Aktenzeichen Vf. 60-VI-15
GKG § 3 Abs. 2, § 21, § 66
BV Art. 86 Abs. 1 S. 2, Art. 91 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1
Leitsatz
1. Überprüfung eines zivilgerichtlichen Beschlusses, durch den die Berufung gegen ein einer Räumungsklage stattgebendes amtsgerichtliches Urteil zurückgewiesen wurde, am Maßstab der Grundrechte auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) und auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) sowie des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV).
2 Ein Gericht verstößt grundsätzlich gegen seine Pflicht, die Ausführungen eines Prozessbeteiligten zu Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz – auch ohne Verschulden – nicht berücksichtigt (Anschluss an BVerfG NJW 2013, 925). (redaktioneller Leitsatz)
3 Gemäß § 321a Abs. 1 S. 1 ZPO ist bei einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf die Rüge der beschwerten Partei hin das Verfahren fortzusetzen und nicht etwa nur im Rahmen der Zurückweisung der Anhörungsrüge das Beruhen der Entscheidung auf dem Gehörsverstoß zu verneinen. (redaktioneller Leitsatz)
4 Wird die Anhörungsrüge in prozessrechtlich fehlerhafter Weise dennoch zurückgewiesen, ist eine kostenrechtliche Abhilfe nach §§ 21 und 66 GKG veranlasst. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
14 S 18328/14 2014-12-23 Bes LGMUENCHENI LG München I
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen
– den Beschluss des Landgerichts München I vom 23. Dezember 2014 Az. 14 S 18328/14, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Endurteil des Amtsgerichts München vom 27. August 2014 in einem Rechtsstreit wegen Räumung einer Mietwohnung zurückgewiesen wurde,
– hilfsweise gegen den Beschluss vom 23. Dezember 2014 in Gestalt des Beschlusses des Landgerichts München I vom 30. Juli 2015 Az. 14 S 18328/14, mit dem die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurückgewiesen wurde,
– äußerst hilfsweise gegen die Beschlüsse vom 23. Dezember 2014 und vom 30. Juli 2015.
1. Am 16. Dezember 2013 wurden der Beschwerdeführer und dessen inzwischen verstorbene Ehefrau (im Folgenden: die Beklagten) von deren Vermieterin beim Amtsgericht München auf Räumung und Herausgabe einer Drei-Zimmer-Wohnung verklagt. Die ordentliche Kündigung vom 24. September 2013 sowie die fristlose Kündigung vom 18. Oktober 2013 wurden jeweils unter anderem damit begründet, dass die Wohnung oder Teile davon in unzulässiger Weise an Dritte überlassen worden seien. Der Mieter betreibe ein Baugeschäft, bringe je nach Bedarf Mitarbeiter für Monate in der Wohnung unter und betrachte diese als Stützpunkt für seine gewerbliche Tätigkeit.
Das Amtsgericht gab der Klage mit Endurteil vom 27. August 2014 Az. 416 C 33571/13 statt. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 18. Oktober 2013 habe das Mietverhältnis beendet. Das Gericht sei aufgrund der erfolgten Beweisaufnahme, der Vernehmung mehrerer Zeugen, zu der Überzeugung gelangt, die Beklagten hätten als Mieter im Jahr 2013 ohne die Erlaubnis der Klägerin die Wohnung jedenfalls zwei Männern über mehrere Monate hinweg zur eigenständigen Nutzung überlassen. Die nicht nur besuchsweise Überlassung der Wohnung an Dritte stelle eine erhebliche Vertragsverletzung dar. Die nach dem Gesetz zu fordernde vorherige Abmahnung sei in der Kündigung vom 24. September 2013 zu sehen.
2. Hiergegen legten die Beklagten, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 18. September 2014 Berufung zum zuständigen Landgericht München I ein. Das Amtsgericht habe den Aussagen der Zeugen zu Unrecht Glauben geschenkt. Diese seien weder einer Plausibilitätskontrolle noch einer Aussageanalyse unterzogen worden. Die Motivation und die Verstrickungen der Zeugen mit der Klägerseite seien nicht beachtet worden. Das Erstgericht habe ferner Sachvortrag und Beweisangebote der Beklagten zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen. Es habe verkannt, dass die Gegenseite eine gesteigerte Substanziierungspflicht treffe, sie aber weder konkrete Beobachtungsdaten noch Personenbeschreibungen angeboten habe. Unbeachtet sei auch geblieben, dass die Beklagten bei nur pauschalen Anschuldigungen Verleumdungen und Komplotten schutzlos ausgeliefert seien.
Das Landgericht wies mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen. Das Rechtsmittel habe offensichtlich keinen Erfolg. Eine Rechtsverletzung sei im angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Die Angriffe der Beklagten gegen die Beweiswürdigung gingen ins Leere. Diese ersetzten in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Amtsgerichts durch ihre eigene. Fehler oder Verstöße gegen Denkgesetze seien nicht aufgezeigt worden. Das Beweisangebot sei auch verspätet gewesen. Es handle sich nicht um den Beweis einer Negativtatsache, sondern um den eines der Wahrnehmung der Klägerseite weitgehend entzogenen, der Beklagtenseite aber zugänglichen Sachverhalts im Rahmen der abgestuften, sekundären Darlegungs- und Beweislast. Das Landgericht setzte den Beklagten eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen, die auf deren Antrag hin um weitere zwei Wochen verlängert wurde.
Mit Schriftsatz vom 14. November 2014, eingegangen in der allgemeinen Einlaufstelle des Gerichts am 19. November 2014, entgegnete der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, die beabsichtigte Vorgehensweise ohne mündliche Verhandlung nach § 522 Abs. 2 ZPO sei nicht zulässig. Es handle sich für die Beklagten um eine Sache von existenzieller Bedeutung. Durch den Verlust der Wohnung sowie des angestammten Umfeldes entstünde ein nicht wiedergutzumachender Schaden. Sie seien auf eine städtische Notunterkunft angewiesen oder würden gleich ganz in die Obdachlosigkeit abrutschen. In München sei es, zumal für Ausländer, so gut wie unmöglich, bei einem Gesamtfamilieneinkommen von rund 1.600 € auf dem freien Markt eine familiengerechte Wohnung zu finden. Aus diesem Grund hätten die Beklagten das Recht, in einer mündlichen Verhandlung persönlich angehört zu werden. Auch nehme die Kammer irrigerweise an, das Erstgericht sei von einer Untervermietung ausgegangen, während es sich in Wahrheit auf eine selbstständige Gebrauchsüberlassung gestützt habe. Entscheidend sei, ob die mietvertragsfremden Personen eigen- oder selbstständig Zugang zur Wohnung der Beklagten gehabt hätten oder nicht. Die diesbezüglichen Angriffe auf die Beweiswürdigung des Erstgerichts seien in der Berufungsbegründung punktgenau erfolgt. Hätte die Kammer die Aussagen der Zeugen kritisch hinterfragt und den Berufungsvortrag fehlerfrei zur Kenntnis genommen, wäre ihr klar geworden, dass aus diesen Aussagen keine Gebrauchsüberlassung hätte hergeleitet werden können. Falsch seien darüber hinaus die Darlegungen im Hinweisbeschluss, die Beobachtungen der vernommenen Zeugin O. seien keiner bestimmten Jahreszeit zuzuordnen. Die Sitzungsniederschrift des Erstgerichts sei insoweit auch für die Berufungskammer bindend.
Das Landgericht wies sodann mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. Dezember 2014 die Berufung zurück. Das Rechtsmittel habe offensichtlich keinen Erfolg.
Die Rechtssache habe auch keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung der Kammer sei nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten. Das Urteil des Amtsgerichts begegne keinen rechtlichen Bedenken. Berücksichtigungsfähige neue Tatsachen seien nicht dargelegt worden. Nachdem eine Erwiderung der Beklagten auf den Hinweisbeschluss vom 21. Oktober 2014 nicht erfolgt sei, seien weitere Ausführungen nicht veranlasst.
3. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Anhörungsrüge. Das Gericht habe seine Erwiderung vom 14. November 2014 zum Hinweisbeschluss nicht zur Kenntnis genommen. Diese Gehörsverletzung sei auch entscheidungserheblich. Es sei nämlich nicht unwahrscheinlich, dass das Gericht sich in Kenntnis dieses Schriftsatzes dem Vortrag der Beklagten angeschlossen hätte, dass die Frage des Verlusts der Wohnung für eine minderbegüterte Ausländerfamilie in München existenzielle Bedeutung habe, eine Zwangsräumung mit deren völligem Ruin einhergehe, und daher eine mündliche Verhandlung anberaumt hätte. Auch sei nicht auszuschließen, dass die Berufungskammer dann zur Erkenntnis gelangt wäre, dass erstinstanzlich keine umfassende Beweiswürdigung stattgefunden habe und daher Zweifel an deren Richtigkeit und Vollständigkeit bestanden hätten.
Das Landgericht wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 30. Juli 2015, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 5. August 2015, zurück. Die zulässige Rüge habe in der Sache keinen Erfolg. Zwar habe die Kammer den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Der Schriftsatz vom 14. November 2014 sei nicht zur Kenntnis genommen worden. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei jedoch nicht entscheidungserheblich. Nach Würdigung des gesamten rechtlichen wie tatsächlichen Vorbringens der Beklagten könne die Kammer ausschließen, dass eine für diese günstigere Entscheidung ergangen wäre. Der Vortrag der Beklagten lasse die Zurückweisung der Berufung im Beschluss Weg nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht als unzulässig erscheinen. Eine mündliche Verhandlung sei nicht wegen existenzieller Bedeutung der Sache nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO zwingend geboten gewesen. Der drohende Wohnungsverlust bei geringem Einkommen stelle unzweifelhaft eine soziale Härte dar. Der Verdrängungsprozess, der in Ballungsräumen Menschen vor die Notwendigkeit stelle, ihr angestammtes Umfeld zu verlassen und in zentrumsfernere Wohnungen zu ziehen, sei ein häufig auftretendes Phänomen, das die Kammer aber nicht unter den Begriff der existenziellen Bedeutung zu subsumieren vermöge. Auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 14. November 2014 halte die amtsgerichtliche Beweiswürdigung den Angriffen stand. Maßgeblicher und sachlich zutreffender Gesichtspunkt der Argumentation sei gewesen, dass die beobachteten Personen einen eigenen Schlüssel gehabt hätten und damit eine eigene Nutzungsmöglichkeit bestanden habe.
Eine weitere Anhörungsrüge der Beklagten gegen den Beschluss vom 30. Juli 2015 verwarf das Landgericht am 14. September 2015 als unzulässig. Das Gesetz sehe in § 321 a Abs. 1 ZPO lediglich eine, nicht aber eine zweite Anhörungsrüge vor. Diese sei daher unstatthaft.
II.
1. Mit seiner am 5. Oktober 2015 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verstöße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) in Verbindung mit dem Recht auf ein willkürfreies Verfahren (Art. 118 Abs. 1 BV) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).
a) Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter sei verletzt, weil die Nichtzulassung der Revision nicht begründet worden sei. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sei willkürlich falsch ausgelegt worden. Deshalb sei ihm das Recht auf Einlegung der Revision versperrt worden. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO seien vorliegend erfüllt gewesen. Der Bundesgerichtshof habe sich zum Normgehalt des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO noch nicht geäußert. An einer obergerichtlichen Orientierungshilfe fehle es. Die Frage nach der Handhabung dieser Norm stelle sich täglich immer wieder neu. Das Landgericht habe willkürlich gehandelt, indem es eine sich sofort aufdrängende einschlägige Norm unberücksichtigt gelassen habe. Die Anrufung des Revisionsgerichts hätte möglicherweise ergeben, dass eine mündliche Verhandlung geboten gewesen wäre.
b) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liege vor, weil der Schriftsatz vom 14. November 2014 völlig übersehen worden sei. Es sei hier vorgetragen worden, dass das in Aussicht gestellte Vorgehen, ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, wegen der existenziellen Bedeutung der Sache für die Räumungsbeklagten rechtlich unzulässig sei. Erstmals sei ein Sachverhalt unterbreitet worden, an dem das Landgericht das Vorliegen einer solchen Betroffenheit hätte beurteilen können. Überraschend und auch bei größter Sorgfalt nicht vorhersehbar sei die Nichtzulassung der Revision ferner gewesen, nachdem das Gericht zuvor ausdrücklich die Zulassungsvoraussetzungen als gegeben erwähnt habe. Das Landgericht habe die gemachten Ausführungen später unzutreffend als nicht entscheidungsrelevant gewertet und die Anhörungsrüge zu Unrecht zurückgewiesen. Die angegriffene Entscheidung beruhe auf dieser Gehörsverletzung. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht die Revision in Kenntnis des Vortrags des Beschwerdeführers zugelassen hätte.
2. Das Bayerische Staatsministerium für Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet.
Der Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter sei nicht verletzt. Die Entscheidung des Landgerichts, die Revision nicht zuzulassen, sei nicht willkürlich. Eine höchstrichterliche Entscheidung sei zur Fortbildung des Rechts nur dann erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gebe, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Dazu bestehe nur dann Anlass, wenn es für die Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierung ganz oder teilweise fehle. Das Landgericht habe überzeugend dargelegt, dass aus seiner Sicht in diesem Rechtsstreit für eine höchstrichterliche Rechtsfortbildung kein Bedarf bestehe, weil es bereits einen allgemein anerkannten Auslegungsmaßstab für die fragliche Norm gebe.
Der Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts vom 30. Juli 2015 verletze auch nicht das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Sofern ein rechtzeitig eingereichter Schriftsatz nicht berücksichtigt worden sei, komme es darauf an, ob sich darin neuer Vortrag finde, der möglicherweise eine Auswirkung auf die Entscheidung gehabt hätte. Das Landgericht habe überzeugend ausgeführt, es habe im konkreten Fall keine Möglichkeit bestanden, dass die Kammer unter Würdigung des zunächst übersehenen Vorbringens des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 14. November 2014 anders entschieden hätte.
III.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Der Verfassungsgerichtshof überprüft gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen. Er ist kein Rechtsmittelgericht; es ist nicht seine Aufgabe, fachgerichtliche Entscheidungen dahingehend zu kontrollieren, ob die tatsächlichen Feststellungen zutreffen oder ob die Gesetze richtig ausgelegt und angewandt wurden. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beschränkt sich die Prüfung vielmehr auf die Frage, ob die Gerichte gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstoßen haben, die ein subjektives Recht des Beschwerdeführers verbürgen. Gegenüber der Anwendung von Bundesrecht, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV). In verfahrensrechtlicher Hinsicht überprüft der Verfassungsgerichtshof Entscheidungen, die – wie hier – in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, bei entsprechender Rüge auch daraufhin, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das, wie z. B. der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 91 Abs. 1 BV und das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV, mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.6.2013 VerfGHE 66, 94/96 ff.; vom 23.9.2015 BayVBl 2016, 49 Rn. 31, jeweils m. w. N.).
1. Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) ist im Ergebnis nicht verletzt.
a) Das Grundrecht aus Art. 91 Abs. 1 BV hat eine zweifache Ausprägung. Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Verfahrensbeteiligten einen Anspruch darauf, dass das Gericht ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, soweit es aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH BayVBl 2016, 49 Rn. 44 m. w. N.).
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen Vortrag einer Partei auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht wird durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht dazu verpflichtet, auf alle Ausführungen oder Anliegen eines Beteiligten einzugehen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls klar und deutlich ergibt, dass das Gericht ein Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs angenommen werden (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 16.5.2011 VerfGHE 64, 52/58; vom 7.10.2014 – Vf. 110-VI-13 – juris Rn. 17; vom 25.10.2016 – Vf. 83-VI-14 – juris Rn. 39). Geht das Gericht etwa auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vorbringens schließen, sofern es nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstanziiert war (VerfGH vom 9.2.1994 VerfGHE 47, 47/52; vom 8.10.2013 NStZ-RR 2014, 50).
Ein Gericht verstößt grundsätzlich gegen seine Pflicht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfG vom 19.6.1985 BVerfGE 70, 215/218; vom 4.8.1992 NJW 1993, 51; vom 12.12.2012 NJW 2013, 925). Für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Gericht ist dabei allein entscheidend, ob die Stellungnahme vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt war. Unerheblich ist dagegen, ob der Schriftsatz innerhalb dieser Frist in die jeweilige Akte eingeordnet war (BVerfG NJW 2013, 925).
b) Diesen Anforderungen ist das Landgericht München I zwar nicht gerecht geworden, weil es den Schriftsatz vom 14. November 2014 vor Erlass des angegriffenen Beschlusses vom 23. Dezember 2014 nicht zur Kenntnis genommen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör entscheidungserheblich verletzt hat. Es hat aber nachträglich im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens in verfassungsrechtlich noch ausreichender Weise gewährleistet, dass dieser Gehörsverstoß nicht fortdauert.
aa) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Entscheidungserheblichkeit eines Verstoßes gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör ist, dass es möglich erscheint, dass die angegriffene Entscheidung auf dem Verstoß beruht, es also nicht auszuschließen ist, dass die Gewährung des Gehörs zu einer anderen, der betroffenen Partei günstigeren Entscheidung geführt hätte (VerfGH vom 16.12.1971 VerfGHE 24, 198; vom 3.4.2008 – Vf. 57-VI-07 – juris Rn. 37; vom 8.7.2009 VerfGHE 62, 134/149; vom 25.5.2011 VerfGHE 64, 61/69; BVerfG vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 185/188; vom 16.3.1982 BVerfGE 60, 120/123; vom 28.9.1982 BVerfGE 61, 119/123; vom 7.12.1982 BVerfGE 62, 347/353 f.; BGH vom 9.6.2005 NJW 2005, 2624/2625; vom 25.10.2005 NJW-RR 2006, 428; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 321 a Rn. 41; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 321 a Rn. 4; Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2012, § 321 a Rn. 13; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 321 a Rn. 12). Nimmt ein Rechtsmittelgericht die Stellungnahme des Berufungsführers zum Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO überhaupt nicht zur Kenntnis, kann eine andere Entscheidung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Stellungnahme nicht allein auf den bisherigen Vortrag verweist, sondern sich argumentativ mit der Vorentscheidung auseinandersetzt und darauf angelegt ist, das Berufungsgericht davon zu überzeugen, dass das angegriffene Urteil fehlerhaft ist (BGH vom 19.8.2010 NJW-RR 2011, 424/425).
Nach diesen Maßstäben war der Verstoß des Landgerichts München I entscheidungserheblich.
Die vom Berufungsgericht übersehene Stellungnahme vom 14. November 2014 erschöpft sich nicht lediglich in einer Bezugnahme auf die Berufungsbegründung vom 7. Oktober 2014. Während diese ausschließlich die Beweiswürdigung des Erstgerichts und den von ihm als verspätet zurückgewiesenen Sachvortrag zum Gegenstand hat, wendet sich der Beschwerdeführer in seiner nicht zur Kenntnis genommenen Stellungnahme zum Hinweisbeschluss der Kammer zunächst zusätzlich gegen eine weitere Vorgehensweise des Rechtsmittelgerichts ohne mündliche Verhandlung. Ferner setzt er sich im Schwerpunkt mit der landgerichtlichen Sicht der Beweislage detailliert auseinander und erläutert dabei vertiefend sowie ergänzend seine Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Damit kann nach obigem Maßstab nicht ausgeschlossen werden, dass bei ordnungsgemäßer Gewährung des Gehörs die Entscheidung der Berufungskammer anders ausgefallen wäre.
Gemäß § 321 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist bei einer im dargelegten Sinn entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf die Rüge der beschwerten Partei hin das Verfahren fortzusetzen und nicht etwa nur im Rahmen der Zurückweisung der Anhörungsrüge auszuführen, dass die Beachtung des übergangenen Vorbringens letztlich doch zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. Leipold, a. a. O., § 321 a Rn. 41).
bb) Die Berücksichtigung des übergangenen Vortrags lediglich im Rahmen der Entscheidung über die Anhörungsrüge hat aus verfassungsrechtlicher Sicht gleichwohl nicht die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts vom 23. Dezember 2014 zur Folge. Dem Beschwerdeführer ist durch die prozessrechtlich fehlerhafte Verfahrensweise kein fortwirkender Rechtsnachteil insbesondere durch Beschränkung des Prüfungsumfangs oder Verkürzung von Rechtsmitteln entstanden. Das Gericht hat den Sachvortrag des Beschwerdeführers im Rahmen der Entscheidung über die Anhörungsrüge erörtert, und zwar sowohl bezüglich der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung als auch hinsichtlich der von der Kammer vorgenommenen Beweiswürdigung. Es hätte für den Beschwerdeführer auch keinen Mehrwert, wenn diese Ausführungen nicht im Rahmen des Beschlusses über die Anhörungsrüge, sondern (nach Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 321 a Abs. 1 Satz 1 ZPO) im Rahmen eines erneuten Beschlusses gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfolgt wären. Zwar führt die Rüge einer im dargelegten Sinn entscheidungserheblichen Gehörsverletzung zu einer Kostentragungspflicht des Rügenden (vgl. § 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1700 KV), wenn das Gericht, wie hier, die gegebene Möglichkeit einer anderen Entscheidung aufgrund einer fehlerhaft abschließenden Würdigung des übergangenen Vortrags im Anhörungsrügeverfahren verneint und deshalb die Anhörungsrüge zurückweist. In einem solchen Fall ist jedoch aufgrund der fehlerhaften Handhabung des § 321 a ZPO eine kostenrechtliche Abhilfe (§§ 21 und 66 GKG) veranlasst.
2. Auch ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) in Verbindung mit dem Recht auf ein willkürfreies Verfahren (Art. 118 Abs. 1 BV) liegt nicht vor.
a) Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV gewährleistet zum einen, dass die Zuständigkeit des Gerichts rechtssatzmäßig festgelegt sein muss. Das Recht auf den gesetzlichen Richter untersagt aber auch jede willkürliche Verschiebung innerhalb der Justiz.
Es darf kein anderer als der Richter tätig werden und entscheiden, der in den allgemeinen Normen der Gesetze und in den Geschäftsverteilungsplänen dafür vorgesehen ist (VerfGH vom 14.7.2014 BayVBl 2015, 102 Rn. 18; vom 18.11.2014 -Vf. 64-VI-14 – juris rn. 34, jeweils m. w. N.).
Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV kann auch dadurch tangiert sein, dass das Gericht im Ausgangsverfahren ein Rechtsmittel nicht zulässt und dadurch die Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz verhindert. Eine Grundrechtsverletzung ist insoweit jedoch nur gegeben, wenn einer Partei der gesetzliche Richter durch eine willkürliche, offensichtlich unhaltbare Entscheidung entzogen wird (vgl. VerfGH BayVBl 2016, 49 Rn. 51 m. w. N.).
Willkürlich im Sinn des Art. 118 Abs. 1 BV wäre eine gerichtliche Entscheidung aber nur dann, wenn sie bei Würdigung der die Verfassung beherrschenden Grundsätze nicht mehr verständlich wäre und sich der Schluss aufdrängte, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die Entscheidung dürfte unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar erscheinen; sie müsste schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, eindeutig unangemessen sein. Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet deshalb für sich allein noch keinen Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.1.2005 VerfGHE 58, 37/41; vom 9.6.2015 – Vf. 77-VI-14 – juris Rn. 29; vom 20.7.2016 – Vf. 74-VI-15 – juris Rn. 26).
b) Die Entscheidung des Landgerichts, die Berufung des Beschwerdeführers nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss unanfechtbar zurückzuweisen, ist nicht in diesem Sinn willkürlich.
Die Voraussetzung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist gegeben, wenn keine besonderen Gründe vorliegen, bei denen nur die Durchführung einer mündlichen Verhandlung der prozessualen Fairness entspricht (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drs. 17/6406 S. 9). So scheidet eine Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO aus, wenn die mündliche Verhandlung in erster Instanz verfahrensfehlerhaft war, zum Beispiel vor einem unzuständigen oder befangenen Richter durchgeführt wurde (vgl. Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 522 Rn. 24). Als besonderer Grund, der eine mündliche Verhandlung in zweiter Instanz gebietet, wurde im Gesetzgebungsverfahren auch die „existenzielle Bedeutung“ der Rechtsverfolgung für den Berufungsführer, etwa in Arzthaftungssachen, genannt (BT-Drs. 17/5334 S. 7 und BT-Drs. 17/6406 S. 9). Hierher gehören nach der Fachliteratur auch schwerwiegende Persönlichkeits- und Vermögensstreitigkeiten, ein besonders umfangreicher Sachvortrag, ein sehr komplexer Lebenssachverhalt oder das Vorliegen zweifelhafter Rechtsfragen (vgl. Rimmelspacher, a. a. O.). Eine mündliche Verhandlung kann zudem geboten sein, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt wird und diese mit dem Berufungsführer im nur schriftlichen Verfahren nicht angemessen erörtert werden kann (vgl. Heßler in Zöller, a. a. O., § 522 Rn. 40).
Das Landgericht ist jedoch vorliegend in einer Einzelfallabwägung mit sachbezogenen Erwägungen zu der Auffassung gelangt, dass eine mündliche Verhandlung nicht wegen „existenzieller Bedeutung“ der Sache für die Beklagten nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO zwingend geboten gewesen sei. Es führt aus, der Verdrängungsprozess, der in Ballungsräumen Menschen vor die Notwendigkeit stelle, ihr angestammtes Umfeld zu verlassen und in zentrumsfernere Wohnungen zu ziehen, sei nicht unter den Begriff der existenziellen Bedeutung zu subsumieren, obwohl der drohende Wohnungsverlust bei geringem Einkommen unzweifelhaft eine soziale Härte darstelle. Die betroffene Partei sei damit gerade nicht in ihrem Dasein selbst unmittelbar betroffen.
Das Gericht hat auch keine umfassend neue rechtliche Würdigung vorgenommen, sondern im Wesentlichen den rechtlichen Ausgangspunkt des Erstgerichts bestätigt.
IV.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).