Handels- und Gesellschaftsrecht

Kaufpreis, Gutachten, Aufsichtsrat, Vertragsschluss, Gesellschaft, Beteiligung, Antragsteller, Benachteiligungsverbot, Immobilie, Aktien, Haftung, Verdacht, Zeitpunkt, Grundkapital, wirtschaftliches Interesse

Aktenzeichen  17 HK O 9479/20

Datum:
8.2.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23760
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I) Gemäß § 315 Satz 2 Aktiengesetz wird ein Sonderprüfer bei der Antragsgegnerin, der N… I… AG, P… 12, 8… M…, bestellt, der die unterpreisige Veräußerung der Immobilie P… 5 / R… 9 in M… an die A… V… A… (Amtsgericht M… HRB …) im Dezember 2017 prüfen soll.
II) Zum Sonderprüfer wird bestellt: … GmbH W…, S…
III) Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits sowie die Kosten der Prüfung.
IV) Der Gegenstandswert wird auf 1.000.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

A)
Der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist zulässig.
I)
Da die Antragsgegnerin ihren Sitz in der Landeshauptstadt München und damit im Bezirk des Landgerichts München I hat, ist das Gericht zur Entscheidung zuständig, § 315 Satz 3 AktG.
II)
Die formellen Voraussetzungen für die Antragstellung nach § 315 Satz 2 in Verbindung mit § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG sind für die Antragsteller ebenfalls gegeben. Deren Anteile übersteigen den einhundertsten Teil des Grundkapitals der Antragsgegnerin und sie halten diese Anteile seit mindestens 3 Monaten vor dem Tag der Antragstellung und werden sie auch für die Dauer der Sonderprüfung weiterhin halten, wie sich aus den vorgelegten Anlagen ASt 10 und ASt 11 ergibt, sodass auch die Haltefrist aus § 315 Satz 2 AktG erfüllt ist.
III)
Der gestellte Antrag ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauches, Missbrauchs des Antragsrechtes seitens der Antragsteller, unzulässig.
Zwar geht die herrschende Meinung davon aus, dass ein rechtsmissbräuchlicher Antrag dann vorliegt, wenn Aktionäre mit diesem weder Gesellschaft- noch mitgliedschaftsimmanente Eigeninteressen verfolgen, sondern ausschließlich private Belange durchzusetzen versuchen.
Nach dem Sachvortrag beider Parteien und den insoweit vorgelegten Unterlagen ergibt sich zur Überzeugung der Kammer nicht, dass es mit dem Sonderprüfungsantrag den Antragstellern lediglich darum geht, ausschließlich private Belange durchzusetzen, insbesondere einen möglichst hohen Kaufpreis im Bezug auf den Verkauf ihrer Aktien zu erzielen. Wie sich aus der von den Antragstellern vorgelegten Anlage ASt 26 ergibt, hatten sich die Antragsteller mit der F… HV im wesentlichen bereits über einen Verkauf der Aktien und einen Kaufpreis verständigt, welcher dann, offensichtlich wegen fehlender Zustimmung von Herrn A… v… F…, jedoch nicht zustande kam. Dass insoweit bezüglich der zu verkaufenden Aktien ein überhöhter Preis seitens der Antragsteller gefordert worden wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich, und auch nicht, dass der geplante Kaufpreis auf irgendwelche Druckausübung seitens der Antragsteller zurückgegangen wäre.
Dass der insoweit beabsichtigte Kaufpreis angemessen war, ergibt sich auch aus der von der Klagepartei vorgelegten Anlage ASt 20, dem öffentlichen Kaufangebot der F… HV vom 21.08.2020, welche zuletzt einen Kaufpreis in Höhe von 1.150,00 € je Aktie öffentlich ausgelobt hatte.
Für die erkennende Kammer ist daher nicht ersichtlich, dass die vorgerichtlichen Verhandlungen in Bezug auf den Verkauf der Aktien einen Rechtsmissbrauch der Antragsteller begründen würden. Aus diesem Grunde kann nach Auffassung der Kammer auch nicht die Rede davon sein, dass die Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers lediglich Sondervorteile oder einen Lästigkeitswert anstreben würden.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit dem vorliegenden Sonderprüfungsantrag eventuelle Schadensersatzansprüche der Antragsgegnerin gemäß § 317 Abs. 1 AktG festgestellt werden sollen, woraus nicht lediglich die Antragsteller als Minderheitsaktionäre einen Vorteil ziehen würden.
Insgesamt steht für die erkennende Kammer nicht zu deren Überzeugung fest, dass der in Rede stehende Sonderprüfungsantrag lediglich dazu dienen würde, ausschließlich private Belange der Antragsteller durchzusetzen.
B)
Der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist auch begründet:
I)
Nach § 315 Satz 2 AktG ist ein Sonderprüfer dann zu bestellen, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung rechtfertigen.
Die Sonderprüfung nach dieser Vorschrift soll es den außenstehenden Aktionären erleichtern, Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot in § 311 AktG aufzudecken und daraus resultierende Schadensersatzansprüche nach § 317 AktG geltend zu machen. Dabei gilt, dass die Antragsteller nach Satz 2 Tatsachen vorzutragen haben, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung nach §§ 11 AktG rechtfertigen. Der Ausdruck „Nachteilszufügung“ muss vom Zweck der Sonderprüfung her interpretiert werden, die klären soll, ob die Voraussetzungen einer Haftung nach §§ 317, 318 AktG vorliegen. Umfasst von diesem Ausdruck werden daher sowohl nachteilige Veranlassungen durch ein herrschendes Unternehmen ohne zeitgerechten Ausgleich, als auch das entsprechende pflichtwidrige Handeln der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft.
Die Antragsteller müssen hierzu den Verdacht begründende Tatsachen vorgetragen. Als solche Tatsachen werden in erster Linie Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen der abhängigen Gesellschaft in Betracht kommen, die für die abhängige Gesellschaft im Sinne von § 311 AktG von Nachteil sind. Dabei müssen die Tatsache nicht bewiesen oder glaubhaft gemacht werden (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 18 zu § 315).
Einem Antrag auf Sonderprüfung nach § 315 Satz 2 AktG ist dann stattzugeben, wenn zur Überzeugung des erkennenden Gerichts die vorgetragenen Tatsachen vorliegen und den Verdacht begründen. Dabei braucht das Gericht nicht festzustellen, ob der Verdacht tatsächlich zutrifft (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 23 zu § 315).
II)
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze ist im vorliegenden Falle davon auszugehen, dass im Sinne des § 315 Satz 2 AktG Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung rechtfertigen.
1) Tatsache ist, dass die Antragsgegnerin die besagte Immobilie an ein Schwesterunternehmen zu einem Kaufpreis von 93.000.000,00 Euro verkauft hat.
2) Weitere Tatsachen ist, dass die A… AG das Nachbargrundstück Jahre vorher zu einem höheren Quadratmeterpreis gekauft hatte.
3) Tatsache ist des weiteren, dass zum Zeitpunkt der Veräußerung der Immobilie feststand, dass der bestehende Pachtvertrag hinsichtlich der in der Immobile betriebenen Gaststätte zum 31.12.2022 beendet sein würde.
4) Fakt ist zur Überzeugung der Kammer auch, dass das von der Antragsgegnerin vor der Veräußerung der Immobilie eingeholte Gutachten von B… bei der Ermittlung des Ertragswerts im Zeitpunkt des Verkaufs für die angenommene Restnutzungsdauer der Immobilie von einer fortgesetzten Gaststättennutzung der Räumlichkeiten im Untergeschoß /Erdgeschoß ausgeht.
5) Des Weiteren ist es nach Auffassung der erkennenden Kammer Tatsache, dass bei der Erstellung eines Wertgutachtens hinsichtlich einer Immobilie auch die zukünftig beste wirtschaftliche Verwertung zugrunde zu legen ist. Dass bei der Marktwertermittlung vorhandene Entwicklungspotenziale berücksichtigt werden müssen, ergibt sich nach Auffassung der Kammer aus der Definition des Marktwertes als dem im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielenden Preis, denn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr wird neben der tatsächlichen Nutzung auch die Nutzungsfähigkeit eines Grundstücks berücksichtigt. Zu den tatsächlichen Eigenschaften einer Immobilie gehört nicht nur das tatsächlich vorhandene, sondern auch das bei nüchterner Betrachtung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten „Mögliche“, und zwar auch dann, wenn sich dies noch nicht rechtlich verfestigt hat.
6) Weitere Tatsache ist, dass die Antragsteller ein Gutachten des Sachverständigen C… R…, Diplom-Betriebswirt und Diplom-Wirtschaftsingenieur, als Anlage AST 25 vorgelagert haben, welches unter Zugrundelegung zweier unterschiedlicher Bewertungsszenarien für die in Rede stehende Immobilie zum Wertermittlungsstichtag 15.11.2017 zu Verkehrswerten von 193 Millionen bzw. 161 Millionen Euro gelangt, also zu einem deutlich höheren Wert, als dem, was die A… AG für das Grundstück bezahlt hat.
Hierbei verkennt die erkennende Kammer natürlich nicht, dass dieses Gutachten ohne Zweifel im Widerspruch zu dem Wertgutachten des Sachverständigenbüros B… vom 27.11.2017 und den von der Antragsgegnerin nachträglich eingeholten Gutachten von C… sowie von A… (Anlagen AG 2, AG 3 und AG 4) steht.
Im Rahmen eines Verfahrens auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 315 Satz 2 AktG ist es allerdings nicht erforderlich und auch nicht Aufgabe des über den Sonderprüfungsantrag entscheidenden Gerichts, bereits im Antragsverfahren die Nachteiligkeit des gegenständlichen Geschäfts zur gerichtlichen Überzeugung zu ermitteln, diese Prüfung ist vielmehr Gegenstand des durchzuführenden Sonderprüfungsverfahrens. Die Kammer hat daher nicht zu entscheiden darüber, welches der von den Parteien vorgelegten konträren Gutachten das zutreffende und richtige ist. Die Kammer hat nur zu überprüfen, ob eine Tatsache vorliegt, die eine Nachteilszufügung im Sinne des § 315 Satz 2 AktG rechtfertigen kann. Aufgrund des von der Antragstellerseite vorgelegten Gutachtens steht jedenfalls zur Überzeugung der Kammer eine Tatsache fest, dass die dem Verkauf zugrunde liegende Wertermittlung möglicherweise unzutreffend gewesen sein kann.
Aufgrund des von der Antragstellerseite vorgelegten Gutachtens steht für die Kammer auch fest, dass eine Gaststättennutzung der Immobilie zu einem deutlich geringeren Nutzflächenpreis führt als eine Einzelhandelsnutzung.
7) Die oben aufgeführten Tatsachen liegen zur Überzeugung der erkennenden Kammer vor und begründen den Verdacht einer pflichtwidrigen Nachteilszufügung. Aufgrund der oben aufgeführten Tatsachen ist zur Überzeugung der Kammer der Verdacht begründet, dass die Immobilie an einen unabhängigen Dritten nicht zu diesem Preis verkauft worden wäre und die vorhandenen Entwicklungspotenziale der Immobilie bei der Festsetzung des Kaufpreises nicht berücksichtigt wurden.
III)
Aufgrund der gegebenen Beteiligungsverhältnisse der F… HV bzw. des Herrn v… F… an der Antragsgegnerin bzw. der Erwerberin, der A…, AG, sowie der personellen Verflechtungen von deren Organen, ist von einem faktischen Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von § 311 ff AktG auszugehen. Es liegt eine Verbindung über den Anteilsbesitz ohne gesetzlich bestimmte Leitungsmacht und damit ein faktischer Konzern vor.
IV)
Sofern die in Rede stehende Immobilie von der Antragsgegnerin an das Schwesterunternehmen unterpreisig verkauft wurde, ergibt sich hieraus auch ein Vorteil für das herrschende Unternehmen. Denn zum einen gewann dieses bzw. die Mehrheitsaktionärin auf diese Weise überproportionale Anteile am Vermögenswert hinzu, und zum anderen erlaubte die Zusammenlegung der beiden Nachbargrundstücke der A… AG, das schon im Verkaufszeitpunkt bestehende erhebliche Wertsteigerungspotenzial zu Gunsten der R…, HV zu maximieren und alleine zu Gunsten der A… AG zu realisieren, ohne dass die Minderheitenaktionäre der Antragsgegnerin an der Wertsteigerung beteiligt wurden.
V)
Da, wie oben ausgeführt, das in Rede stehende Rechtsgeschäft für das herrschende Unternehmen oder eine seiner anderen Beteiligungsgesellschaften von Vorteil war, streitet zugunsten der Antragsteller die Vermutung, dass die Transaktion durch das herrschende Unternehmen veranlasst wurde (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 18 zu § 315).
VI)
Aus den oben genannten Gründen war daher gemäß § 315 Satz 2 AktG ein Sonderprüfer zu bestellen.
Dabei kann Gegenstand und Umfang der Sonderprüfung nicht auf eine bloße Immobilien-Objektbewertung beschränkt werden. Denn die Sonderprüfung nach § 315 AktG beschränkt sich nicht auf eine bloße Tatsachenermittlung, erforderlich ist vielmehr eine Bewertung der Tatsachen unter den Gesichtspunkten der §§ 311, 317 AktG. Es ist dabei zum einen zu überprüfen und zu beurteilen, ob das zu prüfende Rechtsgeschäft für die abhängige Gesellschaft nachteilig war und gegebenenfalls wie hoch der Nachteil war. Darüber hinaus ist zu überprüfen, ob das Rechtsgeschäft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens vorgenommen wurde (vergleiche Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2020, Rn. 27 ff).
Aus diesem Grunde war nicht ein Sachverständiger zur Immobilien-Objektbewertung zu bestellen sondern eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Hinsichtlich der Bestellung der S… …, S… straße 8… A…, bestehen keinerlei Bedenken.
C)
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits auf §§ 315 Satz 4; 142 Abs. 8 AktG; 81 Abs. 1 FamFG. Nachdem der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers vollumfänglich begründet ist, entspricht es billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten des Rechtsstreits in Gänze aufzuerlegen.
Hinsichtlich der Kosten der Prüfung beruht die Entscheidung auf § 146 Satz 1 AktG.
D)
Gegenstandswert: Geschätztes wirtschaftliches Interesse der Antragsteller an der beantragten Sonderprüfung.


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