Familienrecht

Keine fiktive Terminsgebühr für den Erörterungstermin in Kindschaftssachen

Aktenzeichen  11 WF 666/19

Datum:
20.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
JurBüro – 2020, 21
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG VV 3104 Abs. 1 Nr. 1
FamFG § 155 Abs. 2

 

Leitsatz

Der Erörterungstermin gem. § 155 Abs. 2 FamFG ist keine vorgeschriebene mündliche Verhandlung iSd VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 RVG (so auch OLG Hamm BeckRS 2017, 120747 Rn. 14). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

513 F 6300/18 2019-04-05 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beschwerde betrifft die Frage, ob bei einer Kindschaftssache – hier: Umgangsrecht – für den Rechtsanwalt eine fiktive Terminsgebühr im Sinne von VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 entstehen kann, weil § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG eine verbindliche „Erörterung“ anordnet.
In dem vorliegenden Verfahren betreffend das Umgangsrecht mit den Kindern der Parteien hat das Amtsgericht am 07.02.2019 eine Sachentscheidung zu Gunsten des prozesskostenhilfeberechtigten Antragsgegners getroffen. Ein Erörterungstermin gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG hatte dabei nicht stattgefunden.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners und nunmehrige Beschwerdeführerin macht eine Terminsgebühr im Sinne von VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 mit der Begründung geltend, auch ein Erörterungstermin gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG falle unter den Begriff der „mündlichen Verhandlung“ im Sinne dieser Bestimmung. Ein Unterschied zwischen „erörtern“ und „mündlich verhandeln“ sei „nicht ansatzweise nachvollziehbar“. Es sei „absurd“, auf begriffliche Unterschiede abzustellen; soweit „Gerold/Schmidt“ im „Brustton der Überzeugung“ eine andere Auffassung vertreten würden, seien die entsprechenden Versuche „untauglich“. Es sei gerichtsbekannt, dass dem Gesetzgeber in der Vergangenheit bereits einige Redaktionsversehen unterlaufen seien, weshalb es „Haarspalterei zu Lasten der Anwälte“ wäre, begrifflich zwischen mündlicher Verhandlung und Erörterungstermin zu unterscheiden. Schließlich habe auch das Amtsgericht von „mündlicher Verhandlung“ gesprochen.
Die Rechtspflegerin wies den Festsetzungsantrag unter Verweis auf die Kommentierung von Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl., VV Nr. 3104 Rn. 33 zurück. In ihrer Erinnerung hiergegen führt die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners im Wesentlichen aus, die die Einschlägigkeit von VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 ablehnende Rechtsprechung folge offenbar allein „fiskalischen Interessen“, möglicherweise „um die ausufernden Kosten für Verfahrensbeistände und familienpsychologische Gutachten irgendwie unter Kontrolle zu halten“; es liege nahe, die Kosten für Verfahrensbeistände „irgendwo anders wieder einzusparen“. Hierfür würden sich die Anwaltsgebühren geradezu anbieten. So gestehe die Rechtsprechung etwa den Verfahrensbeiständen die Pauschale pro Kind zu, ohne dass dies gesetzlich zwingend vorgegeben sei, während sie in Honorarfragen der Anwälte „auffallend restriktiv“ urteile.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 05.04.2019 wies das Amtsgericht die Erinnerung zurück; zur Begründung zitiert es die Kommentierung von Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., VV 3104 Rn. 33.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Verfahrensbevollmächtigte ihr Ziel der Festsetzung einer Terminsgebühr weiter: Zur Begründung führt sie insbesondere aus, das OLG Stuttgart habe in seinem Beschluss vom 14.09.2010 – 8 WF 133/10 ihre Auffassung geteilt. Es müsse auch auf das Maß der anwaltlichen Arbeit abgestellt werden, der Wortlaut des Gesetzes könne nicht allein maßgeblich sein: So habe der Gesetzgeber in VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 auch den Begriff „Vergleich“ weiter verwendet ohne ihn durch den Ausdruck „Einigung“ zu ersetzen; auf die Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3, 4 RVG zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg; die von der Beschwerdeführerin zitierte Auffassung, wonach unter „mündliche Verhandlung“ im Sinne der genannten Gebührenziffer auch ein „Erörterungstermin“ falle, wie sie etwa von Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl., VV 3104 Rn. 29 vertreten wird, ist durchaus erwägenswert. Allerdings geben die diesbezüglichen Argumente dem Senat keinen Anlass, von seiner ständigen Rechtsprechung abzugehen (die den gesetzgeberischen Vorgaben mehr Gewicht beimisst als die Mindermeinung):
1. Soweit in der Beschwerde der herrschenden Meinung „Wortklauberei“ mit dem Ziel, aus fiskalischen Gründen die „Anwaltshonorare zu deckeln etc.“ vorgeworfen wird, sind die diesbezüglichen Darlegungen nicht erwiderungsfähig bzw. -bedürftig.
2. Überlegenswert allerdings ist die Ansicht von Schneider, a.a.O., wonach es „nicht einzusehen“ sei, wieso für die Anwälte ein Anreiz geschaffen werde, in Familienstreitsachen den obligatorischen gerichtlichen Termin entbehrlich zu machen, in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit – wie hier – den obligatorischen Erörterungstermin aber nicht (a.a.O., Rn. 29).
Mit der ganz herrschenden Meinung ist der Senat jedoch der Auffassung, dass in der vorliegenden Auslegungsfrage der klare Gesetzeswortlaut nicht übergangen werden kann, weshalb an der ständigen Rechtsprechung festgehalten wird (vgl. zuletzt Beschluss vom 25.03.2019 – 11 WF 1470/18; Beschl. v. 07.07.2014 – 11 WF 919/14; Beschl. v. 24.01.2012 – 11 WF 126/12, = FamRZ 12, 1582).
a) Soweit teilweise Ausführungen des BGH zu dieser Frage angeführt werden, erscheint dies nicht zwingend:
Der BGH hat im Beschluss vom 24.07.2003 – V ZB 12/03 Tz 8, = NJW 03, 3133, dargelegt, § 35 BRAGO finde für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich keine Anwendung, weil das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen befinden könne, ob es schriftlich oder nach mündlicher Verhandlung entscheiden wolle. Demgegenüber sieht § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG in der vorliegenden Kindschaftssache (Umgang) eine Erörterung verbindlich vor. In seinem Beschluss vom 28.02.2012 – XI ZB 15/11 Tz 8 stellt der BGH maßgeblich auf die Bezeichnung einer Gebühr als „Terminsgebühr“ ab – auch dies allenfalls ein Indiz für die Auffassung der herrschenden Meinung.
b) In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird zwar nicht ausreichend danach differenziert, um welche Kindschaftssache (im Sinne von § 111 Nr. 2 FamFG) es sich handelt, weil nur in den in § 155 Abs. 1 FamFG genannten ein Erörterungstermin zwingend vorgeschrieben ist. Soweit die Entscheidungen das elterliche Sorge recht betreffen, bei dem die Erörterung nicht verpflichtend ist, greift der Gedanke nicht, wonach einem Rechtsanwalt nicht zugemutet werden solle, die Terminsgebühr zu „opfern“ wenn er einer schriftlichen Entscheidung zustimmt (siehe Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 3104 Rn. 11).
Gleichwohl argumentieren nahezu sämtliche Oberlandesgerichte – überzeugend – mit dem klaren und eindeutigen Wortlaut, der für eine analoge Anwendung hier keinen Raum lasse. Das OLG Hamm, Beschluss vom 11.07.2017 – 6 WF 137/17 Tz 14 verweist insbesondere etwa auf § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, aus dem sich ergibt, dass der Gesetzgeber die Begriffe „Erörterung“ und „mündliche Verhandlung“ ganz bewusst nebeneinander verwendet. Richtig ist auch, dass von der gesetzlichen Ausgestaltung her ein Unterschied zwischen „mündlicher Verhandlung“ und „Erörterung“ besteht, über den sich mit der Erwägung, beides sei für einen Anwalt arbeitsintensiv, nicht hinwegkommen lässt (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.04.2014 – 5 WF 181/13 Tz 16 – übrigens in einer Umgangssache, also unter Geltung von § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Richtigerweise sieht auch das OLG Schleswig (Beschl. v. 12.02.2014 – 15 WF 410/13 Tz 8 f.) keinen Anlass, den Wortlaut der Ausnahme regelung in VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 dahingehend zu erweitern, dass der gesetzestechnische Begriff „mündliche Verhandlung“ auch eine Erörterung umfassen soll (siehe ergänzend OLG Hamm, Beschl. v. 01.10.2012 – 6 WF 46/12 Tz 15 ff.; KG Berlin, Beschl. v. 16.08.2012 – 25 WF 58/12 Tz 7; ebenso Keidel-Engelhardt, FamFG, 19. Aufl., § 155 Rn. 18).
c) Maßgeblich ist, dass gerade bei VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 die gesetzgeberische Vorgabe unmissverständlich ist: Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG unterscheidet zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Terminen, wobei in der bis 2013 gültigen Fassung ausdrücklich (auch) der Begriff „Erörterungstermin“ verwendet wurde. Es kann nicht angenommen werden, dass bei der Neufassung die Erörterungsgebühr gewissermaßen „vergessen“ worden ist (auch wenn nunmehr grundsätzlich alle gerichtlichen Termine eine Terminsgebühr auslösen sollen, siehe dazu Müller-Rabe, a.a.O., Vorb. 3 Rn. 74; VV 3104 Rn. 34). Gerade die Nrn. 2 und 3 dieser Gebührenziffer zeigen, dass der Gesetzgeber eine ganz bestimmte Regelung treffen wollte und nun einmal getroffen hat (an die Rechtsprechung gebunden ist, Art. 20 Abs. 3 GG).
Die sinngemäße Erwägung der Beschwerde, die Gerichte hätten auch bei anderen Vorschriften das Gesetz auszulegen bzw. weiterentwickelt, vermag hieran nichts zu ändern. Es wäre Sache des Gesetzgebers, eine Korrektur herbeizuführen. Zu Recht weist etwa das OLG Celle darauf hin, das VV-RVG verstehe den Begriff der „mündlichen Verhandlung“ nicht als überordneten Begriff im gebührenrechtlichen Sinne, der für jedweden Gerichtstermin zu gelten habe (Beschl. v. 13.09.2011 – 10 WF 227/11 Tz 14 – unter ausdrücklicher Auseinandersetzung übrigens mit der Auffassung des OLG Stuttgart, siehe a.a.O., Tz 15).
Jedenfalls wurde im Gesetz eine klare Regelung getroffen – dies, obwohl die hier vorliegende Streitfrage bereits vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG streitig war, vgl. Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl., VV 3104 Rn. 29 m.w.N..
d) Gerade das Kostenrecht bedarf klarer und unmissverständlicher Vorgaben, da es dem Kostenbeamten bzw. hier dem Geschäftsstellenbeamten im Sinne von § 55 RVG nicht angesonnen werden kann, in Fällen wie hier Überlegungen zu gebotenen Analogien anzustellen oder zu prüfen, ob die oben begründete Unterscheidung wirklich mit der Intention des Gesetzgebers übereinstimmt.
3. Die Verfahren über Erinnerung und Beschwerde sind gebührenfrei, § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Eine Klärung der beschwerdegegenständlichen Frage durch den BGH ist wegen §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht möglich.


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