Familienrecht

Amtsermittlungspflicht zum Flüchtlingsstatus und zur Unerreichbarkeit der Kindseltern

Aktenzeichen  7 UF 27/22

Datum:
10.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 14016
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 1674
FamFG 26, 159 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Mündel muss persönlich angehört werden (). Das Alter und ggfs. der Flüchtlingsstatus sind von Amts wegen umfassend aufzuklären. Sollte die notwendige Aufklärung mit sonstigen Mitteln nicht möglich sein, so kommt ein forensisches Gutachten in Betracht.
2. Es ist auch zu prüfen, ob die Eltern des Mündels in Syrien tatsächlich nicht erreichbar sind. Insoweit sind Feststellungen zu treffen, ob das Sorgerecht im konkreten Einzelfall gleichwohl unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel möglich ist oder ob die tatsächlichen konkreten Hindernisse eine Kommunikation der Eltern für Sorgerechtsentscheidungen unmöglich machen. Auf die dem Amtsgericht bekannten anderen Fälle kommt es dabei nicht an, sondern auf die tatsächliche konkrete Kommunikationsmöglichkeit der Eltern im konkreten Einzelfall.

Verfahrensgang

2 F 2116/21 2021-02-28 Bes AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Würzburg vom 28.12.2021 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Mit Antrag zur Niederschrift beim Rechtspfleger des Amtsgerichts Würzburg vom 27.12.2021 beantragte der Antragsteller B. für das Kind (im Folgenden Mündel) B. die Anordnung der gerichtlichen Vormundschaft. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Eltern sich in Syrien aufhalten würden. Der genaue Aufenthaltsort sei unbekannt, sie würden aber in einem Dorf in der Nähe von A. wohnen. Aufgrund der dortigen Verhältnisse müsste auch immer wieder der Aufenthaltsort gewechselt werden. Das Kind B. sei am 16.12.2021 nach Deutschland eingereist und wohne seitdem beim Antragsteller. Mit den Eltern könne per Handy fernmündlich Kontakt aufgenommen werden. Die Eltern hätten den Antragsteller gebeten, dass er sich um das Kind kümmere, bis sie selbst wieder für es sorgen könnten. Es seien auch zahlreiche Angelegenheiten zu regeln. So sei ein Asylantrag zu stellen und der Schulbesuch zu organisieren.
Der Antragsteller legte Kontaktmöglichkeiten zur Sachbearbeiterin des Jugendamtes der Stadt Würzburg und eine Anlaufbescheinigung der Polizeiinspektion Würzburg Stadt vom 20.12.2021 vor, welche ein schwarz/weiß Lichtbild des Kindes und die Feststellung: „Geburtsdatum/-ort: … A./Syrien“ enthält. Ein in Übersetzung zugleich vorgelegter Auszug aus dem Personenstandsregister des Standesamtes Syrien vom 30.11.2021 wiederholt dieses Geburtsdatum (Bl. 4 d. A.).
Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 28.12.2021 wurde folgende Entscheidung getroffen:
1. Die Anordnung der Vormundschaft für B., geb. … wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Zur Begründung führt das Amtsgericht Würzburg aus, dass die Angaben im Antrag nicht der Wahrheit entsprechen können. Ausweislich des mit dem Antrag vorgelegten Bildes stehe fest, dass das angegebene Geburtsdatum niemals stimmen könne. Bereits das vorhandene Bild ließe ohne weitere Nachermittlungen erkennen, dass das Kind deutlich älter als 11 Jahre sei. Nach der Erfahrung und Einschätzung des Gerichts sei dieser 18 Jahre oder sogar deutlich über 20 Jahre alt. Es komme daher eine Minderjährigkeit und damit der Wegfall der elterlichen Sorge nicht in Betracht. Zudem seien die Eltern erreichbar. Die Adresse der Eltern sei wohl deshalb nicht bekannt gegeben worden, da falsche Angaben zur Person des Kindes gemacht werden sollten. Anders wäre dies nicht erklärlich. Es sei dem Amtsgericht bekannt, dass Personen in Syrien stets erreichbar seien.
Gegen diese ihm am 30.12.2021 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 27.01.2022, eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tag, Beschwerde ein.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung angeregt werde. Zwar sei das Geburtsdatum tatsächlich nicht korrekt, da es sich bei dem Datum um den Zeitpunkt der Eintragung des Mündels in das syrische Personenstandsregister handle. Hierbei sei es zu einer Fehleintragung gekommen. Nach der Erinnerung der Mutter des Mündels sei der Mündel im Januar … geboren. Dies mache die Mutter auch deshalb erinnerlich fest, da im selben Jahr der Onkel der Mutter, Herr C., gestorben sei. Diesen Eintragungsfehler hätte die Familie erst später bemerkt, eine Korrektur hätte aber ca. 1.000,00 Euro gekostet, dieses Geld habe die Familie nicht zur Verfügung. Es könne zwar durchaus zutreffen, dass das Mündel älter aussehe als es dem tatsächlichen Geburtsdatum entsprechen würde. Das Mündel nehme seit 1,5 Jahren einmal monatlich eine Hormonspritze ein, um das Wachstum zu fördern. Zwar könne das Mündel seine Eltern telefonisch erreichen, dies würde aber für Sorgerechtsentscheidungen in Deutschland nichts helfen. In vielen Fällen sei zumindest eine persönliche Vorsprache nötig. Auch sei eine Kommunikation – auch über digitale Medien – nicht möglich und scheitere auch an der fehlenden Sprach- und Rechtskenntnis der Eltern. Eine Einholung eines Gutachtens zur Altersbestimmung in Eigeninitiative sei nicht möglich, da die Rechtsmedizin einen „privaten“ Antrag nicht zulasse. Im Übrigen wäre hierfür auch die Einwilligung der Eltern erforderlich, was nicht möglich sei. Es werde daher angeregt, dass Mündel persönlich in Augenschein zu nehmen und eine ärztliche Klärung zu veranlassen. Der Vergleich eines Geburtsdatums mit einer Fotografie auf einer Anlaufbescheinigung reiche hier nicht aus, um eine Altersbestimmung durch das Gericht zu ermöglichen.
Die übrigen Beteiligten hatten rechtliches Gehör. Eine weitere Stellungnahme ist nicht eingegangen.
II.
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Würzburg vom 28.12.2021 ist begründet und führt zur Aufhebung der getroffenen Entscheidung.
Der Antragsteller ist nach § 59 FamFG zur Beschwerde berechtigt. Beschwerdeberechtigt sind alle, die ein berechtigtes Interesse haben, „diese Angelegenheit wahrzunehmen“, d. h., um das persönliche Wohl des Kindes besorgt zu sein (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Januar 2004 – 1 UF 134/03 -, Rn. 24, juris).
Das Verfahren wird nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Bislang hat das Familiengericht in der Sache noch nicht entschieden.
Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht abgesehen, weil dadurch für die im Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).
1) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt im vorliegenden Fall aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 (Brüssel IIa-VO). Diese Verordnung ist stets anwendbar, wenn das betreffende Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, vgl. Art. 61 lit. a Brüssel IIa-VO (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris).
Der Betroffene kam am … als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung ist von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland auszugehen.
Für die internationale Zuständigkeit ist vorliegend unerheblich, dass die Minderjährigkeit des Betroffenen zweifelhaft ist. Im Hinblick darauf, dass die Frage der Minderjährigkeit gleichzeitig notwendige Voraussetzung der von ihm begehrten Anordnung einer Vormundschaft ist und es sich somit um eine sogenannte doppelrelevante Tatsache handelt, die sowohl die Zuständigkeit wie auch den verfolgten Anspruch begründet, ist für die Zuständigkeitsfrage die Richtigkeit des Vortrags des Rechtsuchenden zu unterstellen (BGH vom 27.10.2009 – VIII ZB 42/05, NJW 2010, 873, juris Rn. 14 ff.).
In der Sache ist gemäß Art. 15 Abs. 1 Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ) deutsches Recht anwendbar. Nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ gilt das lex fori-Prinzip. Ist die Zuständigkeit eines Vertragsstaates begründet, wendet dieser sein eigenes Recht an. Dabei ist unerheblich, ob das betreffende Kind Angehöriger eines Vertragsstaates oder eines Drittstaates ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris). Die Kollisionsnormen des KSÜ bestimmen auch dann das maßgebliche Recht, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus der vorrangigen Brüssel-IIa-VO ergibt. Dies gilt jedenfalls, wenn eine Zuständigkeit (auch) aus den Artikel 5 ff. KSÜ – bei einer fiktiven Anwendung – begründet wäre (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris).
2) Vorliegend ist § 1674 Abs. 1 BGB anwendbar. Nach dieser Bestimmung ruht die elterliche Sorge eines Elternteils für ein minderjähriges Kind, wenn das Familiengericht feststellt, dass ein Elternteil auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben kann.
Von der internationalen Zuständigkeit zu unterscheiden ist allerdings die vorgelagerte Frage, ob der Betroffene überhaupt noch als Minderjähriger anzusehen ist und deshalb der Ausübung der elterlichen Sorge bedarf.
Insofern unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Geschäftsfähigkeit dem Recht des Staates, dem eine Person angehört, hier also dem Recht der Arabischen Republik Syrien. Dieses Heimatrecht entscheidet grundsätzlich auch darüber, wann die Volljährigkeit dieser Person eintritt. Die Regelung in Art. 7 EGBGB wird allerdings durch Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – verdrängt (BGH FamRZ 2018, 457 – Rdnr. 23), nach dem sich das Personalstatut eines Flüchtlings nach dem Recht des Landes seines Wohnsitzes oder seines Aufenthaltslandes richtet, hier also nach deutschem Recht. Die Anwendbarkeit der vorrangigen Bestimmung des Art. 12 GFK setzt aber voraus, dass die betroffene Person als Flüchtling nach Art. 1 Abschnitt A Abs. 2 GFK i.V.m. dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293, 1294) anzusehen ist (vgl. auch § 3 Abs. 1 AsylG). Zureichende Feststellungen zur Anwendbarkeit von § 12 Abs. 1 GFK im vorliegenden Fall lassen sich ohne weitere Nachforschungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen nicht treffen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 06. Mai 2020 – 9 UF 226/19 -, Rn. 14 – 15, juris).
Die Volljährigkeit tritt auch nach syrischen Recht mit Erreichen des 18. Lebensjahres ein (Art. 162 Gesetz über das Personalstatut (PG) v 17.9.1953 idF v 31.12.1975, Staudinger (2019) Anhang zu Artikel 7 EGBGB Länderübersicht zu Volljährigkeit, beschränkter bzw Teil-Geschäftsfähigkeit und vorzeitiger Mündigkeit, Rn. 4), so dass es für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nicht darauf ankommt, ob sich das Alter der Volljährigkeit nach deutschem oder syrischen Recht richtet.
Nach § 151 Abs. 1 Nr. 4 FamFG in Verbindung mit § 26 FamFG hat sich das Gericht grundsätzlich unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten weitestmöglich Gewissheit über das tatsächliche Alter des Betroffenen zu verschaffen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris). Lassen sich danach gleichwohl Zweifel an der Volljährigkeit nicht ausräumen, ist grundsätzlich zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen (BGH vom 12.02.2015 – V ZB 185/14, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris). Sprechen indes gewichtige Anhaltspunkte für die Volljährigkeit des Betroffenen, kann dies trotz einer geringen (Rest-) Unsicherheit die Annahme der Volljährigkeit rechtfertigen, wenn die Behauptungen des Betroffenen zu seinem Alter grob unrichtig und widerlegt sind (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015 – 18 UF 92/15 -, Rn. 23 – 25, juris).
Voraussetzung für das Eingreifen der Amtsermittlungspflicht ist, dass das Alter des Betroffenen zweifelhaft ist. Zweifel an der Volljährigkeit werden nicht bereits dadurch begründet, dass der Betroffene angibt, minderjährig zu sein (BGH vom 12.02.2015 – V ZB 185/14, JAmt 2015, 395, juris Rn.7).
Vorliegend hat der Antragsteller B. mitgeteilt, das Mündel sei minderjährig und hat zur Glaubhaftmachung eine Anlaufbescheinigung der Polizeiinspektion W.-Stadt vom … und ein in originaler Sprache und in Übersetzung vorliegender Auszug aus dem Personenstandsregister der Arabischen Republik Syrien vorgelegt. Auf diesen Dokumenten ist als Geburtsdatum der … vermerkt. Ein Lichtbild ist (auf der Anlaufbescheinigung) beigefügt, welches das Mündel ab der Brust / den Oberarmen zeigt. Aufgrund der schlechten Qualität der vorliegenden Kopie lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob der Gesichtsbereich (teilweise) behaart ist. In der Beschwerde vom 27.01.2022 teilte das Mündel mit, dass das Geburtsdatum tatsächlich falsch sei. Dies weise als Tag der Geburt den Tag aus, an welchem die Eintragung in das syrische Geburtenregister erfolgt sei. Der Mündel sei – nach Erinnerungen der Mutter – im Januar … geboren. Dies schließe die Mutter daraus, dass der Onkel der Mutter, Herr C., im selben Jahr gestorben sei, als der Sohn geboren worden ist. Das Mündel nehme seit 1 1/2 Jahren Hormone, damit das Wachstum gefördert werde.
Ausweislich des vorliegenden syrischen Dokuments ergeben sich Anhaltspunkte, welche zu einer weiteren Aufklärungspflicht führen. Zwar ist das dokumentierte Alter des Mündels tatsächlich falsch, die Feststellung des Amtsgerichts, dass anhand eines schwarz-weiß Fotos sicher festgestellt werden könne, dass das Mündel 18 bzw. sogar 20 Jahre alt sei, trägt jedoch nicht. Anlässlich des dokumentierten Alters – im Lichte des Vortrags – und unter Einbeziehung des Lichtbildes, sind jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte gegeben, welche eine weitere Prüfung des Alters des Mündels notwendig erscheinen lassen. Insbesondere tragen hier auch die Feststellungen des Amtsgerichts nicht, dass anlässlich eines schwarz-weiß Bildes (4x3cm) sicher festgestellt werden könne, dass das Mündel nicht minderjährig sei. Eine solche Feststellung lässt das Lichtbild nicht zu.
3) Nach zutreffender Ansicht liegt ein Fall des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG stets dann vor, wenn in der ersten Instanz ein notwendig zu beteiligender Verfahrensbeteiligter nicht beteiligt wurde (Thomas / Putzo / Reichold, ZPO, 42. Auflage, 2021, FamFG § 69 Rn. 7 m.w.N.).
Vorliegend hätte das Amtsgericht den Mündel persönlich angehören müssen (§§ 159 Abs. 2, 160 Abs. 2 FamFG). Eine Beteiligung des Mündels ist überhaupt nicht erfolgt. Der Antrag des Antragsstellers B. vom 27.12.2021 wurde am nächsten Tag, den 28.12.2021 aufgrund der Aktenlage durch das Amtsgericht abgelehnt. Schwerwiegende Gründe i.S.v. § 159 Abs. 3 FamFG, bei deren Vorliegen von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden kann, wurden vom Familiengericht nicht festgestellt und sind auch nicht ersichtlich.
4) Für das weitere Verfahren wird das Familiengericht zu beachten haben (§ 69 Abs. 1 Satz 4 FamFG), dass nicht nur das Mündel persönlich angehört werden muss (§ 159 Abs. 1 FamFG) sondern auch das Alter und ggfs. der Flüchtlingsstatus (vgl. oben) von Amtswegen umfassend aufzuklären ist (§ 26 FamFG, vgl. OLG Hamm Beschluss vom 23.10.2018, II-9 UF 104/18). Sollte die notwendige Aufklärung mit sonstigen Mitteln nicht möglich sein, so kommt ein forensisches Gutachten in Betracht. Dieses hat das Mündel ausdrücklich angeboten.
Das Verfahren gibt dem Amtsgericht auch Gelegenheit zu prüfen, ob die Eltern des Mündels tatsächlich nicht erreichbar sind. Insoweit hat das Amtsgericht zwar ausgeführt, dass „Personen in Syrien“ stets erreichbar sind. Feststellungen hierzu, dass dies auch bei den Eltern des Mündels der Fall ist, wurden aber bislang nicht getroffen. In der Beschwerde teilt der Mündel hierzu mit, dass die Eltern zwar telefonisch erreichbar seien, aber faktisch an Sorgerechtsentscheidungen in Deutschland gehindert wären. Insoweit sind Feststellungen zu treffen, ob das Sorgerecht im konkreten Einzelfall gleichwohl unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel möglich ist (vgl. Grüneberg-Götz, 81. Auflage, 2022, § 1674 Rn. 1) oder ob die tatsächlichen konkreten Hindernisse eine Kommunikation der Eltern für Sorgerechtsentscheidungen unmöglich machen. Auf die ndem Amtsgericht bekannte andere Fälle kommt es dabei nicht an, sondern auf die tatsächliche konkrete Kommunikationsmöglichkeit der Eltern des Mündels.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 20 Abs. 1 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 70 Abs. 2 FamFG).


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