Aktenzeichen W 3 K 20.1834
SGB VIII a.F. § 37 Abs. 1
SGB VIII n.F. § 37 Abs. 1
SGB VIII § 39 Abs. 1
SGB VIII § 39 Abs. 3
SGB VIII § 18 Abs. 3
SGB I § 11
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Über die vorliegende Klage konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, wie sich aus der Würdigung ihres Vorbringens (§ 88 VwGO) ergibt, von der Beklagten die Erstattung von Kosten, die sie anlässlich zweier Umgangskontakte mit ihrem im Rahmen des § 35a SGB VIII vollstationär untergebrachten Sohnes J. am 25. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 für die Fahrten zum Umgangsort und zurück, für Verpflegung betreffend diese Zeiträume und für Geschenke aufgewendet hat. Die Beklagte hat dieses Begehren mit Bescheid vom 15. September 2020 abgelehnt.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche weder auf der Grundlage des Rechts der Eingliederungshilfe im Rahmen des § 35a SGB VIII (vgl. unten Ziffer 1) noch als Leistung der Unterstützung und Hilfestellung nach § 18 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB VIII (vgl. unten Ziffer 2) zu.
1. Die Klägerin kann ihren Anspruch im Rahmen der ihrem Kind gewährten Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII weder auf § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII (vgl. unten Buchstabe a) noch auf § 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB VIII (vgl. unten Buchstabe b) stützen. In diesem Zusammenhang ist auf die am 25. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 gültige Fassung der Vorschriften abzustellen, auf die Tage also, an denen die Kosten entstanden sind, deren Erstattung die Klägerin geltend macht.
Bei Verpflichtungsklagen – und um eine solche handelt es sich im vorliegenden Fall – ist bei der Frage, ob der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, grundsätzlich darauf abzustellen, ob – bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung – im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein Rechtsanspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht. Allerdings kann es für das Bestehen eines Anspruchs im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts nach dem materiellen Recht maßgeblich sein, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch in einem früheren Zeitpunkt erfüllt waren. Von Bedeutung ist dies insbesondere bei begünstigenden Verwaltungsakten, bei denen das Gesetz für das Bestehen des Anspruchs an einen bestimmten Zeitpunkt anknüpft, zu dem die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen müssen (W.-R. Schenke/R.P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Rn. 217 bis Rn. 222 m.w.N.; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 57).
Im vorliegenden Fall ist damit auf §§ 35a ff. Achtes Buch Sozialgesetzbuch i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), zuletzt geändert durch Art. 8 Gesetz vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1948) bzw. durch Art. 16a Gesetz vom 28. April 2020 (BGBl. I S. 960) – SGB VIII – abzustellen, da sich die hernach erfolgten weiteren Gesetzesänderungen keine Rückwirkung auf die hier maßgeblichen Daten 25. Mai 2020 und 9. Juni 2020 beimessen.
a) Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder unter Jugendliche unter bestimmten im Einzelnen genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Eingliederungshilfe. Inhaber dieses Rechtsanspruches ist – wie sich schon aus der Gesetzesformulierung ergibt – ausschließlich das Kind bzw. der Jugendliche selbst. Der Hilfebedarf ist nicht der elterlichen Erziehungsverantwortung zugeordnet. Bis zum Alter von 14 Jahren erfolgt die Geltendmachung des Anspruchs ausschließlich durch den gesetzlichen Vertreter (von Boetticher/Meysen in Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 35a Rn. 14 und Rn. 15; Kepert/Dexheimer in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 35a Rn. 6).
Wird – wie im vorliegenden Fall dem Kind J. der Klägerin – Hilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII in einer Einrichtung über Tag und Nacht gewährt, so ist nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Nach Satz 2 der Vorschrift umfasst dies die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden. Einmalige Beihilfen oder Zuschüsse können nach § 35a Abs. 3 SGB VIII u.a. insbesondere bei wichtigen persönlichen Anlässen sowie für Urlaubs- oder Fernreisen des Kindes gewährt werden.
Zwar ist die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts, also des Existenzminimums, grundsätzlich Aufgabe der Existenzsicherungssysteme, also insbesondere der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Allerdings weist § 39 SGB VIII als Ausnahme hiervon diese Aufgabe u.a. für vollstationär untergebrachte Kinder oder Jugendliche der Jugendhilfe zu, so dass sie – klargestellt in § 10 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII – der Sozialhilfe und der Grundsicherung vorgeht. Hierbei ist es unerheblich, ob eine wirtschaftliche Notlage vorliegt; der Lebensunterhalt des Kindes ist in diesem Fall unabhängig hiervon sicherzustellen (Kunkel/Pattar in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 39 Rn. 1 m.w.N.). Hieraus ergibt sich allerdings auch, dass die Sicherstellung des Lebensunterhaltes des Kindes keine selbständige Aufgabe des Jugendamts ist, sondern ein bloßer Annex u.a. zur stationären Eingliederungshilfe (Kunkel/Pattar, a.a.O., Rn. 3; VG Minden, B.v. 2.4.2013 – 6 K 1170/13 – juris Rn. 2; VG des Saarlandes, GB v. 12.1.2011 – 3 K 1193/10 – juris Rn. 6; Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 39 Rn. 6).
Wegen dieses engen Zusammenhangs zwischen einer dem Kind selbst zustehenden Leistung nach § 35a SGB VIII und einer hierauf beruhenden Leistung nach § 39 SGB VIII ist Inhaber von möglichen Ansprüchen aus § 39 SGB VIII ebenfalls ausschließlich das Kind selbst, nicht dagegen seine Eltern, unabhängig von der Frage, welche Elternrechte sie hinsichtlich des Kindes haben (VG Göttingen, U.v. 11.11.2008 – 2 A 74/07 – juris Rn. 16; Tammen in Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 4; Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 39 Rn. 16; Kunkel/Pattar in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 39 Rn. 9; offengelassen: VG Minden, B.v. 2.4.2013 – 6 K 1170/13 – juris Rn. 2).
Zudem ist zu beachten, dass Leistungen nach § 39 SGB VIII als Annex-Leistung u.a. zu § 35a SGB VIII der Erfüllung des Eingliederungshilfebedarfs des Kindes dienen (Kunkel/Pattar, a.a.O., § 39 Rn. 9).
Die Gewährung von Leistungen an die Eltern des von einer Maßnahme nach § 35a SGB VIII betroffenen Kindes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine solche Leistung reflexiv die Teilhabe-Chancen des Kindes verbessert (von Boetticher/Meysen, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 35a Rn. 14; DIJuF-Rechtsgutachten, JA 2015, 87 in Auseinandersetzung mit LSG Baden-Württemberg, U.v. 18.7.2013 – L 7 SO 4642/12 – juris).
Auf dieser Grundlage kann die Klägerin schon deshalb ihr Begehren nicht auf § 39 Abs. 1 Satz 1 bzw. auf § 39 Abs. 3 SGB VIII stützen, weil nicht sie selbst, sondern ausschließlich ihr Kind Anspruchsinhaber sein kann. Demgegenüber ist deutlich, dass die Klägerin die mit der vorliegenden Klage verfolgten Ansprüche ausschließlich im eigenen Namen geltend macht.
Aber selbst wenn die Klägerin den Anspruch auf Ersatz der anlässlich der Umgangskontakte am 25. Mai 2020 und 9. Juni 2020 entstandenen Kosten im Namen ihres Kindes geltend machen würde, hätte dies keinen Erfolg.
Dies ergibt sich schon daraus, dass der Klägerin mit der Entscheidung des Amtsgerichts – Familiengericht – W … vom 15. Oktober 2018 das Recht zur Beantragung von Jugendhilfeleistungen für ihr Kind entzogen worden ist.
Unabhängig hiervon hätte zudem das Kind J. selbst keinerlei Anspruch auf Ersatz der seiner Mutter, der Klägerin, anlässlich der Umgangskontakte am 25. Mai 20r20 und am 9. Juni 2020 entstandenen Kosten.
Wie oben ausgeführt, stehen Leistungen nach § 39 SGB VIII als Annex-Leistung zu § 35a SGB VIII in einem engen Zusammenhang mit dem Eingliederungshilfebedarf des Kindes. Dies bedeutet, dass derartige Leistungen nicht allgemein der Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhaltes dienen, sondern dass sie nur deshalb gewährt werden, weil und wenn sie in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit der pädagogischen Leistung stehen (Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 39 Rn. 6; Tammen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 3; VG des Saarlandes, GB v. 12.1.2011 – 3 K 1193/10 – juris Rn. 7; VG Göttingen, U.v. 11.11.2008 – 2 A 74/07 – juris Rn. 26). Denn der Träger der Jugendhilfe hat im Rahmen des § 35a SGB VIII lediglich dafür einzustehen, dass der Bedarf an Eingliederungshilfe erfüllt wird; was diesem Bedarf nicht dient, kann deshalb dem Träger der Jugendhilfe nicht übergebürdet werden.
So liegt der Fall hier. Die beiden Umgangskontakte am 25. Mai 2020 anlässlich des 12. Geburtstags des Kindes J. sowie am 9. Juni 2020 anlässlich des Geburtstags der Klägerin waren nicht dafür geeignet, zur Erfüllung des Eingliederungshilfebedarfs des Kindes J. beizutragen. Dies ergibt sich aus der Fortschreibung des Hilfeplans vom 20. Dezember 2019 auf der Grundlage des Hilfeplangesprächs vom 26. November 2019. Hieraus ergibt sich Folgendes:
Im Rahmen von Ziffer 1., Spieltherapie heißt es: „J. ist nach den begleiteten Umgängen in der Spieltherapie deutlich verschlossen. Er hat über längere Zeit in der Wohngruppe gute Kontakte gehabt, dann aber wieder Einbrüche. Der Loyalitätskonflikt, in dem er sich befindet, ist relativ groß. Einschätzung des Fachdienstes ist, dass J. sich auf die Gruppe einlassen könnte, wenn er über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt zur Mutter hat. J. wird von dem Erleben der Mutter indoktriniert, durch Aussagen wie ‚die haben dich mir weggenommen‘ bestehe die Gefahr, dass J. weiterhin in einem absoluten Zwiespalt lebt und seine psychische Gesundheit Schaden nimmt. Der Umgangspfleger sieht die Situation genauso. Die begleiteten Umgänge waren gerichtlich bis Ende 2019 festgelegt. Der Dezemberkontakt wird nicht stattfinden. Unbegleitete Umgänge sind aus Sicht des Umgangspflegers undenkbar.“
Im Rahmen von Ziffer 1., Wohngruppe heißt es u.a.: „Kontakte zur Verwandtschaft sind schwierig. Hypothetisch betrachtet instrumentalisiert J. das System, indem er zur Konsumbefriedigung mit Verwandten mitgeht, und wenn der Konsum befriedigt wurde (Spiele etc.), will J., dass die Verwandten gehen. Auch bei diesen Kontakten kommt J. nicht zur Ruhe, da immer wieder Aussagen getroffen werden würden, wie z.B. ‚der arme Bub‘.“
Nach der Einschätzung im Hilfeplan ist eine Mitverantwortungsbereitschaft der Eltern bei der Eingliederungshilfemaßnahme nicht gegeben. Im Hilfeplan wurde besprochen, dass es keine Umgänge zu Mutter, Vater und anderen Verwandten gibt. Besuchs- und Kontaktregelungen wurden nicht getroffen. Weiterhin wurde vereinbart, dass die Klägerin sich zum ersten Dienstag eines Monats beim Pfleger melden könne, um Informationen zu ihrem Kind zu erhalten.
Auf den zeitlich später gelegenen Hilfeplan vom 2. Juli 2020 kommt es demgegenüber nicht an.
Dies macht deutlich, dass Umgangskontakte zwischen der Klägerin und ihrem Kind aus pädagogischer Sicht im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII nicht Teil des pädagogischen Konzepts sind, sondern vielmehr als kontraproduktiv angesehen werden. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, dass diese Einschätzung in der Fortschreibung des Hilfeplans vom 20. Dezember 2019 auf einer unvollständigen oder fehlerhaften Tatsachenbasis beruhen könnte oder an sich nicht nachvollziehbar wäre, dies auch im Lichte der familiären Vorgeschichte. Auch unter Berücksichtigung des Hilfeplans vom 2. Juli 2020 ergibt sich nichts anderes; dieser konnte erst zeitlich später Wirkung entfalten und die hierin festgehaltenen Umgangsregelungen wurden aufgrund eines kindeswohlgefährdenden Vorfalls mit Schreiben vom 27. August 2020 gestrichen.
Dass dennoch die beiden Umgangskontakte am 26. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 stattgefunden haben, war weder vom Jugendamt der Beklagten noch von den Verantwortlichen der die Eingliederungsmaßnahme durchführenden Einrichtung veranlasst, sondern sie erfolgten – wie sich aus einer jugendamtsinternen Mail vom 23. Juni 2020 ergibt – ohne vorherige Kenntnis des Jugendamts der Beklagten.
Doch selbst wenn derartige Umgangskontakte vom pädagogischen Konzept der Eingliederungshilfe für das Kind der Klägerin mitumfasst gewesen wären, bestünden seitens des Kindes (geltend gemacht durch die Klägerin) keinerlei Ansprüche auf Ersatz der eigenen Aufwendungen der Klägerin für die Fahrt, die Verpflegung und Geschenke anlässlich der beiden Umgangskontakte am 26. Mai 2020 und am 9. Juni 2020, dies selbst dann, wenn dies reflexiv die Teilhabe-Chancen des Kindes verbessern könnte (von Boetticher/Meysen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 35a Rn. 14; die Frage, ob Fahrtkosten der Eltern im Rahmen einer Eingliederungshilfemaßnahme zugunsten ihres Kindes zum für das Kind entstandenen Sach-, Pflege- oder Erziehungsaufwand gehören, verneinend: VG Minden, B.v. 2.4.2013 – 6 K 1170/13 – juris Rn. 8).
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen zu decken. Besuchsfahrten von Eltern im Rahmen von Umgangskontakten mit einem vollstationär untergebrachten Kind gehören – wenn sie, wie oben ausgeführt, Teil des pädagogischen Konzepts der Eingliederungshilfemaßnahme sind – zu einem solchen regelmäßig wiederkehrenden Bedarf und sind deshalb nicht separat und zusätzlich zu bezahlen (Kunkel/Pattar in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 39 Rn. 12 m.w.N.). Dies gilt nicht nur für die Fahrtkosten, sondern auch für weitere durch reguläre Umgangskontakte entstehende Kosten (Kunkel/Pattar, a.a.O., Rn. 12 mit Verweis auf die Pflicht des Barunterhaltspflichtigen, Kosten für Umgangskontakte selbst zu bestreiten; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.8.2008 – 7 A 10443/08 – juris Rn. 18, Rn. 21 mit Verweis auf § 94 Abs. 4 SGB VIII).
Auch § 39 Abs. 3 SGB VIII käme vorliegend nicht zum Zuge. Nach dieser Vorschrift können einmalige Beihilfen oder Zuschüsse u.a. bei wichtigen persönlichen Anlässen gewährt werden. Geburtstage des Kindes und der Mutter zählen hierzu allerdings nicht. Dies ergibt sich schon daraus, dass es sich nicht um einmalige, sondern um jährlich wiederkehrende Anlässe handelt (Tammen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 15). Zudem sind derartige Geburtstage keine „wichtige persönliche Anlässe“ im Sinne der Vorschrift. Hierzu können lediglich lebensentscheidende Ereignisse wie Erstkommunion, Konfirmation oder vergleichbare Feste gezählt werden (Kunkel/Pattar in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 39 Rn. 18; vgl. auch Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 39 Rn. 25; Tammen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 15 auch zu den Fahrtkosten anlässlich solcher singulären Ereignisse).
Auch aus diesen Gründen bestünde selbst für den Fall, dass die Umgangskontakte dem pädagogischen Konzept entsprächen und die Klägerin dazu berechtigt wäre, für ihr Kind Jugendhilfeleistungen zu beantragen, kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 39 Abs. 1 oder Abs. 3 SGB VIII auf Ersatz der ihr anlässlich der Umgänge am 26. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 entstandenen Aufwendungen.
b) Auch auf der Grundlage von § 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB VIII hat die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der ihr im Rahmen der Umgänge am 26. Mai 2020 und 9. Juni 2020 entstandenen Aufwendungen. Nach dieser Vorschrift soll u.a. bei Hilfen nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII durch Beratung und Unterstützung die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums soweit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familie darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird.
Diese Vorschrift begründet für Eltern u.a. von im Rahmen des § 35a SGB VIII vollstationär untergebrachten Kindern eine eigenständige Regelung, dies unabhängig davon, ob den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind zusteht oder nicht (Berneiser in LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 37 Rn. 27; Schönecker/Meysen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 37 Rn. 5; Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 37 Rn. 14a m.w.N.).
Allerdings stehen der Klägerin auch auf dieser Rechtsgrundlage die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 37 Abs. 1 SGB VIII in der bis zum 9. Juni 2021 gültigen Fassung, also vor Erlass des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (BGBl. I 2021, 1444), keine individuellen und einklagbaren Rechtsansprüche für Eltern von Kindern, die eine Hilfe nach § 35a SGB VIII erhalten, konstituiert. Denn § 37 Abs. 1 SGB VIII enthält lediglich Sollvorschriften über die Grundsätze der Zusammenarbeit bei Hilfen u.a. nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII, denen sich ein einklagbarer Anspruch auf konkrete Maßnahmen der Jugendämter nicht entnehmen lässt (NdsOVG, B.v. 8.11.2011 – 4 PA 292/11 – JA 2012, 271). Eine Formulierung im Gesetzestext, die einen individuellen und einklagbaren Anspruch der Klägerin begründen könnte, ist nicht erkennbar. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (BT-Drs. 19/26107, S. 4). Als Lösung der zuvor aufgeworfenen Probleme ist u.a. vorgesehen, dass Eltern bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie – unabhängig von der Personensorge – einen eigenen Rechtsanspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung ihrer Beziehung zum Kind erhalten. Zudem ist in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26107, S. 89 Zu § 37 – neu, Zu Abs. 1) festgehalten, dass die mit diesem Gesetz in Kraft getretene Fassung des § 37 SGB VIII den Eltern unabhängig davon, ob sie sorgeberechtigt sind, einen umfassenden Anspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind einräumt. Dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass dies zuvor nicht der Fall gewesen ist; andernfalls hätte er zumindest – wie im sich anschließenden zweiten Satz – formuliert, dass die Vorschrift klarstellt, dass den Eltern ein entsprechender Anspruch zusteht (vgl. hierzu auch die Formulierung bei Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB VIII, 2. Aufl., Stand: 7.9.2021, § 37 Rn. 11: „im neuen § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII wird nunmehr für die Eltern ein Anspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung der Beziehung zu dem Kind normiert“; diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass dies zuvor nicht der Fall gewesen ist; a.A.: Bernreiser in LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 37 Rn. 27; Schmid-Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 37 Rn. 14a, jeweils ohne weitere Begründung).
Aber auch aus § 37 Abs. 1 SGB VIII in der ab dem 10. Juni 2021 gültigen Fassung kann die Klägerin keine entsprechenden Rechte ableiten. Wie sich aus Art. 10 Abs. 1 KJSG ergibt, tritt das Gesetz vorbehaltlich verschiedener Regelungen zur späteren Gültigkeit einzelner Vorschriften am Tag nach der Verkündung, also am 10. Juni 2021 in Kraft. Eine rückwirkende Geltung ist nicht vorgesehen, so dass die Klägerin schon deshalb auf dieser Grundlage den Ersatz von am 26. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 entstandenen Kosten für Umgangskontakte nicht geltend machen kann.
Aber auch unabhängig hiervon wäre Art. 37 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII n.F. keine geeignete Anspruchsgrundlage für einen bloßen Ersatz von Aufwendungen anlässlich von Umgangskontakten ohne pädagogischen Hintergrund.
Ziel der durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vorgenommenen Gesetzesänderungen ist die Wahrung der Kindesinteressen fremduntergebrachter junger Menschen, die Unterstützung der Eltern und die Stärkung der Familien (BT-Drs. 19/26107, S. 2). Vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG begründet Art. 37 Abs. 1 SGB VIII n.F. einen individuellen Anspruch von – auch nicht sorgeberechtigten – Eltern auf Beratung, Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind damit, dass die Rückkehroption des Kindes in die Herkunftsfamilie möglichst erfolgreich umgesetzt werden kann bzw. dass für den Fall, dass die Lebensform des Kindes außerhalb der Herkunftsfamilie auf Dauer angelegt sein muss, die diesbezügliche Akzeptanz der Eltern gefördert und gegebenenfalls sogar eine konstruktive Begleitung erreicht werden soll. Hiermit sollen Loyalitätskonflikte seitens der Kinder vermieden und die Wirksamkeit der Hilfen insgesamt gefördert werden (BT-Drs. 19/26107, S. 89). Dies macht deutlich, dass die Vorschrift (auch) in ihrer neuen Fassung die Zielrichtung hat, zum Wohl des Kindes zum Gelingen u.a. der Eingliederungshilfemaßnahme nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII beizutragen. Geldleistungen, die möglicherweise aufgrund der finanziellen Bedürftigkeit der Eltern, nicht aber aus Gründen der Förderung des Erfolgs der Jugendhilfemaßnahme erforderlich sind, können auf der Grundlage von § 37 Abs. 1 SGB VIII nicht gewährt werden. Dies ergibt sich aus dem System der Kinder- und Jugendhilfe, das auf dem sozialpädagogischen Ansatz aller Leistungen beruht. Materielle Leistungen kommen deshalb nur begleitend zu sozialpädagogischen Hilfen in Frage (Tammen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 3). Als Ausnahme hiervon hat der Gesetzgeber als Annex-Leistung die Regelungen in § 39 und § 40 SGB VIII geschaffen, um unabhängig von einer wirtschaftlichen Notlage den notwendigen Unterhalt des Kindes zu sichern. Über diese konkret benannten Ausnahmen hinaus können Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe keine reinen Existenzsicherungsmaßnahmen beinhalten, dies weder für die jungen Menschen noch für deren Eltern.
Unter Zugrundelegung dieser Gegebenheiten ist – wie oben ausgeführt – zu beachten, dass die Umgangskontakte der Klägerin mit ihrem Kind am 26. Mai 2020 und am 9. Juni 2020 keinerlei pädagogischen Ansatz hatten, nicht im aktuellen Hilfeplan vorgesehen waren und nicht im Einverständnis, ja nicht einmal mit Kenntnis des Jugendamtes der Beklagten durchgeführt worden sind.
Deshalb steht der Klägerin schon aus diesem Grunde kein Anspruch aus § 37 Abs. 1 SGB VIII n.F. zu, dies unabhängig von der Frage der zeitlichen Anwendbarkeit der Vorschrift auf den vorliegenden Fall.
2. Auch auf der Grundlage von § 18 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 SGB VIII steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
§ 18 SGB VIII regelt die Beratung und Unterstützung von Müttern und Vätern bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts. Nach Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift haben u.a. Eltern Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts. Unter anderem bei der Herstellung von Umgangskontakten und bei der Ausführung gerichtlicher oder vereinbarter Umgangsregelungen soll vermittelt und in geeigneten Fällen Hilfestellung geleistet werden (§ 18 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII). § 18 SGB VIII zielt darauf ab, die Adressaten der Norm durch Beratung und Unterstützung zu befähigen und zu stärken, Fragen der elterlichen Sorge, des Umgangs und des (Bar-)Unterhalts selbständig zu klären und gegebenenfalls mit den anderen betroffenen Personen eigenverantwortlich und zufriedenstellend zu regeln (Tammen in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 18 Rn. 1 a.E.). Bei Beratung und Unterstützung nach § 18 SGB VIII handelt es sich um Dienstleistungen im Sinne des § 11 SGB I. In dieser Vorschrift wird zwischen Dienstleistungen, Sachleistungen und Geldleistungen unterschieden. Derartige Dienstleistungen auf der Grundlage von § 18 SGB VIII schließen Rechtsberatungen und Rechtsdienstleistungen ein. Demgegenüber ist es nicht Zielrichtung des § 18 SGB VIII, bloße finanzielle Leistungen zu gewähren. Stattdessen meint der Begriff „Unterstützung“ eine über die Beratung hinausgehende Hilfestellung, die sich als aktive Begleitung im laufenden Verfahren konkretisiert (Tammen a.a.O., § 18 Rn. 1, Rn. 7, Rn. 8, vor §§ 16 bis 21, Rn. 8; Kunkel/Pattar in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 18 Rn. 4).
Damit kann sich die Klägerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs nicht auf § 18 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 SGB VIII stützen.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.