Familienrecht

Entbehrlichkeit des Exequaturverfahrens im Rahmen der Unterhaltssachen-VO

Aktenzeichen  7 UF 772/20

Datum:
15.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50036
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Unterhaltssachen-VO Art. 17 Abs. 2

 

Leitsatz

Das Exequaturverfahren ist bei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden sind, gem. Art. 17 Abs. 2 Unterhaltssachen-VO nur dann entbehrlich, wenn die Entscheidung aufgrund eines nach dem 18.6.2011 eingeleiteten Verfahren erlassen worden ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

110 F 1929/20 2020-07-10 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg – Abteilung für Familiensachen – vom 10.07.2020, Az. 110 F 1929/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der in Deutschland wohnhafte Antragsgegner ist der Vater des minderjährigen Antragstellers. Dieser wohnt bei seiner Mutter in der Tschechischen Republik und wird durch diese gesetzlich vertreten. Durch Urteil des Amtsgerichts Pilsen (Okrensi soud Plzen), Az. …, vom 08.03.2011 wurde der Antragsgegner verpflichtet, für den Antragsteller ab 01.09.2009 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 4.500 CZK zu zahlen. Diese Entscheidung wurde durch die Berufungsentscheidung des Landgerichts Pilsen, Az: …, vom 09.04.2013 bestätigt. Die Entscheidungen sind seit dem 09.04.2013 rechtskräftig.
Auf Antrag des Antragstellers, vertreten durch das Bundesamt für Justiz, vom 23.06.2020, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am 27.06.2020, hat das Amtsgericht Nürnberg die genannten Entscheidungen mit Beschluss vom 10.07.2020 auf dem Gebiet der Bundesrepublik für vollstreckbar erklärt. Dieser Beschluss wurde dem Antragsgegner am 15.07.2020 zugestellt.
Mit Schreiben vom 12.08.2020, das am 14.08.2020 beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist, und durch Niederschrift beim Amtsgericht Cham am 14.08.2020, die am gleichen Tag per Fax beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist, hat der Antragsgegner gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 10.07.2010 Beschwerde eingelegt. Er begehrt eine sachliche Nachprüfung des Urteils. Die Mutter des Antragstellers habe zusammen mit dem Antragsteller am 27.03.2009 ihren Wohnsitz bei ihm in Eschlkam fest angemeldet und sei bis zum Auszug im Oktober 2014 vom Antragsgegner und dessen Mutter vollständig materiell und finanziell versorgt worden. Die Mutter des Antragstellers habe das Urteil in Pilsen unter Angabe falscher Tatsachen erschlichen. Auf seinen Widerspruch an das Amtsgericht Pilsen vom 13.05.2011 habe er keine Antwort erhalten. Eine Kopie der Anmeldung bei der Meldebehörde Eschlkam sowie der Meldebestätigung des Marktes Eschlkam legte der Antragsgegner bei.
Das Amtsgericht hat die Beschwerde mit Verfügung vom 17.08.2020 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Anzuwendende Vorschriften
Die Vollstreckbarerklärung des Titels richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUnthVO); denn die Verordnung ist sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Bundesrepublik Deutschland seit 18. Juni 2011 gem. Art. 76 S. 3 EuUnthVO in Kraft getreten, da das Haager Protokoll von 2007 ab diesem Zeitpunkt in der Gemeinschaft anwendbar war.
Infolgedessen richtet sich das Verfahren nach dem Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (AUG) (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AUG), das ebenfalls am 18. Juni 2011 in Kraft getreten ist.
2. Zulässigkeit der Beschwerde
Gegen die Vollstreckbarerklärung nach Art. 26, 28 EuUnthVO ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben (Art. 32 Abs. 1 EuUnthVO, § 43 AUG). Der Antragsgegner hat im vorliegenden Verfahren sowohl mit Schreiben vom 12.08.2020, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am 14.08.2020, als auch durch Niederschrift zur Geschäftsstelle beim Amtsgericht Cham, aufgenommen am 14.08.2020 und am selben Tag per Fax eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg, gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 10.07.2020 Beschwerde eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist somit statthaft.
Der Eingang beider Beschwerden am 14. August 2020 war rechtzeitig. Der Beschluss wurde dem Antragsgegner am 15. Juli 2020 per PZU zugestellt, die 30tägige Rechtsmittelfrist gemäß Art. 32 Abs. 5 S. 1 EuUnthVO lief demnach am 14. August 2020 ab.
Die Beschwerde ist auf beiden Wegen formgerecht eingelegt worden (Art. 32 Abs. 2 EuUnthVO, § 43 Abs. 2 AUG), wobei die Beschwerdeschrift direkt beim zuständigen Ausgangsgericht, dem Amtsgericht Nürnberg, eingereicht wurde und die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle vom Amtsgericht Cham gem. §§ 43 Abs. 2 AUG, § 2 AUG, § 113 Abs. 1 FamFG, § 129 a Abs. 2 ZPO unverzüglich an das Amtsgericht Nürnberg weitergeleitet wurde.
Der Antragsgegner konnte die Beschwerde ohne Einschaltung eines Anwalts einreichen. Dies erschließt sich insbesondere aus § 43 Abs. 2 Satz 1 AUG, wonach die Beschwerde auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber ausweislich der Entwurfsbegrundung gewährleisten, dass die Beteiligten gemäß § 114 Abs. 4 Nr. 6 FamFG in Verbindung mit § 78 Abs. 3 ZPO für die Einlegung einer Beschwerde vom Anwaltszwang befreit sind (BT-Drucks. 17/4887 S. 47).
Darüber hinaus ist der Antragsgegner auch beschwerdeberechtigt, da dieser durch die erstinstanzliche Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist (Art. 32 Abs. 3 EuUnthVO, § 43 AUG, § 59 Abs. 1 FamFG).
3. Begründetheit der Beschwerde
Die Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg, da die von ihm erhobenen Einwendungen keine Veranlassung zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung geben.
a) Das Exequaturverfahren ist im vorliegenden Fall nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO entbehrlich. Die Unterhaltsentscheidungen sind vielmehr nach Art. 23 ff. EuUnthVO für vollstreckbar zu erklären.
Gemäß Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO sind Entscheidungen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der wie Tschechien durch das Haager Protokoll von 2007 (HUP) gebunden ist, unmittelbar vollstreckbar, so dass es eines Exequaturverfahrens nicht bedarf. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Entscheidung unter Zugrundelegung des Haager Protokolls von 2007 ergangen ist (Hausmann, 2. Auflage, M. Rn. 56, beck-online). Das Haager Protokoll von 2007 ist entgegen dem Wortlaut von Art. 22 HUP aufgrund der Erklärung in Art. 5 des Ratsbeschlusses vom 30.11.2009 unabhängig vom Zeitraum, für den Unterhalts begehrt wird, für alle Unterhaltsverfahren, die ab dem 18.06.2011 eingeleitet wurden, anzuwenden. Eine Entscheidung kann somit auf der Grundlage des HUP grundsätzlich nur dann ergangen sein, wenn das Verfahren hierzu ab dem 18.06.2011 eingeleitet worden ist (Hausmann, 2 Auflage, M. Rn. 56, beck-online). Dies hat zur Folge, dass das Exequaturverfahren bei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden sind, gem. Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO nur dann entbehrlich ist, wenn die Entscheidung aufgrund eines nach dem 18.06.2011 eingeleiteten Verfahren erlassen worden ist. Dies trifft auf die Unterhaltsentscheidungen, auf die sich das vorliegende Verfahren bezieht, nicht zu. Da die erstinstanzliche Entscheidung in Tschechien bereits am 08.03.2011 ergangen ist, folgt daraus, dass die Einleitung des Verfahrens vor dem 18.06.2011 erfolgt ist.
Es ist somit ein Exequaturverfahren durchzuführen. Dieses richtet sich nicht nach Art. 32 ff. EuGVVO, sondern nach Art. 23 ff. EuUnthVO (Art. 68 Abs. 1, Art. 75 Abs. 2b EuUnthVO). Art. 75 Abs. 2 a) EuUnthVO legt fest, dass Kapitel VI Abschnitte 2 und 3 EuUnthVO (= Art. 23 ff. EuUnthVO) auf Entscheidungen Anwendung findet, die in den Mitgliedsstaaten vor dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit dieser Verordnung ergangen sind und deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ab diesem Zeitpunkt beantragt wird und Art. 75 Abs. 2 b) EuUnthVO bestimmt, dass diese Abschnitte ebenfalls auf Entscheidungen Anwendung findet, die ab dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit der EuUnthVO in Verfahren, die vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurden, ergangen sind, soweit diese Entscheidungen für die Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 fallen.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Entscheidung des Amtsgerichts – … – erging am 08.03.2011, ist also eine Entscheidung die in dem Mitgliedsstaat Tschechien vor dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit der EuUnthVO ergangen ist und deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ab diesem Zeitpunkt, nämlich am 27.06.2020 beantragt wurde (Art. 75 Abs. 2 a) EuUnthVO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts (Landgericht Pilsen) – … – erging am 09.04.2013. Da sie nach dem Beginn der Anwendbarkeit der EuUnthVO ergangen ist und diese auch in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 fällt, ist auch auf sie das Exequaturverfahren anzuwenden.
b) Welche Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung erhoben werden können, richtet sich somit nach Art. 23 ff. EuUnthVO.
Der Antragsgegner wendet in seiner Beschwerde ein, er habe Mutter und Kind ab dem 27.03.2009 materiell und finanziell versorgt, also im Zeitraum 2009 bis 2014 Naturalunterhalt geleistet. Der Antragsgegner macht somit die Erfüllung des Anspruchs geltend. Eine solche Einwendung kann im Rahmen des Verfahrens auf Vollstreckbarkeitserklärung nicht erhoben werden. Das Beschwerdegericht kann nur darüber entscheiden ob die Vollsteckbarerklärung aus einem der in Art. 24 EuUnthVO ausgeführten Gründen zu versagen oder aufzuheben ist (Art. 34 Abs. 1 EuUnthVO) § 44 AUG, der die Geltendmachung von materiellrechtlichen Einwendungen in gewissem Umfang vorsah, ist mit Wirkung ab 26.02.2013 weggefallen.
Soweit der Antragsgegner vorbringt, die Kindesmutter habe sich das Urteil unter Angabe falscher Tatsachen erschlichen, gilt gem. Art. 42 EuUnthVO das Verbot der sachlichen Nachprüfung der ausländischen Entscheidung.
Eine Aufhebung der Vollstreckbarerklärung gem. Art. 34 Abs. 11 EuUnthVO kommt nicht in Betracht, da keiner der in Art. 24 EuUnthVO genannten Aufhebungsgründe vorliegt.
Gemäß Art. 24 b) EuUnthVO ist die Vollstreckbarerklärung aufzuheben, wenn dem Antragsgegner, der sich in dem Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl der die Möglichkeit dazu hatte.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Antragsgegner macht geltend, das Amtsgericht Pilsen habe bereits am 13.05.2011 einen Widerspruch gegen das Urteil von ihm erhalten und auf diesen Widerspruch habe er nie Antwort erhalten. Ein so gelagerter Vorfall kann nicht unter Art. 24 b) EuUnthVO fallen. In dieser Norm wird ausschließlich das rechtliche Gehör in der Phase der Verfahrenseinleitung geschützt. Das verfahrenseinleitende Schriftstück muss dem Antragsgegner so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sein, dass er sich hätte ordnungsgemäß verteidigen können (BeckOGK/Magnus, 1.3.2018, EU-UnterhaltsVO Art. 24 Rn. 8). Dies stellt der Antragsgegner nicht in Abrede. Zum Zeitpunkt seines Widerspruchs am 13.05.2011 war das Urteil des Amtsgerichts Pilsen bereits erlassen. Aus dem Verfahrensantrag geht hervor, dass das Urteil des Amtsgerichts Pilsen in der Berufungsentscheidung des Landgerichts Pilsen überprüft worden ist. Daran ist zu erkennen, dass dem Widerspruch des Antragsgegners Folge geleistet wurde und sein Rechtsmittel offenbar zu einem zweitinstanzlichen Verfahren geführt hat.
Anhaltspunkte dafür, dass die sonstigen in Art. 24 EuUnthVO aufgeführten Aufhebungsgründe vorliegen, sind nicht ersichtlich.
Es verbleibt somit bei der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 40 Abs. 1 AUG, § 788 ZPO.
Die Festsetzung eines Verfahrenswertes ist entbehrlich, da ein Rechtsanwalt am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt war und in Nr. 1720 KV FamGKG bezüglich der Gerichtskosten eine vom Verfahrenswert unabhängige Festgebühr anfällt.
Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG ist entbehrlich, weil diese gem. Art. 33 EuUnthVO i.V.m. § 46 Abs. 1 AUG kraft Gesetzes stattfindet.


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