Handels- und Gesellschaftsrecht

Abgasskandal, Verjährung, Restschadensersatzanspruch, Gebrauchtwagen

Aktenzeichen  21 O 392/20

Datum:
18.3.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43519
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826
BGB § 852

 

Leitsatz

Dem geschädigten Gebrauchtwagenkäufer steht ein Restschadensersatzanspruch bis zur Höhe des durch den Neuwagenverkauf erzielten Kaufpreises (Händlereinkaufspreis) zu.

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.334,62 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.06.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pkw V. … mit der Fahrgestellnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € freizustellen.
IV. Es wird festgestellt, dass der Anspruch aus Ziffer I. auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht.
V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 1/5, die Beklagte zu 4/5 zu tragen.
VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VIII. Der Streitwert wird auf 11.969,26 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 826 BGB dahingehend zu, dass die Klagepartei so zu stellen ist als hätte sie den Pkw nicht gekauft. Unter Anrechnung eines Nutzungsvorteils in Höhe von 10.565,38 € verbleibt bei Herausgabe des Pkw ein Zahlungsanspruch in Höhe von 9.334,62 € nebst Zinsen (1.). Daneben hat die Beklagte die Klagepartei von für die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € freizustellen (2.). Soweit höhere Beträge und Zinsen begehrt worden sind, war die Klage im Übrigen abzuweisen. Dies gilt auch hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der teilweisen Erledigung der Klage hinsichtlich der weiteren Nutzung von Klageerhebung bis zur mündlichen Verhandlung, weil der Einzelrichter einen höheren Nutzungsvorteil schätzt als die Klagepartei. Der Annahmeverzug folgt spätestens aus dem Angebot mit dem Klageantrag. Schließlich ist der Anspruch nicht verjährt (3.).
1. Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Erschleichung der Typgenehmigung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Täuschung dar (vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Leitsatz).
Damit ist die Beklagte der Klagepartei gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots ist der Wert des Vorteils, den die Klagepartei durch die Nutzung des Pkw erlangt hat, vom Kaufpreis abzuziehen (BGH ebenda Leitsatz d).
Die Höhe der anzurechnenden Nutzungen errechnet sich in richterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) aus der Formel Kaufpreis x gefahrene km / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger). Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint für gewöhnlich genutzte Diesel-Pkw angemessen, da sie bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km einer Nutzung von zwölfeinhalb Jahren entspricht. Eine längere Nutzungsdauer setzt erfahrungsgemäß über den eingesetzten Kaufpreis hinaus erhebliche Aufwendungen für Verschleißteile und Reparaturen hinaus, so dass bei erhöhter Laufleistung auch mit höheren Aufwendungen als nur dem Kaufpreis gerechnet werden müsste. Dies entspricht auch der Praxis des OLG Bamberg (Urteil vom 22.05.2020, 1 U 114/19, Seite 17 vorletzter Absatz).
Damit errechnet sich ein Betrag von 10.565,38 € für die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen (= 19.900,00 € x [145.865 km bei mündlicher Verhandlung – 28.000 km bei Erwerb] / [250.000 km – 28.000 km]). Von dem Kaufpreis in Höhe von 19.900,00 € bleiben nach Abzug von 10.565,38 € noch 9.334,62 €. Diese Forderung ist mit dem gesetzlichen Zinssatz ab Inverzugsetzung zu verzinsen (§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB).
2. Der deliktische Schadensersatzanspruch umfasst auch die zur Schadensabwendung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt, BGB, 80. Aufl., § 249 Rn. 56 und 57). Auf Grundlage der zuzusprechenden Forderung bemisst sich der Gegenstandswert aus der Stufe bis 10.000,00 €, was eine 1,0 Gebühr in Höhe von 558,00 € zur Folge hat. In Anbetracht dessen, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, erscheint der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr ausreichend und angemessen. Dies sind 725,40 €. Zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale sind es netto insgesamt 745,40 €. Mit 19% Umsatzsteuer hieraus (141,63 €) errechnen sich vorgerichtliche Kosten in Höhe von 887,03 €.
3. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Selbst wenn man der Beklagten folgt, dass die Verjährung bereits mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen habe und damit Ende 2018 die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB abgelaufen ist, besteht der Schadensersatzanspruch nach § 852 BGB beschränkt auf die Höhe des durch die unerlaubte Handlung Erlangten fort (Palandt, BGB, 80. Aufl., § 852 Rn. 1, 2). Die Beklagte ist als durch den Verkauf des streitgegenständlichen Pkw bereicherter Konzern zur Zahlung des Schadensersatzes bis zur Höhe des durch den Neuwagenverkauf erzielten Kaufpreises (Händlereinkaufspreis) verpflichtet. Diesen schätzt der Einzelrichter auf mindestens 80% des Listenpreises (§ 287 ZPO), was den tenorierten Schaden nicht unterschreitet. Eine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs ist daher derzeit durch den Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist nicht eingetreten. Die zehnjährige Verjährungsfrist des Restschadensersatzanspruchs ist noch nicht abgelaufen. Der Anspruch mindert sich nicht durch Aufwendungen der Beklagten nach Bekanntwerden des „V.-Abgasskandals“. Im Hinblick auf ihre Bösgläubigkeit ist der Beklagten die Berufung auf eine Entreicherung verwehrt ist, § 819 Abs. 1 BGB.
Dies gilt auch im vorliegenden Fall des Gebrauchtwagenkaufs. Zwar hat die Beklagte den Kaufpreis nur durch das Neuwagengeschäft vereinnahmt und somit den Vorteil der unerlaubten Handlung unmittelbar vom ersten Käufer erzielt, sei es bei Verkauf an Dritte über Händler vom Händler oder bei Direktverkauf vom Neuwagenkäufer. Der von dem Gebrauchtwagenkäufer gezahlte Kaufpreis ist an den Neuwagenkäufer geflossen und von dort nur dann an die Beklagte, wenn erneut ein Neuwagen von der Beklagten angeschafft worden ist (was möglich, aber nicht sicher anzunehmen ist). Getäuscht hat die Beklagte aber auch die Gebrauchtwagenkäufer, die ebenso wie die Neuwagenkäufer davon ausgingen, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß typgenehmigt und damit nicht nur uneingeschränkt nutzbar, sondern auch weiterveräußerlich war. Damit ging die sittenwidrige Täuschung eben auch auf Kosten der Gebrauchtwagenkäufer. Auf die Unmittelbarkeit des Geldflusses kommt es nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 852 BGB (vor dem 01.01.2002 fand sich die heutige Regelung in Absatz 3) ist „Der Begriff ‚auf Kosten … erlangt‘ (…) in § 852 Abs. 3 BGB auf die Handlung abgestellt, durch die die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da es eine unerlaubte war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat. Daher ist für die Anspruchsvoraussetzung der §§ 812ff BGB in § 852 Abs. 3 BGB kein Raum. Jene Vorschriften haben insoweit nur die Bedeutung einer Begrenzung des Haftungsumfangs.“ (BGHZ 71, 86 III. 5. c) juris: Rn. 63).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1, 2, § 711 ZPO.
Der Streitwert folgt aus dem gezahlten Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz laut Klageantrag.


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