Familienrecht

Vorrang der Sorgezuordnung vor der Sorgeentziehung

Aktenzeichen  4 WF 1674/17

Datum:
19.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17806
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1666, § 1671 Abs. 2 Nr. 2, § 1696

 

Leitsatz

1 Die Voraussetzungen für einen Entzug der elterlichen Sorge liegen im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 GG normierten Vorrang der Erziehung und Pflege von Kindern durch ihre Eltern nicht vor, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander nach den §§ 1626a, 1671, 1672 BGB oder durch eine Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung gem. §§ 1696, 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB begegnet werden kann. (Rn. 16) (red. LS Axel Burghart)
2 Über die Frage einer Abänderung der gerichtlichen Entscheidung über eine Sorgezuordnung und diejenige des Teilentzugs der elterlichen Sorge zur Gefahrenabwehr ist in einem einheitlichen Verfahren und in einer einheitlichen Entscheidung zu befinden. (Rn. 19) (red. LS Axel Burghart)

Verfahrensgang

051 F 70/15 2017-08-30 Bes AGGUENZBURG AG Günzburg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers … wird der Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom 30.08.2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens, an das Amtsgericht Günzburg zurückverwiesen.
2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer begehrt in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014 die Übertragung der Vermögenssorge für die gemeinsamen minderjährigen Kinder aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe mit der Antragsgegnerin zur alleinigen Ausübung auf sich sowie die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für beabsichtigte Rechtsstreitigkeiten der Kinder gegen die Antragsgegnerin wegen Schadensersatzforderungen. Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft ist Gegenstand des Verfahrens 51 F 47/15, das noch nicht abgeschlossen ist.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind geschiedene Eheleute und Eltern des volljährigen Kindes … und der minderjährigen Kinder … und ….
Der Vater ist von Beruf Rechtsanwalt und lebt in …, die Mutter ist Realschullehrerin und zog im Februar 2010 mit den Kindern nach … um. Seit Pfingsten 2011 fand kein persönlicher Kontakt mehr zwischen den Kindern und dem Beschwerdeführer statt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014 (Az.: 2 F 391/11) wurde die gemeinsame elterliche Sorge für die vier oben genannten Kinder aufgehoben und die alleinige elterliche Sorge insgesamt auf die Mutter übertragen. Die Anträge des Vaters auf Übertragung der elterlichen Sorge oder von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf ihn wurden zurückgewiesen.
Die Beschwerde des Antragstellers hiergegen wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 02.10.2014 (Az.: 20 UF 53/14) zurückgewiesen.
Gegenstand dieses Verfahrens waren bereits die Vorgänge um die Laborrechnungen des Jahres 2009, die zu Vollstreckungen in das Vermögen der Kinder geführt haben. Das Oberlandesgericht kam zu dem Ergebnis, dass es sich zwar um einen bedenklichen Vorgang mit höchst nachteiligen wirtschaftlichen Folgen für die Kinder gehandelt hat, sich hieraus jedoch nicht ergebe, dass die Antragsgegnerin die Vermögenssorge nicht kompetent wahrnehmen könne.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, dass durch die Nichteinreichung der Laborrechnungen der … bei der Krankenversicherung und der Beihilfe durch die Antragsgegnerin sowie die Vollstreckung bei … ein Schaden in Höhe von 1.076,15 €, bei … in Höhe von 1.315,30 €, bei … in Höhe von 1.142,47 € und … in Höhe von 573,04 € entstanden sei, insgesamt somit 4.106,96 €.
Die Antragsgegnerin sei inkompetent, die Vermögenssorge wahrzunehmen und belege bewusst die eigenen Kinder mit nachteiligen wirtschaftlichen Folgen, da sie die von ihm auf Konten der Kinder angelegten Gelder am 17.03.2015 auf ihr Girokonto überwiesen habe und erst am 31.03.2015 Konten für die Kinder eröffnet habe.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 30.08.2017 hat das Amtsgericht Günzburg durch die Rechtspflegerin den Antrag des Antragstellers vom 27.04.2015 im Rahmen einer Prüfung der Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB zurückgewiesen mit der Begründung, dass eine Vermögensgefährdung durch die Antragsgegnerin nicht vorliege, jedenfalls die Antragsgegnerin die Zahlungen der Laborrechnungen durch die Kinder vollständig und verzinslich ausgeglichen habe.
Mit Schriftsatz vom 02.10.2017 legte der Antragsteller Beschwerde hinsichtlich der Kinder … und … ein mit den Anträgen,
den Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom 30.08.2017 aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht Günzburg zurückzuverweisen,
hilfsweise, den Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom 30.08.2017 aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass ihm die Vermögenssorge für die Kinder … und … zur alleinigen Ausübung übertragen wird.
Das Kind … sei zwischenzeitlich volljährig geworden, insoweit werde keine Beschwerde eingelegt. Im Übrigen rügt er, dass das Gericht eine Anhörung der Kinder im Verfahren 51 F 47/15 verwertet habe, ohne ihm Kenntnis hiervon zu geben; ferner sei eine Anhörung der Kinder und der Eltern in diesem Verfahren nicht erfolgt. Die Beteiligung des Jugendamts sei unterblieben. Ein Erörterungstermin gemäß §§ 155 Abs. 2 FamFG habe nicht stattgefunden. Ferner macht er Einwendungen in der Sache geltend.
Die Beschwerdegegnerin beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
Auf die Beschwerde des Antragstellers war der Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom 30.08.2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Das Amtsgericht hat über den Verfahrensgegenstand nicht abschließend entschieden (Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 69, Rn. 14 m.w.N.).
In Amtsverfahren wie dem Verfahren auf Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung und dem Verfahren auf Entzug der elterlichen Sorge insgesamt oder eines Teilbereichs ist das Gericht nicht an Anträge gebunden, die nur Anregungen darstellen, sondern bestimmt den Verfahrensgegenstand selbst.
Dem Amtsgericht fiel daher nicht nur die Frage des Entzugs des Teilbereichs der Vermögenssorge gemäß §§ 1666 BGB, sondern auch die Frage der Abänderung der gerichtlichen Entscheidung des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014, Az.: 2 F 391/11, gemäß §§ 1696 Abs. 1, 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu – wie dies der Antragsteller auch ausdrücklich angeregt hat. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass ein (Teil-) Entzug der elterlichen Sorge als letztes im Rahmen der Ausübung des staatlichen Wächteramts auf dem Gebiet des Kinderschutzes zur Verfügung stehendes Mittel nur dann in Betracht kommt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls nicht auf andere Art und Weise abgewendet werden kann (§ 1666 Abs. 1, 1666 a Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Die Voraussetzungen für einen Entzug der elterlichen Sorge liegen damit im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG normierten Vorrang der Erziehung und Pflege von Kindern durch ihre Eltern nicht vor, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander nach den §§ 1626 a, 1671, 1672 BGB oder durch eine Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung gemäß §§ 1696, 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB – wie vom Antragsteller ausdrücklich angeregt – begegnet werden kann (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.12.2011 – 4 UF 158/10 –, Juris). § 1696 verweist in Satz 2 ausdrücklich auf § 1671 Abs. 4 BGB.
Zwar ist § 1666 im Verhältnis zu § 1696 BGB vorrangig, wenn es um ein Einschreiten wegen Kindeswohlgefährdung und nicht um die Abänderung einer Sorgerechtsregelung wegen veränderter Umstände geht (BVerfG FamRZ 2009, 1472). Vorliegend hat jedoch der Antragsteller jedenfalls hinsichtlich der Überweisung der Gelder der Kinder auf das Girokonto der Antragsgegnerin und die erst später erfolgte Weiterüberweisung der Gelder auf Konten der Kinder durch die Antragsgegnerin im März 2010 im Rahmen des Umzugs Umstände vorgetragen, die nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht Baden-Baden (Az.: 2 F 391/11) und der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26.09.2014 (Az.: 20 UF 53/14) waren.
Kann einer Kindeswohlgefährdung hingegen bereits durch Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil begegnet werden, hat § 1696 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Vorrang vor § 1666 (Palandt/Götz, BGB, § 1696, Rn. 4, 77. Aufl.).
Über die Frage der angeregten Abänderung der gerichtlichen Entscheidung des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014 dahingehend, dass die Vermögenssorge für die minderjährigen Kinder dem Antragsteller zur alleinigen Ausübung übertragen wird, und diejenige des Teilentzugs der elterlichen Sorge, ist in einem einheitlichen Verfahren und in einer einheitlichen Entscheidung zu befinden (Palandt/Götz, BGB, § 1671, Rn. 53, 77. Aufl.; OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1993).
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht lediglich über die Frage des Teilentzugs der Vermögenssorge entschieden, nicht jedoch über die ausdrücklich angeregte Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014 (Az.: 2 F 391/11), für die die Rechtspflegerin funktionell nicht zuständig ist (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 RPflG).
Angesichts dessen, dass eine erstinstanzliche Entscheidung über die angeregte Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.01.2014 nicht vorliegt, war die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens, an das Amtsgericht Günzburg zurückzuverweisen.
Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1, 40 Abs. 1 und 2 FamGKG.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, § 70 Abs. 1 und 2 FamFG.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben