Familienrecht

Zur Auswahl der Person des Betreuers  bei einer Verlängerung der Betreuung

Aktenzeichen  52 T 76/20

Datum:
20.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36281
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 58 Abs. 1, § 68 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1 S. 2, § 295 Abs. 1 S. 1, § 303 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
BGB § 1897

 

Leitsatz

1. Der Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss waren auf die zulässige Beschwerde von Amts wegen in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG aufzuheben, weil der Nichtabhilfebeschluss nicht den Anforderungen des § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG genügt. Erachtet nach dieser Vorschrift das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. In jedem Fall – Abhilfe oder Vorlage – besteht die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst eingehend zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist. Erst wenn dies in gebotenem Maße geschehen ist, greift das Gebot zur unverzüglichen Vorlage an das Beschwerdegericht ein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Entscheidung zur Auswahl der Person des Betreuers gelten für das Gericht bei einer Verlängerung der Betreuung die gleichen Grundsätze wie bei der Erstbestellung eines Betreuers. So ist bei der Auswahl des Betreuers § 1897 BGB anzuwenden. Dies folgt aus dem Rechtscharakter der Verlängerungsentscheidung als erneute vollständige Einheitsentscheidung über die Betreuung, letztlich auch aus § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG, nach dem für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend gelten.(Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

XVII 1935/03 2020-02-28 Bes AGREGENSBURG AG Regensburg

Tenor

1. Auf die Beschwerde der S… vom 26.02.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg …, werden der Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 28.02.2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über eine Abhilfe an das Amtsgericht Regensburg zurückverwiesen.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.
Der Betroffene leidet an einer Alkoholkrankheit mit hirnorganischem Psychosyndrom. Er steht seit März 2004 unter Betreuung (ab Oktober 2003 zunächst unter vorläufiger Betreuung), die für alle Aufgabenkreise inklusive Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr angeordnet wurde. Als Berufsbetreuerin wurde S… bestellt, deren Ehemann D… zum berufsmäßigen Ersatzbetreuer, beide auf vorangegangenen Vorschlag der S… als Betreuungsbehörde.
Mit Schreiben vom 02.09.2019 und 10.09.2019 an das Amtsgericht Regensburg äußerte sich die Hausärztin D… dahin, sie sei nach wie vor entsetzt über die häusliche Situation, in der der Betreute lebe. Der eindeutig mangelernährte Betreute und dessen Wohnung seien verwahrlost. Nach einwöchigem Krankenhausaufenthalt sei er wieder nach Hause in seine Wohnung in der P… entlassen und bereits vier Tage später, am 26.08.2019, mit einer sich zuhause zugezogenen Schenkelhalsfraktur erneut stationär im Krankenhaus aufgenommen worden, und zwar in intoxikiertem und verwahrlostem Zustand (eingenässt/eingekotet). Bei einem durch sie mit dem Betreuer am 23.08.2019 geführten Telefonat habe dieser gesagt, dass er bei der Verlegung nach Hause dem Wunsch des Betreuten gefolgt sei, des Weiteren, dass der Betreute ja seinen Bruder zur Unterstützung habe und dass sie dem Betreuten einen Rollstuhl organisieren solle. Wer jedoch die Wohnung des Betreuten kenne, wisse, dass er dort keinen Rollstuhl gebrauchen könne. Sie sei aufgrund ihrer regelmäßigen Hausbesuche und in Übereinstimmung mit dem Pflegedienst der Auffassung, dass ein Aufenthalt des Betreuten zuhause nicht mehr möglich und eine Heimunterbringung unumgänglich sei.
Wegen der Einzelheiten wird der Schreiben wird auf Blatt 209, 211 f. d.A. Bezug genommen.
Das Amtsgericht bat die Betreuerin und die Betreuungsbehörde um Stellungnahme, auch um Vorschlag eines neuen Betreuers.
Die Betreuerin äußerte sich mit Schreiben vom 29.09.2019 (Blatt 214 d.A.) und trug vor, man habe bereits einen an den ersten Krankenhausaufenthalt anzuschließenden Kurzzeitpflegeplatz gehabt. Leider habe das betreffende Arbeiterwohlfahrt-Pflegeheim am Tag der Verlegung dem Sozialdienst des Krankenhauses den Platz abgesagt. Da das Krankenhaus den Betreuten habe entlassen müssen, sei gemäß dessen Wunsch, nach Hause zu seinem dort aufhältlichen Bruder entlassen zu werden, verfahren worden, zumal der Betreute bereits jahrelang durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt werde. Nach weiteren, wegen des aktuellen Heimplatz-Engpasses zunächst vergeblichen Bemühungen habe man für ihn einen Platz im Pflegeheim C… gefunden, wo der Betreute am 09.09.2019 aufgenommen worden sei.
Die Betreuungsbehörde führte in ihrer Stellungnahme vom 15.10.2019 unter Darstellung der Angaben der Hausärztin aus, der sturzgefährdete Betroffene habe durch die offensichtliche Fehleinschätzung beziehungsweise durch das Handeln der Betreuerin und des Ersatzbetreuers einen erheblichen, nach Einschätzung der Hausärztin vermeidbaren gesundheitlichen Schaden erlitten. Die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde hätten den Betreuten am 10.09.2019 im Pflegeheim C… aufgesucht. Dabei habe der Betreute geäußert, er wolle weiterhin nach Hause. Heimpflegekräfte hätten berichtet, der Betreute sei nicht mehr absprachefähig und vergesse getroffene Vereinbarungen bereits nach kurzer Zeit. Er stehe trotz erhöhter Sturzgefahr eigenständig auf und sei im Heim bereits mehrfach hingefallen. Vor einigen Tagen, so hätten die Heimpflegekräfte weiter geschildert, habe der Betreute das Pflegeheim verlassen, sei auf der Straße herumgeirrt und schließlich erneut gestürzt, dies mit der Folge eines erneuten Krankenhausaufenthalts. Die Betreuungsbehörde führte weiter aus, aus Sicht der Hausärztin sei spätestens nach dem ersten Krankenhausaufenthalt vom 15. bis 22.08.2019 offensichtlich gewesen, dass eine ambulante Versorgung zu einer ädaquaten pflegerischen Versorgung nicht mehr ausreichend ist. Der in N… lebende Bruder des Betreuten, …, den die Betreuerin in ihrem Schreiben vom 29.09.2019 erneut anführe, besuche den Betreuten nur unregelmäßig und werde wegen ausgeprägter Alkoholabhängigkeit im Verfahren …. ebenfalls von Mitgliedern der F… P… betreut. All dies habe die Hausärztin nach deren Darstellung dem Betreuer D… zeitnah mitgeteilt. In diesen Vorgängen zeigten sich Parallelen zu Sachverhalten und wiederholten Versäumnissen beider Betreuer in der Organisaton und Sicherstellung der gebotenen pflegerischen Versorgung, die in der vom Landgericht Regensburg am 23.04.2019 zum Ausgangsverfahren … gefassten Entscheidung erwähnt wurden.
Wegen der Einzelheiten des Schreibens der Betreuungsbehörde vom 15.10.2019 wird auf Blatt 215 ff. der Akten Bezug genommen; in dem Schreiben werden die Herren H… als Ersatzbetreuer vorgeschlagen.
In der Anhörung vom 07.11.2019 im Pflegeheim … erklärte sich der Betreute mit der Verlängerung der Betreuung einverstanden und äußerte, er wolle, dass sich nichts ändere und alles weiterlaufe wie bisher. Er wisse, dass man einen Betreuerwechsel durchführen wolle. Dies sei aber nicht sein Wunsch, er sei zufrieden. Auf die Niederschrift Blatt 223 f. der Akten wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 14.01.2020 verlängerte das Amtsgericht Regensburg die Betreuung in allen Aufgabenkreisen unter unveränderter Beibehaltung der zuvor bestellten Betreuer. Bezüglich der Betreuerauswahl sei das Gericht dem bedenkenfreien Vorschlag und dem Wunsch des Betreuten gefolgt.
Hinsichtlich der weiteren Gründe des Beschlusses wird auf Blatt 236 ff. d.A. Bezug genommen.
Gegen die im Beschluss vom 14.01.2020 getroffene Auswahl der Betreuer legte die S… als Betreuungsbehörde per Fax mit Schreiben vom 26.02.2020 Beschwerde mit dem Ziel ein, die Betreuung zum Wohl des Betreuten nicht mit der bisherigen Betreuerin und dem bisherigen Ersatzbetreuer weiterzuführen, da diese aus Sicht der Betreuungsbehörde nicht geeignet erschienen. In der Beschwerdebegründung nimmt die Betreuungsbehörde Bezug auf den rechtskräftigen Beschluss im Verfahren des Landgerichts Regensburg, Az. 53 T 190/18, in welchem die Ungeeignetheit der beiden Betreuer, vor allem in Bezug auf die Führung von Betreuungen für suchtkranke Personen, festgestellt worden sei. Des Weiteren nahm die Betreuungsbehörde Bezug auf ihre vorangegangene Stellungnahme vom 15.10.2019.
Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf Blatt 241 f. der Akten Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 28.02.2020 hat das Amtsgericht Regensburg der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landgericht Regensburg zur Entscheidung vorgelegt. In den Gründen führte das Amtsgericht aus (Blatt 243 f. d.A.): Auch aus der Beschwerdebegründung ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Ungeeignetheit der Betreuer im konkreten Verfahren. Dem Wunsch des Betreuten sei entsprochen und zudem auch die sprachliche Komponente (…) berücksichtigt worden. Da zum Zeitpunkt der Anhörung des Betreuten die Stellungnahme der Betreuungsbehörde bereits vorgelegen habe, sei die Frage eines Betreuerwechsels mit dem Betreuten erörtert worden.
Mit Schriftsatz vom 06.05.2020 zeigte Rechtsanwalt … unter Vollmachtsvorlage gegenüber dem Landgericht Regensburg die Vertretung des Betreuten an, beantragte für ihn Verfahrenskostenhilfe und legte eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreuten vor. Er beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, da es bereits an der erforderlichen Beschwer mangele. Hilfsweise werde beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, da sie unbegründet sei. Der Verfahrensbevollmächtigte äußerte er sich im Wesentlichen zum prozessualen Vorgehen des Landgerichts Regensburg im Beschwerdeverfahren 53 T 190/18 und trug vor, die dort getroffenen „Feststellungen“ seien zum Nachteil der Betreuer unter Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze zustande gekommen und ungeachtet dessen nicht bindend.
Wegen der Einzelheiten des Schriftsatzes wird auf Blatt 250 ff. der Akten Bezug genommen.
Der Berichterstatter im Beschwerdeverfahren hat am 19.08.2020 telefonisch Kontakt mit dem Sozialdienst im R… aufgenommen. Die dort tätige Mitarbeiterin S… gab auf Frage an, sie könne sich an den Patienten W… erinnern, da er in kurzem Abstand zur Entlassung erneut ins Krankenhaus gekommen sei. Während seines einwöchigen Aufenthalts vom 15. bis 22. August 2019 habe sie mit der Betreuerin P… und dem A…-Pflegeheim telefoniert. Die Betreuerin habe einen Kurzzeitpflegeplatz für H… organisiert. Sie – Frau S… – habe daraufhin einen Überleitungsbericht an das Heim gesandt. Gegen Ende des stationären Aufenthalts sei Frau S… vom Heim dann aber mitgeteilt worden, man könne den Patienten nun doch nicht aufnehmen. Dabei sei deutlich geworden, dass das Heim keine schwer alkoholkranken Personen aufnehmen wolle. Nach dieser Absage hätten die Betreuerin oder ihr Mann nach einem anderen Heim gesucht – im August sei es stets schwierig, einen Kurzzeitpflegeplatz zu bekommen – und schließlich einen Platz im Haus … gefunden.
II.
Die Beschwerde der Betreuungsbehörde ist statthaft und zulässig. In der Sache hat sie vorläufigen Erfolg.
1. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.01.2020 ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 63 Abs. 1, § 64 FamFG). Die Betreuungsbehörde ist zur Beschwerde gegen die Fortdauer der Bestellung der Betreuerin und des Ersatzbetreuers gemäß § 59 Abs. 2 i.V.m. § 303 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 FamFG befugt. So erfasst § 303 Abs. 1 Nr. 1 zunächst sämtliche Verfahren, die eine Betreuerbestellung zum Gegenstand haben. Dies trifft vorliegend auf den Beschluss vom 14.01.2020 mit ausdrücklicher Fortgeltungaanordnung hinsichtlich der zuvor getroffenen Regelungen, damit auch der Verlängerung der Betreuerbestellung, zu. Die Formulierung in Nr. 2 des § 303 Abs. 1 FamFG ist darüberhinaus bewusst weit gefasst und betrifft sämtliche Verfahrensgegenstände über eine Veränderung oder Nichtveränderung einer bestehenden Betreuerbestellung. Die Betreuungsbehörde begehrt mit ihrer Beschwerde eine Änderung der bestellten Betreuer.
2. Die Beschwerde der Betreuerin hat vorläufigen Erfolg.
a) Der Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss waren auf die zulässige Beschwerde von Amts wegen in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG aufzuheben, weil der Nichtabhilfebeschluss nicht den Anforderungen des § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG genügt. Erachtet nach dieser Vorschrift das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. In jedem Fall – Abhilfe oder Vorlage – besteht die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst eingehend zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist. Erst wenn dies in gebotenem Maße geschehen ist, greift das Gebot zur unverzüglichen Vorlage an das Beschwerdegericht ein. Dabei sind mit Rücksicht auf § 65 Abs. 3 FamFG im Einzelfall auch neue Tatsachen und Beweismittel zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen. Hilft das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde nicht ab, so ist diese Entscheidung jedenfalls dann zu begründen, wenn in der Beschwerde Tatsachen vorgetragen werden, die das Erstgericht für widerlegt oder unerheblich hält. Die erforderliche Begründungsintensität hängt davon ab, ob der Beschwerdebegründung neues, wesentliches Vorbringen zu entnehmen ist oder die Ausgangsentscheidung tragende Argumente des Beschwerdeführers noch nicht berücksichtigt hat (OLG Schleswig, Beschluss vom 25.10.2010, 3 Wx 115/10, BeckRS 2010, 30080).
Im vorliegenden Fall hat sich das Amtsgericht in der Nichtabhilfeentscheidung nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin befasst, wonach sich die Ungeeignetheit der Betreuer – jedenfalls in den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung – aus dem Umstand ergeben soll, dass spätestens nach, aber auch bereits vor dem ersten Krankenhausaufenthalt (15. bis 22.08.2019) eine Heimunterbringung des Betreuten geboten gewesen wäre, und auch nicht damit, ob nach der erfolgten Absage des A…-Heimplatzes die Rückkehr des Betreuten in seine Wohnung durch andere Maßnahmen hätte verhindert werden können und müssen. Das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin ist erheblich. In den Gründen des Nichtabhilfebeschlusses führte das Amtsgericht aus, auch aus der Beschwerdebegründung ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Ungeeignetheit der Betreuer im konkreten Verfahren.
Dem ist nicht so:
aa. Bei der Entscheidung zur Auswahl der Person des Betreuers gelten für das Gericht bei einer Verlängerung der Betreuung die gleichen Grundsätze wie bei der Erstbestellung eines Betreuers. So ist bei der Auswahl des Betreuers § 1897 BGB anzuwenden. Dies folgt aus dem Rechtscharakter der Verlängerungsentscheidung als erneute vollständige Einheitsentscheidung über die Betreuung, letztlich auch aus § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG, nach dem für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend gelten (BGH MDR 2018, 527).
bb. Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist, wenn der volljährige Betroffene eine Person vorschlägt, die zum Betreuer bestellt werden kann, diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Dabei hat der in einem konkreten Vorschlag zum Ausdruck kommende Wille des Betreuten den Vorrang, weil er nach den Vorstellungen des Gesetzes vermutlich mit dem Wohl des Betreuten harmoniert. Nur wenn dies im konkreten Fall nicht zutrifft oder der Betreute keinen Willen äußert, muss und darf auf das objektive Wohl des Betreuten als Auswahlkriterium zurückgegriffen werden. Die Gesamtschau der Absätze 3, 4 und 5 des § 1897 BGB ergibt, dass der Wille der zu betreuenden Person regelmäßig erstrangig zu beachten ist (Schneider in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, Rz. 23 zu § 1897; Schmidt-Recla in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand 01.07.2020, Rz. 27). Der Betreuer darf nicht nur deswegen aus einer nachfolgenden Rangstufe entnommen werden, weil er geeigneter erscheint als eine Person einer vorrangigen Stufe. Die Eignung entscheidet erst wieder zwischen mehreren Personen derselben Rangstufe (Roth in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, Rz. 2; OLG Köln FamRZ 1999, 811 zum Fall eines vorgeschlagenen Betreuers).
Der Vorschlag muss nicht ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft sein (anders BayObLG BtPrax 2003, 270); es genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit müssen vorliegen (BGH NJW 2011, 925; FamRZ 2011, 880; NJW-RR 2015, 450; NJW 2018, 1878; Müller-Engels in: BeckOK BGB, 54. Edition, Stand 01.05.2020, Rz. 15 zu § 1897).
Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich relevanter Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (BGH FamRZ 2019, 1356).
Im vorliegenden Fall hat sich der Betreute in seiner richterlichen Anhörung am 07.11.2019 mit der Verlängerung der Betreuung einverstanden erklärt. Dabei äußerte er hinsichtlich der vom Betreuungsrichter angesprochenen Möglichkeit der Verlängerung der Betreuung und der Möglichkeit eines Betreuerwechsels, er wolle, dass sich nichts ändere und alles weiterlaufe wie bisher. Er wisse, dass man einen Betreuerwechsel durchführen wolle. Dies sei aber nicht sein Wunsch, er sei zufrieden. Mit diesen Bekundungen hat der Betreute den Wunsch geäußert, dass es im Rahmen der vom Amtsgericht zu treffenden Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung keine Veränderung zur Person der zuvor bestellten Betreuern geben soll, somit die Betreuerin und der Ersatzbetreuer erneut bestellt werden sollen.
Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB kann der Wille des Betroffenen nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass sie die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (BGH NJW 2010, 3777). Die Annahme einer solchen konkreten Gefahr beruht auf einer Prognoseentscheidung des Gerichts, für die dieses sich naturgemäß auf Erkenntnisse stützen muss, die in der – näheren oder auch weiter zurückliegenden – Vergangenheit wurzeln. Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen diese Erkenntnisse geeignet sein, einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis zu begründen (BGH NJW 2018, 1878).
Dabei kann sich die Feststellung, dass ein Betreuerwunsch des Betreuten seinem Wohl zuwiderläuft und deshalb unbeachtlich ist, daraus ergeben, dass der gewünschte Betreuer für den oder die betreffenden Aufgabenkreise ungeeignet ist.
Gemäß § 1897 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht als Betreuer eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Diese Voraussetzungen treffen nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin auf die von der Beschwerdeführerin als Betreuer und Ersatzbetreuer vorgeschlagenen Personen N…, nicht jedoch auf die bestellten Betreuer zu.
Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person als Betreuer eines konkreten Betroffenen geeignet ist, erfordert die Prognose, ob der potentielle Betreuer voraussichtlich die sich aus der Betreuungsführung und den damit verbundenen Pflichten im Sinne des § 1901 BGB folgenden Anforderungen erfüllen kann. Diese Prognose muss sich jeweils auf die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben beziehen und zu der Einschätzung führen, dass die als Betreuer in Aussicht genommene Person das Amt zum Wohl des Betroffenen (§ 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB) führen wird (BGH NJW-RR 2016, 1). Der Begriff des Wohls des Betreuten darf nicht losgelöst von seinen subjektiven Vorstellungen und Wünschen bestimmt werden; ein Wunsch läuft nicht bereits dann im Sinne des § 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB dem Wohl des Betreuten zuwider, wenn er dessen objektivem Interesse widerspricht; vielmehr entsteht ein beachtlicher Gegensatz zwischen Wohl und Wille des Betreuten erst dann, wenn die Erfüllung der Wünsche höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährden oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde. Ist danach ein Wunsch eines Betreuten im Grundsatz beachtlich, kann dies jedoch nur unter der Voraussetzung gelten, dass der Wunsch nicht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass jeder Wunsch unbeachtlich wäre, den der Betreute ohne Erkrankung nicht hätte oder der als irrational zu bewerten ist. Vielmehr ist ein Wunsch lediglich dann unbeachtlich, wenn der Betreute infolge seiner Erkrankung entweder nicht mehr in der Lage ist, eigene Wünsche und Vorstellungen zu bilden und zur Grundlage und Orientierung seiner Lebensgestaltung zu machen oder wenn er die der Willensbildung zugrunde liegenden Tatsachen infolge seiner Erkrankung verkennt. Der Betreuer kann sich nur dann auf einen – dem objektiven Wohl des Betreuten zuwiderlaufenden – Wunsch berufen, wenn dieser Wunsch auf ausreichender tatsächlicher Grundlage gefasst wurde. Dies verlangt vor allem, dass der Betreute über den Sachverhalt und die Auswirkungen seines Wunsches hinreichend informiert ist (BGHZ 182, 116).
b) Mit alldem hat sich das Amtsgericht nicht auseinandergesetzt. Im Nichtabhilfebeschluss wurde zwar ausgeführt, warum kein Betreuerwechsel erfolgt ist. Jedoch hat sich das Amtsgericht nicht, wie geboten, mit dem Beschwerdevorbringen befasst, wonach sich die Ungeeignetheit der Betreuer – jedenfalls in den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung – aus dem Umstand ergeben soll, dass spätestens nach – aber auch bereits vor dem ersten Krankenhausaufenthalt (15. bis 22.08.2019) – seine Heimunterbringung geboten gewesen sei. Dieser Vortrag ist erheblich und im Wege der Amtsermittlung weiter aufzuklären (§ 26 FamFG).
Das Beschwerdegericht kann in solchen Fällen in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG von Amts wegen die Sache unter Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses an das erstinstanzliche Gericht zurückgeben, um diesem die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Vorbringen der Beschwerde im Abhilfeverfahren zu befassen. Ein solches Vorgehen erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn – wie hier – ein Beschwerdeführer Argumente oder Tatsachen anführt, mit denen sich das Gericht des ersten Rechtszuges nicht auseinandergesetzt hat (Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Auflage 2020, Rz. 12 zu § 68 FamFG). Dieses Vorgehen erscheint vorliegend angemessen, um den Beteiligten keine Tatsacheninstanz zu nehmen.
Der Aufhebung und Zurückverweisung ins Abhilfeverfahren stehen die in Ziffer I. wiedergegebenen, von der Kammer getroffenen, aus dem Telefonat mit der Mitarbeiterin des Sozialdienstes des C…) resultierenden Feststellungen nicht entgegen. Diese sprechen lediglich dafür, dass den bestellten Betreuern ab dem Zeitpunkt des ersten Krankenhausaufenthalts (und danach) kein Vorwurf pflichtwidrig verspäteten Handelns bezüglich Bemühungen um einen Heimplatz gemacht werden kann. Entscheidungserheblich ist aber auch die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob solche Bemühungen bereits vor dem ersten Krankenhausaufenthalt veranlasst waren und entfaltet wurden, und auch, ob im Hinblick auf die erhaltene Absage des A…-Heimplatzes andere weitere Maßnahmen zur Verhinderung einer Rückkehr des Betreuten in seine Wohnung hätten getroffen werden müssen. Der im Schreiben der Betreuerin vom 29.09.2019 wiederholte Hinweis auf den (nach Aktenlage ebenfalls betreuten und alkoholkranken) Bruder des Betreuten als dessen Helfer dürfte jedenfalls wenig hilfreich sein.
Der Umstand, dass sich weitere Stürze des Betreuten auch noch nachfolgend im Heim C… ereignet haben und eine Schenkelhalsfraktur auch bei einem früheren Heimaufenthalt nicht sicher vermieden worden wäre, spricht nicht gegen eine Ungeeignetheit der Betreuerin und/oder des Ersatzbetreuers.
c) Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:
Aus dem Verfahren 53 T 190/18 ergibt sich keine Bindungswirkung, auch nicht im Sinne einer Vorgreiflichkeit, für das Betreuungsverfahren oder für das hiesige Beschwerdeverfahren. Ob und welche Entscheidungen in FamFG-Verfahren einer materiellen Rechtskraft fähig sind, ist im Einzelnen umstritten. In den Verfahren der rein vorsorgenden Gerichtsbarkeit, wie hier in Betreuungssachen, ist die materielle Rechtskraft nur zu bejahen, wenn das Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit das Interesse an individueller Gerechtigkeit und ständiger Korrekturmöglichkeit überwiegt (Engelhardt in: Keidel, FamFG, 20. Auflage 2020, Rz. 26 zu § 45). Diese Erwägung kommt hier jedoch nicht zum Tragen; es handelt sich vorliegend insbesondere nicht um ein Folgeverfahren mit einem identischen Verfahrensgegenstand unter Beteiligung identischer Personen.


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