Handels- und Gesellschaftsrecht

Abgrenzung von Eigenversicherung mit Gefahrsperson von Fremdversicherung

Aktenzeichen  7 O 4370/16

Datum:
22.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53136
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
SGB XII § 93 Abs. 1
VVG § 43, § 44 Abs. 1, § 159, § 176, § 185
BGB § 518 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Schließt ein unterhaltspflichtiger Vater für sein minderjähriges Kind als versicherte Person eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, handelt es sich bei Einräumung eines Bezugsrechts für das Kind nicht um eine Fremd- sondern um eine Eigenversicherung. (Rn. 16) (entgegen BGH BeckRS 2020, 16795) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 59.340,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Traunstein gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.
B.
Die Klage ist unbegründet, da die Tochter des Beklagten keinen Anspruch gegen diesen auf Auszahlung der für den Zeitraum ab März 2013 vom Beklagten vereinnahmten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsrentenversicherung bei der G. Lloyd Versicherung AG hat, den der Kläger mit Überleitungsbescheid vom 18.04.2016 gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII auf sich überleiten konnte.
1. Der Beklagte hat bei Abschluss des Versicherungsvertrages unstreitig seine Tochter als Bezugsberechtigte der Versicherungsleistung benannt. Mangels ausdrücklicher Bestimmung, dass die Bezugsberechtigung zugunsten der Tochter unwiderruflich sein soll, konnte der Beklagte das Bezugsrecht nach den zwischen ihm und der Versicherung vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (Blatt 50 d.A.) jederzeit widerrufen, § 9 Abs. 1, 2 der Versicherungsbedingungen.
2. Ein auf einem Vertrag für fremde Rechnung bzw. Fremdversicherungsvertrag beruhendes gesetzliches Treuhandverhältnis zwischen dem Beklagten und seiner als Bezugsberechtigten eingesetzten Tochter und ein hieraus resultierender Anspruch auf Auszahlung der vereinnahmten Sicherheitsleistungen an die Tochter besteht nicht. Bei dem zwischen der G. Lloyd Lebensversicherung AG und dem Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag handelt es sich nicht um eine Versicherung für fremde Rechnung gemäß §§ 43 ff. VVG. Bei der Versicherung nach den §§ 43 ff. VVG versichert der Versicherungsnehmer ein fremdes Interesse. Der Versicherungsnehmer ist Vertragspartner, insbesondere Prämienschuldner, aber der Versicherte ist nach § 44 Abs. 1 VVG Gläubiger des Anspruchs (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz: VVG, 30. Auflage 2018, vor § 43 bis 48, Rdnr. 2). Dem Versicherungsvertrag für fremde Rechnung ist demnach immanent, dass die versicherte Person von vornherein Inhaber des Anspruchs auf die Versicherungsleistung ist, insofern wird die Versicherung „für fremde Rechnung“ geschlossen. Hiervon zu unterscheiden und abzugrenzen ist jedoch die Benennung eines Bezugsberechtigten in der Personenversicherung gemäß den §§ 159, 185 VVG (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Rdnr. 9). Unabhängig davon, wessen Interesse mit der Versicherung versichert werden soll, erwirbt der widerruflich als Bezugsberechtigter Benannte den Anspruch auf die Versicherungsleistung vorbehaltlich eines Widerrufs erst mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung, dass der Versicherungsfall eintritt (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Auflage 2014, Seite 145 Rdnr. 97). Damit liegt keine Versicherung für fremde Rechnung vor und bestand kein Anspruch der Tochter gegen den Beklagten auf Auszahlung der Versicherungsleistung aus einem entsprechenden Treuhandverhältnis.
3. Dem Beklagten war es weiter auch nach Eintritt der Berufsunfähigkeit seiner Tochter am 09.11.2006 (vgl. Anlage K4) möglich, deren Bezugsberechtigung für zukünftige, noch nicht fällige Versicherungsleistungen zu widerrufen.
§ 176 VVG erklärt die Vorschriften über die Lebensversicherung für die Berufsunfähigkeitsversicherung für entsprechend anwendbar, soweit sie den Besonderheiten der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht entgegenstehen. Gemäß § 159 Abs. 2 VVG erwirbt ein widerruflich als bezugsberechtigt bezeichneter Dritter das Recht auf die Leistung des Versicherers erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Nach nunmehr herrschender Meinung ist § 159 Abs. 2 VVG auf die Berufsunfähigkeitsversicherung ebenfalls entsprechend anwendbar (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., § 176, Rdnr. 6). Der nur widerruflich Bezugsberechtigte erwirbt das Recht demnach nicht sofort, sondern nach § 159 Abs. 2 VVG erst unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Versicherungsfall eintritt, und zugleich unter der auflösenden Bedingung, dass der Versicherungsnehmer nicht vorher den Widerruf erklärt (vgl. Neuhaus, a.a.O., Rdnr. 97). Danach muss der Versicherungsnehmer den Widerruf vor Eintritt des Versicherungsfalls erklärt haben.
Für den „Eintritt des Versicherungsfalls“ ist bei regelmäßig wiederkehrenden Berufsunfähigkeitsrentenzahlungen, wie vorliegend, jedoch nicht alleine auf das versicherte Ereignis, nämlich die Berufsunfähigkeit, abzustellen. Weitere Voraussetzung ist im Falle von Rentenzahlungen, dass die jeweilige Fälligkeit der Rente vorliegt. Mit anderen Worten tritt mit jeder Fälligkeit einer Rente ein eigener Versicherungsfall ein. Diese entsprechende Auslegung des § 159 Abs. 2 VVG für ratierliche Rentenzahlungen bei der Berufsunfähigkeitsversicherung hat auch Eingang gefunden in § 12 Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (Stand: 15.09.2016). Als Umkehrschluss hieraus folgt, dass die Bezugsberechtigung über den Eintritt des versicherten Ereignisses (hier die Berufsunfähigkeit der Tochter des Beklagten) hinaus für zukünftige, noch nicht fällige und ausbezahlte Renten widerrufen werden kann, sodass der Tochter des Beklagten nach erklärtem Widerruf bereits gegenüber der Versicherung kein Anspruch auf die Versicherungsleistung mehr zustünde.
4. Die zwischen den Parteien strittige Frage, ob und ggf. wann das Bezugsrecht seiner Tochter vom Beklagten gegenüber der Versicherung widerrufen worden ist, kann jedoch für das vorliegend alleine entscheidungserhebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten als Versicherungsnehmer und seiner Tochter als Bezugsberechtigter dahinstehen. Die Benennung eines Bezugsberechtigten lässt den Versicherungsvertrag zu einem Vertrag zugunsten Dritter werden, wobei hier zwei Vertragsbeziehungen voneinander zu unterscheiden sind: das Deckungsverhältnis zwischen Bezugsberechtigtem und Versicherungsunternehmen einerseits sowie das Valutaverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigtem andererseits. Nur Letzteres ist für einen möglichen Anspruch der Tochter gegen den Beklagten, den der Kläger auf sich übergeleitet hat, ausschlaggebend.
Ein Anspruch der Tochter gegen den Beklagten auf Auszahlung der seit März 2013 von diesem vereinnahmten Rentenzahlungen besteht weder unter schuldrechtlichen noch sonstigen Gesichtspunkten.
Anders als bei der unwiderruflichen Benennung eines Bezugsberechtigten, bei der der Berechtigte bereits durch die Benennung den bedingten Anspruch zugewendet erhält, ist bei der widerruflichen Benennung eines Bezugsberechtigten ein vertraglicher Bindungswille des Versicherungsnehmers regelmäßig nicht vorhanden. Der Begünstigte hat hier grundsätzlich lediglich eine ungesicherte Hoffnung auf die im Versicherungsfall wirkende Leistung, sodass bis dahin der Versicherungsvertrag voll zur Disposition des Versicherungsnehmers steht. Der Versicherungsnehmer will regelmäßig erst dann, wenn er nicht widerruft, dass der Benannte mit Eintritt des Versicherungsfalls (bzw. der Fälligkeit) den Anspruch erwerben und die Versicherungsleistung behalten soll (vgl. Neuhaus, a.a.O., Rdnr. 122, 123). Dafür, dass abweichend vom Regelfall beim Beklagten ein rechtsgeschäftlicher Bindungswille vorgelegen hat, ist nichts dargetan und auch nichts ersichtlich. Hierfür spricht auch nicht der Umstand, dass das versicherte Ereignis die Berufsunfähigkeit der Tochter des Beklagten ist und die Versicherungsleistungen grundsätzlich ihrer Absicherung dienen sollen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Prämien bezahlt hat und grundsätzlich frei ist, über die Verwendung der Leistungen zu entscheiden. Eine Zweckbindung im Sinne der Versorgung der Berufsunfähigen ist nicht gegeben. Als Rechtsgrund für die Zuwendung kommt mangels anderer Anhaltspunkte, insbesondere liegen Unterhaltspflichten des Beklagten gegenüber seiner Tochter allenfalls in sehr geringem Umfang vor, vielmehr lediglich eine unentgeltliche Zuwendung in Form einer Schenkung in Betracht. Bei der unentgeltlichen Zuwendung der Bezugsberechtigung liegt in der Benennung zunächst ein Schenkungsversprechen, das jedoch mangels notarieller Beurkundung formunwirksam ist, § 518 Abs. 1 BGB. Erst mit dem Eintritt der Bedingung, d.h. mit Eintritt des Versicherungsfalls und der Fälligkeit sowie der Auszahlung, wird dann, wenn der Bezugsberechtigte einverstanden ist, die Schenkung vollzogen und damit wirksam, § 518 Abs. 2 BGB (vgl. Neuhaus, a.a.O., Rdnr. 123). Ein Schenkungsvollzug liegt im Fall der streitgegenständlichen Versicherungsleistungen jedoch nicht vor, da die entsprechenden Versicherungsleistungen der Beklagte und nicht seine Tochter erhalten hat. Soweit der Kläger hiergegen einwendet, die Tochter habe das Schenkungsversprechen durch Annahme der Versicherungsleistungen bis Mai 2009 angenommen, so ändert dies nichts daran, dass dem Formerfordernis des § 518 Abs. 1 BGB nicht entsprochen worden ist. Eine Heilung nach § 518 Abs. 2 BGB ist nur durch Vollzug, d.h. tatsächliche Zuwendung des geschenkten Gegenstands, möglich, was hier für die Versicherungsleistungen seit März 2013 nicht erfolgt ist. Soweit im Hinblick auf die im Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2009 an die Tochter/Betreuerin/den Kläger ausbezahlten Versicherungsleistungen von einem Teilvollzug auszugehen ist, bewirkt dieser eine Heilung nur zum entsprechenden Teil (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 518, Rdnr. 9).
5. Auch stellt sich der Widerruf der Bezugsberechtigung nach Eintritt der Berufsunfähigkeit und Vereinnahmung der Versicherungsleistungen durch den Beklagten nicht als sittenwidrig dar. Zwar ist dem Kläger Recht zu geben, dass die Vorgehensweise im Ergebnis dazu führt, dass die Allgemeinheit der Steuerzahler aufgrund der Eintrittspflicht des Klägers für die Tochter des Beklagten aufkommen muss. Dies führt unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände jedoch nicht zu dem Ergebnis einer Sittenwidrigkeit des Widerrufs der Bezugsberechtigung. Hierbei ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Versicherung durch eigene Prämienleistungen bedient hat und er damit auch Dispositionsfreiheit über die aus eigenen Mitteln gespeiste Versicherungsleistung genießen kann. Auch wenn es hierauf im Ergebnis gar nicht ankäme, wäre es durchaus vorstellbar und legitim, wenn der Beklagte als Versicherungsnehmer durch den Bezug der Versicherungsleistung in eigener Verantwortung und Entscheidung Investitionen tätigen möchte, um auf die mit der Berufsunfähigkeit seiner Tochter einhergehenden Einschränkungen zu reagieren, die ggf. auch über die Maßnahmen der Grundsicherung hinausgehen.
Nach alldem besteht kein Anspruch der Tochter des Beklagten gegen diesen auf Auszahlung der von ihm seit März 2013 entgegengenommenen Versicherungsleistungen, sodass die Überleitung dieser Ansprüche durch den Kläger ins Leere lief.
C.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in § 709 S. 1, 2 ZPO.
3. Streitwert: §§ 3, 5 ZPO, § 44 GKG.
Der Streitwert für den Leistungsantrag war auf 56.340,00 € zu bemessen, der Wert des im Rahmen der Stufenklage erhobenen weiteren Zahlungsantrags bemisst das Gericht mit 3.000,00 €.


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