Familienrecht

Beschwerde, Behinderung, Krankheit, Betreuung, Erkrankung, Krankenhaus, Feststellung, Anordnung, Genehmigung, Attest, Betreuerbestellung, FamFG, Schlaganfall, Aufhebung, berechtigtes Interesse, Entscheidung in der Hauptsache, Anordnung der Betreuung

Aktenzeichen  051 T 3982/20 , 051 T 3983/20

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53814
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

2 XVII 2717/20 2020-10-16 Bes AGAUGSBURG AG Augsburg

Tenor

1. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Augsburg vom 10.10.2020, Az. 2 XVII 2717/20, mit dem die vorläufige Freiheitsentziehung der Betroffenen angeordnet wurde, wird verworfen.
2. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Augsburg vom 13.10.2020, Az. 2 XVII 2717/20, mit dem die vorläufige Betreuung angeordnet wurde, wird zurückgewiesen.
3. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Augsburg vom 16.10.2020, Az. 2 XVII 2717/20, mit dem der Beschluss vom 10.10.2020 über die Anordnung unterbringungsähnlicher Maßnahmen aufgehoben und das Unterbringungsverfahren eingestellt wurde, wird verworfen.
4. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Augsburg vom 16.10.2020, Az. 2 XVII 2717/20, mit dem die vorläufige Betreuung aufgehoben und das Betreuungsverfahren beendet wurde, wird verworfen.

Gründe

I.
Mit Schriftsatz vom 10.10.2020, eingegangen beim Amtsgericht Augsburg am selben Tag um 18.05 Uhr, regte das Universitätsklinikum A. die sofortige Bestellung eines (vorläufigen) Betreuers für die Betroffene an. Die Betroffene leide an einem Mediainfarkt links und Delir. Die Betroffene sei massiv agitiert. Sie sehe Tote unter dem Bett. Die Betreuung sei notwendig, da in den kommenden Tagen invasive Untersuchungen der Betroffenen erforderlich seien (Bl. 1/2 d.A.).
Zudem stellte das Universitätsklinikum mit weiterem Schriftsatz vom 10.10.2020, eingegangen beim Amtsgericht Augsburg am selben Tag um 18.05 Uhr, den Antrag auf Genehmigung eines Bettgitters und einer 5-Punkt-Fixierung. Die Betroffene leide an folgender psychischer Krankheit oder geistigen Behinderung oder vorübergehenden kognitiven Beeinträchtigung und sei deswegen nicht einwilligungsfähig: Mediainfarkt links, Delir. Die Betroffene sei massiv agitiert. Sie sehe Tote unter dem Bett. Es bestehe die Gefahr, dass die Betroffene sich selbst Zuleitungen (z.B. Katheter, Drainagen) ziehen könne oder stürze (Bl. 1b/2b d.A.).
Daraufhin erließ das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Augsburg am 10.10.2020 um 19.00 Uhr im Wege der einstweiligen Anordnung den angegriffenen Beschluss, mit dem die vorläufige zeitweise oder regelmäßig erfolgende Freiheitsentziehung der Betroffenen durch Bettgitter und 5- Punkt-Fixierung bis längstens 20.11.2020 einstweilen angeordnet wurde. Zur Begründung wurde u.a. angeführt, die Betroffene leide an einem Delir. Sie benötige zur Zeit die mechanischen Beschränkungen, um zu verhindern, dass die Betroffene sich Zuleitungen ziehe oder stürze und sich dadurch selbst erhebliche Verletzungen zufüge (Bl. 3b/6b d.A.).
Die Betroffene wurde am 11.10.2020 persönlich angehört. Sie war defixiert. Sie war orientiert und der Betreuungsrichterin zugewandt. Sie erklärte, an eine Fixierung könne sie sich nicht erinnern. Sie habe niemanden, der sich um ihre Angelegenheiten kümmere. Das mache sie selbst (Bl. 3, 7b d.A.).
Mit Verfügung vom 12.10.2020 bat das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Augsburg die Betreuungsbehörde um eiligen Vorschlag eines vorläufigen Betreuers, soweit die Betreuung noch erforderlich sein sollte. Nach dem Anhörungsvermerk der Bereitschaftsrichterin vom 11.10.2020 sei die Betroffene defixiert und orientiert gewesen (Bl. 4 d.A.).
Die Betreuungsbehörde schlug mit Schreiben vom 12.10.2020 Frau R. E. als Betreuerin vor (Bl. 5 d.A.).
Sodann erließ das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Augsburg am 13.10.2020 den angegriffenen Beschluss und ordnete durch einstweilige Anordnung, befristet bis 12.04.2021, die vorläufige Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung an und bestellte Frau R. E. als Berufsbetreuerin (Bl. 6/8 d.A.).
Mit Schreiben vom 14.10.2020 legte Frau G. B3. gegen den Beschluss vom 10.10.2020 namens und im Auftrag der Betroffenen Beschwerde ein. Der Beschluss sei rechtswidrig. Er verfehle selbst die einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlich zu wahrenden Mindestanforderungen an Freiheitsbeschränkungen der in Frage stehenden Art. Die Rechtslage sei durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Es fehle an einer nachvollziehbaren inhaltlichen Wiedergabe des keinem bestimmten Urheber zuzuordnenden „ärztlichen Zeugnisses vom 10.10.2020“. Erst recht würden Art und Umfang weiterer „gerichtlicher Ermittlungen“ nicht wiedergegeben. Ebenso würden Gründe für die behauptete „Eilbedürftigkeit“ nicht benannt. Die Entscheidung sei schon deshalb unschlüssig. Zudem bleibe offen, warum die Betroffene im Ergebnis als geschäftsunfähig zu behandeln sei, sie andererseits aber als Adressatin gerichtlicher Bekanntgaben in Betracht kommen solle. Eine Verfahrenspflegerin sei nicht beteiligt worden. Es habe keine persönliche Anhörung stattgefunden. Die Unterzeichnete habe bei ihrem gestrigen Besuch die Betroffene nicht fixiert und – abgesehen von einer offenbar durch den erlittenen Schlaganfall bedingten Sprachbehinderung – inhaltlich sowie mündlich wie schriftlich vollumfänglich kommunikationsfähig vorgefunden. Eine Aufrechterhaltung der Fixierung könne schon deshalb nicht in Betracht kommen (Bl. 10b/12b d.A.).
Dem Beschwerdeschreiben bei lag eine von der Betroffenen unterschriebene „uneingeschränkte Generalvollmacht“ mit Datum vom 13.10.2018. (Bl. 10/11 d.A.)
Mit Schreiben vom 14.10.2020 teilte die vorläufige Betreuerin mit, dass nach Auskunft der zuständigen Krankenschwester bereits in der Nacht vom 13.10.2020 auf den 14.10.2020 auf eine Fixierung der Betroffenen verzichtet werden konnte, jedoch eine Sitzwache installiert wurde, um Gefahr von der Betroffenen abzuwenden. Der Zustand sei wechselhaft, jedoch sei die Betroffene ansprechbar (Bl. 15b d.A.).
Mit Schreiben vom 15.10.2020 teilte die Betreuungsbehörde mit, dass die Vollmacht als ausreichend angesehen werde und dem Gericht daher empfohlen werde, die vorläufige Betreuung aufzuheben (Bl. 13 d.A.).
Mit Schreiben vom 15.10.2020 teilte die vorläufige Betreuerin mit, die Betroffene sei gut orientiert zur Sache. Sie habe angegeben, die Generalvollmacht erst im Krankenhaus nach dem Schlaganfall unterschrieben zu haben. Die Bevollmächtigte sei ihre Nachbarin, die immer viel für sie mache und sehr nett sei. Die Betroffene habe keine motorischen Einschränkungen mehr, lediglich das Sprachzentrum sei geschädigt. Die Betroffene könne sich zwar leise, aber sehr gut artikulieren. Insgesamt lasse der Eindruck, den die Betroffene gemacht habe, die Frage zu, ob überhaupt noch eine Betreuung notwendig sei, da der Unterstützungsbedarf ihres Erachtens gering sei und sich über die Nachbarschaftshilfe durch die Bevollmächtigte sicher decken lasse (Bl. 14/15 d.A.).
Unter dem 15.10.2020 erstatteten Oberarzt Dr. S1. und Assistenzärztin Sick des Universitätsklinikums Augsburg ein Zusatzgutachten zum Zustand der Betroffenen. Die Betroffene habe einen linkshirnigen Mediateilinfarkt mit Beteiligung von Nucleus caudatus, Capsula interna und externa am 09.10.2020 erlitten. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes habe die Betroffene am 09.10.2020 ein akutes hirnorganisches und hypermotorisches Psychosyndrom entwickelt, so dass sie bei fehlender Krankheits- und Handlungseinsicht sowie eigen- und fremdgefährdenden Verhaltens nach psychiatrischer Mitbeurteilung medikamentös und mechanisch fixiert werden musste. Als Ursache gehen sie von einem akuten C2-Entzug bei chronischem Alkoholkonsum aus. Unter der medikamentösen Therapie sei die psychiatrische Symptomatik rasch und vollständig rückläufig gewesen. Im stationären Verlauf sei eine Übernahme auf die neurologische Normalstation erfolgt, wo sich die Betroffene durchgehend kooperativ und einsichtig und zu allen Qualitäten orientiert gezeigt habe. Eine freiheitsentziehende Maßnahme sei aktuell nicht mehr notwendig, so dass die Aufhebung des Beschlusses vom 13.10.2020 beantragt werde (Bl. 28/29 = 16b d.A.).
Daraufhin hob das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Augsburg mit Beschluss vom 16.10.2020 die vorläufige Betreuung auf, da die Voraussetzungen für eine Betreuung weggefallen sind (Bl. 16/18 d.A.).
Zudem hob es mit weiterem Beschluss vom 16.10.2020 den Beschluss vom 10.10.2020 über die Anordnung unterbringungsähnlicher Maßnahmen – Anbringen eines Bettgitters, 5-Punkt-Fixierung – auf, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen weggefallen seien. In dem Beschluss wurde auch der Beschwerde der Bevollmächtigten vom 14.10.2020 nicht abgeholfen. (Bl. 17b/19b d.A.) Mit Schreiben vom 16.10.2020 legte die Bevollmächtigte gegen den Beschluss vom 13.10.2020 namens und in Auftrag der Betroffenen Beschwerde ein mit dem Antrag, die Entscheidung aufzuheben. Zur Begründung führt sie an, sie berufe sich auf die erteilte Generalvollmacht. Die Entscheidung, deren förmliche Zustellung geboten war, sei der Beschwerdeführerin formlos von der Betreuerin übergeben worden. Zu den Folgen derartiger Rechtsverstöße werde auf BGH, Beschluss vom 13. Mai 2015 – XII ZB 491/14 – verwiesen. Erneut bleibe zudem offen, warum die Beschwerdeführerin als Adressatin gerichtlicher Bekanntgaben in Betracht kommen solle, obwohl sie nach der eigenen Auffassung des Gerichts zur Regelung ihrer Angelegenheiten zumindest teilweise nicht in der Lage sein solle. Der angegriffene Beschluss beschränke sich mit einer knappen halben Seite „Begründung“ letztlich pauschal auf das behauptete Vorliegen eines Mediainfarktes. Das Ergebnis der behaupteten gerichtlichen Ermittlungen werde nicht wiedergegeben, so dass die Entscheidung mangels Befassung mit dem konkreten Einzelfall bereits unschlüssig sei. Zumindest sei der Beschwerdeführerin zudem eine gerichtliche Anhörung am 11.10.2020 nicht erinnerlich. Auch Mitarbeiter der Betreuungsstelle hätten sich mit der Beschwerdeführerin nicht persönlich in Verbindung gesetzt. Zudem sei der Beschwerdeführerin kein Verfahrensbeistand an die Seite gestellt worden, noch habe die Generalvollmacht Beachtung gefunden. Die Anordnung einer sechsmonatigen Maßnahme auf der Basis eines lediglich punktuellen Geschehens und zudem höchst unvollständiger Erkenntnisgrundlage könne von vornherein nicht in Betracht kommen. Die Bevollmächtigte habe die Betroffene bei ihrem Besuch am 13.10.2020 nicht fixiert und – abgesehen von einer offenbar durch den erlittenen Schlaganfall bedingten Sprechbehinderung – inhaltlich sowie mündlich wie schriftlich vollumfänglich kommunikationsfähig vorgefunden. Eine „mangelnde Krankheitseinsicht“ der Beschwerdeführerin erscheine eher fernliegend, wenn man in Rechnung stelle, dass diese seit Jahrzehnten am Klinikum als Krankenschwester beschäftigt sei und selbst den Notarzt verständigt hatte. Die Einrichtung einer Betreuung verletze das Grundrecht des Betroffenen auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, wenn keine hinreichenden Tatsachen für eine Beeinträchtigung des freien Willens vorliegen. Schließlich hätte die Beschwerdeführerin im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verfahrensbeteiligung ihre Bedenken gegen die Person der Betreuerin formulieren können, die das Gericht einzig auf eine – nicht wiedergegebene – Fremdwürdigung gestützt ernannt habe (Bl. 21/25 d.A.).
Mit Schreiben vom 19.10.2020 unter dem Betreff „Beschlüsse vom 10.10.2020 und 13.10.2020“ erklärte die Bevollmächtigte, mit den angegriffenen Beschlüssen seien rechtswidrig die Fixierung der Betroffenen und die Bestellung einer Betreuerin jeweils als „vorläufige“ Maßnahme angeordnet worden. Trotz der Eilbedürftigkeit wegen der fortdauernden (Grund-)Rechtseingriffe sei sie auf ihre hiergegen eingereichten Beschwerden ohne jede Mitteilung geblieben (Bl. 20 d.A.).
Nach Zuleitung der Beschlüsse vom 16.10.2020 teilte die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 21.10.2020 mit, dass die Beschwerden aufrechterhalten bleiben und gegen die Beschlüsse vom 16.10.2020 ebenfalls Beschwerde eingelegt werde. Es werde beantragt, die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Anordnung der Fixierung und der vorläufigen Betreuung festzustellen.
Mit Beschluss vom 28.10.2020 half das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Augsburg der Beschwerde der Bevollmächtigten gegen die Beschlüsse vom 16.10.2020 nicht ab und legte die Beschwerde der Kammer zur Entscheidung über die Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 16.10.2020 sowie über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse vom 10.10.2020 und 13.10.2020 vor (Bl. 33/35 d.A.).
Nachdem die Betroffene selbst sich im Beschwerdeverfahren zum Sachverhalt nicht persönlich geäußert hatte, hat die Kammer die Anhörung der Betroffenen zur etwaigen Aufklärung des Sachverhalts angeordnet (Bl. 37/38 d.A.).
Die Bevollmächtigte teilte daraufhin mit, die Betroffene sei bis auf weiteres medizinisch bedingt verhandlungsunfähig. Die zuvor bereits herzkranke Betroffene sei wegen des erlittenen Schlaganfalles und der schwerwiegenden Folgen weiterhin krank und insbesondere psychisch nicht ausreichend belastbar. Die Sprechstörung, Wortfindungsstörungen, kognitive Defizite, Einschränkung der Konzentrations- und Merkfähigkeit, Hirnminderleistung, mangelnde Stressbelastbarkeit hinderten sie an einer mündlichen Anhörung (Bl. 40/45).
Unter dem 14.02.2021 reichte die Bevollmächtigte einen weiteren Schriftsatz ein. Die Betroffene, von Beruf Krankenschwester, habe sich am 09.10.2020 faktisch selbst in das Krankenhaus eingewiesen, indem sie mit der zutreffenden Eigendiagnose „Schlaganfall“ den Notarzt verständigte.
In dem Formblattvordruck vom 10.10.2020 an das Amtsgericht Augsburg könne eine tragfähige medizinische Äußerung (“Attest“) schon nicht gesehen werden. Hinsichtlich der dort auch behaupteten „Gefahren“ erweise sich als begründungsbedürftig, warum konkret der grundsätzlich jedem erwachsenen Menschen eröffneten Möglichkeit, sich selbst Zuleitungen zu ziehen oder zu stürzen, gerade durch Zwangsmaßnahmen unter Missachtung des Willens der Betroffenen entgegengetreten werden müsste. Weder sei das Einbringen von Leitungen in den Körper ein per se duldungspflichtiger Eingriff noch dürfen autonome Individuen ohne Rechtsgrundlage vor einer angeblichen Selbstgefährdung bewahrt werden dürfen. Für die Prognose einer Dauer von 6 Wochen benenne das Attest keine Grundlage. Zudem bleibe unerörtert, dass die Ärzte unausgesprochen von der Fehldiagnose eines akuten C2-Entzugs bei chronischem Alkoholkonsum ausgegangen waren, die Betroffene „medikamentös und mechanisch“ fixiert worden war und dass sich die Betroffene in einem insgesamt lebensbedrohlichen Zustand befunden hätte, was notwendig eine Abwägung mit den beantragten Zwangsmaßnahmen erforderlich gemacht hätte. Im Beschluss seien zusätzliche „Ermittlungen des Gerichts“ zwar pauschal behauptet, jedoch weder wiedergegeben noch als Grundlage einer eigenen Überzeugungsbildung gewürdigt worden. Die unsubstantiierten Behauptungen zur Notwendigkeit mechanischer Beschränkungen bzw. zu mangelnder Krankheitseinsicht oder zur fehlenden freien Willensbildung könnte damit allenfalls auf einer ungefilterten Übernahme ihrerseits unsubstantiierter anderweitiger Behauptungen herrühren. Im Rahmen des Richtervorbehalts gemäß Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG müsse der Richter eine eigenverantwortliche Prüfung, beruhend auf zureichender richterlicher Sachaufklärung, vornehmen. Dies müsse formal in einer konkretindividuellen Begründung der richterlichen Entscheidung Ausdruck finden, die sich nicht nach der Art Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Textblöcke und Pauschalbehauptungen für eine unbestimmte Vielzahl von Anwendungsfällen erschöpfen dürfe. Im Zusammenwirken mit dem entsprechenden Vorgehen des Zentralklinikums Augsburg sei die Gefahr einer standardisierten Entrechtung von Betroffenen kaum von der Hand zu weisen.
Ursprünglich nicht wahrgenommen und erörtert werden habe können der Umstand, dass die Betroffene „medikamentös und mechanisch“ fixiert werden musste. Dies ergebe sich erst nachträglich aus dem „Zusatzgutachten“ vom 15.10.2020. Hätten Ermittlungen des Gerichts in prozessordnungsgemäßer Weise stattgefunden, hätte dieser Umstand zeitnah bemerkt werden müssen. Hieraus hätten sich Fragen ergeben, warum die medikamentöse Fixierung offenbar ohne Genehmigung erfolgt war, und warum neben der medikamentösen Fixierung noch zusätzlich eine mechanische Fixierung erforderlich gewesen sein sollte.
Weder sei die Betroffene persönlich angehört noch ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden. Das Antragsschreiben sei um 18.05 Uhr und damit nahezu drei Stunden vor der um 21.00 Uhr beginnenden „gerichtlichen Nachtzeit“ übersandt worden. Warum nicht wenigstens eine unmittelbare persönliche Anhörung möglich gewesen sein sollte, wie das Amtsgericht pauschal behaupte, erschließe sich nicht.
Der Betroffenen seien bis heute traumatisierende Maßnahmen zugemutet worden. Sie sei von der Bevollmächtigten bei ihren Besuchen im Universitätsklinikum A. mit vielfältigen Blutergüssen sowie entgegen ihrer Wesensart deprimiert und ängstlich vorgefunden worden. Ihre Äußerungen bei der nachträglichen Anhörung durch das Gericht am 11.10.2020 dürften inhaltlich wesentlich von der Furcht getragen worden sein, dass jederzeit von der fortbestehenden Fixierungsanordnung wieder Gebrauch gemacht werden könnte.
Bei der praktisch vollständig fehlenden Entscheidungsgrundlage in formeller wie in materieller Hinsicht völlig unverständlich sei die „einstweilige“ Anordnung der Fixierung für eine Dauer von 43 Tagen, für die die Kontrolle und Entscheidung über die Durchführung und Beendigung im Wege der rechtswidrigen Totaldelegation richterlicher Enscheidungs- und Beobachtungspflichten vollständig in die Hände des/der „Durchführenden“ gelegt worden seien. Die gerichtliche Fixierungsanordnung müsse sich jedoch auf das absolut Notwendige beschränken. Nicht einmal das Ergebnis der am 11.10.2020 nachgeholten Anhörung habe das Gericht zu der unverzüglichen Aufhebung des Beschlusses vom 10.10.2020 veranlasst. Dies sei erst unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Beschwerde mit Beschluss am 16.10.2020 erfolgt. Die im Beschluss vom 10.10.2020 immerhin angeordnete Dokumentation von Durchsetzung, Dauer und Art der Überwachung sei jedenfalls den vom Gericht zugänglich gemachten Unterlagen nicht zu entnehmen. Es bleibe zu befürchten, dass auf die Umsetzung und deren Kontrolle ebenfalls rechtswidrig verzichtet worden sei.
Ebenso sei der Verpflichtung, den Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen, nicht genügt worden.
Erst recht unerfindlich blieben schließlich die Gründe für die Anordnung einer vorläufigen Betreuung für nahezu ein halbes Jahr. Derartige Gründe seien den Gründen des Beschlusses nicht zu entnehmen. Welches Ergebnis das Gericht aus seinen „gerichtlichen Ermittlungen“ jeweils gewonnen habe und in welcher Weise es seine Überzeugung gebildet habe, verschweige es. Auch bleibe offen, in welcher Weise unter dem Oberbegriff „Gericht“ eine Identität zwischen der anhörenden Richterin S2. und der Urheberin des Beschlusses Kellermann konstruiert werden könne. Verfahrensrechtlich leide auch dieser Beschluss im Wesentlichen an denselben Defiziten wie derjenige zur Fixierung.
Im Ergebnis bleibe festzuhalten, dass die Betroffene durch zwei sachlich und rechtlich unbegründete sowie formell fehlerhafte Beschlüsse massiv in ihren Grundrechten auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt worden sei.
Die Betroffene sei aus der Rehabilitationsmaßnahme als dauerhaft erwerbsunfähig entlassen worden. Sie stehe für eine persönliche Einvernahme nicht mehr zur Verfügung. Die erschütternden Erlebnisse aufgrund der Beschlüsse des Amtsgerichts hätten den Genesungsprozess nicht befördert (Bl. 47/62 d.A.).
Mit Beschluss vom 15.03.2021 bestimmte die Kammer neuen Termin zur Anhörung der Betroffenen in einem Sitzungssaal des Gerichts. Es wurde darauf hingewiesen, dass die persönliche Anhörung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Betroffenen diene. Ebenso wurde die Betroffene darauf hingewiesen, dass das Verfahren ohne ihre persönliche Anhörung beendet werden könne, wenn sie im Anhörungstermin unentschuldigt ausbleibe. Zudem wurde sie darauf hingewiesen, dass die vorgetragenen Gründe einer Verhandlungsunfähigkeit keine genügende Entschuldigung im Betreuungsverfahren darstellten. Der Betroffenen wurde die Möglichkeit gewährt die Anhörung in ihrer Wohnung durchzuführen, sollte es ihr nicht möglich sein, zum Landgericht Augsburg zu kommen.
Mit Schriftsatz vom 11.04.2021 teilte die Bevollmächtigte der Betroffenen mit, die Betroffene nehme zur Kenntnis, dass das Gericht offenbar nicht geneigt sei, sich mit den vorgetragenen Gründen für ihre Verhandlungsunfähigkeit inhaltlich und sachkundig beraten auseinanderzusetzen. Sie werde daher auch keine weiteren Befunde vorlegen und teile abschließend mit, dass sie für eine persönliche Befragung mangels Belastbarkeit nicht zur Verfügung stehe. Sofern das Gericht konkrete Fragen habe, werde sich die Betroffene schriftlich äußern (Bl. 66 d.A.).
Zum Anhörungstermin am 17.05.2021 ist niemand erschienen.
II.
Die Beschwerde bzgl. des Beschlusses vom 10.10.2020 über die Freiheitsentziehung der Betroffenen durch Bettgitter und 5-Punkt-Fixierung ist unzulässig.
Zwar ist die Beschwerde form- und fristgerecht durch die von der Betroffenen als Beschwerdeberechtigter Bevollmächtigten eingelegt worden (§§ 68 Abs. 2, 59 Abs. 1, 63 Abs. 2, 64, 11, 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Var. 3, 7 Abs. 2 Nr. 2, 315 Abs. 1 Nr. 3 FamFG).
Der angegriffene Beschluss wurde zwischenzeitlich jedoch ausdrücklich aufgehoben. Da der Betroffenen somit nicht mehr auf der Grundlage des Beschlusses vom 10.10.2020 die Freiheit entzogen wird und ihr aus dem Beschluss keine gegenwärtigen Nachteile mehr entstehen, ist die Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden.
Die Statthaftigkeit ergibt sich auch nicht aus § 62 FamFG. Danach spricht – wenn sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt hat – das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
Die Betroffene hat ausdrücklich einen entsprechenden Feststellungsantrag gestellt.
Sie hat jedoch kein berechtigtes Interesse an der Feststellung. Gemäß § 62 Abs. 2 FamFG liegt ein berechtigtes Interesse in der Regel vor, wenn schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.
Zwar stellt die durch Fixierung (hier: 5-Punkt-Fixierung) erfolgte Freiheitsentziehung ohne die Einwilligung des Patienten grundsätzlich einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar.
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit besteht jedoch nur dann, wenn es infolge der angefochtenen Entscheidung zu einem effektiven Eingriff in die Rechte des Betroffenen gekommen ist. (Keidel/Budde, FamFG, § 62, Rn. 14) Das ist hier nicht der Fall.
Für die Frage, ob eine Freiheitsentziehung erfolgt, kommt es allein darauf an, ob der Betroffene – ganz gleich, durch welche Mittel (Einsperren, mechanische Fixierung, Bewachung, Medikamente) – gegen oder ohne seinen natürlichen Willen am Verlassen eines bestimmten räumlichen Bereichs gehindert wird (Bürgle, Auf dem Weg zu einem neuen Betreuungsrecht, NJW 1988, 1881, 1885; Maunz/Dürig, GG, Art. 104, Rn. 61, m.w.N.). Eine Fixierung stellt daher nur dann einen zu rechtfertigenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar, wenn sie gegen dessen natürlichen Willen erfolgt. Damit stellt die Fixierung von Personen, die bewusstlos sind, im Koma liegen oder gar keinen natürlichen Willen in Bezug auf ihren Aufenthaltsort entwickeln und äußern (schlichte Willenlosigkeit), keine Freiheitsentziehung dar. (Mazur, Rechtliche Grundlagen für Fixierungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, GuP 2019, 121; Spickhoff, Medizinrecht, § 1906 BGB, Rn. 6; Bürgle, a.a.O.) Eine Freiheitsentziehung liegt zudem dann nicht vor, solange der Betroffene mit der Aufhebung seiner Fortbewegungsfreiheit einverstanden ist und freiheitsentziehende Maßnahmen zu seinem eigenen Schutz akzeptiert (Riedel, BtPrax 2010, 99, 100; Maunz/Dürig, GG, Art. 104, Rn. 61, m.w.N.).
In ihrer Anhörung am 11.10.2020 hat die Betroffene, die orientiert und der anhörenden Richterin zugewandt war, erklärt, an eine Fixierung könne sie sich nicht erinnern. Fragen hatte sie keine. Zudem trug die Bevollmächtigte der Betroffenen schriftsätzlich vor, dass die Betroffene sich selbst in die ärztliche Behandlung begeben hatte.
Zu keiner Zeit hat die Betroffene mündlich oder schriftlich vorgetragen, dass sie vom Krankenbett aufstehen wollte und hieran durch die Fixierung gehindert worden sei. Nach dem sich aus der Akte ergebenden Sachverhalt war die Betroffene mit der Behandlung im Universitätsklinikum A. voll einverstanden und konnte sich an eine Fixierung in der Nacht des 10./11.10.2020 nicht erinnern. Lediglich in zwei Nachtzeiten des 11./12.10.2020 und 12./13.10.2020 wurde die Betroffene fixiert. Schließlich wurde in der Nacht vom 13./14.10.2020 keine Fixierung notwendig, sondern durch eine Sitzwache ersetzt. Dass die Betroffene in den Nächten des 11. bis 13.10.2020 an ihrer Fortbewegungsfreiheit gehindert wurde, ist somit nicht ersichtlich.
Die ihr durch die Kammer gewährte Möglichkeit der persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren zur Gewährung rechtlichen Gehörs entweder im Gerichtssaal oder bei ihr zu Hause, auch an einem mit der Betroffenen abstimmbaren Termin, hat die Betroffene ausdrücklich abgelehnt, so dass gemäß § 34 Abs. 3 FamFG das Verfahren der Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde ohne ihre erneute persönliche Anhörung beendet werden kann.
Die Kammer hat den schriftlichen Vortrag der Bevollmächtigten hinsichtlich der die Betroffenen „traumatisierenden Maßnahmen“ und der Feststellungen der Bevollmächtigten zu vielfältigen Blutergüssen und einer entgegen ihrer Wesensart deprimiert und ängstlichen Stimmung zur Kenntnis genommen und gewürdigt.
Es handelt sich dabei jedoch um bloße Behauptungen der Bevollmächtigten, die ohne persönliche Stellungnahme der Betroffenen sowohl in ihrem Inhalt als auch in ihrer Überzeugungskraft von der Kammer nicht gewürdigt werden können und für deren Richtigkeit sich aus dem sonstigen Akteninhalt (z.B. Anhörungsvermerk des Amtsgerichts, Stellungnahme der vorläufigen Betreuerin) keinerlei Anhaltspunkte ergeben.
Die Kammer hält es auch nicht für ausreichend, der Betroffenen etwaige Fragen zum konkreten Sachverhalt schriftlich vorzulegen. Aufgrund des Ablaufs des bisherigen Beschwerdeverfahrens, in dem keinerlei von der Betroffenen selbst persönlich verfasste (selbst knappe) Stellungnahme erfolgte und das Verfahren ausschließlich von der Bevollmächtigten betrieben wird und die Betroffene sich jedweder persönlichen Befragung durch ein Mitglied der Kammer verschlossen hat, ist nicht zu erwarten, dass in einer schriftlichen Anhörung unbeeinflusste Angaben der Betroffenen zum Geschehensablauf zu erlangen sind. Zudem wären solche schriftlichen Erklärungen einer kritischen Prüfung durch die Kammer nicht zugänglich.
Klarstellend ist anzumerken, dass die Kammer dem vorgetragenen Krankheitszustand der Betroffenen durchaus Beachtung geschenkt hat, es für eine Anhörung im Unterbringungsverfahren nach §§ 312 ff. FamFG jedoch nicht auf die Geschäftsfähigkeit oder Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen ankommt, sondern es ausreichend ist, dass der Betroffene überhaupt zur Bildung und Mitteilung eines natürlichen Willens in der Lage ist.
Nach dem objektiven Akteninhalt wurde die Betroffene im Rahmen der von ihr selbst initiierten und zu keiner Zeit abgelehnten stationären Behandlungsmaßnahme in den Nächten im Schlaf zu ihrem eigenen Schutz fixiert. Es ist weder vorgetragen noch aus dem sonstigen Akteninhalt ersichtlich, dass sie durch die konkreten Fixierungen gegen ihren natürlichen Willen an der Fortbewegung gehindert wurde.
Daher stellt die Anordnung der Fixierung im konkreten Fall keinen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, bzgl. dessen ein Feststellungsinteresse besteht.
Für eine Überprüfung der vorgetragenen Verfahrensverstöße und allgemeiner Rechtsfragen ist daher kein Raum.
III.
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss vom 13.10.2020, mit dem die vorläufige Betreuung der Betroffenen angeordnet wurde, ist unbegründet.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft und wurde form- und fristgerecht durch die Betroffene als Beschwerdeberechtigte, vertreten durch ihre Bevollmächtigte, eingelegt. (§§ 68 Abs. 2, 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1, Abs. 2, 64 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 11, 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Var. 3, 7 Abs. 2 Nr. 2, 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG)
Das gemäß § 62 FamFG erforderliche Feststellungsinteresse ist im Fall der Bestellung eines vorläufigen Betreuers gegeben (vgl. Keidel/Göbel, FamFG, § 62, Rn. 23, m.w.N.).
Trotz der Kürze der Betreuerbestellung kam es auch zu einem effektiven Eingriff in die Rechte der Betroffenen, da die Betreuerin sich im Rahmen ihrer Tätigkeit jedenfalls Auskünfte über den Zustand der Betroffenen bei den Mitarbeitern des Universitätsklinikums Augsburg einholte.
2) Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das Amtsgericht – Betreuungsgericht – hat zu Recht die Voraussetzungen der Anordnung der vorläufigen Betreuung, bejaht. Die formellen und materiellen Voraussetzungen hierfür lagen vor.
Gemäß § 300 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen vorliegt, im Fall des § 276 FamFG ein Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist und der Betroffene persönlich angehört worden ist.
a) Die formellen Verfahrensvoraussetzungen wurden gewahrt.
Das ärztliche Zeugnis zur Bestellung eines Betreuers des Arztes Gulbrod des Klinikums Augsburg vom 10.10.2020 erfüllt trotz seiner Knappheit die Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis und basiert auf einer persönlichen Untersuchung der Betroffenen. Es benennt die Diagnose der Erkrankung der Betroffenen Mediainfarkt und Delir und die sich hieraus ergebenden Einschränkungen „Pat. Massiv agitiert, sieht Tote unter dem Bett“. Es benennt auch die beabsichtigten ärztlichen Maßnahmen und deren Dringlichkeit „invasive Untersuchungen“ und die ärztliche Einschätzung, dass die Betroffene auf eine absehbare Zeit von 6 Monaten selbst nicht rechtswirksam in medizinische Maßnahmen einwilligen und ihre Gesundheitsangelegenheiten regeln könne. Tiefergehende Angaben waren aufgrund der Kürze der Zeit nicht zu erwarten, insbesondere wären nach damaligem Stand gerade weitere Untersuchungsmaßnahmen, in die ein Betreuer für die Betroffene einwilligen müsste, notwendig, um die Erkrankung der Betroffenen weiter abschätzen zu können.
Die Betroffene wurde vor Erlass des Beschlusses am 11.10.2020 persönlich angehört. Der Entscheidung durch die Richterin am Amtsgericht K. steht auch nicht entgegen, dass die Anhörung durch die Richterin am Amtsgericht S2. erfolgte, da im Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß § 300 Abs. 1 S. 2 FamFG eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ohne Einschränkung zulässig ist.
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers war nicht erforderlich, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Die Voraussetzungen einer Regel-Bestellung gemäß § 276 Abs. 1 S. 2 FamFG lagen nicht vor. Die Bestellung war auch nicht gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen erforderlich. Nach dem persönlichen Eindruck in der Anhörung am 11.10.2020 war die Betroffene ausreichend orientiert, um ihre Interessen selbst wahrzunehmen.
b) Auch die materiellen Voraussetzungen für die einstweilige Anordnung der Betreuung lagen vor. Es bestanden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind und es bestand ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden.
aa) Es bestanden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind, d.h. es deuteten konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass die Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorliegen (vgl. BayObLGZ 1999, 269, 272).
Gemäß § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer für einen Volljährigen, wenn dieser auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.
(1) Nach den Ermittlungen im Betreuungsverfahren war es erheblich wahrscheinlich, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung litt.
Nach dem ärztlichen Zeugnis lagen bei der Betroffenen ein Mediainfarkt und ein Delir vor. Zwar war die Betroffene im Zeitpunkt der Anhörung „orientiert“. Diese aufgrund eines kurzen Zeitraums gewonnene und knapp dargestellte Einschätzung der anhörenden Richterin genügt jedoch nicht, um die ärztliche Diagnose grundsätzlich infrage zu stellen.
Im Beschwerdeverfahren beruft sich die Betroffene unter Mitteilung ihrer kognitiven Einschränkungen und Vorlage eines ärztlichen Attestes selbst darauf, aufgrund des Schlaganfalls verhandlungsunfähig zu sein.
(2) Es war auch erheblich wahrscheinlich, dass die Betroffene auf Grund dieser Krankheit ihre Angelegenheiten betreffend der angeordneten Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung nicht selbst besorgen konnte und die Betreuung daher im angeordneten Umfang erforderlich war, § 1896 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BGB.
Insbesondere war im Zeitpunkt der Entscheidung der Betreuerbestellung kein Bevollmächtigter im Sinne des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB vorhanden.
In der Anhörung am 11.10.2020 erklärte die Betroffene, sie habe niemanden, der sich um ihre Angelegenheiten kümmere. Die uneingeschränkte Generalvollmacht wurde erstmals nach Anordnung der vorläufigen Betreuung am 14.10.2020 vorgelegt. Insoweit kann auch außer Acht bleiben, dass die auf den „13.10.2018“ datierende Generalvollmacht nach den Angaben der 051 T 3982/20 – Seite 14 – Betroffenen gegenüber der vorläufigen Betreuerin und der behandelnden Ärztin erst im Krankenhaus nach dem Schlaganfall unterschrieben worden sei (Bl. 14 d.A.).
(3) Zwar darf gemäß § 1896 Abs. 1a BGB gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Die Betroffene war jedoch mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund ihrer Krankheit nicht zur freien Willensbildung im Hinblick auf die Betreuerbestellung fähig.
Die beiden entscheidenden Kriterien für das Vorliegen einer solchen freien Willensbestimmung sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung iSd § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist er zur Bildung eines klaren Urteils hinsichtlich der Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln (BGH NJW-RR 2018, 4, Rn. 14).
Nach dem sich aus dem ärztlichen Attest ergebenden Sachverhalt war die Betroffene massiv agitiert und sah Tote unter dem Bett. Sie war somit wahrscheinlich nicht in der Lage, sich und ihren Lebensraum realistisch einzuschätzen und basierend hierauf vernünftige, abgewogene Entscheidungen über medizinische Behandlungen zu treffen. Nach ihrem Vortrag im Beschwerdeverfahren leidet sie auch ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall und nach der Rehabilitation weiterhin an kognitiven Defiziten, Einschränkung der Konzentrations- und Merkfähigkeit, Hirnminderleistung, so dass sie aufgrund dieser Defizite nicht einmal in der Lage sei, an einer Anhörung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens teilzunehmen.
bb) Es bestand auch ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Nach dem ärztlichen Attest waren zur Behandlung invasive Untersuchungen erforderlich, in die die Betroffene nicht selbst rechtswirksam einwilligen konnte.
cc) Die Auswahl der Person des nach § 1897 Abs. 1, Abs. 6 BGB geeigneten Berufsbetreuers erfolgte durch das Betreuungsgericht auf den bedenkenfreien Vorschlag der Betreuungsbehörde hin. Ein Vorschlag der Betroffenen gemäß § 1897 Abs. 4 BGB erfolgte nicht. Sie gab in der Anhörung am 11.10.2020 an, sie habe niemanden, der sich um ihre Angelegenheiten kümmere.
dd) Die zeitliche Grenze für die Dauer der einstweiligen Anordnung gemäß § 302 FamFG wurde gewahrt.
IV.
Die weiteren Beschwerden gegen die Beschlüsse, mit denen die unterbringungsähnlichen Maßnahmen sowie die vorläufige Betreuung aufgehoben und die Verfahren eingestellt wurden, sind unzulässig.
Gemäß § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Eine Rechtsbeeinträchtigung durch die Aufhebung der Beschlüsse und Einstellung der Verfahren hat die Betroffene weder vorgetragen noch ist diese sonst ersichtlich.
Recht im Sinn des § 59 Abs. 1 FamFG ist jedes durch Gesetz verliehenes oder durch die Rechtsordnung anerkanntes und von der Staatsgewalt geschütztes materielle Recht privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, § 59, Rn. 6, m.w.N.). Zu prüfen ist stets, ob die Entscheidung unmittelbar nachteilig in die Rechtsstellung eines Betroffenen in der Form eingreift, dass sein Recht aufgehoben, beschränkt oder gemindert wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. 11. 2004, Az. 3Z BR 212/04).
1) Die Betroffene wurde durch den Beschluss, mit dem die unterbringungsähnlichen Maßnahmen des Bettgitters und der 5-Punkt-Fixierung aufgehoben wurden, nicht in ihren Rechten beeinträchtigt.
Ein Recht eines Betroffenen auf Entziehung seiner persönlichen Freiheit gegen seinen Willen gibt es im deutschen Recht nicht. Vielmehr steht jedem das grundgesetzlich geschützte Recht auf Freiheit zu. Auf dieses Recht kann er selbst verzichten, indem er sich freiwillig in eine Behandlung in einer Einrichtung begibt oder wie hier selbst der Fixierung zustimmt. Deshalb steht gegen eine die Freiheitsentziehung ablehnende Entscheidung des Betreuungsgerichts dem Betroffenen ein Beschwerderecht nicht zu. (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. 11. 2004, Az. 3Z BR 212/04) 051 T 3982/20 – Seite 16 – 2) Die Betroffene wurde durch den Beschluss, mit dem die vorläufige Betreuung aufgehoben wurde, nicht in ihren Rechten beeinträchtigt.
Zwar ist der Betroffene gegen die Aufhebung einer Betreuung grundsätzlich beschwerdeberechtigt (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, § 59, Rn. 76, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall beruft sich die Betroffene im Rahmen der Beschwerdeschriftsätze ihrer Bevollmächtigten jedoch wiederholt darauf, dass die Voraussetzungen der Anordnung der vorläufigen Betreuung nicht vorgelegen hätten und dass diese daher zu Unrecht erfolgt sei. Zu keiner Zeit behauptet sie, dass sie als Maßnahme der staatlichen Fürsorge eine Betreuung gewünscht hätte. Im konkreten Fall wurde die Betroffene durch die Aufhebung der vorläufigen Betreuung und Einstellung des Betreuungsverfahrens daher nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt.


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