Familienrecht

“Krieg” mit den Behörden – Gründe für die Erweiterung einer Betreuung

Aktenzeichen  43 T 95/20

Datum:
9.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 38260
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a, Abs. 2, § 1902, § 1908d Abs. 1 S. 1
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2, § 295 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Der Begriff der psychischen Krankheit im Sinne des § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB bezieht sich auf anerkannte Krankheitsbilder der Psychiatrie. Geistige Behinderung ist ein angeborener oder frühzeitig erworbener Intelligenzdefekt einer gewissen Schwere, wobei dies graduell verschieden sein kann. (Rn. 23 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein freier Wille iSd § 1896 Abs. 1a BGB kann bereits nicht gebildet werden, wenn dem Betroffenen angesichts seines Krankheitsbildes die Einsichtsfähigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit der Betreuung fehlt. (Rn. 30 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Aufgabenkreis der Vermögenssorge ist von der Betreuung zu umfassen, wenn der Betroffene über seine Vermögensangelegenheiten keinen Überblick besitzt und er aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, komplexere Geschehen zu erfassen. (Rn. 40 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträger sowie Gerichten ist in die Betreuung mit aufzunehmen, wenn der Betroffene in diesem Bereich krankheitsbedingt keinen logischen Argumenten zugänglich und nicht in der Lage ist, die Realität situationsgerecht aufzunehmen und zu verarbeiten. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Erstreckung der Betreuung auf den Bereich des persönlichen Postverkehrs ist erforderlich, wenn eine Vermögenssorge sowie eine Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Sozialleistungsträgern und Gerichten und eine Vertretung in Nachlassangelegenheiten für den Betreuer nicht durchführbar ist. (Rn. 46 – 48) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 XVII 110/06 2020-10-29 AGFORCHHEIM AG Forchheim

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Forchheim vom 29.10.2020 (Az.: 1 XVII 110/06) wird zurückgewiesen.
2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000, – € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Betroffene leidet an einer psychischen Erkrankung und an einer geistigen Behinderung. Bei ihm liegt eine intellektuelle Minderbegabung mit deutlichen Verhaltensstörungen (ICD-10: F70.1) vor. Weiter leidet er an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dominierenden paranoiden querulatorischen Persönlichkeitszügen (ICD-10: F 61). Diese Beeinträchtigungen bestehen bei dem Betroffenen auf Dauer. Zudem konsumiert er regelmäßig mehrere Flaschen Bier pro Tag und es liegt entsprechend ein Alkoholmißbrauch vor (ICD-10: F10.1).
Der Betroffene ist extrem misstrauisch gegenüber anderen, insbesondere gegenüber Behörden und staatlichen Organen. Aufgrund seiner intellektuellen Minderbegabung ist er nicht in der Lage, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und sein Verhalten situationsadäquat zur Wahrung seiner Interessen auszurichten. Er ist geschäftsunfähig. Im formalen Denkablauf ist er erheblich eingeengt und einfach strukturiert. Er ist in seinem gesamten Denken starr und unflexibel. Er ist nicht in der Lage, selbst einfache Sinnzusammenhänge, auch wenn man sie ihm situationsgemäss und seinem intellektuellen Leistungsvermögen entsprechend erklärt, zu erfassen und zu verarbeiten sowie sich dazu folgerichtig und seiner Situation angemessen zu äußern und zu verhalten. Bei seinen Aussagen über seine zukünftigen Planungen und seiner Lebensführung dominieren beabsichtigte Vorgehensweisen gegenüber Ämtern und Behörden sowie von ihm durchzuführende und noch anzustrengende Rechtsstreitigkeiten gegenüber Behörden, Ämtern und anderen Personen ohne die Realität dabei erkennen und seinen Entscheidungen zugrunde legen zu können. Der Betroffene ist hierdurch in seinem gesamten Denken starr und unflexibel. Auf Argumente und Nachfragen anderer im Zusammenhang mit seiner realen Situation kann der Betroffene nicht eingehen. Selbst zu einfachen und überschaubaren Fragen im Zusammenhang mit den ihn betreffenden Problemen kann er sich nicht nachvollziehbar und konkret äußern. Er bleibt stets bei den gleichen stereotypen Antworten und weicht sofort auf seine Hauptthemen der Rechtsstreitigkeiten und Kämpfe gegenüber den Behörden aus.
Der Betroffene ist der nicht beeinflussbaren und unverrückbaren Überzeugung, dass ihm insbesonders staatliche Stellen und Behörden einschließlich der Sozialversicherungsträger, in erster Linie in Bezug auf seine Rentenangelegenheiten, schaden wollen. Obwohl der Betroffene gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, eine Arbeitsstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszufüllen, und er deshalb bei realistischer Betrachtung aufgrund seiner körperlichen und gesundheitlichen Verfassung in eine Arbeitsstelle nicht vermittelt werden kann, ist er unverrückbar und unbeeinflussbar der Meinung, dass ihm die Arbeitsverwaltung einen entsprechenden Arbeitsplatz zu vermitteln hat, weshalb er gegen die Rentengewährung vorgeht, da nach seiner Auffassung diese ihn daran hindert, einen Arbeitsplatz vermittelt zu bekommen. Die Rentengewährung ist vorgenommen worden, nachdem vielfältige Maßnahmen durch das Arbeitsamt nicht zu einem Erfolg geführt hatten und im festgestellt worden war, dass der Betroffene aufgrund seines Gesundheitszustandes auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar war. Im Rahmen der durchzuführenden Maßnahmen hatte der Betroffene im Zusammenhang mit den verschiedenen durchgeführten Hilfsmaßnahmen für den Fall, dass die Voraussetzungen für die Rentengewährung vorlagen, auch einen entsprechenden Antrag gestellt, was der Betroffene jedoch aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht erfasst hat und erfassen kann. Der Betroffene geht daher gegen alle diesbezüglichen Bescheide des Rentenversicherungsträgers und der Agentur für Arbeit vor. Er wendet sich vehement und mit Entschiedenheit gegen die erfolgte Verrentung mit dem Argument, dass er arbeiten wolle und das Arbeitsamt ihm eine Arbeit beschaffen müsse. Der Betroffene wird in seinem Handeln einzig und allein davon bestimmt, dass die Rentenbewilligung aufgehoben werden muss und er über das Arbeitsamt eine Arbeitsstelle erhalten muss, da er sich – entgegen der Realität – für arbeitsfähig und auch auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sieht.
Hinzu kommt das Vorgehen des Betroffenen gegen alle Behörden und Personen in diesem Zusammenhang und im Zusammenhang mit der errichteten Betreuung. Dabei ist der Betroffene nicht in der Lage, seine tatsächliche Situation in Bezug auf seine Gesundheit, sein Leistungsvermögen und seine – tatsächlich nicht bestehende – Vermittlungsfähigkeit für eine Arbeit sachgerecht und der Realität entsprechend zu erfassen und sein Handeln danach auszurichten. Aufgrund seiner Erkrankung und Behinderung kann der Betroffene seinen Willen nicht mehr frei bestimmen. Sein ganzes Handeln und Denken gilt dem Ziel, dass er gegen alle Entscheidungen und Maßnahmen der Behörden und Gerichte – unabhängig davon, ob sie für ihn tatsächlich objektiv vorteilhaft sind – vorgeht und vorgehen will, ohne dabei überhaupt zu bedenken, ob die Entscheidungen richtig und für seine Situation zutreffend sein können. Argumenten anderer ist er dabei nicht zugänglich. Der Betroffene ist nicht in der Lage, komplexe Lebenssachverhalte zutreffend zu erfassen und die für ihn zur Wahrung seiner Interessen adäquaten und richtigen Schlüsse zu ziehen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. So kündigte er in der Vergangenheit sein Girokonto bei der Bank, um so zu erreichen, dass an ihn die ihm zustehenden Rentenzahlungen nicht erbracht werden konnten, da er mit allen Mitteln zu erreichen versucht, dass die Bewilligung der Rentenleistung wieder rückgängig gemacht wird. Die Auflösung begründete er damit, dass er damit zum Gegenschlag gegen die Ämter ausgeholt habe. Dies hatte jedoch gleichzeitig, was der Betroffene nicht erkannt hat und erkennen konnte, zur Folge, dass an ihn auch die gewährte Leistung der Grundsicherung nicht mehr ausbezahlt werden konnte und er dann zunächst ohne jegliche finanziellen Mittel war.
Nach dem Tod des Vaters steht eine streitige Erbauseinandersetzung mit der Mutter und seinen Geschwistern an. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Erbangelegenheit erkennt er trotz seiner Beeinträchtigungen. Er ist jedoch nicht in der Lage, die zur Wahrung seiner Interessen notwendigen Maßnahmen allein anzugehen und durchzuführen. Der Betroffene ist nicht in der Lage, konkrete reale Vorstellungen in Bezug auf die Regelung der Erbangelegenheit zu nennen und diesbezüglich realistische Ziele zu verfolgen, um seine Interessen zu wahren. So kündigte in der Vergangenheit lediglich an, dass er wohl gegen die Mutter vorgehen müsse, ohne konkret angeben zu können, was er überhaupt erreichen will und ohne geprüft zu haben, ob die von ihm erstrebten Ziele überhaupt rechtlich und tatsächlich erreichbar sind.
Der Betroffene hat auch bei verschiedenen Versicherungsunternehmen Verträge abgeschlossen. Auf diese hat er teilweise keine Zahlungen geleistet, teilweise hat er die Versicherungsverträge gekündigt. Die damalige Frage seiner Betreuerin danach, welche Versicherungsverträge er abgeschlossen habe, konnte er nicht beantworten. Nach der „Versicherungsphase“ schloss der Betroffene in der Folgezeit „Telefonverträge“ ab, die zum Teil noch derzeit von der Betreuerin rückabgewickelt werden müssen. Er hat keinen Überblick über seine finanzielle Lage und über seine rechtlichen Beziehungen zu anderen. Der Betroffene holt sich zwar zum Ausfüllen von Formularen, die er bei den entsprechenden Stellen einreichen muss (z.B. Vermögensverzeichnisse bei Gericht, Antrag auf Versorgungszulage usw.) Hilfe anderer Personen, jedoch nur so weit, als er sich davon im Rahmen seiner eingeschränkt intellektuellen Möglichkeiten getroffenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen einen Vorteil verspricht. Zwischenzeitlich hat er im Rahmen eines Alphabetisierungskurses seine sprachlichen Kompetenzen verbessert, er ist allerdings nach wie vor nur in der Lage, Geschriebenes auf der Wortebene zu erfassen. Ohne Festigung der erworbenen Fähigkeiten ist die Gefahr des Vergessens sehr hoch.
Der Betroffene spricht dem Alkohol regelmäßig zu, hat hierdurch jedoch noch keine schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen erlitten. Für seine gesundheitlichen Belange sorgt der Betroffene derzeit noch ausreichend selbst. Wenn er entsprechende gesundheitliche Beschwerden hat, sucht er die entsprechenden Stellen auf, um die zur Behandlung seiner Beschwerden notwendigen Hilfen zu erhalten. Der Betroffene besitzt krankheitsbedingt keinerlei Einsicht in die bei ihm vorhandenen erheblichen Defizite und ist krankheitsbedingt auch nicht in der Lage, einzusehen, dass ihm durch die Betreuerin eine von ihm dringend benötigte Hilfe gegeben wird, die ihm im täglichen Leben in den Bereichen unterstützt, die er selbst nicht mehr in der Art und Weise bewältigen kann, dass ihm aufgrund seiner Handlungen kein Schaden entsteht. Der Betroffene ist nicht bereit, in den Bereichen mit seiner Betreuerin zusammenzuarbeiten, in denen die Betreuerin im Interesse des Betroffenen gegen dessen Willen handelt.
Der Betroffene stand bereits vom 22.10.1992 bis 13.5.1994 unter Betreuung. Die Anordnung der Betreuung wurde vom Landgericht Bamberg mit Beschluss vom 13.5.1994 aufgehoben, weil es dem Betroffenen aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht möglich gewesen sei, die ihm angebotene Hilfe anzunehmen und für sich zu nutzen, so dass es keinem Betreuer möglich gewesen sei, elementare Verrichtungen für den Betroffenen in die Wege zu leiten. Die Betreuung erfasste den Aufgabenkreis Gesundheit einschließlich damit verbundener Aufenthaltsbestimmung, Betreuung und Vertretung in Sozialversicherungs- und Sozialhilfeangelegenheiten.
Der Betroffene steht aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Forchheim vom 09.06.2006 (Bl. 61 f. d.A.) unter Betreuung – zuletzt verlängert durch Beschluss vom 21.08.2013 bis zum 21.08.2020. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Die Beschwerdekammer des Landgerichts hat bereits über diverse Beschwerden des Betroffenen zu befinden gehabt, zuletzt etwa in den Verfahren 3 T 155/13 und 3 T 144/16.
Mit Schreiben vom 11.12.2018 (Bl. 1316 f. d.A.) beantragte die Betreuerin des Betroffenen die Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis „Gesundheitssorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung“. Hintergrund hierfür war, dass der Betroffene mehrfach notärztliche Einsätze verursachte, dann aber zum Teil erklärte, sein Zustand habe sich „spontan verbessert“ und zu klären war, ob beim Betroffenen tatsächlich eine Erkrankung bestand und weitere Maßnahmen (insbesondere ärztliche Behandlung, Reha) einzuleiten waren. Das Amtsgericht holte hierzu mit Beschluss vom 12.12.2018 (Bl. 1318 d.A.) ein Gutachten zu den medizinischen Voraussetzungen der Erweiterung der Betreuung um den genannten Aufgabenkreis ein, welches am 19.01.2019 vorgelegt wurde (Bl. 1334 f. d.A.).
Mit weiterem Schreiben vom 08.01.2019 (Bl. 1327 d.A.) beantragte die Betreuerin des Betroffenen die Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“. Hintergrund hierfür war, dass der Betroffene von seinem Bruder – dem Betreuer seiner Mutter – aus dem bisher genutzten Haus in … hinausgeworfen worden ist und ihm die Obdachlosigkeit drohte. Der Betroffene selbst erklärte sich mit Schreiben vom 08.01.2019 (Bl. 1328 d.A.) zunächst einverstanden mit der Betreuungserweiterung und nahm auch eine zunächst gegen die im Rahmen einstweiliger Anordnung mit Beschluss vom 08.01.2019 (Bl. 1329 d.A.) erfolgte Erweiterung der Betreuung um den genannten Aufgabenkreis zurück (Bl. 1345 d.A.).
Am 22.01.2019 hörte das Amtsgericht den Betroffenen an (Bl. 1344 d.A.) und ordnete mit Beschluss vom gleichen Tag (Bl. 1348 d.A.) an, dass die Betreuung um die Aufgabenkreise
– Wohnungsangelegenheiten sowie
– Gesundheitsfürsorge
einschließlich damit verbundener Aufenthaltsbestimmung erweitert wird. Gleichzeitig wurde im Tenor festgelegt, dass die festgelegte Überprüfungsfrist unverändert bleibt (20.08.2020).
Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Betroffenen vom 13.02.2019 (Bl. 1365 d.A.).
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nach Abwarten einer Beschwerdebegründung (Bl. 1368 d.A.) mit Beschluss vom 04.03.2019 (Bl. 1369 f. d.A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11.12.2019 (Az.: XII ZB 249/19) (Bl. 83 f. d. Sonderheftes) aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Entsprechend den Vorgaben des Bundesgerichtshofs hat das Landgericht in diesem Beschwerdeverfahren (43 T 31/19) eine erneute Begutachtung angestoßen, die indes wegen der Verweigerungshaltung des Betroffenen bisher nicht abgeschlossen ist.
Inzwischen hat das Amtsgericht im Hinblick auf den Ablauf der Überprüfungsfrist am 20.08.2020 ein ärztliches Zeugnis eingeholt (Bl. 1511 f. d.A.) und nach Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß Beschluss vom 15.09.2020 (Bl. 1515 f. d.A.) sowie nach Anhörung des Betroffenen (Bl. 1514 d.A.) mit Beschluss vom 29.10.2020 (Bl. 1526 d.A.) die Betreuung – bis auf den Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten, der entfallen ist – verlängert. Die neue Überprüfungsfrist wurde auf den 20.08.2027 festgesetzt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Betroffenen vom 04.11.2020 (Bl. 1535 d.A.).
Das Beschwerdegericht hat dem Betroffenen auch für die Beschwerdeinstanz eine Verfahrenspflegerin bestellt und dieser Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
Die zulässige Beschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Anordnung der Betreuung ist nicht aufzuheben oder in ihrem Umfang einzuschränken.
1. Gemäß § 1908d Abs. 1 S. 1 BGB ist die Betreuung aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Errichtung, wie sie sich aus § 1896 Abs. 1, Abs. 2 BGB ergeben, wegfallen.
Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB setzt die Bestellung eines Betreuers voraus, dass der volljährige Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Ferner ist erforderlich bei der Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen gegen seinen Willen, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 00, 189), d.h., dass der Betroffene nicht im Stande ist, seinen Willen unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden (BGH NJW 96, 918; BayObLG Z 97, 206) und nach den zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Der medizinische Befund von Krankheit oder Behinderung rechtfertigt für sich allein noch nicht die Bestellung eines Betreuers (BayObLG FamRZ 95, 1085). Hinzukommen muss, dass diese Beeinträchtigungen Ursache dafür sind, dass der Volljährige seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (BayObLG NJWEFER 01, 151). Nur wenn der Betroffene psychisch oder körperlich außer Stande ist, solche Hilfe von sich aus in Anspruch zu nehmen oder sogar die Notwendigkeit der Inanspruchnahme zu erkennen, kommt die Anordnung einer Betreuung in Betracht (BayObLG NJWE-FER 151).
2. Der Betroffene leidet an einer psychischen Erkrankung und an einer geistigen Behinderung. Der Begriff der psychischen Krankheit im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich dabei auf anerkannte Krankheitsbilder der Psychiatrie (BayObLG BtPrax 02, 37; Palandt, BGB, 73. Auflage, § 1896 Rd.Nr. 6). Geistige Behinderung ist ein angeborener oder frühzeitig erworbener Intelligenzdefekt einer gewissen Schwere, wobei dies graduell verschieden sein kann. Die geistige Behinderung beruht auf einen messbaren Intelligenzmangel verbunden mit einer mangelhaften Differenzierung der Persönlichkeit (BayObLG FamRZ 02, 494; 94, 318).
Die Kammer kann sich hierbei – wie schon das Amtsgericht – gemäß § 295 Abs. 1 S. 2 FamFG auf das ärztliche Zeugnis der behandelnden Ärztin Dr. med. … vom 08.09.2020 stützen.
Dessen Wertung – wonach beim Betroffenen weiterhin eine mittelgradige Intelligenzminderung besteht und die bestehende Betreuung zu verlängern ist – ist aufgrund der im Laufe des Betreuungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten nicht in Zweifel zu ziehen:
Aufgrund der Ausführung in den im Laufe des seit dem Jahre 2006 laufenden Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen … vom 04.02.2007 sowie der Feststellungen der Sachverständigen … und seines damaligen Oberarztes … im Gutachten vom 30.05.2011, bestätigt durch die Gutachten vom 04.08.2013 und vom 19.01.2019 (Bl. 1334 f. d.A.) des gerichtsbekannt sorgfältig arbeitenden Sachverständigen … steht fest, dass der Betroffene nach wie vor an einer intellektuellen Minderbegabung vom Ausmaß einer schweren Debilität mit deutlichen Verhaltensstörungen (paranoide und querulatorische Persönlichkeitszüge) leidet. Hinzu kommt noch ein Alkoholmißbrauch. Hierbei handelt es sich um eine psychische Erkrankung sowie um eine geistige Behinderung, die unter § 1896 Abs. 1 BGB fällt. Insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen oben unter Ziffer I. Bezug genommen. Wie dort dargestellt, ist der Betroffene aufgrund dieser psychischen Erkrankung und geistigen Behinderung in seiner Willensbildung nicht mehr frei. In den von der eingerichteten Betreuung umfassten Bereichen ist er nicht in der Lage, die sich ihm stellenden Gegebenheiten des täglichen Lebens, soweit sie einen gewissen Grad an Komplexität überschreiten, sinngerecht wahrzunehmen und entsprechend der tatsächlichen Sachlage vernünftige und durchdachte Entscheidungen zu treffen. Aufgrund seiner Erkrankung und Behinderung ist er nicht in der Lage, in diesen Bereichen logisch zu überlegen und sein Handeln danach auszurichten. Er kann die notwendigen Informationen nicht adäquat aufnehmen und verarbeiten, um entsprechende Entscheidungen aufgrund einer zutreffend gewonnenen Erkenntnis treffen zu können. Dabei ist er krankheitsbedingt nicht in der Lage, die bei ihm vorhandenen erheblichen Beeinträchtigungen zu erkennen. Ohne eine Betreuung ist er nicht in der Lage, in den angeführten Aufgabenkreisen seine Angelegenheiten so zu besorgen, wie es seinem objektiven Interesse und den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht und erforderlich ist. Die Einrichtung der Betreuung ist daher insoweit erforderlich und vom Amtsgericht in diesen Bereichen zutreffend aufrechterhalten worden. Der Betroffene wird in seinem Handeln einzig und allein dominierend bestimmt durch seinen Willen, gegen die Behörden und Gerichte zu kämpfen, soweit diese Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, die nicht seinem Willen entsprechen. Dabei ist er nicht in der Lage zu erkennen und sein Handeln danach auszurichten, was aufgrund der realen Situation zu seinem Vorteil im eigenen Interesse richtig ist. Vielmehr wird er durch die Erkrankung und die geistige Behinderung in seinem Handeln so sehr bestimmt, dass auch elementare eigene Interessen nicht erkannt und verfolgt werden. Durch sein Handeln führt er sich vielmehr, ohne dass er dies erkennen kann, in tatsächliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten erheblicher Art. Aufgrund der Erkrankung und geistigen Behinderung ist er auch nicht in der Lage, seine Defizite einzusehen und sich entsprechende Hilfen selbständig zu holen, damit er die Entscheidungen unter adäquater Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse und seiner Interessen treffen kann.
Obwohl es offensichtlich ist, dass der Betroffene aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustandes nicht in der Lage ist, auf dem Arbeitsmarkt irgendeine Arbeit zu finden, und er deshalb seinen Lebensunterhalt durch Bezug der dafür vorgesehenen Sozialleistungen sichern muss, beharrt er – nach wie vor – unter völliger Verkennung der Realität darauf, dass er von den Behörden der Arbeitsverwaltung eine Arbeit vermittelt bekommen muss. In dieser Haltung ist der Betroffene nicht beeinflussbar. Vernünftigen Argumenten ist er nicht zugänglich. Aufgrund seiner Erkrankung und geistigen Behinderung ist er auch nicht in der Lage, auf die tatsächlichen Gegebenheiten einzugehen und sein Verhalten sowie seine Entscheidungen daran auszurichten.
Der Zustand des Betroffenen ist von Dauer, eine Besserung ist nicht absehbar.
Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Betreuung, wie vom Betroffenen beantragt, liegen daher nicht vor.
3. a) Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen jedoch ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene – wie hier – der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor.
Einsichtsfähigkeit setzt dabei die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann.
Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen.
Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers schließlich auf einer nach diesen Maßstäben freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 22.01.2014, Az. XII ZB 632/12, NJW-RR 2014, 772, bei juris Rn. 6 ff.; BGH, Beschluss vom 30.07.2014, Az. XII ZB 107/14, MDR 2014, 1088, bei juris Rn. 12 ff.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen die Kammer folgt – kann hier aufgrund der vorliegenden, im Laufe des Betreuungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten beim Betroffenen nicht mehr von einem freien Willen ausgegangen werden.
Zuletzt hat insoweit etwa der Sachverständige … im Gutachten vom 19.01.2019 dargelegt, dass der Betroffene zwar noch einen natürlichen Willen bilden kann, nicht hingegen einen freien Willen. Angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen fehlt es bereits an einer Einsichtsfähigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit der Betreuung – er ist vielmehr nicht in der Lage, die sich ihm stellenden Gegebenheiten des täglichen Lebens, soweit sie einen gewissen Grad an Komplexität überschreiten, sinngerecht wahrzunehmen und entsprechend der tatsächlichen Sachlage vernünftige und durchdachte Entscheidungen zu treffen. Aufgrund seiner Erkrankung und Behinderung ist er nicht in der Lage, in diesen Bereichen logisch zu überlegen und sein Handeln danach auszurichten. Er kann die notwendigen Informationen nicht adäquat aufnehmen und verarbeiten, um entsprechende Entscheidungen aufgrund einer zutreffend gewonnenen Erkenntnis treffen zu können. Dabei ist er krankheitsbedingt nicht in der Lage, die bei ihm vorhandenen erheblichen Beeinträchtigungen zu erkennen.
4. Die Betreuung ist dabei auch auf die angeordneten Aufgabenkreise zu erstrecken. Auch insoweit kann sich die Kammer – wie schon das Amtsgericht – gemäß § 295 Abs. 1 S. 2 FamFG auf das ärztliche Zeugnis der behandelnden Ärztin Dr. med. U.… vom 08.09.2020 stützen.
Dessen Wertung – Fortführung der Betreuung in allen Aufgabenkreisen – ist aufgrund der im Laufe des Betreuungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten nicht in Zweifel zu ziehen:
a) Ein Betreuer kann und darf gemäß § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann und insoweit bestellt werden, wie die Betreuung erforderlich ist (BayObLG Z 94, 209; 95, 1085). Die Erforderlichkeit muss dabei für jeden Aufgabenkreis gesondert festgestellt werden (BayObLG FamRZ 99, 1612; 98, 921). Soweit erforderlich, sind Aufgabenkreise in die Betreuung einzubeziehen (BayObLG FamRZ 92, 1551). Auch wenn ein Sachverständiger im Gutachten eine umfassende Betreuung für alle Angelegenheiten empfiehlt, entbindet dies das Gericht nicht von der Beachtung des Erforderlichkteitsgrundsatzes. Es muss für jeden Aufgabenkreis anhand konkreter nachgewiesener Tatsachen festgestellt werden, dass der Betroffene insoweit seine Angelegenheiten auch künftig nicht selbst regeln kann und inwieweit ein Handlungsbedarf für eine gesetzliche Vertretung in einzelnen Bereichen absehbar ist (OLG München BtPrax 06, 30).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im Rahmen der Betreuung nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. … vom 04.02.2007, der Feststellungen der Sachverständigen Dr. … und seines damaligen Oberarztes … im Gutachten vom 30.05.2011, bestätigt durch die Gutachten vom 04.08.2013 und vom 19.01.2019 (Bl. 1334 f. d.A.) des gerichtsbekannt sorgfältig arbeitenden Sachverständigen … sowie den Feststellungen in Bezug auf die tatsächliche Lebenssituation des Betroffenen und ihrer Entwicklung bis heute nach wie vor sämtliche angeordneten Aufgabenkreise von der Betreuung zu umfassen:
(1) Vermögenssorge Hinsichtlich des Aufgabenkreises der Vermögenssorge ist die Betreuung zu belassen.
Die Vermögenssorge umfasst alle Entscheidungen, die mit dem Vermögen des Betreuten im Zusammenhang stehen. Eine Bestellung eines Betreuers für diesen Aufgabenkreis ist dann nicht erforderlich, wenn kein Vermögen vorhanden ist und keine regelmäßigen Einkünfte erzielt werden (BayObLG BtPrax 97, 160; 95, 64). Sie darf auch Angelegenheiten nicht erfassen, die der Betreute noch selbst besorgen kann, wobei ggf. erforderlich sein kann, dass die Betreuung nur auf gewichtigere Geschäfte beschränkt wird, damit der Betroffene im Rahmen weniger wichtigere Geschäfte eine gewisse wirtschaftliche Bewegungsfreiheit behält (BayObLG NJWEFER 01, 151). Der Begriff der Vermögenssorge umfasst dabei unterschiedlichste Bereiche, wie arbeitsrechtliche Ansprüche, Forderungen von und gegen Banken/Sparkassen, Versicherern, Rententrägern, Krankenkassen und anderen Gläubigern, die Verwaltung und Verwertung von Vermögensgegenständen, die Schuldenregulierung oder die Beantragung sozialrechtlicher Leistungen (vgl. Jurgeleit, Betreuungsrecht, § 1896 Rd.Nr. 132 mit Rechtsprechungsnachweisen).
Der Aufgabenkreis der Vermögenssorge ist von der Betreuung zu umfassen, da bereits die Sachverständigen Dr. … / … in ihrem Gutachten vom 30.05.2011 überzeugend dargelegt haben, dass der Betroffene über seine Vermögensangelegenheiten keinen Überblick besitzt und er aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, komplexere Geschehen zu erfassen. Dies hat der Gutachter Dr. … in seinem Gutachten vom 04.08.2013 erneut bestätigt.
Der Betroffene kämpft nach wie vor gegen die ihm gewährte Rente ohne die Konsequenz des Wegfalls einer entsprechenden staatlichen Unterstützung zu bedenken. Er schloss Ende des Jahres 2012 einen telekomvertrag, den er sich weder leisten, noch brauchen konnte. Hieraus zeigt sich, dass der Betroffene aufgrund seiner geistigen Behinderung und Persönlichkeitsstörung kurzschlussartig Willenserklärungen abgibt und Rechtsgeschäfte vornimmt, durch die er sich selbst erheblich schädigt, ohne dass er dies bei Abgabe der entsprechenden Erklärungen und Eingehung der Rechtsgeschäfte überblickt und überblicken kann. Durch die bei dem Betroffenen unverrückbare und unbeeinflussbare Überzeugung, dass ihm insbesondere staatliche Stellen und Behörden Nachteile zufügen wollen, wird sein Handeln bestimmt, ohne dass er in der Lage ist, vernünftig und nachvollziehbar abzuwägen, welche sich wirtschaftlich auswirkende Handlung zur Wahrung seiner elementaren Interessen geeignet und angezeigt ist. Letztlich sind die vom Betroffenen angestrebten Vertragsschlüsse oder geplanten Vorgehensweisen gegenüber Behörden in der Regel mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für ihn verbunden. Der Aufgabenkreis der Vermögenssorge ist auch deshalb in die Betreuung mit einzubeziehen, da der Betroffene Miterbe nach seinem Vater geworden ist, so dass insoweit auch nicht unerhebliche Vermögenswerte vorhanden sind, hinsichtlich derer Entscheidungen zu treffen sind. Auch hier hat der Betroffene zu erkennen gegeben, dass er aufgrund seiner Erkrankung und geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, die Sachlage situationsadäquat zu erfassen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Dass er ggf. sich auch den Rat anderer, z.B. von Rechtsanwälten holt, reicht nicht aus, um annehmen zu können, dass der Betroffene trotz seiner Erkrankung und geistigen Behinderung in diesem Bereich die Sachlage zutreffend erfasst und seine Entscheidungen danach ausrichten kann. Der Betroffene zeigt vielmehr durch sein Verhalten, dass er Ratschläge, die nicht seinem Willen entsprechen, nicht befolgt und nicht befolgen wird, sondern dann unbeirrt von der tatsächlichen realen Gegebenheit versucht, sein Interesse und seinen Willen durchzusetzen, ohne dabei beurteilen zu können, ob dies auch in der Realität tatsächlich seinen Interessen entspricht – der Betroffene hat sich insoweit erst klar gegen seinen ehemaligen Verfahrenspfleger RA … ausgesprochen. Ohne die Errichtung der Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge ist der Betroffene nicht in der Lage, die im Zusammenhang mit der Verwaltung seines Vermögens erforderlichen Maßnahmen zu treffen, ohne sich hierdurch selbst erheblich zu schädigen. Der Aufgabenkreis der Vermögenssorge ist daher von der Betreuung zu umfassen.
(2) Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträger sowie Gerichten
Der Sachverständige … hat insoweit überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass sich an der Situation im Vergleich zu den Vorgutachten kein wesentlicher Unterschied ergeben habe. Demnach steht auch weiterhin fest, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung und geistigen Behinderung diesen Institutionen gegenüber keine sachliche Haltung einnehmen kann. Vielmehr ist der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung und seiner geistigen Behinderung bei all seinem Handeln der unverrückbaren und unbeeinflussbaren Überzeugung, dass diese Institutionen nur zu seinem Nachteil handeln wollen, um ihn zu schädigen und seine Rechte zu nehmen. Dementsprechend führt er „einen Kampf“ gegen diese Institutionen so lange, bis sich diese seiner Meinung, die jedoch mit der Realität nicht übereinstimmt, anschließen würden. Eine entsprechende Gedankenwelt des Betroffenen hat sich auch im Rahmen der Anhörung bestätigt. Der Betroffene wendet sich ununterbrochen, ohne dabei die Realität erkennen zu können, gegen die Betreuung, gegen die Rente, etc. und bestätigt, dass er mit den Ämtern auf Kriegsfuß sei. Er ist in diesem Bereich krankheitsbedingt keinen logischen Argumenten zugänglich und nicht in der Lage, die Realität situationsgerecht aufzunehmen und zu verarbeiten. Da der Betroffene auch in Zukunft Sozialleistungen erhalten muss und wird, auch im Zusammenhang mit der ihm gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente, sowie mit den zu erwartenden Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Erbauseinandersetzung nach dem Vater, ist dieser Aufgabenkreis in die Betreuung aufzunehmen.
(3) Vertretung in Nachlassangelegenheiten
Der Betroffene ist krankheitsbedingt und bedingt durch seine geistige Behinderung nicht in der Lage, selbst einfachere Geschehensabläufe realitätsbezogen aufzunehmen und zu verarbeiten, um anschließend die zur Wahrung seiner Interessen notwendigen Schlüsse zu ziehen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Erbauseinandersetzung ist es erforderlich, dass komplizierte tatsächliche und rechtliche Erwägungen angestellt werden müssen, um die Interessen des Betroffenen wahren zu können. Insbesondere ist daher in regelmäßigen Abständen die Herbeiführung einer verjährungsunterbrechenden Maßnahme bezüglich des Pflichtteilsanspruchs gegenüber der Mutter notwendig, die vom Betroffenen aufgrund der bei ihm vorhandenen Krankheit und geistigen Behinderung situations- und interessengerecht nicht wahrgenommen werden kann. Dementsprechend ist dieser Aufgabenkreis von der Betreuung zu umfassen.
(4) Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post
Weiter ist die Betreuung auf den Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post zu erstrecken (§ 1896 Abs. 4 BGB).
Eine solche Anordnung darf nur ergehen, wenn der Betreuer seine Betreuungsaufgaben sonst nicht erfüllen könnte und hierdurch wesentliche Rechtsgüter des Betreuten erheblich gefährdet und beeinträchtigt würden. Eine solche Anordnung des Aufgabenkreises ist dabei einer strengen Prüfung am Grundsatz der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da sie einen schweren Eingriff in das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG) sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 GG) des Betreuten darstellt (vgl. BayObLG FamRZ 01, 871; BayObLGZ 96, 253).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Erstreckung der Betreuung auf diesen Aufgabenkreis gegeben. Ohne die Brief- und Postkontrolle ist eine Vermögenssorge sowie eine Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Sozialleistungsträgern und Gerichten und eine Vertretung in den Nachlassangelegenheiten durch den Betreuer nicht sinnvoll und durchführbar. Der Betreuer kann im vorliegenden Fall die notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausübung der Betreuung in den dargestellten Aufgabenkreisen nur dann treffen, wenn er die dazu notwendigen Informationen tatsächlich auch erhält. Da der Betroffene nicht bereit ist, mit der Betreuerin im Zusammenhang mit der Durchführung der Betreuungsaufgaben zusammenzuarbeiten und sie zu unterstützen, ist es erforderlich, dass alle Post zunächst die Betreuerin erhält, um sichten zu können, welche sich auf die von der Betreuung erfassten Aufgabenkreise bezieht. Nur wenn sie sämtliche Post, die in diesem Zusammenhang an den Betreuten gerichtet ist, erhält, ist es auch gewährleistet, dass die Betreuerin die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig treffen kann, um schwerwiegende nachteilige Folgen für den Betreuten zu verhindern. Ansonsten wird der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihn erreichende Post, die sich auf die Aufgabenkreise der Betreuung bezieht, nicht an die Betreuerin weiterleiten, so dass hierdurch erhebliche Nachteile für ihn entstehen werden. Andere, mildere Maßnahmen, um zu erreichen, dass der Betreuerin alle wichtige Post im Zusammenhang mit den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreise erreicht, stehen nicht zur Verfügung, so dass die Betreuung diesen Aufgabenkreis umfassen muss.
(5) Gesundheitsfürsorge und damit verbundene Aufenthaltsbestimmung
Auch der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nebst Aufenthaltsbestimmung ist von der Betreuung weiterhin zu umfassen.
Insoweit hat der Sachverständige … im Gutachten vom 19.01.2019 ausgeführt, dass der Betroffene wegen seiner Intelligenzminderung auch in gesundheitlichen Fragen nicht in der Lage sei, sich ausreichend um seine Angelegenheiten zu kümmern. Angesichts der 2018 / 2019 ergebenden massiven gesundheitlichen Probleme (mehrfache Kollapse und mehrfache stationäre Aufenthalte aufgrund Darmentzündung mit Operation) muss auch zukünftig die gesundheitliche Versorgung des Betroffenen sichergestellt werden.
5. Mildere Maßnahmen, um das mit der Betreuung verfolgte Ziel erreichen zu können, sind nicht gegeben.
Mildere Maßnahmen, um das mit der Betreuung verfolgte Ziel erreichen zu können, sind nicht gegeben. Andere Hilfsmöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machen, sind nicht ersichtlich.
Auch der vom Amtsgericht festgesetzte Überprüfungszeitraum in Bezug auf die errichtete Betreuung begegnet angesichts der Dauerhaftigkeit des Zustands des Betroffenen keinen Bedenken. Es ist bis ans Lebensende des Betroffenen nicht mit einer Besserung des psychischen Zustands oder mit einer Verringerung des Betreuungsbedarfs zu rechnen. Der Ansatz einer Überprüfungsfrist von lediglich einem Jahr – wie in der ärztlichen Stellungnahme vorgeschlagen – ist offensichtlich zu kurz.
6. Die Kammer hat davon abgesehen, den Betroffenen vor der Entscheidung über seine Beschwerde erneut anzuhören.
Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht von der Durchführung einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Obwohl das Beschwerdeverfahren als volle Tatsacheninstanz ausgestaltet ist, stellt es § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG in das pflichtgemäße Ermessen des Beschwerdegerichts, in welchem Umfang es Ermittlungen und Beweiserhebungen wiederholt (vgl. etwa Keidel/Sternal, FamFG, 19. Auflage 2017, § 68 Rn. 57 f.). Die Vorschrift dient der effizienten Nutzung gerichtlicher Ressourcen in der Beschwerdeinstanz, indem unnötige doppelte Beweisaufnahmen verhindert werden und auf die Durchführung eines Termins verzichtet werden kann, wenn die Sache bereits in der ersten Instanz im erforderlichen Umfang mit den Beteiligten erörtert wurde (BT-Drucks. 16/6308 S. 207 re. Sp.).
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt auch in einem Betreuungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (BGH, Beschluss vom 04.03.2010, Az. V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, bei juris Rn. 13). Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (Keidel/Sternal, a.a.O., § 68 Rn. 59 m.w.N.).
Hier hat das Amtsgericht den Betroffenen am 15.09.2020, angehört und den Inhalt der Anhörung in einem Protokoll (Bl. 1514 d.A.) niedergelegt. Anhand des Protokolls lässt sich der Ablauf des Gesprächs, auch in Bezug auf den psychischen Zustand der Betroffenen, gut nachvollziehen. Angesichts des Fehlens weiterer entscheidungserheblicher neuer Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte seit der durchgeführten Anhörung konnte hier von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen werden – angesichts des oben unter I. geschilderten Verhaltens des Betroffenen, der sich selbst zu einfachen und überschaubaren Fragen im Zusammenhang mit den ihn betreffenden Problemen nicht nachvollziehbar und konkret äußern kann, sondern stets stereotype Antworten gibt, ist ein Erkenntnisgewinn aus einer erneuten Anhörung nicht zu erwarten.
Die Betreuung ist daher vom Amtsgericht zu Recht verlängert worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist unbegründet und zurückzuweisen.
III.
Eine ausdrückliche Kostenentscheidung kann unterbleiben, was zur Folge hat, dass eine Kostenerstattung nicht stattfindet und derjenige die Gerichtskosten zu tragen hat, der nach den gesetzlichen Vorschriften, insbesondere nach dem Gesetz über die Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gericht und Notare (GNotKG), die Kosten zu tragen hat.
IV.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.


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