Familienrecht

Beschwerderecht gegen die Ablehnung einer Zwangsbehandlung

Aktenzeichen  13 T 714/18

Datum:
14.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53780
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 59 Abs. 1, § 68 Abs. 2 S. 2, § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 335 Abs. 3
BGB § 1906a

 

Leitsatz

1. Durch die Ablehnung der Zwangsbehandlung wird der Betroffene nicht in seinen Rechten beeinträchtigt. Dies folgt daraus, dass es ein Recht des Betroffenen auf Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit gegen seinen Willen im deutschen Recht nicht gibt. Vielmehr steht jedem das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit zu. Auf dieses Recht kann der Betroffene selbst verzichten, indem er sich freiwillig in eine ärztliche Behandlung begibt.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Dritter kann, wie etwa ein Betreuer, nach dem Prinzip des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege unter bestimmten Umständen in das Recht des Betroffenen zwangsweise und gegen seinen Willen eingreifen, wenn dessen Einwilligung gerichtlich genehmigt wird.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Lehnt das Gericht die Genehmigung der Einwilligung ab, weil es der Auffassung ist, die Voraussetzungen des § 1906 a BGB lägen nicht vor, ist das Recht des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit nicht beeinträchtigt. Beeinträchtigt ist lediglich das Recht des Betreuers, gegen den Willen des Betroffenen zu dessen Wohl eine ärztliche Heilbehandlung unter Verletzung der körperlichen Unversehrtheit herbeizuführen. Daher steht gegen eine ablehnende Entscheidung des Gerichts nur dem Betreuer, nicht aber dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger ein Beschwerderecht zu (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

XVII 711/12 2017-12-20 AGHERSBRUCK AG Hersbruck

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 20.12.2017 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Beschwerde der Betreuungsbehörde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 20.12.2017 wird zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 20.12.2017 wurde der Antrag des Betreuers vom 11.07.2017 wegen Genehmigung einer zahnärztlichen Zwangsbehandlung aus Rechtsgründen zurückgewiesen.
Hinsichtlich des vorherigen Verfahrensverlaufs wird auf die ausführliche Schilderung des Beschlusses des Amtsgerichts Hersbruck vom 20.12.2017 (dort I. 1., 2.) Bezug genommen.
Der Beschluss wurde dem Betroffenen am 22.12.2017, der Betreuungsbehörde am 27.12.2017 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 17.01.2018, beim Amtsgericht Hersbruck eingegangen am selben Tag, legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen, vertreten durch den Betreuer, Beschwerde gegen den Beschluss ein. Die Beschwerde wurde mit Schriftsätzen vom 09.02.2018 und 27.02.2018 begründet.
Mit Schreiben vom 19.01.2018, beim Amtsgericht Hersbruck eingegangen am selben Tag, legte die Betreuungsbehörde Beschwerde gegen den Beschluss ein und begründete dies mit Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention.
Das Amtsgericht Hersbruck half der Beschwerde mit Beschluss vom 31.01.2018 nicht ab und legte die Akte dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vor.
Mit Verfügung vom 13.02.2018 wies das Landgericht Nürnberg-Fürth auf seine Bedenken hinsichtlich der Beschwerdeberechtigung des Betroffenen hin und teilte mit, dass die Beschwerde auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Die gewährte Möglichkeit zur Stellungnahme wurde vom Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen mit Schriftsatz vom 27.02.2018 und von der Betreuungsbehörde mit Schriftsatz vom 02.03.2018 genutzt.
Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde des Betroffenen ist mangels Beschwerdeberechtigung als unzulässig zu verwerfen, § 68 Abs. 2 S. 2 FamFG.
a) Die Beschwerdeberechtigung des Betroffenen gegen die Ablehnung einer Zwangsbehandlung richtet sich nach § 59 Abs. 1 FamFG. Durch die Ablehnung der Zwangsbehandlung wurde der Betroffene aber gerade nicht in seinen Rechten beeinträchtigt. Dies folgt daraus, dass es ein Recht des Betroffenen auf Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit gegen seinen Willen im deutschen Recht nicht gibt. Vielmehr steht jedem das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit zu. Auf dieses Recht kann der Betroffene selbst verzichten, indem er sich freiwillig in eine ärztliche Behandlung begibt. Zudem kann ein Dritter, wie etwa ein Betreuer, nach dem Prinzip des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege unter bestimmten Umständen in sein Recht zwangsweise und gegen seinen Willen eingreifen, wenn dessen Einwilligung gerichtlich genehmigt wird. Lehnt das Gericht die Genehmigung der Einwilligung ab, weil es der Auffassung ist, die Voraussetzungen des § 1906 a BGB lägen nicht vor, ist das Recht des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit nicht beeinträchtigt. Beeinträchtigt ist lediglich das Recht des Betreuers, gegen den Willen des Betroffenen zu dessen Wohl eine ärztliche Heilbehandlung unter Verletzung der körperlichen Unversehrtheit herbeizuführen. Daher steht gegen eine ablehnende Entscheidung des Gerichts nur dem Betreuer, nicht aber dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger ein Beschwerderecht zu (zur Unterbringung: BayObLG FamRZ 2005, 834; OLG Frankfurt FGPrax 2000, 21; Budde in Keidel: FamFG, 19. Aufl., 2017, § 335 Rn. 2; Meyer-Holz in Keidel: FamFG, 19. Aufl., 2017, § 59 Rn. 76; Bumiller/Harders/Schwamb: FamFG, 11. Aufl., 2015, § 59 Rn. 21; Jürgens: Betreuungsrecht, 5. Aufl., 2014, § 59 Rn. 5; Fischer in : Müko zum FamFG, 2. Aufl., 2013, § 59 Rn. 60; LG Stuttgart 19 T 38/15, BeckRS 2015, 1… V. zur Vorlage des BGH an das BVerfG, BGH FamRZ 2015, 1484).
b) Die Voraussetzungen für die Beschwerdebefugnis des Betreuers gem. § 335 Abs. 3 FamFG sind nicht gegeben. Die Beschwerde wurde im hiesigen Fall durch den Betroffenen, vertreten durch seinen Betreuer und nicht durch den Betreuer im Namen des Betroffenen eingelegt. Der Wortlaut des anwaltlichen Schriftsatzes vom 17.01.2018, durch welchen die Beschwerde eingelegt wurde, ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig.
c) Eine Beschwerdeberechtigung des Betroffenen kann auch nicht aus Art. 25 UN-Behindertenrechtskonvention abgeleitet werden. Dieser ist gerade nicht positiv auf die Ermöglichung ärztlicher Zwangsmaßnahmen, sondern vor allem auf die Sicherung und Stärkung der Autonomie behinderter Menschen gerichtet (BVerfG FamRZ 2011, 1128; BGH FamRZ 2015, 1484).
2. Die Beschwerde der Betreuungsbehörde als zuständige Behörde gem. §§ 312 Nr. 3, 335 Abs. Abs. 4 FamFG ist zulässig. Der Betreuungsbehörde steht danach ein unbeschränktes Beschwerderecht ohne Rücksicht auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu (Budde in Keidel: FamFG, 19. Aufl., 2017, § 335 Rn. 6; Jürgens: Betreuungsrecht, 5. Aufl., 2014, § 335 Rn. 7). Das Beschwerderecht ist nicht auf den Umfang der Beschwer des Betroffenen beschränkt (Budde in Keidel: FamFG, 19. Aufl., 2017, § 335 Rn. 6).
3. Die Beschwerde hat aber keine Aussicht auf Erfolg, da das Amtsgericht zu Recht den Antrag des Betreuers auf Genehmigung der Einwilligung in eine zahnärztliche Zwangsbehandlung aus Rechtsgründen zurückgewiesen hat.
a) Zur Begründung wird zunächst vollumfänglich auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Hersbruck in seinen Beschlüssen vom 20.12.2017 und 31.01.2018 Bezug genommen.
b) Die Kammer ist nicht von einer Verfassungswidrigkeit des neu gefassten § 1906 a BGB überzeugt, so dass keine Normenkontrolle in Betracht kommt. Auch wenn der Gesetzestext als unglücklich und/oder verbesserungswürdig angesehen werden mag, kann hieraus nicht automatisch ein Verstoß gegen die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem Betroffenen abgeleitet werden. Bloße, auch ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes genügen für eine Normenkontrolle nicht. Vielmehr besteht bei Parlamentsgesetzen grundsätzlich die Vermutung der Verfassungsgemäßheit. Die Berücksichtigung der Historie der Gesetzgebung, aus welcher sich die ausdrückliche Betonung der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen ergibt, spricht erst recht gegen einen sicheren Verfassungsverstoß. Offensichtlich wurde diesem hochrangigen Schutzgut im Rahmen der Abwägung der Verhältnismäßigkeit in zulässiger Weise ein höherer Stellenwert eingeräumt, als der staatlichen Schutzpflicht gegenüber Personen, die mangels Vorhersehbarkeit einer entsprechenden Behandlung keinen nach § 1901 a BGB zu beachtenden Willen gebildet haben oder aufgrund ihrer Erkrankung hierzu überhaupt noch nie in der Lage waren. Auch wenn diese Entscheidung des Gesetzgebers missbilligt werden sollte, wird sie aber wohl noch durch die Schutzrechte des Grundgesetzes gedeckt und ist daher hinzunehmen.
c) Im Übrigen ist rein ergänzend zur Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags auf Genehmigung der Einwilligung in eine zahnärztliche Zwangsbehandlung folgendes auszuführen:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucksache 18/11240) vom 20.02.2017 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten“ ging noch von der sog. Widerspruchslösung aus. Zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten wurde für die Zulässigkeit der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme zusätzlich als ausdrückliche Voraussetzung bestimmt, dass ein nach § 1901 a BGB zu beachtender Wille des Betreuten der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen darf. Zu dieser Formulierung folgten dann Ausführungen hinsichtlich der Feststellung eines mutmaßlichen Willens, wenn keine entsprechende Patientenverfügung vorliegt. Erläuterungen zu der Konstellation, dass ein mutmaßlicher Wille des Betroffenen nicht positiv festgestellt werden könnte, erfolgten nicht. Dies war aber aufgrund der „Widerspruchslösung“ auch nicht erforderlich, da in einem solchen Fall schließlich mangels festgestellten entgegenstehendem Wille des Betroffenen die Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen durch das Gericht hätte genehmigt werden können.
Der Bundesrat äußerte hinsichtlich der Formulierung des § 1906 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB keine Bedenken (BT-Drucksache 18/11617 vom 22.03.2017).
Erst durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (BT-Drucksache 18/12842 vom 21.06.2017) wurde die geänderte Fassung des § 1906 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB eingeführt, welche so schließlich vom Bundestag beschlossen wurde. Die Änderung wurde vorgenommen, um eine stärkere Bindung des Betreuers an den nach § 1901 a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten zu bewirken. Aus dem Bericht zum Beratungsverlauf und den Beratungsergebnissen im federführenden Ausschuss wird überdeutlich, dass für sämtlichen Fraktionen parteiübergreifend die Vermeidung der Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen durch die enge Bindung des Betreuers an den Patientenwillen das absolut vorrangige Hauptanliegen war.
Zur Begründung der Beschlussempfehlung wurde folgende Überlegung für den Fall eines nicht feststellbaren mutmaßlichen Willens niedergelegt und später in einer Information über die Gesetzesänderung durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz im Wesentlichen wiederholt: „Ist mangels konkreter Anhaltspunkte auch ein mutmaßlicher Wille gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB nicht feststellbar, so kann der Betreuer dennoch zum Wohl und Schutz des Betreuten in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn alle weiteren Voraussetzungen des § 1906 a Abs. 1 S. 1 BGB-E erfüllt sind.“
Dem kann die Kammer aber aus folgenden Gründen nicht folgen:
Eine ausdrückliche Aufnahme in den Gesetzestext, die jedoch aufgrund der geänderten positiven Formulierung unabdingbar gewesen wäre, um dieser Überlegung überhaupt auch Geltung zu verschaffen, erfolgte nicht.
Eine Auslegung des neu gefassten § 1906 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB kann nicht vorgenommen werden. Zwar gilt grundsätzlich auch bei § 1901 a BGB, dass sich die Entscheidung des Betreuers am Wohl des Betroffenen zu orientieren hat, wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen ein auf die Durchführung, Nichteinleitung oder Beendigung der in Frage stehenden ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betroffenen nicht festgestellt werden kann. Dabei ist in Zweifelsfällen dem Schutz des Lebens der Vorrang einzuräumen (BGH FamRZ 2016, 1671). Dennoch kann in solchen Zweifelsfällen gerade wegen der oben geschilderten Historie der Gesetzgebung nicht einfach nach einer Güterabwägung entschieden werden. Eine solche Auslegung würde schließlich dazu führen, dass der Betreuer bei einem nicht feststellbaren Willen genauso agieren würde, wie es die ursprüngliche Widerspruchslösung vorsah. Dem geänderten Gesetzeswortlaut käme dann keinerlei eigenständige Bedeutung mehr zu. Mit dem Argument des Lebensschutzes könnte eine Zwangsbehandlung bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen immer bejaht werden. Dies kann aber vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, da diese Formulierung ja gerade geändert wurde, um eine solche Folge zu verhindern. Die oberste Priorität des Gesetzgebers lag in der Begrenzung und nicht in der Ausweitung ärztlicher Zwangsmaßnahmen. Daher kann dem sorgfältig arbeitenden Gesetzgeber somit wohl auch kaum einfach ein Versehen unterstellt werden. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Gesetzeswortlauts der Sterilisation gem. § 1905 BGB, der an die Voraussetzungen für den tiefgreifenden Eingriff der Sterilisation hinsichtlich des zu beachtenden Willen des Betroffenen in Form der Widerspruchslösung geringere Anforderungen stellt, als sie nun bei allgemeinen ärztlichen Zwangsbehandlungen gefordert werden. Auch diese nun nicht mehr gleichlaufenden Anforderungen an den Willen des Betroffenen stellen eine Folge der Neufassung des § 1906 a BGB dar, die vom Gesetzgeber offensichtlich so beabsichtigt war.
4. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG zugelassen. Es liegt keine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde vor, da die ablehnende Entscheidung keinen unmittelbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen darstellt. Die Frage der Anwendung des § 1906 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB wirft aber eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten wird und bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt wurde. Die Rechtsbeschwerde ist daher zuzulassen.


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