bislang nicht geprüft worden. In dieser Situation ist die Klage lediglich als Anfechtungsklage gegen den Bundesamtsbescheid mit der Folge statthaft, dass bei Stattgabe in Deutschland ein Asylverfahren durchzuführen ist. Ein darüber hinausgehender Verpflichtungsantrag ist hingegen nicht statthaft.
2. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29) setzt die Annahme eines erfolglosen Abschlusses des im sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Hierbei muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29) setzt die Annahme eines erfolglosen Abschlusses des im sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen.
Eine solche rechtskräftige negative Entscheidung in der Sache liegt hier vor. Es befindet sich eine Mitteilung Griechenlands vom 31. August 2016 in der Behördenakte, wonach der Kläger am 8. August 2014 in Griechenland internationalen Schutz beantragt habe. Der Antrag ist am 18. Dezember 2014 nach inhaltlicher Prüfung abgelehnt worden. Der Kläger hat Griechenland nach der negativen Entscheidung des Asylgerichtshofs verlassen. Damit ist der negative Ausgang des Verfahrens in Griechenland belegt.
Es bestehen auch keine Zweifel daran, ob die griechischen Entscheidungen im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt sind. So ist Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Union als sicherer Drittstaat anzusehen (§ 26a Abs. 2 AsylG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG). Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.05.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte entspricht. Damit ist grundsätzlich eine Überstellung in jeden Mitgliedsstaat möglich und kommt nur dann nicht in Betracht, wenn Anhaltspunkte für systemische Mängel vorliegen, die den Kläger der Gefahr aussetzen, bei einer Abschiebung im Zielstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgeliefert zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). Die Vermutung, dass ein Asylbewerber in dem Aufnahmeland entgegen den oben zitierten Regelwerken behandelt wird bzw. im vorliegenden Verfahren behandelt wurde, ist allerdings nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der Mitgliedsstaaten widerlegt, da an die Feststellung systemischer Mängel hohe Anforderungen zu stellen sind. Es genügt nicht jede (drohende) Rechtsverletzung, um die Überstellung zu vereiteln. „Systemisch“ sind nur solche Mängel, die strukturell im System angelegt sind, also den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern wegen ihrer Regelhaftigkeit verlässlich treffen werden. Die Widerlegung der Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt daher voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Hiervon muss sich das Gericht die volle Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris).
Nur sofern also das Gericht die volle Überzeugungsgewissheit hat, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt und das in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführte Asylverfahren systemischen Mängel unterliegt, ist in Auslegung des § 71a AsylG davon auszugehen, dass kein Zweitantrag vorliegt (vgl. VG München, B.v. 4.7.2017 – M 7 S 17.30489; U.v. 26.10.2016 – M 17 K 15.31601 – juris Rn. 39; VG Hannover, B.v. 19.1.2017 – 11 B 460/17 – juris Rn. 9; VG Aachen, B.v. 4.8.2015 – 8 L 171/15.A – juris Rn. 9 ff.).
Vorliegend ist nicht davon auszugehen, dass das vom Kläger in Griechenland durchlaufene Asylverfahren im Ergebnis systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen.
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR – in seiner Entscheidung vom 21. Januar 2011 beachtliche strukturelle Defizite in der Prüfung der Asylanträge durch die griechischen Behörden festgestellt (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S. v. Belgium and Greece, juris Rn. 300, 321, 358). Mit Bezug auf diese Entscheidung hat auch der Europäische Gerichtshof – EuGH – in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2011 ausgeführt, dass das Asylverfahren in Griechenland systemische Unzulänglichkeiten aufweist; eine gewissenhafte Prüfung des Asylantrags durch die griechische Behörde sei in keiner Weise gewährleistet (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 -, juris Rn. 88). Die strukturellen Mängel im Asylverfahren hat der EGMR unter anderem darauf gestützt, dass Polizeibeamte für die Durchführung der Anhörungen und der Entscheidung über die Asylanträge zuständig seien. Diese Entscheider verfügten nur über eine unzureichende Ausbildung. Fast alle erstinstanzlichen Entscheidungen über Asylbegehren seien negativ und in einer stereotypen Art und Weise verfasst (EGMR, a.a.O., juris Rn. 181, 185, 301, 302). Damit sei das Rechtsbehelfssystem in der Praxis zumindest im Zeitpunkt der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als uneffektiv anzusehen. Damit hat der EGMR seine Rechtsprechung wesentlich auf Mängel im Asylverwaltungsverfahren gestützt, nicht aber allgemein auf die Aufnahmebedingungen in Griechenland.
Es ist zur Überzeugung des Gerichts an dieser Beurteilung nach der nunmehr über Jahre gefestigten Umstellung und Effektivierung des Asylsystems in Griechenland seit Juni 2013 unter Berücksichtigung des vorliegend maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts für den Kläger kein derartiger Mangel erkennbar, welcher dem in Griechenland nachweisbar abgeschlossenen Asylverfahren die Eigenschaft als Erstverfahren nehmen könnte.
In Griechenland wurde im Jahr 2011 ein neues Gesetz zur Reformierung des Asylsystems verabschiedet. Auch wenn aufgrund von Verzögerungen bei der Einrichtung der neuen Asylbehörde vor dem 7. Juni 2013 gestellte Asylanträge noch nach dem alten Verfahrensrecht behandelt wurden, das Asylsystem also erst seit dem 7. Juni 2013 umgestellt ist (National Country Report Greece der Asylum Information Database vom 1. Dezember 2013, S. 11-12), fiel der vom Kläger am 8. August 2014 gestellte und am 18. Dezember 2014 abgelehnte griechische Asylantrag bereits in das neue Verfahrensrecht.
Die Ablehnung des Zweitantrages des Klägers als unzulässig ist auch materiell-rechtlich in rechtmäßiger Weise erfolgt. Sie beruht auf § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 2 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG. Der Kläger hat insbesondere keine der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG abschließend genannten Gründe für ein Wiederaufgreifen dargetan.
Dies hätte vorausgesetzt, dass sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG beginnt die Frist mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Bei Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG, dessen Argumentation das Gericht folgt. Hervorzuheben ist, dass der Kläger keinen neuen Sachverhalt oder eine neue Rechtslage vortrug, die eine Änderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zur Folge hätte. Er hat sich vielmehr weiterhin darauf bezogen, dass er aus finanziellen Gründen Pakistan verlassen habe.
Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO.


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