Familienrecht

Streitwertfestsetzung nach Trennungsbeschluss

Aktenzeichen  L 5 KR 531/20 B

Datum:
7.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10083
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 68
ZPO § 145

 

Leitsatz

Trennungsbeschlüsse nach § 202 SGG i.V.m. 145 Abs. 1 ZPO sind zu begründen. Die Beiteiligten sind anzuhören.

Gründe

I.
Die Staatskasse wendet sich gegen die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts (SG) im Klageverfahren wegen Abrechnungsstreitigkeiten (S 15 KR 3693/19).
Streitgegenständlich waren Rückerstattungsforderungen der Klägerin von Vergütungen mehrerer stationärer Behandlungen in Höhe von insgesamt 56.679,48 €. Die Klage vom 09.11.2018 betraf 35 Behandlungsfälle.
Das SG hat ohne Anhörung der Beteiligten am 15.02.2019 einen Trennungsbeschluss (Abtrennung von 33 Verfahren) erlassen. Dieser ist nicht begründet. Der Beschluss ist durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 18.02.2019 versandt worden und der Beklagten laut Empfangsbekenntnis (EB) am 20.02.2019 zugegangen. Der Klägerin ist der Beschluss laut EB erst am 26.02.2019 zugegangen. Ein Stempel auf dem EB zeigt einen Eingang in der Zentrale der Klägerin am 25.02.2019. Am 21.01.2019 ist ein zweiter Trennungsbeschluss – ohne Anhörung und Begründung – ergangen, in welchem ein weiterer Behandlungsfall abgetrennt wurde. Dieser Beschluss ist der Beklagten am 25.02.2019 zugegangen. Ein EB der Klägerin ist nicht aktenkundig.
Mit Schreiben vom 20.02.2019, bei Gericht eingegangen am 25.02.2019, hat die Klägerin die Klage zurückgenommen und sich mit einer Streitwertfestsetzung in Höhe von 56.679,48 € einverstanden erklärt.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 01.03.2019, dem Gericht zugegangen am 07.03.2019, vorgetragen, der Trennungsbeschluss sei nicht wirksam geworden, da er erst am 26.02.2019 zugestellt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klage bereits nicht mehr rechtshängig gewesen.
Mit Beschluss vom 14.03.2019 hat das SG den Streitwert ohne Anhörung der Beklagten auf 56.679,48 € festgesetzt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 18.03.2019 und 26.03.2019 eine Streitwertfestsetzung nach getrennten Verfahren begehrt. Nachdem das SG eine weitere Streitwertfestsetzung mit Beschlüssen vom 28.03.2019 abgelehnt hat (S. 15 KR 520 – 552/19 und 573/19, jeweils mit Verweis auf den Beschluss vom 14.03.2019 und ohne Rechtsbehelfsbelehrung:), hat die Beklagte diesbezüglich 34 Streitwertbeschwerden zum LSG erhoben. Nach außergerichtlicher Einigung mit der Klägerin hat die Beklagte die Beschwerden zurückgenommen.
Die Beschwerdeführerin hat am 03.07.2019 Streitwertbeschwerde erhoben gegen den Beschluss vom 14.03.2019 und die Festsetzung von Einzelstreitwerten für die Feststellung der Gerichtskosten begehrt. Der Trennungsbeschluss sei vorliegend entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ins Leere gegangen. Die Gerichtskosten betragen bei einem Gesamtstreitwert nur 666,00 €, bei Einzelstreitwerten hingegen 2.745,00 €.
Mit Beschluss vom 21.07.2020 hat das SG der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerde sei nicht zulässig, da die Staatskasse durch den Beschluss vom 14.03.2019 nicht beschwert sei. Die Beschlüsse vom 28.03.2019 seien nicht angegriffen worden und damit endgültig rechtskräftig. Zudem sei die Beschwerde unbegründet, da der Trennungsbeschluss mangels Zustellung des Beschlusses vor Klagerücknahme ins Leere lief.
Auf Veranlassung der Staatskasse wurde die Akte am 02.12.2020 an das LSG übersandt.
II.
Der Senat entscheidet – wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache – über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (vgl.§ 68 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG).
Die statthafte Beschwerde ist zulässig (dazu unter 1.), jedoch nicht begründet (dazu unter 2.).
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerdeführerin hat zutreffend Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.03.2019 eingelegt und nicht gegen die Beschlüsse vom 28.03.2019, die eine Einzelfestsetzung abgelehnt haben.
Bereits nach dem Wortlaut des § 68 GKG ist Voraussetzung einer Streitwertbeschwerde, dass ein Wert festgesetzt wurde; die Ablehnung der Wertfestsetzung reicht daher nicht aus (hM, vgl. Laube in BeckOK, 31. Ed. Kostenrecht § 68 GKG Rn. 35; LSG Sachsen, Beschluss v. 14.6.2019 – L 3 AL 173/16 B ER, BeckRS 2019, 27732; Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 2019, § 68 GKG, Rn. 4). Ein Beschluss, durch den – wie vorliegend die Beschlüsse vom 28.03.2019 – die Änderung eines bereits festgesetzten Streitwerts abgelehnt wird, ist kein hinreichender Beschwerdegegenstand (Laube, aaO, Rn 36 mwN). Eine hiergegen gerichtete Beschwerde wäre als eine solche gegen den Beschluss der ursprünglichen Festsetzung auszulegen.
Die Staatskasse kann durch eine zu niedrige Festsetzung des Streitwerts beschwert sein, falls dadurch ihre Einnahmen mangels Abbildung der Bedeutung der Sache im Streitwert sinken (Toussaint, aaO, Rn. 11). Denn der öffentlich-rechtliche Anspruch der Staatskasse auf Einforderung der für ein bestimmtes Verfahren angefallenen Kosten hängt von dem Wert des Streitgegenstandes ab (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG). In Ausdeutung des Rechtsschutzbegehrens ist eine Aufhebung des Beschlusses vom 14.03.2019 angestrebt und eine Neufestsetzung von Einzelstreitwerten in 35 Verfahren, was zu insgesamt höheren Einnahmen der Staatskasse führt.
Es kann offenbleiben, inwiefern gegen die Ablehnungen der Festsetzungen (S. 15 KR 520 – 552/19 und 573/19) nach § 172 SGG vorgegangen werden könnte (LSG Sachsen, Beschluss v. 14.6.2019 – L 3 AL 173/16 B ER, darauf bezugnehmend Karl in JurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 172 SGG Rn. 56.1), denn die Beschwerdeführerin hat sich ausdrücklich gegen den Bescheid vom 14.03.2019 gewendet.
Die Beschwerde ist fristgerecht eingelegt (§§ 68 Abs. 1 S. 3 iVm 63 Abs. 2 S. 2 GKG). Die Beschwerdesumme des § 68 Abs. 1 S. 1 GKG ist erreicht.
2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG setzt das SG als Prozessgericht den Streitwert endgültig fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig – wie hier durch Klagerücknahme – erledigt.
Der angegriffene Streitwertbeschluss vom 14.03.2019 ist im Ergebnis zutreffend, da die Trennungsbeschlüsse vom 15.02.2019 und 21.02.2019 rechtsfehlerhaft ergangen sind. Sie leiden an Formfehlern (dazu a); diese führen trotz materiell-rechtlicher Unbedenklichkeit im vorliegenden Fall zur kostenrechtlichen unbilligen Konsequenzen (dazu b).
a) Die Trennungsbeschlüsse (§§ 56, 202 S. 1 SGG iVm § 145 Abs. 1 ZPO) sind formalrechtlich fehlerhaft, da es sowohl an der notwendigen Anhörung (dazu aa) als auch an einer Begründung (dazu bb) fehlt.
aa) Eine Verfahrenstrennung zuvor nicht verbundener Verfahren – in den Fällen mit zuvor erfolgter Verbindung gilt § 113 Abs. 2 SGG – kann nur durch förmlichen und zu begründenden gerichtlichen Beschluss gemäß § 202 SGG i.V. m. § 145 Abs. 1 S. 2 ZPO erfolgen (Bayer. LSG, Beschluss vom 7.10.2014 – L 15 SF 61/14 E, BeckRS 2014, 73213). Im Rahmen der Trennung nach § 145 Abs. 1 ZPO ist eine Anhörung erforderlich (OLG München, NJW 1984, 2227; BeckOK ZPO/Wendtland, 39. ED, 2020 § 145 Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler 17. Aufl. 2020, ZPO, § 145, Rz. 5). Die Anhörungspflicht ergibt sich aus den unter Umständen erheblichen Kostennachteilen der Beteiligten und daraus, dass aufgrund der gesetzlichen Kann-Bestimmung die Trennungsentscheidung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts steht.
bb) Aus diesem Grund fordert § 145 Abs. 1 S. 2 ZPO auch ausdrücklich eine Begründung des Trennungsbeschlusses (Wendtland aaO, Rn. 11; Berchtold, SGG, 6 Aufl., 2021, § 113 Rn. 12; Guttenberger, jurisPK, SGG, § 113 Rn. 31). § 172 Abs. 2 SGG ist insoweit verdrängt (aA BeckOGK/Leopold, 1.1.2021, SGG, § 113 Rn. 52). Im Übrigen sind auch in zivilrechtlichen Verfahren Trennungsbeschlüsse nicht angreifbar, aber zu begründen.
b) Obgleich nicht bezweifelt wird, dass für die Trennungsbeschlüsse im vorliegenden Fall im Ergebnis sachliche Gründe ins Feld geführt werden können und kein Anhalt für sachfremde und rechtsmissbräuchliche Erwägungen besteht, führten sie mangels der Anhörung zu unbilligen kostenrechtlichen Folgen (vgl. LSG NRW, Beschlüsse v. 3.5.2016 – L 5 KR 190/15 B und v. 4.7.2016 – L 11 KR 191/15 B).
aa) Grundsätzlich rechtfertigt zwar der einem Endurteil vorangegangene Trennungsbeschluss gemäß § 145 ZPO keine Abänderung einer angefochtenen Entscheidung. Prozesstrennungen sind aber unter Umständen darauf zu prüfen, ob die Trennungsvoraussetzungen bestanden und ob die Anordnung ermessensfehlerhaft war (BGH, NJW 2003, 2386 ff.; NJW 1995, 3120 ff.) Auch kann eine Verfahrenstrennung verfassungsrechtlich bedenklich sein, wenn diese zum Ausschluss der Rechtsmittelfähigkeit der Einzelverfahren führt (BVerfG, NJW 1997, 649; vgl. BGH, NJW 1995, 3120 ff).
bb) Aufgrund der besonderen Situation im vorliegenden Fall stand eine Rücknahme der Klage zum Zeitpunkt des Erlasses des Trennungsbeschlusses im Raum. Denn nach Eingang der Klage am 09.11.2018 in der sog. Klagewelle wurde eine gemeinsame Empfehlung zum Verzicht auf Rückforderungen vom BMG, dem GKV-Spitzenverband und u.a. auch vom Träger der Klägerin selbst am 06.12.2019 herausgegeben. Dem hatte die Klägerin auch wenige Wochen später mit Schreiben vom 20.02.2020 entsprochen. Die rechtlich erforderliche Anhörung der Beteiligten vor Erlass des Beschlusses hätte das Überschneiden von Klagerücknahme und Erlass bzw. Zustellung des Beschlusses vermeiden können. Eine gerichtliche Anhörung wird auch nicht dadurch ersetzt, dass ein Beteiligter (vorliegend die Beklagte) eine Trennung für sachlich und rechtlich geboten hält.
Somit ist eine unzutreffende Sachbehandlung durch das Gericht anzunehmen, welche nicht zu Lasten der nach §§ 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO kostenpflichtigen Klägerin gehen darf.
cc) Es kommt im Ergebnis nicht auf die Frage an, ob der Trennungsbeschluss vom 15.02.2019 bereits am 25.02.2019 in den Machtbereich der Klägerin gekommen ist (Stempel der Zentrale) und damit mit dem Datum des Eingangs der Klagerücknahme bei Gericht zusammenfällt, oder erst am 26.02.2019 (Datum des handgeschriebenen EB).
Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist die Frage, inwieweit § 133 S. 2 SGG nicht nur auf verfahrensbeendende, urteilsersetzende, sondern auch auf prozessleitende Beschlüsse anwendbar ist (durch die hM verneint – mit der Ausnahme des Beschlusses zur Spruchkörperbesetzung nach § 153 Abs. 5 SGG nach BSG, Beschluss vom 14.02.2018 – B 14 AS 426/16 B – MKLS/Keller, 13. Aufl. 2020, SGG § 122 Rn. 3; Stäbler in Ory/Weth jurisPK-ERV, 1. Aufl. 2020, § 133 SGG Rn. 8; Schütz in jurisPK-SGG § 133 SGG, Rn. 8 mwN) oder der Beschluss bereits durch die Entäußerung des Gerichts wirksam wird.
Die Beschwerde der Staatskasse gegen die Streitwertfestsetzung bleibt damit ohne Erfolg.
Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 S, 1 GKG). Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 S. 2 GKG).
Die Entscheidung des Senats kann nicht durch Rechtsmittel angegriffen werden und beendet das Streitwertverfahren endgültig (§ 177 SGG, § 68 Abs. 1 S. 5 iVm § 66 Abs. 3 S. 3 GKG)


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