Handels- und Gesellschaftsrecht

Zurückbehaltungsrecht wegen Herausgabe eines Ordnerkonvoluts bei Beratungsvertrag

Aktenzeichen  42 O 2051/15

Datum:
22.7.2016
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 242, § 273, § 307, § 308 Nr. 1 Lit. b, § 309, § 667, § 675
RVG RVG § 3a
BRAO BRAO § 50
ZPO ZPO § 92, § 709 S. 1

 

Leitsatz

1 Erforderlich für ein Zurückbehaltungsrecht iSd § 273 BGB ist, dass den beiderseitigen Ansprüchen ein innerlich zusammenhängendes einheitliches Lebensverhältnis zugrunde liegt; irrelevant für die Prüfung, ob ein innerer natürlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang existiert, ist, ob ein Vertrag ordnungsgemäß erfüllt wird oder ein Recht besteht, den Vertragspflichten nicht mehr nachzukommen. (Rn. 23 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts iSd § 273 BGB kann auch die Zurückbehaltung von Sachen (hier: Ordnerkonvolut) sein. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Zurückbehaltungsrecht iSd § 273 BGB im rechtsanwaltlichen und steuerberatenden Bereich ausschließende Sonderregelungen sind auf andere Beratungsverträge, deren Leistung nicht Gegenstand einer solchen Tätigkeit sind, nicht übertragbar. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Regelung in AGB des Auftragnehmers, wonach ihm übergebene Unterlagen nach Beendigung des Beratervertrages herauszugeben sind, schließt die Berufung des Auftragnehmers auf ein Zurückbehaltungsrecht nicht aus. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
5 Honoraransprüche aus einem Beratervertrag sind begründet, wenn ein detaillierter Tätigkeitsnachweis vorgelegt wird, der die einzelnen Tätigkeiten unter Angabe von Datum, Leistung, konkretisierender Beschreibung und Stundenzahl aufweist und der Auftraggeber hiergegen keine substantiierten Einwendungen vorbringt. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, das am 17.12.2014 übergebene Ordnerkonvolut, bestehend aus den vollständigen Buchhaltungsordnern der Jahre 01.01.2006 – 31.12.2013 (konkrete Beschreibung: dunkelblaue Leitz-Ordner, Größe A 4 breit, welche insbesondere alle Kontoauszüge nebst Rechnung für die vorzunehmenden Buchungen enthalten und für die einzelnen Konten und weitere Kategorien mit Registerblättern getrennt einsortiert sind; auf dem Rücken dieser Ordner ist vermerkt: „Bank, Buchungen vom … – …, A.A. zzgl. Adresse dieses“) an den Kläger herauszugeben Zug-um-Zug gegen Zahlung eines Betrags in Höhe von 10.680,34 EUR durch den Kläger an die Beklagte.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000 EUR vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Angesichts der Tatsache, dass mithilfe des streitgegenständlichen Ordnerkonvoluts eine Prüfung auf fehlerhafte Buchungen, unzulässig berechnete Entgelte und fehlerhafte Zinsanpassungen erfolgen soll, schätzt das Gericht das wirtschaftliche Interesse des Klägers – entsprechend seines Vorschlags – auf 10.000 EUR.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur insofern begründet, als die Beklagte zur Herausgabe des Ordnerkonvoluts Zug-um-Zug gegen Zahlung von 10.680,34 EUR verpflichtet ist.
I.
Der Kläger hat gemäß §§ 675, 667 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe des Ordnerkonvoluts. Der Beklagten steht jedoch gegenüber dem klägerischen Herausgabeverlangen ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB zu.
1. Der Anwendungsbereich des § 273 BGB ist eröffnet, da § 273 BGB für Schuldverhältnisse aller Art, also auch für den hier abgeschlossenen Beratungsvertrag, gilt.
Das Gericht ist überzeugt, dass zwischen dem Kläger, der Mutter des Klägers, der Beklagten (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unter „- GmbH“ firmierend) und der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Mai 2014 eine Auftrags- und Honorarvereinbarung (Anlage A 1) abgeschlossen wurde. Nachdem die Klägerseite dies erstmals mit Schriftsatz vom 13.06.2016 bestritten hatte, legte die Beklagte mit der Anlage B 6 eine Kopie der von allen Beteiligten unterschriebenen Vereinbarung vor. An der Vertretungsbefugnis der für die Beklagte und deren Prozessbevollmächtigte handelnden Personen hat das Gericht keine Zweifel, zumal auch ein entsprechender Handelsregisterauszug der Beklagten (HRB -, Amtsgericht M.) vorgelegt wurde.
Diese Auftrags- und Honorarvereinbarung ist auch wirksam. Ein Verstoß gegen § 3a RVG ist nicht erkennbar. Die Vereinbarung ist in einer mit einer Vergütungsvereinbarung vergleichbaren Weise bezeichnet. Während sich Ziff. 7 ausdrücklich mit den Honoraransprüchen befasst, definieren die übrigen Ziffern die Art und Weise der Auftragserteilung näher. Von der Auftragserteilung muss die Vergütungsvereinbarung nicht deutlich abgesetzt sein. Eine unzulässige Vermischung von Auftragsverhältnissen liegt nicht vor. Ausweislich Ziff. 4 Abs. 2 Satz 2 der Auftragsbedingungen (“Insbesondere übernimmt der Auftragnehmer zu 2 unter Ausschluss der Auftragnehmerin zu 1 die rechtliche Beratung dieses Auftrags“) sind die Tätigkeitsbereiche der Beklagten und ihrer Prozessbevollmächtigten insoweit abgegrenzt, dass die Rechtsberatung ausschließlich durch deren Prozessbevollmächtigte erfolgte. Letztlich könnte diese Frage hier aber ohnehin offen bleiben, da ein Verstoß gegen das RVG nur Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätte, nicht aber auf den Anspruch der Beklagten.
2. Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts kann jede Leistung sein. Dazu gehört auch die Zurückbehaltung von Sachen wie dem hier streitgegenständlichen Ordnerkonvolut.
3. Die Beklagte kann sich auf einen fälligen Gegenanspruch berufen. Der Beklagten steht gegenüber dem Kläger eine fällige Honorarforderung für Tätigkeiten auf Grundlage der obigen Auftrags- und Honorarvereinbarung in Höhe von 10.680,34 EUR zu.
a) Zur Wirksamkeit der Auftrags- und Honorarvereinbarung wird auf die obigen Ausführungen hierzu verwiesen.
b) Ob die in den Auftragsbedingungen der Beklagten unter Ziff. 6 Abs. 2 enthaltene Einwendungsausschlussfrist grundsätzlich wirksam ist, kann dahinstehen. Da die exakten Zeitpunkte des Erhalts der einzelnen Rechnungen nicht bekannt sind, kann die Beklagte nämlich nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass die Ausschlussfrist von sechs Wochen ab Erhalt der jeweiligen Rechnungen ohne Geltendmachung von Einwendungen abgelaufen ist.
c) Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.04.2015 (Anlage A 10) machte die Beklagte Honoraransprüche in Höhe von 10.799,34 EUR zuzüglich Zinsen von 7,17% vom 19.02.2015 bis 05.05.2015, Zustellungskosten für eine Grundschuldurkunde und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gegenüber dem Kläger geltend. Die mit Schreiben vom 11.05.2015 (Anlage A 12) durch die Beklagte zur Verfügung gestellte und dem Honoraranspruch zugrundeliegenden Auflistung von Tätigkeiten (“Tätigkeitsnachweis“) ist für das Gericht ein deutliches Indiz dafür, dass die Beklagte im Rahmen der obigen Vereinbarung für den Kläger entsprechend der Auflistung tätig geworden ist und entsprechende Leistungen erbracht hat. Die Auflistung des Tätigkeitsnachweises ist detailliert und weist die einzelnen Tätigkeiten unter Angabe von Datum, Leistung, konkretisierender Beschreibung und Stundenzahl auf. Der Kläger hat hingegen – abgesehen von dem Einwand bezüglich der Abrechnung einer Stunde (statt einer halben Stunde) anlässlich einer Telefonkonferenz am 15.12.2014 – keine konkreten Anhaltspunkte dafür benannt, warum die Auflistung der Tätigkeiten und die darauf basierende Forderung unrichtig sein sollten. Er hat sich vielmehr im laufenden Prozess auf die Behauptung zurückgezogen, dass die „erforderliche inhaltliche Stellungnahme (…) in keinerlei Hinsicht von den beiden Gegnern in dieser Angelegenheit erfüllt wurde“ (Schriftsatz vom 18.11.2015, Seite 31). Im Übrigen spiegelt sich auch in dem vorgerichtlichen Schriftverkehr wider, dass der Kläger – mit obiger Ausnahme – nicht in der Lage war, substantiierte Einwendungen gegen den Honoraranspruch zu erheben: Im Schreiben vom 20.05.2015 (Anlage A 13) bestritt der Kläger als Reaktion auf den vorgelegten Tätigkeitsnachweis der Beklagten lediglich den Verzugseintritt sowie die Rechtmäßigkeit der bereits oben erwähnten Abrechnung einer Stunde (statt einer halben Stunde) anlässlich einer Telefonkonferenz am 15.12.2014. Zu den weiteren aufgelisteten Tätigkeiten erfolgte zunächst keine Stellungnahme. Mit Schriftsatz vom 03.06.2016 (Anlage A 16) bemängelte der Kläger im Wesentlichen lediglich pauschal, dass nicht erkennbar sei, inwieweit die Beklagte tatsächlich im Rahmen des Auftrags gehandelt habe. Der klägerseitige Vortrag, wonach die Leistungen der Beklagten mangelhaft gewesen seien und zu einem erheblichen Schaden auf Seiten des Klägers geführt hätten, ändert im Ergebnis nichts. Eine völlig unbrauchbare Leistung ist keinesfalls ersichtlich; Schadensersatzansprüche hat der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht.
Vor diesem Hintergrund genügt die Tätigkeitsauflistung in Verbindung mit den Details der Honorarvereinbarung dem Gericht, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass der Beklagten ein Honoraranspruch in Höhe von jedenfalls 10.680,34 EUR gegenüber dem Kläger zusteht. In Anbetracht des Inhalts der konkretisierenden Beschreibungen der jeweiligen Tätigkeiten in der Tätigkeitsauflistung hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die abgerechneten Tätigkeiten vom Auftragsgegenstand der Auftrags- und Honorarvereinbarung vom Mai 2014 gedeckt waren. Da die Beklagte auf die substantiierte Einwendung des Klägers, wonach für die Telefonkonferenz am 15.12.2014 nur eine halbe Stunde anzusetzen sei, keinen Beweis dafür erbracht hat, dass die Abrechnung einer vollen Stunde gerechtfertigt war, ist unter Berücksichtigung des Stundenhonorars von 200 EUR netto ein Betrag von 119 EUR (brutto) von der Gesamtforderung in Höhe von 10.799,34 EUR abzuziehen, sodass ein Betrag von 10.680,34 EUR verbleibt.
Der mit Schreiben vom 23.04.2015 geltend gemachte Zinsanspruch in Höhe von 165,62 EUR ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die Verzugsvoraussetzungen für die Geltendmachung von Zinsen von 7,17% vom 19.02.2015 bis 05.05.2015 sind nicht hinreichend nachgewiesen. Damit ist auch ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen.
4. Die im Rahmen des § 273 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Ansprüche ist gegeben. Die zurückbehaltende Beklagte ist Gläubigerin des Gegenanspruchs und der Kläger als Gläubiger des Herausgabeanspruchs Schuldner des Gegenanspruchs.
5. Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe des Ordnerkonvoluts und der Gegenanspruch der Beklagten auf Honorarzahlung beruhen jedenfalls im weitesten Sinne auf demselben rechtlichen Verhältnis, sodass die „Konnexität“ zu bejahen ist. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die beiderseitigen Ansprüche im selben Vertrag oder Schuldverhältnis ihre Grundlage haben; es genügt, wenn ihnen ein innerlich zusammenhängendes einheitliches Lebensverhältnis zugrunde liegt.
Der Honoraranspruch basiert offensichtlich auf der Auftrags- und Honorarvereinbarung; der Herausgabeanspruch jedoch ebenfalls, weil das streitgegenständliche Ordnerkonvolut im Zusammenhang mit der rechtlichen Prüfung übergeben wurde, die Gegenstand der Auftrags- und Honorarvereinbarung war.
Die Beklagte trug hierzu vor, dass der Kläger das Ordnerkonvolut an sie übergeben habe, damit im Rahmen der Auftrags- und Honorarvereinbarung mit diesen Unterlagen Ansprüche gegen die L. Bank eG wegen überhöhter Überziehungszinsen im Detail geprüft hätten werden können, um in Vergleichsverhandlungen mit der L. Bank eG eintreten zu können. Der Kläger bestritt den Vortrag nur insoweit, als er ausführte, dass keine Konnexität gegeben sei, weil die Auftrags- und Honorarvereinbarung zum Zeitpunkt der Übergabe des Ordnerkonvoluts bereits ruhend gestellt gewesen sei.
Die Konnexität kann vorliegend nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Beklagte zum Zeitpunkt der Übergabe des Ordnerkonvoluts Tätigkeiten im Rahmen der Auftrags- und Honorarvereinbarung erbrachte oder nicht. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger das Ordnerkonvolut im Hinblick auf die Auftrags- und Honorarvereinbarung der Beklagten übergeben und diese selbiges auch angenommen hat. Ein anderer Grund für die Übergabe ist nicht erkennbar. Damit besteht aber ein innerer natürlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang, der für den – sehr weiten Begriff des Zusammenhangs im Sinne des § 273 BGB – ausreicht. Die Frage, ob ein Vertrag ordnungsgemäß erfüllt wird oder ein Recht besteht, den Vertragspflichten nicht mehr nachzukommen, ist für die Prüfung, ob ein innerer natürlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang existiert, nicht relevant.
Im Übrigen ist das Gericht ohnehin der Überzeugung, das die Beklagte zum Zeitpunkt der Übergabe des Ordnerkonvoluts noch Tätigkeiten im Rahmen der Auftrags- und Honorarvereinbarung erbrachte. Dafür spricht zunächst, dass die Beklagtenseite den Kläger – schon ausweislich seines eigenen Vortrags in der Klageschrift – am 16.12.2014 aufforderte, das Ordnerkonvolut an sie auszuhändigen, um eine Ermittlung der zu Unrecht berechneten Zinsen und Überziehungszinsen zu ermöglichen. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum die Beklagtenseite dies hätte tun sollen, wenn sie die Tätigkeiten im Rahmen der Auftrags- und Honorarvereinbarung bereits eingestellt gehabt hätte oder zumindest beabsichtigt hätte, dies unmittelbar nach Erhalt der Unterlagen zu tun, ist nicht ersichtlich. Für die Richtigkeit der Andeutung der Klägerseite, dass die Beklagte mit der Anforderung der Unterlagen nur bezweckt hätte, ein Druckmittel für die Durchsetzung ihres Honoraranspruchs zu erlangen, gibt es hingegen keinerlei ausreichende Anhaltspunkte. Im Übrigen spricht für eine fortgesetzte Tätigkeit der Beklagten im Rahmen der Auftrags- und Honorarvereinbarung zum Zeitpunkt der Übergabe des Ordnerkonvoluts am 16.12.2014, dass die Beklagte mit Schreiben vom 07.01.2015 nochmals eine detaillierte Einschätzung der Lage an den Kläger übersandte. Erst mit diesem Schreiben teilte sie mit, ihre Tätigkeit bis zur Klärung des weiteren Fortgangs einzustellen.
6. Ein gesetzlicher oder vertraglicher Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts ist nicht ersichtlich.
a) Sonderregelungen bestehen jedenfalls bezüglich der Beklagten nicht. Diese ist weder im rechtsanwaltlichen noch steuerberatenden Bereich tätig geworden. Der klägerseitige Verweis auf die Entscheidung des BGH (NJW 1988, 2607) ist daher schon insofern nicht zielführend, als es in dieser Entscheidung um das Zurückbehaltungsrecht eines Steuerberaters ging und eine Übertragung der dort aufgestellten Grundsätze auf andere Vertragsverhältnisse nicht zulässig ist.
b) Die Regelung in Ziff. 3 Abs. 4 der AGB der Beklagten, wonach der Auftragnehmer verpflichtet ist, die ihm übergebenen Unterlagen sorgfältig zu verwahren und nach Beendigung des Beratungsvertrags an den Auftraggeber herauszugeben, ändert nichts an der grundsätzlichen Möglichkeit für die Beklagte, sich auf ein Zurückbehaltungsrecht zu berufen. Ziff. 3 Abs. 4 der AGB beschreibt letztlich nur die ohnehin schon bestehende Rechtslage. Auch unabhängig von der Regelung wäre der Auftragnehmer selbstverständlich verpflichtet, ihm übergebene Unterlagen sorgfältig aufzubewahren und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zurückzugeben. Dass mit dieser deklaratorischen Regelung gleichzeitig vereinbart sein sollte, dass sich die Beklagte als der Auftragnehmerin auch dann, wenn die Voraussetzungen vorliegen, nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen können soll, kann das Gericht nicht erkennen. In der klägerseits in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung (LG Köln, NJW 1988, 1675) geht es im Übrigen um eine nicht verallgemeinerungsfähige Entscheidung zu einer Spezialmaterie, nämlich zu Handakten eines Steuerberaters. Eine Übertragung der dort aufgestellten Grundsätze auf den hiesigen Sachverhalt ist nicht möglich.
7. Die Berufung der Beklagtenseite auf das Zurückbehaltungsrecht ist nicht nach § 242 BGB treuwidrig. Angesichts der unbestritten gebliebenen Tatsachen, dass (i) der Grundbesitz in B. durch in den Jahren 1994, 1996 und 2001 eingetragene Grundschulden mit valutierten Hauptforderungen in Höhe von insgesamt 829.114,85 EUR zuzüglich 18% Zinsen und Nebenforderungen zugunsten der L. Bank e.G. vorbelastet ist und (ii) diese Grundschulden gegenüber der Grundschuld der Beklagten vorrangig sind, muss sich die Beklagte zur Sicherung ihres Honoraranspruchs nicht auf die Grundschuld verweisen lassen, weil der wirtschaftliche Wert selbiger nachvollziehbarerweise unklar ist. Daran ändert die Behauptung der Klägerseite, dass die Ansprüche der L. Bank eG auch noch durch eine zur Zahlung fällige Lebensversicherung in Höhe von 530.000 EUR gesichert seien, schon deswegen nichts, weil die Klägerseite diese bestrittene Behauptung nicht unter Beweis gestellt hat.
Angesichts des nicht unbeträchtlichen Honoraranspruchs liegt auch keine Konstellation vor, in der wegen einer unverhältnismäßig geringen Forderung eine hochwertige Leistung zurückbehalten würde.
8. Auf die Frage, ob auch die Prozessbevollmächtigte der Beklagten einen Anspruch gegen den Kläger hat und diesbezüglich ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich des Ordnerkonvoluts besteht, kommt es vorliegend nicht an. Dieser Anspruch bzw. dieses Recht stünde jedenfalls nicht der Beklagten, sondern der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu. Da der Kläger aber nur gegen die Beklagte den Anspruch auf Herausgabe des Ordnerkonvoluts erhebt, kann auch nur diese gegenüber dem Herausgabeanspruch ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Dass der Beklagten gegenüber dem gegen sie gerichteten Herausgabeanspruch auch ein Zurückbehaltungsrecht wegen Ansprüchen Dritter (hier wegen eines möglicherweise bestehenden Anspruchs der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Kläger) zustünde, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten und auch aus der Auftrags- und Honorarvereinbarung, dass zwei Rechtsverhältnisse, nämlich (i) eines zwischen dem Kläger und der Beklagten und (ii) eines zwischen dem Kläger und der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bestehen, die rechtlich separat zu betrachten sind.
9. Gemäß § 274 BGB führt das Zurückbehaltungsrecht nicht zur Klageabweisung, sondern zu einer Verurteilung Zug-um-Zug (Grüneberg, in: Palandt, 75. Auflage 2016, § 274 Rn 2).
II.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 ZPO, da ein Teilunterliegen vorliegt, wenn das Urteil nicht auf die begehrte uneingeschränkte Leistung lautet, sondern nur auf Erfüllung der Verpflichtung Zug-um-Zug. Im Anwendungsbereich des § 92 ZPO ist allein eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich. Die Kostenquote ist daher nach dem Verhältnis des Wertes der Gegenleistung zu der Klageforderung zu bestimmen. Ausgehend von einem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Herausgabe der Unterlagen, das das Gericht – im Einklang mit dem klägerseitigen Vorschlag – auf 10.000 EUR bemessen hat und dem Anspruch in Höhe von 10.680,34 EUR, den der Kläger Zug-um-Zug zu erfüllen hat, ist eine Kostenaufhebung angezeigt.
III.
Der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1 ZPO.


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